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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 02.02.2006
Aktenzeichen: 2 AZR 57/05
Rechtsgebiete: BGB, PersVG Berlin, SGB IX


Vorschriften:

BGB § 121 Abs. 1
BGB § 626 Abs. 2
PersVG Berlin § 79
PersVG Berlin § 80
SGB IX § 91 Abs. 3
SGB IX § 91 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

2 AZR 57/05

Verkündet am 2. Februar 2006

In Sachen

hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Rost, die Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Bröhl und Schmitz-Scholemann sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Bensinger und Claes für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 17. November 2004 - 4 Sa 1821/04 - aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung und das von der Klägerin erhobene Begehren auf Prozessbeschäftigung.

Die Klägerin trat im Jahre 1989 als Schulsekretärin in die Dienste des beklagten Landes Berlin (iF: die Beklagte). Sie war zuletzt in der B-Oberschule tätig und ua. für die Entgegennahme von Lehr- und Lernmittelsendungen der Verlage zuständig.

Die Schüler haben im Rahmen des Fachunterrichts an Computern Zugang zum Internet. Bei einer routinemäßigen Überprüfung der benutzten Internetadressen Anfang Dezember 2003 bemerkten die Fachlehrer, dass unter dem Benutzernamen "m" ab August 2003 häufig bei einem On-Line-Auktionator eingeloggt worden war und Atlanten, Wörterbücher und Rechtschreibprogramme, die an der Schule genutzt werden, zum Kauf angeboten und auch verkauft worden waren. Der noch im Dezember informierte Schulleiter veranlasste während der Weihnachtsferien daraufhin zwei Scheinkäufe. Ein Taschenwörterbuch Englisch-Deutsch des Bertelsmannverlags wurde durch Herrn K. in Sch und ein Taschenwörterbuch Arabisch des Langenscheid-Verlags durch Herrn S. in S gekauft. Das Taschenwörterbuch Englisch-Deutsch enthielt einen Schulstempel, das Taschenwörterbuch Arabisch kam in einem Umschlag zum Versand, der für eine Sendung an die Schule schon einmal benutzt worden war. Beide neuwertigen Wörterbücher trugen als Absender den Namen der Klägerin und die Adresse ihres Lebensgefährten.

Am 5. Januar 2004, dem ersten Schultag nach den Weihnachtsferien, unterrichtete der Schulleiter das Schulamt unter Übergabe des Beweismaterials über den gegen die Klägerin bestehenden Verdacht, Schuleigentum über das Internet-Auktionshaus ebay auf eigene Rechnung zu vertreiben. Zugleich teilte er auch der Klägerin den Verdacht mit und stellte sie von der Arbeit frei. Auf Anfrage des Bezirksamtes teilte die Schulleitung diesem mit Schreiben vom 6. Januar 2004, das beim Bezirksamt am 12. Januar 2004 einging, weitere Einzelheiten mit. Mit Schreiben vom 9. Januar 2004 wurde die Klägerin durch das Personalamt zu einer Anhörung wegen des Verdachts des Diebstahls von Schuleigentum zum 15. Januar 2004 geladen. Zu diesem Termin erschien die Klägerin, äußerte sich jedoch unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nicht. Am 16. Januar 2004 beantragte die Beklagte die Zustimmung des Personalrats zur fristlosen Kündigung der Klägerin. Der Personalrat widersprach am 21. Januar 2004. Am 22. Januar 2004 leitete die Beklagte durch Schreiben an den Hauptpersonalrat das weitere Mitbestimmungsverfahren nach § 80 PersVG Berlin ein. Die am 3. Februar 2004 durchgeführte Einigungsverhandlung mit dem Hauptpersonalrat scheiterte. Mit am 5. Februar 2004 beim Personalrat eingegangenem Schreiben vom 4. Februar 2004 teilte die Dienstbehörde ihre Entscheidung mit, die beabsichtigte Maßnahme aufrechtzuerhalten. Unter dem 12. Februar 2004 teilte der Personalrat der Dienstbehörde mit, er werde den Hauptpersonalrat um Anrufung der Einigungsstelle bitten. In seiner außerordentlichen Sitzung vom 19. Februar 2004 traf der Hauptpersonalrat die Entscheidung, die Einigungsstelle nicht anzurufen. Er teilte dies mit Schreiben vom 24. Februar 2004 mit. Das Schreiben ging bei der Dienstbehörde am 1. März 2004 ein. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit am 2. März 2004 zugegangenem Schreiben vom gleichen Tage fristlos. Das Kündigungsschreiben war in Vertretung von dem stellvertretenden Bezirksbürgermeister unterzeichnet.

