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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 20.05.1999
Aktenzeichen: 2 AZR 532/98
Rechtsgebiete: BetrVG, KSchG


Vorschriften:

BetrVG § 102
BetrVG § 112
KSchG § 1 Abs. 5 i.d.F. des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 29. September 1996
Leitsätze:

1. Auch beim Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste gem. § 1 Abs. 5 KSchG i.d.F. des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 29. September 1996 ist nach § 102 BetrVG eine Betriebsratsanhörung erforderlich. Diese Anhörung kann der Arbeitgeber mit den Verhandlungen über den Interessenausgleich verbinden.

2. Die Betriebsratsanhörung unterliegt auch beim Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste keinen erleichterten Anforderungen. Soweit der Kündigungssachverhalt dem Betriebsrat allerdings schon aus den Verhandlungen über den Interessenausgleich bekannt ist, braucht er ihm bei der Anhörung nach § 102 BetrVG nicht erneut mitgeteilt zu werden. Solche Vorkenntnisse des Betriebsrats muß der Arbeitgeber im Prozeß hinreichend konkret darlegen und ggf. beweisen.

Aktenzeichen: 2 AZR 532/98 Bundesarbeitsgericht 2. Senat Urteil vom 20. Mai 1999 - 2 AZR 532/98 -

I. Arbeitsgericht Oberhausen - 2 Ca 1524/97 - Urteil vom 01. September 1997

II. Landesarbeitsgericht Düsseldorf - 3 (11) (18) Sa 1968/97 - Urteil vom 21. April 1998


---------------------------------------------------------------------- Für die Amtliche Sammlung: Ja Für die Fachpresse : Ja Für das Bundesarchiv : Nein ----------------------------------------------------------------------

Entscheidungsstichworte: Interessenausgleich mit Namensliste; Betriebsratsanhörung

Gesetz: BetrVG §§ 102, 112; KSchG § 1 Abs. 5 i.d.F. des Arbeits- rechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 29. Septem- ber 1996

2 AZR 532/98 3 (11) (18) Sa 1968/97 Düsseldorf

Im Namen des Volkes! Urteil

Verkündet am 20. Mai 1999

Schneider, Justizobersekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In Sachen

pp.

hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. Mai 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Etzel, die Richter Bröhl und Dr. Fischermeier sowie die ehrenamtlichen Richter Baerbaum und Dr. Roeckl für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 21. April 1998 - 3 (11) (18) Sa 1968/97 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Der am 30. August 1941 geborene, verheiratete Kläger ist seit dem 11. September 1980 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin zu einem monatlichen Bruttogehalt von zuletzt 6.100,00 DM beschäftigt. Zuvor war er seit dem 1. April 1971 bei der D AG tätig, wo er zum 10. September 1980 durch Eigenkündigung ausschied und zur Firma L AG überwechselte. Im Sommer/Herbst 1996 beschäftigte die Beklagte - ein Unternehmen der Kraftwerkstechnik - ca. 2500 Arbeitnehmer an den beiden Standorten B und O . Im November 1996 entschloß sie sich, ihr Personal in O in erheblichem Maße zu reduzieren. Unter dem 20. Februar 1997 schloß sie deshalb mit dem in der Betriebsstätte O gebildeten Betriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan. Eine Protokollnotiz vom 24. Februar 1997 zu dem Interessenausgleich erklärt drei Listen mit den Namen von insgesamt 173 zur Kündigung vorgesehenen Arbeitnehmern zum Bestandteil des Interessenausgleichs; der Name des Klägers ist in diesen Listen nicht enthalten. Da sich der auf der Grundlage dieses Interessenausgleichs durchgeführte Personalabbau aus Sicht der Beklagten als nicht ausreichend erwies, wurde zwischen ihr und dem Betriebsrat der Betriebsstätte O unter dem 26. Mai 1997 ein weiterer Interessenausgleich geschlossen, der die Freisetzung von weiteren 170 Arbeitnehmern vorsieht. Ihm sind zwei von den Betriebspartnern unterschriebene Listen beigefügt, die das Datum des 23. Mai 1997 tragen und insgesamt 168 Namen der von dem erneuten Personalabbau betroffenen Arbeitnehmer - darunter den des Klägers - enthalten. Mit einem an den Betriebsratsvorsitzenden gerichteten Sammelanhörungsschreiben, das vom 23. Mai 1997 datiert, teilte die Beklagte mit, sie beabsichtige als Konsequenz des Interessenausgleichs vom 26. Mai 1997 u.a. das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 30. November 1997 zu kündigen und bat um Stellungnahme bis zum 26. Mai 1997. Nachdem der Betriebsrat unter dem 26. Mai 1997 allen 103 beabsichtigten Kündigungen zugestimmt hatte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 27. Mai 1997 zum 30. November 1997.

Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Er hat geltend gemacht, eine ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats insbesondere über die Kriterien der sozialen Auswahl sei nicht erfolgt. Wenn die Beklagte in dem Anhörungsschreiben lediglich auf den Interessenausgleich und dessen Namensliste Bezug nehme, so zeige schon dies, daß eine ausreichende Unterrichtung des Betriebsrats über die soziale Auswahl nicht stattgefunden haben könne, denn bei Fertigung des Anhörungsschreibens sei der Interessenausgleich nicht einmal abgeschlossen gewesen. Bei der Betriebsratsanhörung sei die Beklagte auch von einem unrichtigen Beginn des Arbeitsverhältnisses ausgegangen. Im Hinblick auf die spätere Teilverschmelzung der D AG mit der L AG sei seine Vorbeschäftigungszeit ab 1971 bei der D AG mitzuberücksichtigen gewesen. Aus diesem Grund sei auch die von der Beklagten getroffene Sozialauswahl grob fehlerhaft. Sie verstoße außerdem gegen § 41 Abs. 4 SGB VI, da die Beklagte offenkundig ohne Berücksichtigung der Sozialindikatoren Lebensalter und Betriebszugehörigkeit ihn vornehmlich wegen seines fortgeschrittenen Lebensalters auf die Namensliste gesetzt habe. Es treffe auch nicht zu, daß er lediglich mit den von der Beklagten genannten drei Richtmeistern vergleichbar sei, von denen zumindest die Richtmeister H und V im übrigen sozial weniger schutzbedürftig seien als er. Im Bereich sei einer Vielzahl von sozial weniger geschützten Richtmeistern nicht gekündigt worden. Er sei nicht nur als Isolierinspektor, sondern umfassender, u.a. als Bauleiter, Hauptmonteur, Schweißfachmann sowie Meß- und Regeltechniker einsetzbar. Schließlich verstoße die Kündigung gegen § 20 Abs. 4 MTV-Metall NW, wonach er ordentlich unkündbar sei, da die Maßgeblichkeitsgrenze für das Vorliegen einer Betriebsänderung bei der zweiten Entlassungswelle nicht erreicht sei und außerdem andere zumutbare Arbeitsplätze vorhanden gewesen seien.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27. Mai 1997 nicht beendet worden ist.

Die Beklagte hat zur Stützung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen, das Kraftwerksgeschäft sei in Deutschland vor allem während der letzten Jahre deutlich zurückgegangen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, sei sie daher gezwungen gewesen, Kosten zu sparen und in diesem Zusammenhang auch ihr Personal zu verringern. Künftig würden mehr als 70 % des Gesamtgeschäftsvolumens im Ausland erzielt, während das Inlandsgeschäft weiter zurückgehen werde. Sie habe sich deshalb entschlossen, die Mitarbeiterzahl von ca. 2500 in einer ersten Welle um 180 und in einer zweiten um weitere 200 Arbeitnehmer zu reduzieren. Am 20. Februar 1997 und am 26. Mai 1997 habe deswegen jeweils ein Interessenausgleich mit Namensliste geschlossen werden müssen, die beide den Erfordernissen des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG a.F. genügten. Es obliege nunmehr dem Kläger darzulegen und zu beweisen, daß die Kündigung nicht betriebsbedingt und die soziale Auswahl grob fehlerhaft sei. Eine Betriebsänderung i.S. des § 111 BetrVG habe vorgelegen. Deshalb sei auch § 20 Ziff. 4 MTV-Metall NW nicht einschlägig. Die Sozialauswahl sei auch ordnungsgemäß erfolgt. Die Überlegung, rentennahe Jahrgänge als weniger schutzwürdig zu behandeln, sei zwar seitens des Betriebsrats angestellt worden, für die Kündigung jedoch nicht ausschlaggebend gewesen. Mit den Richtmeistern H und V sei der Kläger zwar vergleichbar, es könne insoweit jedoch nicht von einer groben Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl ausgegangen werden. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß vor Ausspruch der Kündigung angehört worden. Die Betriebsparteien seien bereits am Freitag, dem 23. Mai 1997 davon ausgegangen, den Interessenausgleich schließen zu können. Daß er aufgrund terminlicher Verzögerungen erst am Montag, dem 26. Mai 1997 habe unterzeichnet werden können, hindere nicht die ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats, die ebenfalls am 26. Mai 1997 erfolgt sei. Das Gremium habe aus den Verhandlungen über den Interessenausgleich und die Namensliste um die betrieblichen Gründe sowie die Sozialindikatoren der zu vergleichenden Mitarbeiter gewußt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist unbegründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat - kurz zusammengefaßt - angenommen, eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Anhörung des Betriebsrats sei nicht erfolgt. Weder sei ausreichend vorgetragen noch sei dem sonstigen Akteninhalt zu entnehmen, daß die Beklagte den Betriebsrat vor Erstellung der Namensliste zum Interessenausgleich/Sozialplan vom 26. Mai 1997 hinsichtlich der betrieblichen Kündigungsgründe sowie der sozialen Auswahl der nunmehr neu von einer Kündigung betroffenen Mitarbeiter unter Angabe aller erforderlichen Informationen angehört hätte. Vielmehr sei dem Betriebsrat nach dem Beklagtenvortrag lediglich eine von der Beklagten erstellte Namensliste zum Interessenausgleich vorgelegt worden. Der Interessenausgleich mit Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG könne die nach § 102 BetrVG erforderliche ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung nicht ersetzen.

