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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 25.02.1998
Aktenzeichen: 2 AZR 256/97
Rechtsgebiete: BGB, RVO


Vorschriften:

Dienstordnung für die Angestellten der Innungskrankenkasse der Friseure und des Gastgewerbes Berlin vom 1. Juli 1978 in der Fassung vom 1. Januar 1991 § 23
Dienstordnung für die Angestellten der Innungskrankenkasse der Friseure und des Gastgewerbes Berlin vom 1. Juli 1978 in der Fassung vom 1. Januar 1991 § 30
Dienstordnung für die Angestellten der Innungskrankenkasse der Friseure und des Gastgewerbes Berlin vom 1. Juli 1978 in der Fassung vom 1. Januar 1991 § 31
BGB § 626
RVO § 351
Leitsatz:

Im Recht der Dienstordnungs-Angestellten sind die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund und die disziplinarische fristlose Dienstentlassung zwei voneinander scharf zu trennende Rechtsinstitute, die nicht in einem Subsidiaritätsverhältnis stehen (Bestätigung der Rechtsprechung im Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28. April 1982 - 7 AZR 962/79 - BAGE 39, 32 = AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße).

Aktenzeichen: 2 AZR 256/97 Bundesarbeitsgericht 2. Senat Urteil vom 25. Februar 1998 - 2 AZR 256/97 -

I. Arbeitsgericht Berlin - 90 Ca 4830/96 - Urteil vom 18. Juni 1996

II. Landesarbeitsgericht Berlin - 11 Sa 88/96 - Urteil vom 11. Februar 1997


---------------------------------------------------------------------- Für die Amtliche Sammlung: Nein Für die Fachpresse : Ja Für das Bundesarchiv : Nein ----------------------------------------------------------------------

Entscheidungsstichworte: Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Dienst bei einem DO-Angestellten

Gesetz: Dienstordnung für die Angestellten der Innungskrankenkasse der Friseure und des Gastgewerbes Berlin vom 1. Juli 1978 in der Fassung vom 1. Januar 1991 §§ 23, 30, 31; BGB § 626; RVO § 351

2 AZR 256/97 ------------- 11 Sa 88/96 Berlin

Im Namen des Volkes! Urteil

Verkündet am 25. Februar 1998

Anderl, Amtsinspektorin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In Sachen

pp.

hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Etzel, die Richter Bitter und Bröhl sowie die ehrenamtlichen Richter Piper und Dr. Bartz für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 11. Februar 1991 - 11 Sa 88/96 - aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Der Kläger war seit dem 1. September 1961 als Dienstordnungs-Angestellter bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin, zuletzt gegen ein Gehalt von 4.922,47 DM, beschäftigt. Bis zum 31. Dezember 1992 war er als Innenrevisor eingesetzt; mit Wirkung zum 1. Januar 1993 wurden dem Kläger die Leitung der Rezeptprüfstelle und die Aufgabe der Kontierung von Krankenhausrechnungen übertragen.

Seit Mai 1993 kam es zu Beanstandungen der Beklagten in bezug auf das Verhalten und die Arbeitsausführung des Klägers. Mit Schreiben vom 25. Mai 1993 sowie vom 12. August, 9. September und 29. Dezember 1993 erhielt der Kläger Abmahnungen. Mit einer Disziplinarverfügung vom 28. Februar 1994 wurde dem Kläger eine einmalige Geldbuße von 2.000,- DM auferlegt und ihm gleichzeitig für den Fall der Fortsetzung der Widersetzlichkeit die Entfernung aus dem Dienst angedroht. Hierzu teilte der Kläger der Beklagten mit Schreiben vom 10. März 1994 mit, daß er die Disziplinarverfügung "für bindend" erkläre und zahlte die Geldbuße. Eine im vorliegenden Prozeß ursprünglich auf Rückzahlung dieser Geldbuße gerichtete Klage hat der Kläger zurückgenommen.

