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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 23.03.2005
Aktenzeichen: 4 AZR 243/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 301
ZPO § 318
ZPO § 563 Abs. 1
ZPO § 562 Abs. 1
ZPO § 557 Abs. 1
Ein Teilurteil ist unzulässig, wenn sämtliche in einer Klage per objektiver Klagehäufung geltend gemachten Ansprüche von der zwischen den Parteien streitigen Frage abhängig sind, ob ein bestimmter Lohntarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar ist, seine Anwendbarkeit also Voraussetzung für die Begründetheit aller Ansprüche ist.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

4 AZR 243/04

Verkündet am 23. März 2005

In Sachen

hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 23. März 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Bepler, die Richter am Bundesarbeitsgericht Bott und Prof. Dr. Friedrich sowie den ehrenamtlichen Richter Gotsche und die ehrenamtliche Richterin Kralle-Engeln für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Teil-Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 28. April 2004 - 5 Sa 48/03 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Bestimmungen des Lohntarifvertrags für die Metallindustrie Hamburg und Umgebung, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein in der ab 1. März 2002 gültigen Fassung auf ihr Arbeitsverhältnis Anwendung finden.

Der Kläger ist seit dem 26. Januar 1978 bei der Beklagten, einer Herstellerin von Spezialpumpen, auf Grund des Arbeitsvertrags vom 8. Februar 1978 als Karusselldreher beschäftigt. Der Arbeitsvertrag des Klägers enthält ua. folgende Bestimmung:

"3. Die Bestimmungen der einschlägigen Tarifverträge und -abkommen des Verbandes der Metallindustrie Hamburgs und Umgebung e.V. ... sind Bestandteil dieses Vertrages.

..."

Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft IG Metall. Die Beklagte trat zum 31. Dezember 1999 aus dem Tarifverband Nordmetall aus. Ob die Beklagte zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags, der die obige Verweisungsklausel enthält, tarifgebunden war, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Die Arbeitnehmer der Beklagten wurden durch ein Rundschreiben von Juni 1999 von dem Willen der Geschäftsleitung, die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband zu kündigen, informiert.

In drei Betriebsversammlungen am 26. August 1999, am 7. Juni 2000 und am 17. Mai 2001 erteilte der damalige Geschäftsführer der Beklagten, Herr Dr. T, der Belegschaft die Zusage, dass auch zukünftig die Tarifverträge als Mindeststandard erhalten bleiben.

Die Beklagte erhöhte nach dem Verbandsaustritt in den Jahren 2000 und 2001 die Vergütung der Beschäftigten entsprechend der Erhöhung der Tariflöhne. Im Jahre 2000 rechnete sie bei einem Teil der Belegschaft die Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen an. Im Jahr 2002 nahm die Beklagte nach ihrem Vortrag eine Erhöhung unterhalb der tariflich vorgesehenen Vergütung vor.

In einem Rundscheiben der Beklagten an ihre Mitarbeiter aus März/April 2000 heißt es ua.:

"Weiterhin wird eine Unsicherheit geschürt, dass keine Differenzierung zwischen den Worten "tarifrechtlich" und "rechtlich" gemacht wird. Selbstverständlich sind alle Arbeitsverträge "rechtlich" einwandfrei, unterliegen allerdings nicht mehr dem Tarifvertrag sondern sind individuell an den Tarifvertrag gekoppelt. Dies wird von der Geschäftsleitung respektiert und akzeptiert.

Nochmals, durch die Beendigung der Tarifbindung des Unternehmens haben wir in Einzelfällen die Möglichkeit zur individuellen Gestaltung der Arbeitsbedingungen mit dem Ziel zu mehr Kundenorientierung und Steigerung der Konkurrenzfähigkeit durch Flexibilität des Unternehmens.

Folgende Bedingungen werden respektiert:

- Keine Gehalts- und Lohnkürzungen

- Wöchentliche Arbeitszeit 35 Stunden

- Einhaltung der Tarifbedingungen als Minimum.

Es besteht daher absolut kein Grund zu irgendeiner Sorge, da die Ansprüche vertraglich abgesichert sind. ..."

Der Lohntarifvertrag für die Metallindustrie Hamburg und Umgebung, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein in der ab 1. März 2002 gültigen Fassung (im Folgenden: LTV) enthält ua. folgende Regelung:

"§ 2

Erhöhung der Tariflöhne

1.1 Mit Wirkung ab 1. Juni 2002 erhöht sich das Tarifvolumen um insgesamt 4 %, mit Wirkung ab 1. Juni 2003 um weitere 3,1 %.

