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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 19.08.2008
Aktenzeichen: 3 AZR 922/06
Rechtsgebiete: BetrAVG, Versorgungs-TV, Satzung der VBL, EG, VO (EWG) Nr. 1408/71, GG, ZPO


Vorschriften:

BetrAVG § 1
BetrAVG § 1b
Versorgungs-TV § 6 Abs. 2 lit. n
Satzung der VBL in der bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Fassung § 28 Abs. 2 lit. n
EG Art. 39
EG Art. 234
VO (EWG) Nr. 1408/71 des Rates (vom 14. Juni 1971) zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern Art. 14e
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates (vom 14. Juni 1971) zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern Art. 17
Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates (vom 15. Oktober 1968) über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art. 7
GG Art. 3
ZPO § 256 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

Hinweise des Senats: Parallelsachen 19. August 2008 - 3 AZR 922/06 - (führend, vorliegend) und - 3 AZR 923/06 -

3 AZR 922/06

Verkündet am 19. August 2008

In Sachen

hat der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. August 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Reinecke, den Richter am Bundesarbeitsgericht Kremhelmer, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Dr. Schlewing sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Kaiser und Lohre für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 30. August 2006 - 12 Sa 734/06 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin die Versorgungsleistungen zu verschaffen, die ihr zustünden, wenn sie in der Zeit vom 1. Juni 1986 bis einschließlich 31. Dezember 2002 bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) versichert worden wäre.

Die am 13. September 1942 geborene Klägerin ist griechische Staatsangehörige und in Griechenland beamtete Lehrkraft gewesen. Mit Arbeitsvertrag vom 7. Oktober 1977 wurde sie ab 1. August 1977 vom beklagten Land als Lehrerin in einem Angestelltenverhältnis auf unbestimmte Zeit eingestellt. § 2 dieses Arbeitsvertrages enthielt folgende Vereinbarung:

"Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach den Bestimmungen des BAT vom 23.2.1961 und der zusätzlich abgeschlossenen Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung. Das gleiche gilt für die an deren Stelle tretenden Tarifverträge."

Die Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung - Ausland Bundesverband der Ortskrankenkassen teilte mit Schreiben vom 7. April 1986 der Klägerin mit, dass diese "für die Zeit vom 1. Juni 1986 an bis auf weiteres, längstens jedoch bis 31. Mai 1991 von der Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit (Kranken-, Renten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung einschließlich Kindergeld) befreit" sei. Diese Befreiung beruhte auf einer Vereinbarung nach Art. 17 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (Verordnung Nr. 1408/71). Diese europarechtliche Regelung lautete wie folgt:

"Ausnahme von Artikeln 13 bis 16

Zwei oder mehr Mitgliedstaaten oder die zuständigen Behörden dieser Staaten können im Interesse bestimmter Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen Ausnahmen von den Artikeln 13 bis 16 vereinbaren."

Auf Antrag der Klägerin vom 17. Februar 1986 erstattete ihr die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte mit Bescheid vom 16. Juli 1988 "nach § 82 Abs. 1 ... AVG ... die Hälfte der Pflichtbeiträge", die bis einschließlich Mai 1986 entrichtet worden waren. Das beklagte Land versicherte die Klägerin für die Zeit ab 1. Juni 1986 nicht bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL). Dies beruhte auf § 6 Abs. 2 Buchst. n des Versorgungs-TV und dem inhaltsgleichen § 28 Abs. 2 Buchst. n der Satzung der VBL (VBLS). Nach diesen Vorschriften galt die Versicherungspflicht nicht für einen "Arbeitnehmer, der mit Rücksicht auf seine Zugehörigkeit zu einem ausländischen System der sozialen Sicherung nicht der Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt und sich dort auch nicht freiwillig versichert hat". Die VBL erstattete der Klägerin auf deren Antrag die von ihr bis einschließlich Dezember 1977 geleisteten Beiträge zur Zusatzversicherung.

Auf Betreiben der Klägerin wurde die Ausnahmevereinbarung zu ihrer Befreiung "von der Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit" über den 31. Mai 1991 hinaus noch dreimal bis einschließlich 31. Mai 2005 verlängert.

Die Ausschlusstatbestände des § 6 Abs. 2 Versorgungs-TV und des § 28 Abs. 2 VBLS aF galten bis einschließlich 31. Dezember 2002 weiter und wurden ab 1. Januar 2003 aufgehoben.