Vor dem Hintergrund erheblicher Fehlzeiten des Klägers in der Zeit vom 28. April 1988 bis zum 7. Januar 1990 sowie nach Darstellung der Beklagten seit Ende 1991 wiederholt aufgetretener Beschwerden von Mitarbeitern und Verhaltensauffälligkeiten des Klägers unterzog sich dieser am 7. Januar 1994 auf Veranlassung der Beklagten einer Personaluntersuchung nach § 77 des Landesbeamtengesetzes, die mit dem Ergebnis endete, beim Kläger liege kein Befund vor, der die Feststellung einer Dienstunfähigkeit rechtfertige. Mit Schreiben vom 2. Mai 1994 forderte die Beklagte den Kläger auf, wegen des Verdachts der Schwäche seiner geistigen Kräfte zu einer Nachuntersuchung zur Feststellung seiner Dienstfähigkeit zu erscheinen. Schriftlichen Anweisungen der Beklagten vom 5. Mai und 8. Juni 1994 zur Teilnahme an einer psychologischen Untersuchung mit Testverfahren und folgendem Gespräch kam der Kläger nicht nach. Unter dem 4. Juli 1994 wurde er gemäß § 31 Abs. 1 der bei der Beklagten geltenden Dienstordnung vom 1. Juli 1978 in der Fassung vom 1. Januar 1991 (im folgenden abgekürzt: DO) vorläufig vom Dienst enthoben. Dieser Bescheid wurde unter Berufung auf etwaige formelle Mängel des Verfahrens mit Schreiben vom 22. August 1994 aufgehoben und dem Kläger mitgeteilt, daß wegen des Verdachts eines Dienstvergehens disziplinarische Vorermittlungen gegen ihn durchgeführt würden. Nach deren Abschluß teilte die Beklagte dem Kläger unter dem 18. Januar 1995 u. a. mit, daß gegen ihn ein förmliches Disziplinarverfahren eröffnet und er mit sofortiger Wirkung gemäß § 31 Abs. 1 DO vorläufig des Amtes enthoben würde. Die gegen die vorläufige Amtsenthebung gerichtete Klage ist durch rechtskräftiges Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 26. Juni 1996 (- 8 Sa 107/95 -) abgewiesen worden.

Mit Schreiben vom 29. Dezember 1995 verfügte die Beklagte gegen den Kläger als Disziplinarmaßnahme die Entfernung aus dem Dienst mit sofortiger Wirkung, was gleichzeitig den Verlust des Anspruchs auf Besoldung, der Versorgungsanwartschaft und der Befugnis zur Führung seiner Dienstbezeichnung sowie den Ausschluß der Hinterbliebenenversorgung zur Folge haben sollte. Diese Maßnahme wird unter Angabe von Details im wesentlichen auf sieben Gesichtspunkte gestützt:

1. Unbefugte Vernichtung im einzelnen aufgeführter Unterlagen der Rezeptprüfstelle der Innungskrankenkasse.

2. Fernbleiben von dienstlich angeordneten ärztlichen und psychologischen Untersuchungen am 31. Mai 1994 sowie am 14. Juni 1995, die der Beurteilung der Dienstfähigkeit dienen sollten.

3. Beharrliche Mißachtung dienstlicher Anweisungen, insbesondere der schriftlich erteilten Arbeitsanweisung vom 13. April 1994.

4. Beleidigende Äußerungen gegenüber Mitarbeitern in verschiedenen, im einzelnen aufgeführten Schreiben.

5. Verstoß gegen die allgemeinen Dienstpflichten durch die wahrheitswidrige Behauptung, im Auftrag der Geschäftsführung Kenntnis über Personalsachen der Leistungsabteilungen erhalten zu müssen.

6. Störung des Betriebsfriedens durch störende Gespräche mit den Mitarbeitern, unbefugte Anweisungen und Erstattung von Strafanzeigen sowie Erhebung von Privatklagen gegen verschiedene Mitarbeiter.

