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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 26.05.1998
Aktenzeichen: 3 AZR 61/97
Rechtsgebiete: TVG, MTV für die Energieversorgungsbetriebe in Rheinland-Pfalz


Vorschriften:

TVG § 1 Auslegung
MTV für die Energieversorgungsbetriebe in Rheinland-Pfalz Nr. 7 und 8 § 16
Leitsatz: Bei einem gemeinsamen Haushalt darf nach § 16 Nr. 2 Satz Manteltarifvertrags für die Energieversorgungsbetriebe in Rheinland-Pfalz auf das tarifliche Hausstandsgeld nur das dem Ehegatten von einem anderen Arbeitgeber gezahlte Hausstandsgeld angerechnet werden. Die Anrechnungsklausel erstreckt sich nicht auf den im öffentlichen Dienst gezahlten Ortszuschlag.

Aktenzeichen: 3 AZR 61/97 Bundesarbeitsgericht 3. Senat Urteil vom 26. Mai 1998 - 3 AZR 61/97 -

I. Arbeitsgericht Koblenz Urteil vom 15. März 1996 - 9 (7) Ca 1711/95 N -

II. Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil vom 06. Dezember 1996 - 10 Sa 840/96 -


---------------------------------------------------------------------- Für die Amtliche Sammlung: Nein Für die Fachpresse : Ja Für das Bundesarchiv : Nein ----------------------------------------------------------------------

Entscheidungsstichworte: Anrechnung von Ortszuschlag auf Hausstandsgeld

Gesetz: TVG § 1 Auslegung; Manteltarifvertrag für die Energieversor- gungsbetriebe in Rheinland-Pfalz Nr. 7 und 8 § 16

3 AZR 61/97

10 Sa 840/96 Rheinland-Pfalz

Im Namen des Volkes! Urteil

Verkündet am 26. Mai 1998

Kaufhold, Reg.-Sekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In Sachen

pp.

hat der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26. Mai 1998 durch den Richter Kremhelmer als Vorsitzenden, den Richter Bepler und die Richterin Schmidt sowie die ehrenamtlichen Richter Weinmann und Schmitthenner für Recht erkannt:

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. Dezember 1996 - 10 Sa 840/96 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob auf das tarifliche Hausstandsgeld des Klägers der seiner Ehefrau gezahlte Ortszuschlag angerechnet werden darf.

Der Kläger ist seit dem 1. März 1976 bei der Beklagten, einem Energieversorgungsunternehmen, beschäftigt. Seit dem 25. Februar 1977 ist er verheiratet. Seine Ehefrau ist beim Land Rheinland-Pfalz als Steuerbeamtin tätig.

Die Parteien vereinbarten, daß auf ihr Arbeitsverhältnis die Tarifverträge der Mitglieder des Arbeitgeberverbandes der Energieversorgungsbetriebe in Rheinland-Pfalz anzuwenden sind. § 16 des Manteltarifvertrags für die Energieversorgungsbetriebe in Rheinland-Pfalz (MTV Energieversorgungsbetriebe) regelt in der ab dem 1. Januar 1989 gültigen Fassung Nr. 8 das Hausstandsgeld wie folgt:

"1. Beschäftigte mit eigenem Hausstand erhalten ein monatliches Hausstandsgeld. Das Hausstandsgeld wird auch an ledige, verwitwete, geschiedene und dauernd getrennt lebende Beschäftigte, die in Untermiete und nicht zugleich in einem Familienverband leben, gezahlt. Bei nur teilweiser Beschäftigung im Monat wird das Hausstandsgeld zeitanteilig gezahlt.

2. Für einen Haushalt wird das Hausstandsgeld nur einmal gezahlt. Bekommt bei einem gemeinsamen Haushalt ein Ehegatte von einem anderen Arbeitgeber bereits Hausstandsgeld, so ist dies anzurechnen. Sind beide Ehegatten bei demselben Arbeitgeber beschäftigt, bekommt jeder Ehegatte das Hausstandsgeld zur Hälfte, wenn nicht von beiden die Auszahlung an einen Ehegatten beantragt wird.

3. Das Hausstandsgeld wird mit Beginn des Monats gezahlt und entfällt mit Ablauf des Monats, in dem das für die Zahlung maßgebende Ereignis eintritt. Die Berechtigten sind verpflichtet, ihren Arbeitgeber von dem Eintritt des Ereignisses unverzüglich in Kenntnis zu setzen."