Die Klägerin hat die Kündigung durch ihren Prozessbevollmächtigten gem. § 174 BGB zurückweisen lassen und geltend gemacht, es fehle das Dienstsiegel. Ein Vertretungsfall für den zuständigen Bezirksbürgermeister habe nicht vorgelegen. Ein Grund für eine fristlose Kündigung bestehe nicht und die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht gewahrt. Die Beklagte habe die Kündigung auch nicht, wie geboten, unverzüglich nach Abschluss des Mitbestimmungsverfahrens ausgesprochen. Sie habe nicht warten dürfen, bis der Hauptpersonalrat sie davon in Kenntnis gesetzt habe, dass er die Einigungsstelle nicht anrufen werde. Vielmehr habe sie sich ab dem 19. Februar 2004 vergewissern müssen, ob die Einigungsstelle angerufen werde oder nicht. Außerdem bestreitet die Klägerin die ordnungsgemäße Einleitung und Durchführung des Mitbestimmungsverfahrens.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 2. März 2004 nicht aufgelöst worden ist;

2. für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) das beklagte Land zu verurteilen, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Schulsekretärin weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat geltend gemacht, nach der Geschäftsordnung sei der stellvertretende Bezirksbürgermeister zur Vertretung der Dienststelle im Falle der Verhinderung des Bezirksbürgermeisters befugt gewesen. Ein wichtiger Grund liege vor, da die Klägerin nachweislich Schuleigentum in erheblichem Umfang entwendet und zu ihrem Vorteil verkauft und die Internetverbindungen der Schule ohne Wissen und Zustimmung ihres Arbeitgebers für eigene rechtswidrige Zwecke missbraucht habe. Mangels Fiktion der Erteilung einer Entscheidung komme es für die Beendigung des Mitbestimmungsverfahrens darauf an, dass der Hauptpersonalrat dem Arbeitgeber seine Entscheidung bekannt gebe. Dies sei vorliegend erst am 1. März 2004 erfolgt. Ein Nachfragegebot beim Hauptpersonalrat bestehe nicht. Das Personalamt sei auch nicht in der Lage, den Lauf der 14-Tage-Frist des § 81 Abs. 1 PersVG Berlin zu überwachen, da weder der Personalrat noch der Hauptpersonalrat mitteilten, wann der Antrag des Personalrates gem. § 81 Abs. 1 PersVG Berlin beim Hauptpersonalrat eingegangen sei. Auch im Übrigen sei der Personalrat ordnungsgemäß beteiligt worden.

Das Arbeitsgericht hat nach den Klageanträgen erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung sei wegen Nichteinhaltung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2, § 54 Abs. 2 BAT unwirksam. Die Kündigung sei zwar nicht deshalb verspätet, weil schon im Dezember mit den vom Schulleiter veranlassten Scheinkäufen die der Kündigung zugrunde liegenden Tatsachen deutlich geworden seien. Da die Dienstbehörde als kündigungsberechtigte Stelle erst am 5. Januar 2004 Kenntnis erhalten habe, sei das Mitbestimmungsverfahren mit dem Antrag vom 16. Januar 2004 jedenfalls innerhalb der Zwei-Wochen-Frist eingeleitet worden. Auch der Umstand, dass das Mitbestimmungsverfahren dann nicht mehr innerhalb der Frist, sondern erst mit der Entscheidung des Hauptpersonalrats am 19. Februar 2004 abgeschlossen worden sei, schade nicht, weil es in entsprechender Anwendung von § 91 Abs. 5 SGB IX ausreiche, wenn unverzüglich nach Beendigung des Mitbestimmungsverfahrens die Kündigung erklärt werde. Daran, nämlich an der Unverzüglichkeit des Kündigungsausspruchs, fehle es allerdings. Maßgeblich sei nämlich nicht, wie die Beklagte meine, der Zeitpunkt, in dem ihr die Mitteilung des Hauptpersonalrats zugegangen sei, also der 1. März 2004, sondern der Zeitpunkt der Entscheidung des Hauptpersonalrats. Aus § 81 PersVG Berlin ergebe sich, dass der Hauptpersonalrat seinerseits innerhalb von zwei Wochen nach dem 4./5. Februar seine Entscheidung über die Anrufung der Einigungsstelle habe treffen müssen. Die Beklagte habe, da der Hauptpersonalrat nicht verpflichtet sei, seine Entscheidung der Dienstbehörde überhaupt mitzuteilen, sich nach Ablauf der Frist des § 81 PersVG Berlin, also ab 19. Februar 2004, beim Hauptpersonalrat erkundigen müssen.