7. Verletzung der Gleitzeitordnung in verschiedenen Fällen.

Den gegen diesen Bescheid gerichteten Einspruch des Klägers wies die Beklagte mit Schreiben vom 24. April 1996 zurück.

Mit seiner ursprünglich auf Zahlung zurückgeforderter Vergütungsbestandteile gerichteten, in der Folgezeit mehrfach erweiterten und geänderten Klage hat sich der Kläger gegen die Beendigung seines Dienstordnungs-Angestelltenverhältnisses gewandt und daneben ursprünglich sowohl die Verurteilung der Beklagten zur einstweiligen Weiterbeschäftigung als auch die Zahlung der vollen Vergütung für die Monate Februar bis Juni 1996 nebst vermögenswirksamer Leistungen begehrt. Die auf Weiterbeschäftigung und Zahlung gerichtete Klage ist im Termin vor dem Landesarbeitsgericht einvernehmlich zurückgenommen worden.

Der Kläger hat geltend gemacht, die Disziplinarmaßnahme sei bereits aus formellen Gründen unwirksam, weil ihm weder ausreichende Akteneinsicht noch rechtliches Gehör gewährt worden sei. Zudem seien die gegen ihn erhobenen Vorwürfe unbegründet; er habe vielmehr sowohl bei seiner Tätigkeit als Innenrevisor als auch während seiner Beschäftigung in der Rezeptprüfstelle zahlreiche Mißstände aufgedeckt, auf die er die Beklagte allerdings vergeblich hingewiesen habe. Die Vernichtung von Unterlagen könne ihm nicht vorgeworfen werden, weil er lediglich Durchschriften von Anfragen nach den Vorschriften des SGB V entsorgt habe, da diese für Prüfzwecke nicht mehr benötigt worden seien.

Der Kläger hat - soweit für die Revisionsinstanz von Belang - beantragt

festzustellen, daß das Dienstordnungs-Angestelltenverhältnis durch den Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 1995 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag sich auf die im Bescheid vom 29. Dezember 1995 im einzelnen aufgeführten Umstände berufen und darauf verwiesen, die vom Kläger in der Zeit bis 23. Juni 1994 vernichteten Unterlagen aus der Rezeptprüfung seien zur Begründung von Ansprüchen gegen Dritte benötigt worden; die Vernichtung habe zur Folge gehabt, daß die sich aus den Unterlagen ergebenden Forderungen in Höhe von 6.206,04 DM als uneinbringlich hätten ausgebucht werden müssen. Durch das Nichterscheinen zu der angeordneten psychologischen Untersuchung habe der Kläger gegen seine Dienstpflichten verstoßen; er habe ferner entgegen den Arbeitsanweisungen nur unzureichende Leistungen erbracht und sich in Schreiben an die Geschäftsführung beleidigend über Mitarbeiter und Vorgesetzte geäußert. Schließlich hätte der Kläger unter Vorspiegelung einer ihm nicht erteilten Aufgabe versucht, vom Leiter der allgemeinen Verwaltung Personalzahlen der Leistungsabteilung in Erfahrung zu bringen. Außerdem habe er durch sein Verhalten die Tätigkeit der Mitarbeiter in der Versichertenabteilung wiederholt und nachhaltig gestört und mehrfach gegen die Gleitzeitvereinbarung verstoßen. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei ihr daher nicht mehr zumutbar, zumal der Kläger in der Vergangenheit wiederholt ermahnt bzw. verwarnt und schließlich im Zusammenhang mit der bestandskräftigen Disziplinarverfügung vom 28. Februar 1994 darauf hingewiesen worden sei, daß er im Falle weiterer Verfehlungen mit der Entlassung aus dem Dienst rechnen müsse. Die im einzelnen geschilderten vielfältigen Vertragsverstöße des Klägers rechtfertigten jedenfalls in ihrer Gesamtheit die ausgesprochene Disziplinarmaßnahme.