II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und auch in wesentlichen Teilen der Begründung. Die Kündigung der Beklagten ist schon deshalb unwirksam, weil die Beklagte den Betriebsrat zu der getroffenen Sozialauswahl nicht ausreichend angehört hat (§ 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG).

1. Auch beim Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste gemäß § 1 Abs. 5 KSchG i.d.F. des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 29. September 1996 (KSchG a.F.) ist nach § 102 BetrVG eine Betriebsratsanhörung erforderlich. Weder aus Wortlaut noch aus Sinn und Zweck des Gesetzes ergibt sich ein Anhaltspunkt dafür, daß der Gesetzgeber beim Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste die Anwendung des § 102 BetrVG auch nur einschränken wollte (vgl. im Gegenteil den naheliegenden Umkehrschluß aus § 1 Abs. 5 Satz 4 KSchG a.F.). Die gesetzlichen Regelungen in § 1 Abs. 5 KSchG a.F. und § 102 BetrVG dienen unterschiedlichen Zwecken; § 1 Abs. 5 KSchG a.F. stellt dabei mehr auf das betriebliche Gesamtkonzept, § 102 BetrVG auf die Einzelfallbetrachtung ab. Vereinbaren die Betriebspartner (etwa im Hinblick auf das Angebot einer hohen Sozialplandotierung) einen Interessenausgleich mit Namensliste, so läßt dies nicht notwendigerweise darauf schließen, daß auch die Einzelbetrachtung jeder Kündigung, die § 102 BetrVG sicherstellen soll, in ausreichender Weise stattgefunden hat (Senatsurteil vom 20. Mai 1999 - 2 AZR 148/99 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

2. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, neben den Verhandlungen über den Interessenausgleich mit Namensliste nach § 112 BetrVG auch den Betriebsrat zu den auszusprechenden Kündigungen nach § 102 BetrVG anzuhören, macht allerdings keine Verdoppelung des Beteiligungsverfahren notwendig. Es ist vielmehr zulässig und meist sogar zweckmäßig, daß beide Verfahren zusammengefaßt werden, damit der Betriebsrat gleichzeitig mit dem Abschluß des Interessenausgleichs auch zu den beabsichtigten Kündigungen Stellung nehmen kann (st. Rspr. z.B. zu Änderungskündigungen, die gleichzeitig eine mitbestimmungspflichtige Rückgruppierung bzw. Versetzung enthalten, vgl. Senatsurteile vom 3. November 1977 - 2 AZR 277/76 - AP Nr. 1 zu § 75 BPersVG und vom 30. September 1993 - 2 AZR 283/93 - BAGE 74, 291 = AP Nr. 33 zu § 2 KSchG 1969). Die Möglichkeit, beide Verfahren miteinander zu verbinden, bedeutet jedoch nicht, daß in den Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich mit Namensliste zugleich die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG zu den auszusprechenden Kündigung zu sehen wäre. Die Einleitung des Anhörungsverfahrens unter Beachtung der in § 102 Abs. 1 BetrVG umschriebenen Erfordernisse ist Aufgabe des Arbeitgebers. Dazu ist stets erforderlich, daß der Arbeitgeber den Betriebsrat um die Stellungnahme zu einer konkreten Kündigungsabsicht ersucht. Sollen deshalb Interessenausgleich und Betriebsratsanhörung miteinander verbunden werden, so ist dies schon bei der Einleitung des Beteiligungsverfahrens klarzustellen. Außerdem ist es dann zweckmäßig, daß die Betriebspartner im Wortlaut des Interessenausgleichs zum Ausdruck zu bringen, mit der Unterzeichnung des Interessenausgleichs solle auch das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG hinsichtlich sämtlicher auszusprechender Kündigungen abgeschlossen sein.