II. Dem stimmt der Senat nicht zu. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung darf der Klage nicht stattgegeben werden.

Die Kündigung ist nicht wegen Versäumung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB, § 54 Abs. 2 BAT unwirksam. Zwar ist die Kündigung nach Ablauf der Frist ausgesprochen worden. Dies ist jedoch unschädlich, weil die Beklagte sie unverzüglich nach Abschluss des personalvertretungsrechtlichen Mitbestimmungsverfahrens erklärt hat (§ 91 Abs. 5 SGB IX in entsprechender Anwendung).

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (21. Oktober 1983 - 7 AZR 281/82 - BAGE 43, 368; 8. Juni 2000 - 2 AZR 375/99 - BAGE 95, 98) ist § 18 Abs. 6 SchwbG (zwischenzeitlich: § 21 Abs. 5 SchwbG 1986; jetzt: § 91 Abs. 5 SGB IX) analog anzuwenden, wenn vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung ein personalvertretungsrechtliches Mitbestimmungsverfahren wie das in §§ 79 ff. PersVG Berlin geregelte Verfahren durchzuführen ist. Hat der Arbeitgeber rechtzeitig innerhalb der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB beim Personalrat die erforderliche Zustimmung zu der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung beantragt und bei verweigerter Zustimmung noch innerhalb der Zwei-Wochen-Frist das nach den personalvertretungsrechtlichen Vorschriften dann durchzuführende Mitbestimmungsverfahren eingeleitet, so ist die Kündigung nicht wegen Versäumung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB unwirksam, wenn das Mitbestimmungsverfahren bei Ablauf der Zwei-Wochen-Frist noch nicht abgeschlossen ist. Es besteht eine vergleichbare Interessenlage wie bei der Erforderlichkeit eines Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 103 Abs. 2 BetrVG. Auch hier wendet die Rechtsprechung § 91 Abs. 5 SGB IX entsprechend an, wenn der Arbeitgeber im Falle der Zustimmungsverweigerung durch den Betriebsrat das Ersetzungsverfahren innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingeleitet hat (18. August 1977 - 2 ABR 19/77 - BAGE 29, 270).

2. Im Ergebnis zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, bei Anwendung dieser Grundsätze sei das Mitbestimmungsverfahren rechtzeitig eingeleitet worden.

a) Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, die Beklagte habe das Mitbestimmungsverfahren innerhalb von zwei Wochen nach dem 5. Januar 2004 und damit in jedem Fall rechtzeitig eingeleitet. Das Landesarbeitsgericht kommt zu dieser Würdigung deshalb, weil es als maßgebliche "Einleitung des Mitbestimmungsverfahrens" die Stellung des Zustimmungsantrags vom 16. Januar 2004 ansieht.

b) Diese Würdigung steht allerdings nicht in Übereinstimmung mit der oben wie- dergegebenen Entscheidung des Senats vom 8. Juni 2000 (- 2 AZR 375/99 -BAGE 95, 98). Danach reicht die Beantragung der Zustimmung nach § 79 Abs. 2 Satz 1 PersVG Berlin zur Wahrung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht aus; vielmehr muss der Arbeitgeber auch das weitere Verfahren nach verweigerter Zustimmung des Personalrats innerhalb der Frist einleiten. Da der Personalrat erst am 21. Januar widersprochen und die Beklagte das Verfahren nach § 80 PersVG Berlin deshalb erst am 22. Januar 2004 weiterführen konnte und weitergeführt hat, wäre bei Zugrundelegung der Entscheidung vom 8. Juni 2000 die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt, nähme man an, wie es dem Landesarbeitsgericht nahe zu liegen scheint, dass die Frist bereits am 5. Januar 2004 zu laufen begann.