Das Arbeitsgericht hat - soweit hier von Belang - nach dem Feststellungsantrag erkannt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte nach wie vor die Klageabweisung.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung, § 565 ZPO.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die verhängte Dienststrafe verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Auch wenn man mit der Beklagten von einem beanstandungsfreien Vorermittlungs- bzw. Disziplinarverfahren sowie vom tatsächlichen Vorliegen der gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwürfe ausgehe, habe die Beklagte die Möglichkeit der in § 23 Abs. 2 DO vorgesehenen Kündigung aus in der Person des Dienstordnungs-Angestellten liegenden Gründen erwägen müssen, zumal diese Option unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit noch den Vorzug gehabt habe, daß dem langjährig beschäftigten Kläger jedenfalls die Alters- bzw. Hinterbliebenenversorgung verblieben wäre. Da die Beklagte die Ursache für das aus ihrer Sicht merkwürdige Gebaren des Klägers eher im medizinischen Bereich gesehen habe, erweise sich die Maßnahme als ermessensfehlerhaft. Selbst wenn man aber von der Möglichkeit der Subsumtion des vorgetragenen Fehlverhaltens des Klägers unter einen der Tatbestände des § 31 Abs. 2 DO ausgehen wollte, so sei nicht ersichtlich, warum die Beklagte nicht von der Möglichkeit einer milderen Maßnahme nach § 30 Abs. 3 DO Gebrauch gemacht und dabei dem Kläger ggf. letztmalig verdeutlicht habe, daß eine Fortsetzung seines Verhaltens den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährden würde. Was die zu unterstellende Vernichtung von Urkunden angehe, wäre zudem vor einer Entlassung daran zu denken gewesen, den Kläger wegen des verursachten Schadens in Anspruch zu nehmen.

II. Dem folgt der Senat nicht. Die Beklagte rügt zu Recht eine Verletzung der §§ 30, 31 der Dienstordnung für die Angestellten der Innungskrankenkasse der Friseure und des Gastgewerbes Berlin vom 1. Juli 1978 in der Fassung vom 1. Januar 1991.

1. Die Beklagte stützt ihre Personalmaßnahme, nämlich die Entfernung aus dem Dienst mit sofortiger Wirkung laut Schreiben vom 29. Dezember 1995, auf § 31 Abs. 2 der in Rede stehenden Dienstordnung, nicht dagegen auf § 23 Abs. 2 DO, wonach nur unter bestimmt eingegrenzten Umständen eine Kündigung aus wichtigem Grund unter Einhaltung bestimmter Fristen möglich ist. Diese Dienstordnung ist Grundlage des Arbeitsverhältnisses der Parteien unabhängig vom Inhalt des Arbeitsvertrages, weil sie den Charakter einer Satzung hat, auf der gesetzlichen Ermächtigung der §§ 351, 352 RVO beruht und deshalb das Arbeitsverhältnis wie eine sonstige Norm beherrscht (ständige Rechtsprechung, BAGE 10, 196, 199 = AP Nr. 15 zu § 611 BGB Dienstordnungs-Angestellte, mit Anm. Küchenhoff; BAGE 24, 8 = AP Nr. 31, aaO; Urteil vom 21. September 1993 - 9 AZR 258/91 - AP Nr. 68, aaO; siehe auch KR-Etzel, 4. Aufl., § 1 KSchG Rz 89 und KR-Hillebrecht, § 626 BGB Rz 33).