Die Beklagte zahlte dem Kläger seit dem 1. Januar 1985 kein Hausstandsgeld mehr. Nach einem Mutterschaftsurlaub und einer Beurlaubung ohne Dienstbezüge nahm die Ehefrau des Klägers ab 1. Januar 1985 ihre Tätigkeit beim Finanzamt wieder auf. Ihre regelmäßige Arbeitszeit war auf die Hälfte ermäßigt worden. Dementsprechend erhielt sie nur noch die Hälfte des Ortszuschlags der Stufe 2. Die Beklagte rechnete diesen Ortszuschlag voll auf das Hausstandsgeld des Klägers an, das sich seit Juli 1994 auf 177,00 DM und seit Juli 1995 auf 184,00 DM belief.

Der Kläger hat die Anrechnung des seiner Ehefrau gezahlten Ortszuschlags für unzulässig gehalten und zuletzt beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn das Hausstandsgeld vom 1. Januar 1985 bis 31. August 1995 in Höhe von 19.454,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 11. September 1995 zu zahlen;

2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, an ihn ab 1. September 1995 das monatliche Hausstandsgeld in der jeweils tarifvertraglich vereinbarten Höhe für die Dauer der Beschäftigung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Anrechnungsvorschrift des § 16 Nr. 2 Satz 2 MTV Energieversorgungsbetriebe erstrecke sich auf den im öffentlichen Dienst gezahlten Ortszuschlag. Er sei nach seinem Sinn und Zweck dem Hausstandsgeld gleichzusetzen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht ihm das geltend gemachte Hausstandsgeld für die Zeit ab 1. November 1994 zugesprochen. Die Beklagte begehrt mit ihrer Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage für die Zeit ab 1. November 1994 zu Recht stattgegeben. Die Voraussetzungen des Hausstandsgeldes nach § 16 Nr. 1 MTV Energieversorgungsbetriebe Nr. 8 sind nach dem unstreitigen Parteivorbringen erfüllt. Die Beklagte durfte nach § 16 Nr. 2 Satz 2 MTV Energieversorgungsbetriebe Nr. 8 auf das Hausstandsgeld des Klägers den seiner Ehefrau zustehenden Ortszuschlag nicht anrechnen.

I. § 16 Nr. 2 Satz 2 MTV Energieversorgungsbetriebe sieht eine Anrechnung nur vor, wenn bei einem gemeinsamen Haushalt der Ehegatte von einem anderen Arbeitgeber bereits Hausstandsgeld bekommt. Der im öffentlichen Dienst gewährte Ortszuschlag ist kein Hausstandsgeld im Sinne dieser Vorschrift. Dies ergibt sich aus dem Tarifwortlaut, der Tarifsystematik und dem Zweck der Anrechnungsklausel.

1. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es nicht darauf an, ob § 16 Nr. 2 Satz 2 MTV Energieversorgungsbetriebe einen "Formelkompromiß" enthält. Der normative Teil des Tarifvertrages ist nach objektiven Maßstäben wie ein Gesetz auszulegen (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BAG Urteil vom 12.September 1984 - 4 AZR 336/82 - BAGE 46, 308, 313 f. = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung; Urteil vom 21. Juli 1993 - 4 AZR 468/92 - BAGE 73, 364 f. = AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung, zu B II 1 a aa der Gründe; Urteil vom 16. Mai 1995 - 3 AZR 395/94 - AP Nr. 10 zu § 1 Tarifverträge: Papierindustrie, zu I 1 der Gründe, m.w.N.). Entscheidend ist, wie die Normadressaten die Regelung verstehen müssen.

2. Nach dem Wortlaut des Tarifvertrages sind die Anrechnungsmöglichkeiten eng gefaßt. § 16 Nr. 2 Satz 2 MTV Energieversorgungsbetriebe spricht nur von Hausstandsgeldern. Hätten "vergleichbare" oder "ähnliche" Leistungen einbezogen werden sollen, so hätte es nahegelegen, einen derartigen, in Tarifverträgen durchaus gebräuchlichen Zusatz zu verwenden.

3. Der Regelungszusammenhang spricht ebenfalls für eine enge Auslegung des § 16 Nr. 2 Satz 2 MTV Energieversorgungsbetriebe. Die Anrechnungsvorschrift ergänzt den § 16 Nr. 2 Satz 1 MTV Energieversorgungsbetriebe und will sicherstellen, daß für einen Haushalt das Hausstandsgeld nur einmal gezahlt wird. Folgerichtig bezieht sich die Anrechnung ausschließlich auf anderweitige Hausstandsgelder. Andere Leistungen, die dem Hausstandsgeld lediglich ähneln, bleiben unberücksichtigt.