c) Die entsprechende Annahme des Landesarbeitsgerichts ist jedoch nicht zutreffend. Die Kündigungserklärungsfrist begann erst mit der Anhörung der Klägerin am 15. Januar 2004. Es kann daher offen bleiben, ob an der Rechtsprechung des Senats, auch das weitere Verfahren nach § 80 PersVG Berlin müsse innerhalb der Zwei-Wochen-Frist eingeleitet sein, festzuhalten ist.

aa) Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB bzw. § 54 Abs. 2 Satz 1 BAT kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Diese Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB, § 54 Abs. 2 Satz 2 BAT in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.

(1) Die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist ein gesetzlich bzw. tariflich (§ 54 Abs. 2 BAT) konkretisierter Verwirkungstatbestand (Senat 6. Juni 1972 - 2 AZR 386/71 - BAGE 24, 341; 18. November 1999 - 2 AZR 852/98 - BAGE 93, 12). Nach allgemeinen Grundsätzen ist ein Anspruch oder Recht verwirkt, wenn der Berechtigte längere Zeit untätig geblieben ist und dadurch den Eindruck erweckt hat, er wolle das Recht nicht mehr geltend machen, sein Vertragspartner sich auf den dadurch geschaffenen Vertrauenstatbestand eingestellt hat und es ihm deshalb nicht mehr zugemutet werden kann, sich auf das verspätete Begehren des Berechtigten einzulassen.

Ziel des § 626 Abs. 2 BGB bzw. des § 54 Abs. 2 BAT ist es demnach, für den betroffenen Arbeitnehmer rasch Klarheit darüber zu schaffen, ob der Kündigungsberechtigte einen Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung nimmt.

(2) Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB bzw. des § 54 Abs. 2 BAT beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglicht, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (Senat 5. Dezember 2002 - 2 AZR 478/01 - AP BGB § 123 Nr. 63 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 1). Auch grob fahrlässige Unkenntnis ist insoweit ohne Bedeutung (Senat 29. Juli 1993 - 2 AZR 90/93 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 31 = EzA BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 4; KR-Fischermeier 7. Aufl. § 626 BGB Rn. 319 mwN). Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Ohne die umfassende Kenntnis des Kündigungsberechtigten vom Kündigungssachverhalt kann sein Kündigungsrecht nicht verwirken (Senat 5. Dezember 2002 - 2 AZR 478/01 - aaO). Der Kündigungsberechtigte, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt. Denn es genügt nicht allein die Kenntnis des konkreten, die Kündigung auslösenden Anlasses, dh. des "Vorfalls", der einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen soll. Bei einer vom Arbeitgeber erklärten außerordentlichen Kündigung gehören auch solche Aspekte zum Kündigungssachverhalt, die für den Arbeitnehmer und gegen die Kündigung sprechen. Deshalb kann der Kündigungssachverhalt regelmäßig nicht ohne eine Anhörung des Arbeitnehmers hinreichend vollständig erfasst werden (BAG 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9). Außerdem gehört es zu den maßgeblichen Umständen, die vom Kündigungsberechtigten zu ergründen und festzustellen sind, mögliche Beweismittel für die ermittelte Pflichtverletzung zu beschaffen und zu sichern (Senat 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - aaO).

bb) Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, es bestünden deshalb Bedenken dagegen, dass die Beklagte mit der gebotenen Eile verfahren sei, weil zwischen der Mitteilung des Schulleiters an die kündigungsberechtigte Stelle (Schreiben des Schulleiters vom 5. Januar 2004) und der Anhörung mehr als eine Woche gelegen habe. Diese Auffassung teilt der Senat nicht.

(1) Allerdings hat der Senat in der Entscheidung vom 6. Juli 1972 (- 2 AZR 386/71 - BAGE 24, 341) ausgeführt, die Anhörung des Arbeitnehmers müsse regelmäßig innerhalb von einer Woche stattfinden.