a) Zutreffend - wenn auch unausgesprochen - geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß die Gerichte für Arbeitssachen nachprüfen können, ob die Beklagte als Dienstherr bei der Personalmaßnahme - die Dienstentlassung ist die schwerste Disziplinarmaßnahme, die der Katalog der Dienstordnung in § 30 Abs. 3 vorsieht - ermessensfehlerfrei gehandelt hat, insbesondere das Gebot der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist (BAGE 24, 8, 16 = AP, aaO, zu III 1 der Gründe). Das Landesarbeitsgericht übersieht aber, was die Revision zutreffend rügt, daß die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sich auf den von § 30 DO vorgegebenen Rahmen von Disziplinarmaßnahmen beschränkt und nicht etwa die Beurteilung einschließt, ob die Beklagte statt einer Disziplinarmaßnahme richtigerweise eine Kündigung aus wichtigem Grund hätte aussprechen sollen. Das Landesarbeitsgericht beachtet bei seiner ausufernden Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht, daß es sich bei der in Rede stehenden Disziplinarmaßnahme aufgrund der Dienstordnung um die Nachprüfung von Dienststrafrecht handelt, das dem Beamtenrecht nachgebildet ist.

Wie sich aus § 22 Abs. 1 DO ergibt, steht der Angestellte auf Lebenszeit in einem Dienstverhältnis, das dem eines Landesbeamten auf Lebenszeit entspricht, für den u.a. bei Nichterfüllung der Pflichten ergänzend die Vorschriften für Landesbeamte gelten (§ 26 Abs. 1 DO). So hat auch der Senat in der zitierten Entscheidung die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Anschluß an Herschel (Betriebsbußen, ihre Voraussetzungen und Grenzen, München 1967, S. 96) auf die Wahl der Strafart und die Bestimmung der Strafhöhe bezogen; die gerichtliche Nachprüfung des Ermessensgebrauchs orientiere sich am Sinn der betrieblichen Strafordnung. Das Landesarbeitsgericht hätte daher nur erwägen dürfen, ob ggf. die Verhängung einer geringeren Dienststrafe als der der Dienstentlassung in Betracht kam (siehe auch BAGE 24, 8, 20 f. = AP, aaO, zu III 2 d der Gründe). Das Bundesarbeitsgericht hat bereits für den Fall der Dienstentlassung eines Dienstordnungs-Angestellten entschieden, daß im Recht der Dienstordnungs-Angestellten die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund und die disziplinäre fristlose Dienstentlassung aufgrund der Dienstordnung zwei voneinander scharf zu trennende Rechtsinstitute sind, weil sie sich in ihrer Funktion - die Dienstentlassung ist Dienststrafe, die außerordentliche Kündigung dagegen nicht - wesentlich unterscheiden (Urteile vom 26. Mai 1966 - 2 AZR 339/65 - AP Nr. 23, aaO; vom 3. Februar 1972 - 2 AZR 170/71 - AP Nr. 32, aaO und BAGE 54, 1 = AP Nr. 27 zu § 15 KSchG 1969).

Zu Unrecht beruft sich das Landesarbeitsgericht für seine gegenteilige Ansicht auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25. August 1977 (- 3 AZR 705/75 - AP Nr. 1 zu § 54 BMT-G II), weil es in jenem Fall nicht um einen DO-Angestellten, sondern um eine "normale" Arbeitnehmerin in einem städtischen Krankenhaus ging, die gegenüber einer ihr ausgesprochenen Kündigung geltend gemacht hatte, der Arbeitgeber habe statt der Kündigung eine mildere Maßnahme nach den Bestimmungen der Dienst- und Disziplinarordnung für die Angestellten und Arbeiter des Landes Berlin ergreifen müssen. Das Bundesarbeitsgericht ist dieser Ansicht nicht gefolgt, wobei es Zweifel geäußert hat, ob neben einer Kündigung für eine Dienstentlassung als Disziplinarmaßnahme überhaupt eine Rechtsgrundlage bestehe (aaO, zu II der Gründe). Aus dieser Entscheidung läßt sich daher für den vorliegenden Fall einer gegenüber einem DO-Angestellten ausgesprochenen Dienstentlassung als Disziplinarmaßnahme nichts herleiten (insofern mißverständlich KR-Hillebrecht, aaO, Rz 34). Das Bundesarbeitsgericht hat auch deutlich im dritten Leitsatz der Entscheidung vom 28. April 1982 (- 7 AZR 962/79 - BAGE 39, 32 = AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße) zum Ausdruck gebracht, die Rechtsprechung zum eventuellen Nebeneinander von Dienstentlassung und Kündigung nach der DO des Landes Berlin gelte nicht bei DO-Angestellten im Sinne des § 351 RVO. Dem entspricht es, daß das Bundesarbeitsgericht es im Urteil vom 26. Mai 1966 (- 2 AZR 339/65 - AP Nr. 23, aaO, mit Anm. Immand) dem Arbeitgeber eines DO-Angestellten verwehrt hat, aus verhaltensbedingtem Anlaß statt der in der betreffenden Dienstordnung vorgesehenen Dienststrafe der Dienstentlassung eine Kündigung auszusprechen.