Die Klägerin ist zwischenzeitlich in Ruhestand getreten. Sie erhält in Griechenland eine Beamtenpension, eine Zusatzpension sowie (seit 1. November 1988) Leistungen aus der Beteiligungskasse für pensionierte Lehrer.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr Ausschluss aus der Zusatzversorgung der VBL sei unwirksam. Eine sachliche Rechtfertigung gebe es dafür nicht. Es liege eine mittelbare Diskriminierung vor, die gegen den Gleichheitssatz und gegen das Europarecht, insbesondere gegen das Gebot der Freizügigkeit verstieße (Art. 39 EG, Art. 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft - Verordnung Nr. 1612/68). Diese Ansicht teile die Europäische Kommission GD Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit im Antwortschreiben vom 20. Februar 2006.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, die Klägerin so zu stellen, wie sie stünde, wenn sie in der Zeit vom 1. Juni 1986 bis zum 31. Dezember 2002 bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder in der Zusatzversorgung versichert gewesen wäre.

Vorsorglich hat sie angeregt, das Verfahren auszusetzen und den EuGH anzurufen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, der Ausschluss der Klägerin aus der Zusatzversorgung sei weder gleichheitswidrig noch europarechtlich zu beanstanden. Von einer Diskriminierung der Klägerin könne nicht die Rede sein. Sie werde gegenüber Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage nicht benachteiligt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht der geltend gemachte Verschaffungsanspruch nicht zu.

A. Die Klage ist zulässig. Die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO sind erfüllt. Beim Verschaffungsanspruch handelt es sich um ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis. Für dessen alsbaldige Klärung besteht ein Feststellungsinteresse. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin bereits Rentnerin ist und eine Leistungsklage erheben könnte. Mit der Feststellungsklage wird eine einfache, prozesswirtschaftlich sinnvolle Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte erreicht. Vor der Klärung der Verschaffungspflicht wird keiner der beiden Parteien zugemutet, komplizierte Rentenberechnungen durchzuführen.

B. Die Klage ist jedoch unbegründet. Das beklagte Land ist nicht verpflichtet, der Klägerin die verlangte Zusatzversorgung zu verschaffen. Dies ergibt sich aus der bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Ausnahmeregelung des § 6 Abs. 2 Buchst. n Versorgungs-TV und des § 28 Abs. 2 Buchst. n VBLS aF. Diese Vorschriften verstoßen weder gegen nationales Recht noch gegen Europarecht.

I. Der Ausschlusstatbestand des § 6 Abs. 2 Buchst. n des Versorgungs-TV und § 28 Abs. 2 Buchst. n VBLS aF ist erfüllt. Die Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung - Ausland Bundesverband der Ortskrankenkassen und die zuständigen griechischen Behörden hatten eine Ausnahmevereinbarung nach Art. 17 der Verordnung Nr. 1408/71 geschlossen. Aufgrund dieser Vereinbarung war die Klägerin als in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigte beamtete griechische Lehrkraft "von der Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit befreit und weiterhin den griechischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit unterstellt". Nach § 6 Abs. 2 Buchst. n Versorgungs-TV und § 28 Abs. 2 Buchst. n VBLS aF wäre sie nur dann bei der VBL zu versichern gewesen, wenn sie sich in der gesetzlichen Rentenversicherung freiwillig versichert hätte. Dazu war sie jedoch nicht bereit.

Der Ausschluss der Pflicht des beklagten Landes, die Klägerin bei der VBL zu versichern, bedeutet zugleich, dass nach den tarifvertraglichen Regelungen ein Anspruch auf Zusatzversorgung nicht besteht. Wie sich insbesondere aus § 4 Versorgungs-TV ergibt, stimmen die Versorgungspflichten des Arbeitgebers und die Versicherungspflicht grundsätzlich überein.

II. Eine über die Versicherungspflicht hinausgehende Versorgungspflicht des Arbeitgebers kommt nur dann in Betracht, wenn ein tarifvertraglicher, von der VBL-Satzung übernommener Ausschlusstatbestand unwirksam ist (st. Rspr. Senat seit 7. März 1995 - 3 AZR 282/94 - zu B III 2 b bb und cc der Gründe, BAGE 79, 236; vgl. 12. Dezember 2006 - 3 AZR 388/05 - zu B III 3 der Gründe, AP BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen Nr. 67 = EzA BetrAVG § 1 Zusatzversorgung Nr. 18). Dies trifft jedoch im vorliegenden Fall nicht zu.