(2) Abgesehen von der Frage, ob bei Überschreitung dieser Regelfrist zur Anhörung des Arbeitnehmers die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB erst nach Ablauf der Regelfrist zu laufen beginnt (vgl. etwa KR-Fischermeier 7. Auf. § 626 BGB Rn. 331), so dass die Ausschlussfrist hier erst am 26. Januar abgelaufen wäre, ist auch die Annahme des Landesarbeitsgerichts unzutreffend, es sei nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die Anhörung erst am 15. Januar stattgefunden habe. Wie sich aus dem unstreitigen Sachverhalt ergibt, hat die Bezirksverwaltung als kündigungsberechtigte Stelle nach der Unterrichtung vom 5. Januar 2004 bei der Beschäftigungsschule der Klägerin weitere Auskünfte erbeten. Dabei ging es insbesondere um die Frage, wer regelmäßig den Computerraum nutzt und wem wann und wie aufgefallen war, dass Bücher verkauft wurden. Ausweislich der Akte ging das Antwortschreiben der Schule vom 6. Januar 2004 erst am 12. Januar 2004 (Montag) beim Bezirksamt ein. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Arbeitgeber vor der Anhörung sicherstellt, dass er alle ihm erreichbaren und aus seiner Sicht in Betracht kommenden Sachverhaltsmomente kennt. Dass dies von Seiten des Bezirksamts zögerlich behandelt worden wäre, lässt sich auf Grund des datenmäßigen Verlaufs nicht begründen.

3. War damit die Frist des § 626 Abs. 2 BGB bei Einleitung des Mitbestimmungsverfahrens nach § 80 PersVG Berlin noch nicht abgelaufen, so war die Kündigung entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts auch nicht deshalb verspätet, weil die Beklagte sie erst nach Zugang des Schreibens des Hauptpersonalrats ausgesprochen hat, mit dem dieser mitteilte, er werde die Einigungsstelle nicht anrufen. Die Beklagte war im vorliegenden Fall nicht verpflichtet, sich vorher beim Hauptpersonalrat zu erkundigen.

a) Wie ausgeführt, schadet der bereits eingetretene Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB in analoger Anwendung von § 91 Abs. 5 SGB IX dann nicht, wenn der Arbeitgeber die Kündigung nach Abschluss des Mitbestimmungsverfahrens unverzüglich ausspricht. Nach § 91 Abs. 5 SGB IX kann die Kündigung auch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB erfolgen, wenn sie unverzüglich nach "Erteilung der Zustimmung" erklärt wird.

b) Da es im Falle des § 80 Abs. 1 PersVG Berlin nicht um die Erteilung einer "Zustimmung" geht, sondern um die Entscheidung des Hauptpersonalrats, ob er die Einigungsstelle anruft oder nicht, kann die entsprechende Anwendung von § 91 Abs. 5 SGB IX nur bedeuten, dass die Kündigung unverzüglich nach der Entscheidung des Hauptpersonalrats erfolgen muss.

aa) Das Arbeitsgericht hatte die nach seiner Auffassung bestehende Verpflichtung des Arbeitgebers, sich nach der Entscheidung des Hauptpersonalrats zu erkundigen, aus einer entsprechenden Anwendung der Rechtsprechung zu § 91 Abs. 3 SGB IX hergeleitet. Nach dieser Vorschrift gilt die Zustimmung des Integrationsamts als erteilt, wenn das Integrationsamt nicht innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags entscheidet. Nach der Rechtsprechung des Senats ist vom Eintritt der Fiktionswirkung an die Kündigung nunmehr "unverzüglich" auszusprechen. Daraus wird gefolgert, der Arbeitgeber müsse sich über den Tag des Eingangs seines Antrags beim Integrationsamt und nach Ablauf von zwei Wochen über die etwa getroffene Entscheidung des Integrationsamts erkundigen (vgl. BAG 3. Juli 1980 - 2 AZR 340/78 - BAGE 34, 20). Damit verbundenen etwaigen Unsicherheiten soll der Arbeitgeber zuvorkommen, indem er gegebenenfalls mehrfach kündigt (KR-Etzel 7. Aufl. § 91 SGB IX Rn. 30a f.).