3. Auch beim Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste unterliegt die Betriebsratsanhörung nicht etwa erleichterten Anforderungen; sie muß vielmehr wie die Anhörung des Betriebsrats zu jeder anderen Kündigung den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen zu § 102 BetrVG entsprechen.

Bei der Sozialauswahl heißt dies jedenfalls folgendes: Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 und 2 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören und der Arbeitgeber hat ihm dabei die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Sind mehr vergleichbare Arbeitnehmer vorhanden als Arbeitsmöglichkeiten wegfallen, so kann erst die nach § 1 Abs. 3 KSchG vorzunehmende Sozialauswahl entscheiden, welchen dieser Arbeitnehmer die Kündigung trifft. Die Sozialauswahl ist damit ein ganz wesentlicher Bestandteil des nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG mitzuteilenden Kündigungsgrundes und erst wenn der Arbeitgeber seiner entsprechenden Mitteilungspflicht nachgekommen ist, kann regelmäßig der Betriebsrat sachgerecht entscheiden, ob er das ihm nach § 102 Abs. 3 Ziff. 1 BetrVG zustehende Widerspruchsrecht wegen fehlerhafter Sozialauswahl ausübt oder nicht. Eine Betriebsratsanhörung setzt deshalb in derartigen Fällen zumindest voraus, daß der Arbeitgeber angibt, ob er eine Sozialauswahl vorgenommen hat, und, ist dies der Fall, daß er dem Betriebsrat die Sozialdaten nicht nur der zur Kündigung anstehenden, sondern auch der in die Sozialauswahl einbezogenen Arbeitnehmer und die Gesichtspunkte, nach denen er bei der Sozialauswahl vorgegangen ist, mitteilt (BAG Urteile vom 29. März 1984 - 2 AZR 429/83 (A) - AP Nr. 31 zu § 102 BetrVG 1972 und vom 16. Januar 1987 - 7 AZR 495/85 - EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 48).

4. Wenn auch die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG beim Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste keinen erleichterten Anforderungen unterliegt, so ist zu berücksichtigen, daß es nach § 102 BetrVG keiner weiteren Darlegung der Kündigungsgründe durch den Arbeitgeber mehr bedarf, wenn der Betriebsrat bei Einleitung des Anhörungsverfahrens bereits über den erforderlichen Kenntnissstand verfügt, um zu der konkret beabsichtigten Kündigung eine sachgerechte Stellungnahme abgeben zu können (Senatsurteile vom 28. März 1974 - 2 AZR 472/73 - AP Nr. 3 zu § 102 BetrVG 1972 und vom 27. Juni 1985 - 2 AZR 412/84 - BAGE 49, 136 = AP Nr. 37, aaO). Regelmäßig gehen dem Abschluß eines Interessenausgleichs, der mit einer Namensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer verbunden ist, längere Verhandlungen voran, aufgrund derer beim Betriebsrat erhebliche Vorkenntnisse über die vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündigungsgründe und auch die vielleicht mit dem Betriebsrat zusammen vorgenommene Sozialauswahl vorhanden sein können. Die dem Betriebsrat aus diesen Verhandlungen bekannten Tatsachen muß der Arbeitgeber im Anhörungsverfahren nicht erneut vortragen. Es kann deshalb, zumal wenn der Arbeitnehmer derartige Vorkenntnisse des Betriebsrats nicht bestreitet, zur Darlegung einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG ausreichen, wenn der Arbeitgeber zur Betriebsratsanhörung weitgehend auf den dem Betriebsrat aus den Verhandlungen über den Interessenausgleich und die Namensliste bekannten Sachverhalt Bezug nimmt. Trägt etwa der Arbeitgeber im Prozeß vor, zur Sozialauswahl seien dem Betriebsrat schon bei den Verhandlungen über den Interessenausgleich die nach § 102 BetrVG erforderlichen Angaben über die Gruppe der für vergleichbar gehaltenen Arbeitnehmer und deren Sozialdaten gemacht worden, so genügt der Arbeitgeber insoweit seiner Darlegungslast. Erst wenn der Arbeitnehmer diesen Sachvortrag konkret bestreitet, muß der Arbeitgeber in diesem Punkt ggf. die Vorkenntnisse des Betriebsrats weiter substantiieren bzw. beweisen.