1. Europarechtlich ist es nicht zu beanstanden, dass die Klägerin unter der Geltung des Versorgungs-TV keinen Anspruch auf Zusatzversorgung erworben hatte. Das Gebot der Freizügigkeit ist nicht verletzt worden. Ebenso wenig liegt eine unzulässige mittelbare Diskriminierung der Klägerin vor.

a) Die durch Art. 39 Abs. 1 EG (früher: Art. 48 Abs. 1 EG-Vertrag) gewährleistete Freizügigkeit der Arbeitnehmer umfasst nach Art. 39 Abs. 2 EG (früher: Art. 48 Abs. 2 EG-Vertrag) "die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen". Obwohl diese europarechtlichen Vorschriften auch im vorliegenden Fall gelten, stehen sie der bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Versorgungsregelung nicht entgegen.

aa) Art. 39 Abs. 1 bis 3 EG findet zwar nach Art. 39 Abs. 4 EG (früher: Art. 48 Abs. 4 EG-Vertrag) keine Anwendung auf eine Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung. Diese Ausnahmeregelung betrifft aber nur den Zugang Staatsangehöriger anderer Mitgliedsstaaten zu bestimmten Tätigkeiten in der öffentlichen Verwaltung. Derartige Tätigkeiten müssen eine unmittelbare oder mittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und an der Wahrnehmung von Aufgaben mit sich bringen, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind (vgl. dazu ua. EuGH 17. Dezember 1980 - C-149/79 - Rn. 10, EuGHE 1980, 3881; 15. Januar 1998 - C-15/96 - [Schöning-Kougebetopoulou] Rn. 13, EuGHE I 1998, 47). Da diese Voraussetzungen bei der von der Klägerin verrichteten Unterrichtstätigkeit nicht erfüllt sind, kommt die Ausnahmeregelung des Art. 39 Abs. 4 EG nicht zum Zuge.

bb) Bestimmte bereits aus Art. 39 EG folgende Rechte und Rechtsfolgen werden durch Art. 7 der Verordnung Nr. 1612/68 verdeutlicht (vgl. dazu EuGH 23. Februar 1994 - C-419/92 - [Scholz] Rn. 6, EuGHE I 1994, 505). In Art. 7 Abs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 1612/68 heißt es:

"(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung ..., nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.

...

(4) Alle Bestimmungen in Tarif- oder Einzelarbeitsverträgen oder sonstigen Kollektivvereinbarungen betreffend Zugang zur Beschäftigung, Entlohnung und alle übrigen Arbeits- und Kündigungsbedingungen sind von Rechts wegen nichtig, soweit sie für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, diskriminierende Bedingungen vorsehen oder zulassen."

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH verbietet der sowohl in Art. 39 EG als auch in Art. 7 der Verordnung Nr. 1612/68 niedergelegte Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur offene Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle verdeckten Formen einer Diskriminierung (vgl. ua. EuGH 24. September 1998 - C-35/97 - Rn. 37, EuGHE I 1998, 5325 mwN).

b) Eine Vorschrift des nationalen Rechts, die nicht objektiv gerechtfertigt ist und nicht in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht, diskriminiert mittelbar, wenn sie sich nach ihrem Wesen eher auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirkt und folglich die Gefahr besteht, dass sie Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt (vgl. ua. EuGH 27. November 1997 - C-57/96 - [Meints] Rn. 45, EuGHE I 1997, 6689). Im vorliegenden Fall liegen tragfähige Rechtfertigungsgründe vor und auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist beachtet.

aa) Der Ausnahmetatbestand des § 6 Abs. 2 Buchst. n Versorgungs-TV und des § 28 Abs. 2 Buchst. n VBLS aF knüpft an die "Zugehörigkeit zu einem ausländischen System der sozialen Sicherung" an. Davon können zwar auch Arbeitnehmer mit deutscher Staatsangehörigkeit betroffen sein. Ganz überwiegend gewinnt aber der Ausschlusstatbestand bei Wanderarbeitnehmern Bedeutung. Sie sind von dieser Regelung besonders betroffen.

bb) Der Ausschluss der Klägerin aus der Zusatzversorgung ist indessen durch objektive, von der Staatsangehörigkeit unabhängige Erwägungen gerechtfertigt und steht in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck, der mit der tarifvertraglichen Einschränkung der Zusatzversorgung zulässigerweise verfolgt wird (vgl. zu diesen Kriterien ua. EuGH 23. Mai 1996 - C-237/94 - [O'Flynn] Rn. 19, EuGHE I 1996, 2617 mwN).