bb) Der entsprechenden Anwendung der zu § 91 Abs. 3 SGB IX entwickelten Grundsätze stimmt der Senat schon deshalb nicht zu, weil § 91 Abs. 3 SGB IX eine mit der vorliegenden nicht vergleichbare Konstellation betrifft. Die Unterschiede sind so vielfältig, dass eine Analogie sich verbietet. In § 91 Abs. 3 SGB IX ist - zugunsten des Arbeitgebers, der einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung hat und zu dessen wirtschaftlichem Nachteil jede ihm auferlegte Verzögerung wirkt - eine Fiktion geschaffen. Sie soll sicherstellen, dass der Arbeitgeber stets innerhalb von zwei Wochen nach Eingang seines Antrags weiß, ob er kündigen kann oder nicht. Eine vergleichbare Regelung enthält das PersVG Berlin nicht. Wohl soll danach der Hauptpersonalrat auf Antrag der zuständigen Personalvertretung - hier: des Personalrats - "innerhalb von zwei Wochen" seine Entscheidung über die Anrufung der Einigungsstelle treffen. Das Gesetz sagt aber - anders als § 91 Abs. 3 SGB IX - nicht, jedenfalls nicht ausdrücklich, wann die Zwei-Wochen-Frist beginnt, etwa ab Eingang des Antrags der zuständigen Personalvertretung oder ab Zugang der Entscheidung nach § 80 PersVG Berlin beim Hauptpersonalrat, wovon Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht ohne weiteres und wohl auch zutreffend ausgegangen sind (ebenso: Germelmann/Binkert PersVG Berlin § 81 Rn. 12). Welche Rechtsfolgen eintreten, wenn der Hauptpersonalrat die Einigungsstelle später anruft oder überhaupt nicht tätig wird, regelt das Gesetz ebenso wenig. Es sieht lediglich eine Pflicht des Hauptpersonalrats zur Unterrichtung des Personalrats vor. Eine Fiktion wird nicht normiert. Das Gesetz trifft also keine eindeutige Regelung darüber, wann spätestens das Mitbestimmungsverfahren als abgeschlossen anzusehen ist. Es verpflichtet den Hauptpersonalrat noch nicht einmal ausdrücklich, dem Arbeitgeber seine Entscheidung über die Anrufung der Einigungsstelle überhaupt mitzuteilen.

cc) Bei dieser - gegenüber der Regelung in § 91 Abs. 3 SGB IX - in mehrfacher Hinsicht unvollständigen gesetzlichen Regelung verbleibt nur - und so hat es das Landesarbeitsgericht offenbar im Ansatz auch gesehen -, auf den in § 91 Abs. 5 SGB IX genannten Grundsatz zurückzugreifen. Entscheidend ist daher, ob der Arbeitgeber die Kündigung "unverzüglich" erklärt hat.

(1) Entsprechend der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 BGB bedeutet "unverzüglich" "ohne schuldhaftes Zögern". Schuldhaft ist ein Zögern dann, wenn das Zuwarten durch die Umstände des Einzelfalles nicht geboten ist (RG 22. Februar 1929 - II 357/28 - RGZ 124, 115, 118 = JW 1929, 1457; MünchKomm/Kramer 4. Aufl. BGB § 121 Rn. 7). "Unverzüglich" bedeutet damit weder "sofort" noch ist damit eine starre Zeitvorgabe verbunden (Müller-Wenner/Schorn SGB IX § 91 Rn. 22). Es kommt vielmehr auf eine verständige Abwägung der beiderseitigen Interessen an (BAG 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - AP SGB IX § 91 Nr. 4 = EzA SGB IX § 91 Nr. 1; BGH 26. Januar 1962 - V ZR 168/60 - WM 1962, 511). Dabei ist nicht allein die objektive Lage maßgebend. Solange derjenige, dem unverzügliches Handeln abverlangt wird, nicht weiß, dass er die betreffende Rechtshandlung vornehmen muss, oder mit vertretbaren Gründen annehmen kann, dass er sie noch nicht vornehmen muss, liegt kein "schuldhaftes" Zögern vor (BAG 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - aaO; BSG 25. Mai 2005 - B 11a/11 AL 81/04 R - NJW 2005, 3803).