b) Daß im Falle eines DO-Angestellten Dienstentlassung und Kündigung aus wichtigem Grund nicht in einem Alternativverhältnis stehen, ergibt sich hier auch unmittelbar aus den Regelungen der einschlägigen Dienstordnung, wonach dem Angestellten nur aus einem in seiner Person liegenden wichtigen Grund, also nicht betriebs- oder verhaltensbedingt, und dann auch nur unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten zum Quartalsschluß (§ 23 Abs. 2 und 3 DO) gekündigt werden kann, während bei schuldhaften Pflichtverletzungen - ggf. auch bei außerdienstlichem Verhalten (§ 30 Abs. 1 DO) - ein Dienstvergehen vorliegt, das die in § 30 Abs. 3 DO aufgeführten Dienstdisziplinarmaßnahmen zur Folge hat, wobei teilweise die Vorschriften für Landesbeamte entsprechend gelten (§ 30 Abs. 7 DO) und das Verfahren nach näherer Maßgabe der §§ 30 Abs. 6, 31 DO formell in bestimmter Weise und unter genau bestimmten Voraussetzungen (§ 31 Abs. 2 DO) geregelt ist.

c) Ob dieses Verfahren und diese Voraussetzungen vorliegen, hat das Landesarbeitsgericht bei seinem Ansatz nicht geprüft; jedenfalls liegen insoweit keine den Senat nach § 561 ZPO bindenden Feststellungen vor, die im Hinblick auf § 563 ZPO eine Entscheidung des Senats in der Sache selbst ermöglichten.

Das Landesarbeitsgericht hat dazu ausgeführt, wie sich sowohl dem an die Facharztzentrale gerichteten Schreiben der Beklagten vom 6. Januar 1994, in dem ausdrücklich auf einen nach Meinung der Beklagten beim Kläger festzustellenden fortschreitenden Realitätsverlust hingewiesen wurde, als auch dem wesentlichen Ergebnis der Vorermittlungen vom 14. November 1994 entnehmen lasse, sei der Beklagten die Tatsache einer psychischen Vorerkrankung des Klägers bekannt gewesen und sei im Zusammenhang mit verschiedenen aktuellen Verhaltensauffälligkeiten auch zum Anlaß der Anordnung des vom Kläger wahrgenommenen Untersuchungstermins vom 7. Januar 1994 genommen worden; darüber hinaus zeigten auch die weiteren Schreiben der Beklagten vom 2. Mai 1994, 5. Mai 1994 sowie 8. Juni 1994, daß sie die Ursache für das aus ihrer Sicht merkwürdige Gebaren des Klägers eher im medizinischen Bereich gesehen und dieses nicht als Abfolge von bewußten Vertragsverstößen des Klägers wahrgenommen habe. Wenn die Beklagte auch angesichts der weiteren Eigentümlichkeiten im Fall des Klägers nicht an die Möglichkeit der in § 23 Abs. 2 DO vorgesehenen Kündigung aus wichtigem Grund in der Person des Dienstordnungs-Angestellten gedacht habe, so erscheine dies nicht nachvollziehbar.