(1) Die sachliche Rechtfertigung für den Ausschluss der Klägerin, die in ihrem Heimatland im Rahmen eines Sondersystems für Beamte versichert ist, ergibt sich allerdings entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht schon aus Art. 14e der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (Verordnung Nr. 1408/71). Diese europarechtliche Sonderregelung lautet wie folgt:

"Beamte und ihnen gleichgestellte Personen, die im Rahmen eines Sondersystems für Beamte in einem Mitgliedstaat versichert sind und gleichzeitig in einem anderen Mitgliedstaat oder mehreren anderen Mitgliedstaaten eine abhängige Beschäftigung und/oder selbständige Tätigkeit ausüben, unterliegen den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sie im Rahmen eines Sondersystems für Beamte versichert sind."

Art. 14e der Verordnung Nr. 1408/71 wäre nur dann auf die vorliegende Zusatzversorgung anwendbar, wenn die im Versorgungs-TV enthaltenen Regelungen, auf die auch die VBLS aufbaut, unter den sachlichen Geltungsbereich dieser Verordnung fielen. Dies trifft jedoch nicht zu. Der in Art. 14e der Verordnung Nr. 1408/71 verwandte Begriff der "Rechtsvorschriften" ist in Art. 1 Buchst. j der Verordnung Nr. 1408/71 wie folgt definiert:

"Rechtsvorschriften: in jedem Mitgliedstaat die bestehenden und künftigen Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in bezug auf ...

Dieser Begriff umfaßt bestehende oder künftige tarifvertragliche Vereinbarungen nicht, selbst wenn eine behördliche Entscheidung sie für allgemein verbindlich erklärt oder ihren Geltungsbereich erweitert hat. Diese Einschränkung kann jedoch in bezug auf solche tarifvertraglichen Vereinbarungen,

i) die der Erfüllung einer Versicherungspflicht dienen, die sich aus den in Unterabsatz 1 genannten Gesetzen oder Verordnungen ergibt, oder

ii) die ein System schaffen, dessen Verwaltung von dem Träger gewährleistet wird, der auch die Systeme verwaltet, die durch in Unterabsatz 1 genannte Gesetze oder Verordnungen eingeführt worden sind, jederzeit durch eine Erklärung des betreffenden Mitgliedstaats aufgehoben werden, in der die Systeme dieser Art genannt sind, auf die diese Verordnung anwendbar ist. Diese Erklärung ist gemäß Artikel 97 zu notifizieren und zu veröffentlichen.

..."

Die über die VBL abgewickelte Zusatzversorgung beruht auf einer tarifvertraglichen Vereinbarung, für die keine Erklärung nach Art. 1 Buchst. j Sätze 3 und 4 der Verordnung Nr. 1408/71 abgegeben wurde. Für die tarifvertragliche Zusatzversorgung gilt demgemäß die Verordnung Nr. 1408/71 nicht.

(2) Einen ausreichenden Rechtfertigungsgrund für den Ausschluss der Klägerin aus der Zusatzversorgung liefern der Zweck und die Besonderheiten des vorliegenden Versorgungssystems. In diesem Zusammenhang gewinnt auch die anderweitige Versorgung der Klägerin Bedeutung.

(a) Der Arbeitgeber schuldet nach § 4 Versorgungs-TV dem Arbeitnehmer eine dem Beamtenversorgungsrecht angenäherte Gesamtversorgung. Zu diesem Zweck werden die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung ergänzt. Entscheidend sind der jeweilige Versorgungsbedarf und die nach Abzug der gesetzlichen Rente verbleibende Versorgungslücke. Die Tarifvertragsparteien dürfen ein solches Versorgungssystem als eines von mehreren denkbaren wählen (BAG 22. Mai 2001 - 3 AZR 515/00 - zu B II 2 der Gründe, EzA BetrAVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 21). Es ist unerheblich, dass die betriebliche Altersversorgung auch Entgeltcharakter hat. Entgeltcharakter ist nicht gleichbedeutend mit Proportionalität (BAG 27. Februar 1996 - 3 AZR 886/94 - zu B III 3 b bb (3) der Gründe, BAGE 82, 193). Die Versorgungsleistungen müssen nicht stets dem Umfang der Arbeitsleistungen und der Dauer des Arbeitsverhältnisses entsprechen. Von der Ausgestaltung des jeweiligen Versorgungssystems hängt es ab, welches Gewicht den individuellen Versorgungsverhältnissen zukommt (BAG 22. Februar 2000 - 3 AZR 845/98 - zu III 2 c der Gründe, AP BetrAVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 44 = EzA BetrAVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 18). Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung und die Betriebstreue ist nach dem Zusatzversorgungssystem des öffentlichen Dienstes nicht eine bestimmte Zusatzrente, sondern die Verbesserung der Existenzsicherung im Alter auf ein bestimmtes über die gesetzliche Grundsicherung hinausgehendes Niveau (BAG 12. März 1996 - 3 AZR 993/94 - zu C II 1 der Gründe, AP TV Arb Bundespost § 24 Nr. 1 = EzA BetrAVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 11).