5. Die Wirksamkeit der Kündigung scheitert danach, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat, schon daran, daß die nach § 102 BetrVG darlegungs- und beweispflichtige Beklagte nicht schlüssig vorgetragen hat, daß sie hinsichtlich der gegenüber dem Kläger auszusprechenden Kündigung den Betriebsrat über die getroffene Sozialauswahl hinreichend informiert hat bzw. beim Betriebsrat aus den Verhandlungen über den Interessenausgleich entsprechende Vorkenntnisse vorlagen.

a) In dem Anhörungsschreiben gibt die Beklagte an, sie habe eine Sozialauswahl vorgenommen. Hinsichtlich der bei dieser Sozialauswahl berücksichtigten Kriterien zitiert sie lediglich ohne nähere Angaben den Gesetzestext und gibt darüber hinaus dem Betriebsrat nur die Sozialdaten der zur Kündigung anstehenden Arbeitnehmer, nicht jedoch die der aus ihrer Sicht vergleichbaren Arbeitnehmer an. Dies reicht für sich genommen nicht für eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung aus. Es könnte allenfalls dann ausreichen, wenn der fehlende Teil des dem Betriebsrat nach § 102 BetrVG mitzuteilenden Kündigungsgrundes diesem schon, z.B. aus den Verhandlungen über den Interessenausgleich und die Namensliste, bekannt gewesen wäre. Dies ist aber nach dem festgestellten Sachverhalt nicht der Fall.

b) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, die mit einer durchgreifenden Verfahrensrüge nicht angegriffen und deshalb für den Senat nach § 561 ZPO verbindlich sind, ist dem Betriebsrat lediglich einen Tag vor Kündigungsausspruch ein Interessenausgleich/Sozialplan mit Namensliste sowie neben einem allgemein gehaltenen Anhörungsschreiben eine Liste der zu kündigenden Arbeitnehmer durch die Beklagte vorgelegt und vom Betriebsrat unterzeichnet worden. Zu eventuellen Vorkenntnissen des Betriebsrats fehlt jeder konkrete Sachvortrag. Wenn die Beklagte pauschal auf die Verhandlungen mit dem Betriebsrat über den ersten Interessenausgleich verweist, so reicht dies nicht aus, denn bei Abschluß des ersten Interessenausgleichs stand eine Kündigung des Klägers offenbar nicht in Frage. Es ist auch unerheblich, daß dem Betriebsrat angeblich eine Personalliste mit den Sozialdaten aller Arbeitnehmer des Betriebes vorlag. Ohne die Angabe, wie die Beklagte im konkreten Fall des Klägers den Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer abgrenzte, konnte der Betriebsrat sachgemäß anhand der von der Beklagten vorgelegten Namensliste, die allein die Sozialdaten der zur Kündigung anstehenden Arbeitnehmer enthielt, eine Stellungnahme nach § 102 BetrVG nicht abgeben. Dem Vorbringen des Klägers, angesichts des Umfangs der geplanten Personalmaßnahme und des vorgetragenen zeitlichen Ablaufs der Verhandlungen über den zweiten Interessenausgleich könne sich die Information des Betriebsrats durch die Beklagte bei dem zweiten Interessenausgleich nur auf ein nach § 102 BetrVG nicht hinreichendes Minimum beschränkt haben, ist die Beklagte jedenfalls nicht mit hinreichend konkretem Sachvortrag entgegengetreten.

III. Ob die Kündigung darüber hinaus, wie der Kläger geltend macht, wegen grob fehlerhafter Sozialauswahl als sozialwidrig anzusehen ist oder nach § 20 Ziff. 4 des MTV für die Arbeiter, Angestellten, Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 11. Dezember 1996 unwirksam ist, kann nach alledem dahinstehen.

Ende der Entscheidung

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