aa) Insoweit rügt die Revision zutreffend, es fehle jede tatsächliche Grundlage für die im übrigen unpräzise Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe die Ursache für das aus ihrer Sicht merkwürdige Gebaren des Klägers "eher im medizinischen Bereich" gesehen und dieses nicht als Abfolge von bewußten Vertragsverstößen gesehen. Die Beklagte stützt vielmehr ihre Personalmaßnahme, was sie mit der Revision ausdrücklich gerügt hat, ausweislich ihres Sachvortrages in den Tatsacheninstanzen auf die im obigen Tatbestand wiedergegebenen Umstände, insbesondere die Vernichtung von Unterlagen, die zu einem wirtschaftlichen Schaden geführt habe, die Nichtbefolgung der dienstlichen Anordnung zur Nachuntersuchung, die bewußte Mißachtung der Arbeitsanweisung vom 13. Juni 1994, die beleidigenden Äußerungen gegenüber Mitarbeitern und Vorgesetzten sowie die Strafanzeigen und Privatklagen als erhebliche Störungen des Betriebsfriedens sowie schließlich die Verletzung der Gleitzeitvereinbarung. Die Revision rügt zutreffend, dieser gesamte Sachvortrag könne nicht in dem Sinne verstanden werden, daß die Beklagte das Verhalten des Klägers als "eher im medizinischen Bereich" angesiedelt betrachtet habe. Vielmehr hat sich die Beklagte ausdrücklich darauf berufen, es handele sich um ein dem Kläger schuldhaft zuzurechnendes Verhalten, das deshalb ein Vergehen im Sinne des § 30 DO darstelle.

bb) Abgesehen davon, daß das Landesarbeitsgericht sich mit dem Begriff "eher" nicht festlegt, wie es das Vorbringen der Beklagten nun präzise einordnet, stehen einer Wertung des Beklagtenvorbringens unter personenbedingten Gesichtspunkten außerdem eine Reihe von Umständen entgegen, mit denen sich das Landesarbeitsgericht, wie die Revision weiter rügt, nicht auseinandergesetzt hat:

Das Landesarbeitsgericht berücksichtigt zunächst nicht, daß die Beklagte sich auf das Ergebnis der Personaluntersuchung vom 7. Januar 1994 bezogen hat, wonach beim Kläger kein krankheitswertiger Befund vorliege, der eine Dienstunfähigkeit rechtfertige. Die Beklagte hat ferner auf die Disziplinarverfügung vom 28. Februar 1994 verwiesen, wonach dem Kläger eine einmalige Geldbuße von 2.000,00 DM unter gleichzeitiger Androhung der Entfernung aus dem Dienst auferlegt wurde, die bestandskräftig geworden ist. Die Revision macht ferner geltend, der Kläger seinerseits habe zu keinem Zeitpunkt vorgetragen, sich in einem Zustand der Schuldunfähigkeit befunden zu haben; er habe vielmehr im Disziplinarverfahren anläßlich der Anhörung am 7. November 1994 angegeben, sich gesund zu fühlen und hierauf auch in der Folge immer beharrt. Wenn das Landesarbeitsgericht daher das Verhalten des Klägers in die Nähe einer seelischen Erkrankung rückt, wird diese Annahme durch konkrete Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht belegt. Soweit der Kläger erstmals in der Revisionsinstanz vortragen läßt, seine Entfernung aus dem Dienst sei unverhältnismäßig, da sein Verhalten auf Krankheit beruhe, handelt es sich bezüglich der behaupteten Krankheit um neues Vorbringen, das wegen § 561 Abs. 1 ZPO unbeachtlich ist.