(b) Diese Ergänzungsfunktion der Zusatzversorgung liefert einen tragfähigen Rechtfertigungsgrund. Entscheidend ist der über die sozialversicherungsrechtliche Grundsicherung hinausgehende Versorgungsbedarf. Wird der maßgebliche Versorgungsbedarf anderweitig gedeckt, besteht für eine Zusatzversicherung nach dem Versorgungs-TV kein Bedürfnis. Auf dieser Überlegung beruhen auch die Ausnahmeregelungen des § 6 Abs. 2 Buchst. a, b, c und k Versorgungs-TV. Sie lauteten wie folgt:

"(2) Nicht zu versichern ist ferner ein Arbeitnehmer, der

a) eine Anwartschaft oder einen Anspruch auf lebenslängliche Versorgung nach beamten- oder soldatenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen oder entsprechende kirchenrechtlichen Regelungen mindestens in Höhe der beamtenrechtlichen Mindestversorgungsbezüge hat und dem Hinterbliebenenversorgung gewährleistet ist oder

b) nach einer Ruhelohnordnung oder einer entsprechenden Bestimmung eine Anwartschaft oder einen Anspruch auf Ruhegeld oder Ruhelohn hat und dem Hinterbliebenenversorgung gewährleistet ist oder

c) für das von diesem Tarifvertrag erfaßte Arbeitsverhältnis aufgrund gesetzlicher, tariflicher oder vertraglicher Vorschrift einer anderen Zusatzversorgungseinrichtung (Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen, Versorgungsanstalt der deutschen Kulturorchester, Bahnversicherungsanstalt Abteilung B oder eine gleichartige Versorgungseinrichtung) angehören muß oder

...

k) bei der Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen oder der Versorgungsanstalt der deutschen Kulturorchester freiwillig weiterversichert ist, ... oder

...

n) mit Rücksicht auf seine Zugehörigkeit zu einem ausländischen System der sozialen Sicherung nicht der Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt und sich dort auch nicht freiwillig versichert hat

..."

(c) Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (vgl. S. 2 Abs. 3 des Berufungsurteils) bezieht die Klägerin in Griechenland eine Beamtenpension, eine Zusatzpension sowie Leistungen aus der Beteiligungskasse für pensionierte Lehrer. Das beklagte Land durfte davon ausgehen, dass die Klägerin durch die griechischen Versorgungssysteme hinreichend abgesichert ist. Ebenso wenig wie in den Fällen des § 6 Abs. 2 Buchst. a, b, c und k Versorgungs-TV war eine spitze Vergleichsberechnung erforderlich. Die pauschalierende Betrachtung war nicht auf die Fälle des § 6 Abs. 2 Buchst. n Versorgungs-TV beschränkt und damit von der Staatsangehörigkeit unabhängig. Diese Betrachtung ist gemessen am Versorgungszweck angemessen und verhältnismäßig, zumal eine kontinuierliche Überprüfung fremder Versorgungswerke und der damit verbundene Verwaltungsaufwand vermieden werden.

(d) Die Ausnahmevereinbarung nach Art. 17 der Verordnung Nr. 1408/71 führte dazu, dass die Klägerin einerseits von der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland befreit war und andererseits keinen Anspruch auf Zusatzversorgung mehr hatte. Diese Ausnahmevereinbarung diente nach dem Wortlaut des Art. 17 der Verordnung Nr. 1408/71 dem "Interesse bestimmter Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen". Ob bei der Interessenbewertung - wegen des eingeschränkten Anwendungsbereichs der Verordnung Nr. 1408/71 - nur die sozialversicherungsrechtlichen Folgen oder auch die Auswirkungen auf die Zusatzversorgung zu berücksichtigen waren, kann dahinstehen. Im vorliegenden Fall waren selbst unter Berücksichtigung des § 6 Abs. 2 Buchst. n Versorgungs-TV die Interessen der Klägerin ausreichend gewahrt. Als griechische Beamtin erhielt die Klägerin eine Versorgung, die über eine Grundsicherung hinausging.