(2) Die Interessenlage in der hier vorliegenden Konstellation ist einerseits dadurch gekennzeichnet, dass der Arbeitgeber, in dessen Interesse die Frist des § 626 Abs. 2 BGB "verlängert" wird, das Arbeitsverhältnis möglichst schnell, aber auch in allen rechtlichen, einschließlich der personalvertretungsrechtlichen, Hinsichten wirksam fristlos kündigen will, was er vor Abschluss des Mitbestimmungsverfahrens nicht kann. Der Arbeitnehmer andererseits soll durch den gesetzlichen Verwirkungstatbestand des § 626 Abs. 2 BGB davor geschützt werden, zu einem Zeitpunkt sich einer außerordentlichen Kündigung gegenüber zu sehen, zu dem er bereits annehmen durfte, die Kündigung werde aus den geltend gemachten Gründen nicht mehr ausgesprochen. Daneben liegen ordnungsgemäße Durchführung und Abschließung des Mitbestimmungsverfahrens auch in seinem Interesse.

(3) Die Beklagte durfte demnach mit der Kündigung so lange warten, wie sie weder sicher davon ausgehen musste, das Mitbestimmungsverfahren sei abgeschlossen, noch so viel Zeit verflossen war, dass die Klägerin daraus entnehmen konnte, die Beklagte habe von der Kündigungsabsicht Abstand genommen. Andererseits musste die Beklagte jedenfalls von dem Zeitpunkt ab, an dem sie sichere Kenntnis vom Abschluss des Mitbestimmungsverfahrens hatte, innerhalb sehr kurzer Zeit die Kündigung aussprechen. Die Beklagte hatte sichere Kenntnis davon, dass der Hauptpersonalrat die Einigungsstelle nicht anrufen würde, erst durch das Schreiben des Hauptpersonalrats vom 24. Februar 2004. Das Schreiben ging ihr am 1. März 2004 zu. Wenn sie dann am nächsten Tag kündigte, so war dies jedenfalls unverzüglich. Sie brauchte so lange keine Erkundigungen beim Hauptpersonalrat einzuholen, wie sich ihr aus dem Zeitablauf nicht Zweifel aufdrängen mussten, ob das Mitbestimmungsverfahren etwa schon beendet war. Dafür bestehen hier keinerlei Anhaltspunkte. Denn - anders als im Falle des § 91 Abs. 3 SGB IX - ließ der reine Zeitablauf keine Rückschlüsse darauf zu, ob das Mitbestimmungsverfahren abgeschlossen war. Es konnte vor allem in Betracht kommen, dass der Hauptpersonalrat die Einigungsstelle anrufen würde. In diesem Fall konnte das Mitbestimmungsverfahren noch mehr als weitere zwei Monate dauern (vgl. § 83 Abs. 3 PersVG Berlin). Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin aus dem zeitlichen Ablauf hätte entnehmen können, die Beklagte wolle von der Kündigungsabsicht Abstand nehmen, sind nicht ersichtlich. Auch die Klägerin selbst macht nicht geltend, sie habe geglaubt, die Beklagte wolle von ihrem Vorhaben Abstand nehmen.

(4) Abgesehen davon wäre eine Anfrage der Beklagten, die das Mitbestimmungsverfahren offenbar durchweg schriftlich führt, vom Freitag, dem 20. Februar 2004 frühestens am Montag, dem 23. Februar beim Hauptpersonalrat eingegangen. Der Hauptpersonalrat hätte sich dann kaum vor dem 24. Februar 2004 geäußert. Dass die lange Laufzeit des Schreibens vom 24. Februar bis zum 1. März von der Beklagten zu vertreten wäre, ist nicht ersichtlich. Auch bei einer Nachfrage der Beklagten hätte demnach nicht früher gekündigt werden können.

III. Das Landesarbeitsgericht hat - aus seiner Sicht zur Recht - nicht geprüft, ob - was angesichts des festgestellten Sachverhalts sehr nahe liegt - ein wichtiger Grund die außerordentliche Kündigung rechtfertigt. Offen gelassen hat das Berufungsgericht auch, ob das Mitbestimmungsverfahren, wie von der Klägerin bestritten, im Übrigen den gesetzlichen Voraussetzungen entsprach. Ebenso wenig hat das Landesarbeitsgericht darüber entschieden, ob die Klägerin die Kündigung zu Recht nach § 174 BGB zurückgewiesen hat. Deshalb muss der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, § 563 Abs. 1, Abs. 3 ZPO.

Ende der Entscheidung

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