4. Im vorliegenden Fall kann offenbleiben, ob es darauf ankommt, wie der andere Arbeitgeber die von ihm gewährte Leistung bezeichnet. Jedenfalls können die nicht als Hausstandsgelder bezeichneten Leistungen nur dann angerechnet werden, wenn ihre Ausgestaltung dem § 16 MTV Energieversorgungsbetriebe entspricht. Der im öffentlichen Dienst gezahlte Ortszuschlag ist nach seinen Voraussetzungen, seinem Inhalt und seinem Zweck kein Hausstandsgeld im Sinne des § 16 MTV Energieversorgungsbetriebe.

Das Hausstandsgeld wird nach § 16 Nr. 2 Satz 2 MTV Energieversorgungsbetriebe "für einen Hausstand" gezahlt. Jeder Arbeitnehmer mit einem eigenen Hausstand erhält es, unabhängig von Familienstand und Unterhaltspflichten (§ 16 Nr. 1 Sätze 1 und 2 MTV Energieversorgungsbetriebe). Es handelt sich um einen Zuschuß zu den finanziellen Mehrbelastungen, die sich aus der Führung eines eigenen Hausstandes ergeben. Der Ortszuschlag stellte auch vor dem 1. Juli 1997 keine derartige Leistung dar. Dies gilt für alle Stufen des Ortszuschlags.

a) Nach §§ 39, 40 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) in der bis zum 1. Juli 1997 geltenden Fassung erhielten alle Beamten zumindest den Ortszuschlag der Stufe 1. Er war auch dann zu zahlen, wenn der Beamte noch bei seinen Eltern lebte und über keinen eigenen Hausstand verfügte. Der Ortszuschlag der Stufe 1 war der Basisbetrag, der in den folgenden Stufen mitenthalten war. Er bildete einen festen Vergütungsbestandteil ohne jede Ausgleichsfunktion. Durch das Gesetz zur Reform des öffentlichen Dienstrechts vom 24. Februar 1997 (BGBl. I S. 322) wurde er in die Grundgehaltstabelle eingearbeitet. Diese Regelung trug der bisherigen Funktion des Ortszuschlags Rechnung. Eine inhaltliche Änderung war damit nicht verbunden. Davon ging auch die Gesetzesbegründung aus. In ihr heißt es: "... bereits jetzt ist der Ortszuschlag der Stufe 1 ... faktisch Grundgehalt" (BT-Drucks. 13/3994 S. 42). Eine Anrechnung von Grundgehalt gestattet § 16 Nr. 2 Satz 2 MTV Energieversorgungsbetriebe nicht.

b) Der Sonderregelung des § 39 Abs. 2 Satz 1 BBesG a.F. läßt sich nicht entnehmen, daß der Ortszuschlag der Stufe 1 einen eigenen Hausstand voraussetzte.

Nach dieser Vorschrift erhielten ledige Beamte, die aufgrund dienstlicher Verpflichtungen in Gemeinschaftsunterkunft wohnten und denen ein Ortszuschlag der Stufe 1 zustand, einen ermäßigten Ortszuschlag nach Anlage V. Die Kürzung des Ortszuschlags beruhte darauf, daß der Dienstherr den ledigen Beamten durch Unterbringung und Verpflegung in einer Gemeinschaftsunterkunft Sachleistungen gewährte und sich dadurch in nicht unerheblichem Umfang ihre Lebenshaltungskosten verminderten. Da die verheirateten Beamten finanziell kaum oder erheblich geringer entlastet wurden, erhielten sie den vollen Ortszuschlag.

c) Der Ortszuschlag der Stufe 2 nach § 40 Abs. 2 BBesG a.F. baute auf dem Ortszuschlag der Stufe 1 auf und erhöhte ihn um den sog. Ehegattenbestandteil. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht darauf hingewiesen, daß der Ortszuschlag der Stufe 2 auch schon vor dem 1. Juli 1997 den unterschiedlichen Belastungen aufgrund des Familienstandes und der Unterhaltspflichten Rechnung trug. Dieser soziale Gesichtspunkt spielt für das Hausstandsgeld keine Rolle. Auch der Ortszuschlag der Stufe 2 hat demnach eine andere Funktion als das Hausstandsgeld. Er kann nicht nach § 16 Nr. 2 Satz 2 MTV Energieversorgungsbetriebe auf das Hausstandsgeld angerechnet werden.

II. Die Ansprüche des Klägers auf Hausstandsgeld für die Zeit ab 1. November 1994 sind mit Schreiben vom 9. Januar 1995 innerhalb der zweimonatigen Ausschlußfrist des § 21 MTV Energieversorgungsbetriebe geltend gemacht worden.

III. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

IV. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

Ende der Entscheidung

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