(e) Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, ihr Beamtenstatus in Griechenland sei mit dem Status deutscher Beamter nicht vergleichbar. Es ist unerheblich, dass die Lehrkräfte im öffentlichen Dienst Griechenlands ausschließlich als Beamte beschäftigt werden. Entscheidend ist nicht der Status, sondern die Versorgung des Beschäftigten.

(f) Nur am Rande sei vermerkt, dass sich auf Wunsch und Drängen der Klägerin ihre Versorgung nach dem für griechische Beamte geltenden Recht richtet. Sie schaltete, um dies zu erreichen, die Rechtsanwälte F ein (vgl. deren Schriftsätze vom 17. Mai 1996).

(3) Entgegen der Ansicht der Klägerin spielt es für den vorliegenden Rechtsstreit keine Rolle, dass § 6 Abs. 2 Buchst. n Versorgungs-TV und § 28 Abs. 2 Buchst. n VBLS aF ab 1. Januar 2003 außer Kraft traten. Dies beruht darauf, dass der Tarifvertrag Altersversorgung (ATV) vom 1. März 2002 das Zusatzversorgungssystem grundlegend änderte. Das durch beamtenrechtliche Grundsätze geprägte Gesamtversorgungssystem wurde mit Wirkung zum 31. Dezember 2000 geschlossen und durch ein Punktemodell ersetzt. Seither kommt es nicht mehr auf den individuellen Versorgungsbedarf an. Die Zusatzversorgung hat nicht mehr die frühere Ergänzungsfunktion. Nach dem Punktemodell richten sich die Versorgungsleistungen ausschließlich nach Dauer und Höhe der geleisteten Beiträge. In diesem Punktemodell waren die Ausnahmeregelungen des § 6 Versorgungs-TV nicht mehr gerechtfertigt. Folgerichtig wurden sie in den ATV nicht übernommen.

cc) Nach der Übergangsregelung des § 36 Abs. 1 ATV galten allerdings die Ausnahmeregelungen des § 6 Abs. 1 bis 3 Versorgungs-TV bis einschließlich 31. Dezember 2002 weiter. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden, denn der ATV wurde erst am 1. März 2002 abgeschlossen. Die Übergangsregelung räumt den Arbeitnehmern eine angemessene Frist ein, sich auf die veränderte Rechtslage einzustellen.

c) Die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 234 EG (früher: Art. 177 EG-Vertrag) ist nicht erforderlich. Im vorliegenden Rechtsstreit geht es nicht um die Auslegung europarechtlicher Vorschriften, sondern um deren Anwendung auf den konkreten Fall. Die Subsumtion ist Angelegenheit der nationalen Gerichte (vgl. dazu ua. EuGH 31. Mai 1995 - C-400/93 - [Dansk Industri] Rn. 17 f., EuGHE I 1995, 1275; 15. Januar 1998 - C-15/96 - [Schöning-Kougebetopoulou] Rn. 9, EuGHE I 1998, 47). Der EuGH überlässt daher die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den nationalen Gerichten (vgl. ErfK/Wißmann 8. Aufl. Art. 234 EGV Rn. 5 mwN). Sie haben insbesondere zu prüfen, ob bei einer mittelbaren Benachteiligung eine ausreichende Rechtfertigung vorliegt (vgl. ua. EuGH 26. Juni 2001 - C-381/99 - [Brunnhofer] Rn. 65, EuGHE I 2001, 4961). Diese Voraussetzung ist erfüllt. Der Referatsleiter bei der Europäischen Kommission GD Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit hat in seinem der Klägerin übersandten Antwortschreiben vom 20. Februar 2006 den Zweck und die Besonderheiten des in diesem Rechtsstreit maßgeblichen, im Versorgungs-TV geregelten Gesamtversorgungssystems nicht berücksichtigt.

2. Ebenso wenig wie gegen europarechtliche Diskriminierungsverbote verstößt der Ausschluss der Klägerin aus der Zusatzversorgung gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG, der aufgrund seiner Schutzfunktion der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien Grenzen setzt (vgl. ua. BAG 27. Mai 2004 - 6 AZR 129/03 - zu B II 2 der Gründe, BAGE 111, 8; 19. Mai 2005 - 3 AZR 31/04 - zu II 3 c aa der Gründe). Das nationale, verfassungsrechtlich verankerte Gleichbehandlungsgebot stellt an die Rechtfertigung einer mittelbaren Benachteiligung nicht höhere Anforderungen als das Europarecht.

Ende der Entscheidung

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