Schließlich weist die Revision mit Recht darauf hin, die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Berlin habe im Urteil vom 26. Juni 1996 (- 8 Sa 107/95 -), in dem es um die vorläufige Dienstenthebung des Klägers gemäß § 31 Abs. 1 DO ging, angenommen, die Vernichtung von Unterlagen, die zu einem wirtschaftlichen Schaden führe, stelle ein Dienstvergehen ebenso dar wie die Nichtbefolgung der dienstlichen Anordnung zur Nachuntersuchung, die bewußte Mißachtung der Arbeitsanweisung vom 13. Juni 1994 sowie die beleidigenden Äußerungen gegenüber Mitarbeitern und Vorgesetzten. Kam aber die Parallelkammer des Landesarbeitsgerichts zu der rechtskräftigen Feststellung, es lägen bezüglich des Klägers so erhebliche Beanstandungen vor, daß mit seiner Entfernung aus dem Dienst nach § 30 Abs. 3 Buchst. e) DO zu rechnen sei, so durfte das Berufungsgericht im vorliegenden Rechtsstreit wegen der Dienstentlassung nicht ohne detailliertes Eingehen auf den von der Parallelkammer anders gewürdigten Sachvortrag mit einer Pauschalbeurteilung das Vorbringen der Beklagten unter verhaltensbedingten Gesichtspunkten als irrelevant ansehen.

cc) Hier kommt noch hinzu, daß auch die Erwägung zu kurz greift, die Beklagte habe wegen des durch die Urkundenvernichtung entstandenen materiellen Schadens den Kläger als milderes Mittel zivilrechtlich in Anspruch nehmen können und müssen. Die Beklagte braucht sich angesichts der in § 30 Abs. 3 DO geregelten Disziplinarmaßnahmen nicht darauf verweisen zu lassen, stattdessen den Kläger zivilrechtlich auf Schadenersatz in Anspruch zu nehmen; die zivilrechtliche Inanspruchnahme kommt neben, nicht anstatt der Disziplinarmaßnahme in Betracht.

dd) Soweit das Landesarbeitsgericht schließlich bei seinen Überlegungen im wesentlichen darauf abgestellt hat, daß dem Kläger durch die Entfernung aus dem Dienst auch die beamtenähnliche Versorgung verloren geht, hat das Landesarbeitsgericht offensichtlich nicht berücksichtigt, daß dem Kläger seine insoweit erworbenen Ansprüche in anderer Form im Wege der Nachversicherung erhalten bleiben. Die vom Landesarbeitsgericht angenommene Konsequenz, der Kläger stehe gewissermaßen ohne jede Versorgung dar, tritt daher nicht ein.

2. Aus den gleichen Gründen kann die Alternativbegründung des Landesarbeitsgerichts keinen Bestand haben, wenn man von der Möglichkeit der Subsumtion des vorgetragenen Fehlverhaltens des Klägers unter einen der Tatbestände des § 31 Abs. 2 DO ausgehen wolle, habe die Beklagte von der Möglichkeit einer milderen Maßnahme etwa nach den Buchst. c) oder d) (Gehaltskürzung bzw. Versetzung) Gebrauch machen müssen, um dem Kläger letztmalig zu verdeutlichen, daß eine Fortsetzung seines Verhaltens den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährden würde. Insofern fehlt es an der - wie zuvor erörtert - notwendigen Einzel- und Gesamtabwägung. Außerdem geht das Landesarbeitsgericht nicht mit einem Wort darauf ein, daß und ob der Kläger aufgrund der Disziplinarverfügung vom 28. Februar 1994 bereits für den Fall der Fortsetzung der Widersetzlichkeit ausreichend gewarnt war.

3. Das Landesarbeitsgericht wird nunmehr anhand des vorgetragenen Sachverhaltes sich im einzelnen damit auseinandersetzen müssen, ob die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 DO für eine Entfernung des Klägers aus dem Dienst vorliegen. Dem kann der Senat nicht vorgreifen. Insofern wird lediglich zum oben genannten zweiten Entlassungsgrund ergänzend auf das Senatsurteil vom 6. November 1997 (- 2 AZR 801/96 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen) hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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