Diese Erhöhungen werden jeweils wie folgt auf zwei Komponenten verteilt:

Mit Wirkung ab 1. Juni 2002 werden die Löhne um 3,1 % erhöht, mit Wirkung 1. Juni 2003 um weitere 2,6 %.

Das restliche Erhöhungsvolumen von 0,9 % bzw. 0,5 % fließt in die ERA-Strukturkomponente gemäß § 4.

...

2. Für den Monat Mai 2002 erhalten die gewerblichen Arbeitnehmer einen Pauschalbetrag in Höhe von 120 €. Es gelten dafür folgende Bestimmungen:

...

2.6 Der Pauschalbetrag wird spätestens mit der Abrechnung für den Monat Juni 2002 ausbezahlt."

Auf den Pauschalbetrag für den Monat Mai 2002 in Höhe von 120 EUR zahlte die Beklagte 43 EUR. Der Kläger machte den Betrag von 120 EUR bzw. den Restbetrag in Höhe von 77 EUR bei der Beklagten mit Schreiben vom 14. August 2002 und 23. Oktober 2002 geltend.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der LTV finde auf Grund der arbeitsvertraglichen Verweisung weiterhin Anwendung. Aus diesem ergebe sich nach Zahlung von 43 EUR durch die Beklagte ein Restbetrag von 77 EUR brutto als tarifliche Lohnerhöhung für den Monat Mai 2002. Des Weiteren ergebe sich aus der Anwendbarkeit des LTV eine Tariflohnerhöhung iHv. 3,1 % im Jahr 2002, die nicht in voller Höhe an ihn weitergegeben worden sei. Eine Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die ihm gewährte Differenzzulage sei mangels Mitbestimmung des Betriebsrats unwirksam. Aus der Anwendbarkeit des LTV folge weiterhin, dass die Beklagte eine ERA- Strukturkomponente nach § 4 LTV schulde, die Bestandteil der tariflichen Lohnerhöhung sei. Aus beiden ergebe sich ein weiterer Anspruch iHv. 418 EUR brutto.

Der Verbandsaustritt der Beklagten ändere an der Anwendbarkeit des LTV in der jeweils aktuellen Fassung nichts. Die Vertragsklausel sei nicht als Gleichstellungsabrede anzusehen, sondern die in Bezug genommenen Tarifverträge hätten in jedem Falle gelten sollen. Zumindest enthalte das Mitarbeiterrundschreiben aus März/April 2000 eine Gesamtzusage mit dem Inhalt, dass auch künftig die Tarifverträge der Metallindustrie in der jeweils aktuellen Form auf die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer der Beklagten Anwendung finden sollten. Jeder verständige Arbeitnehmer habe dieses Schreiben dahingehend verstehen müssen, dass zukünftige Tariflohnerhöhungen weitergegeben werden.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 495,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit (2. Mai 2003) zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat vorgetragen, die Bezugnahme auf die Bestimmungen der Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Hamburg und Umgebung im Arbeitsvertrag des Klägers sei eine Gleichstellungsabrede, die nicht als Grundlage für Ansprüche auf eine Tariflohnerhöhung angesehen werden könne. Ihr Schreiben aus den Monaten März/April 2000 sei keine Gesamtzusage. Aus der Verknüpfung zwischen dem Hinweis, dass keine Gehalts- und Lohnkürzungen erfolgen würden, und dem Hinweis, dass die Tarifbedingungen als Minimum eingehalten würden, werde deutlich, dass es um die Festschreibung der erreichten Situation gehe, nicht aber um eine zukünftige Entwicklung und Veränderung. Sie sei bis zur Änderung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 26. September 2001 davon ausgegangen, dass die Bezugnahme auf Tarifverträge in Arbeitsverträgen eine individualrechtliche Bindung beinhalte. Aus dieser rechtlichen Sicht sei die Erklärung im Schreiben vom März/April 2000 zu verstehen.

Das Landesarbeitsgericht hat der Klage hinsichtlich des Restbetrags der Pauschalzahlung für den Monat Mai 2002 in Höhe von 77 EUR durch Teilurteil stattgegeben. Über den Rest der geltend gemachten Ansprüche hat das Landesarbeitsgericht nicht entschieden. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Das angefochtene Teilurteil war aufzuheben und die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 562, § 563 Abs. 1 ZPO). Das Landesarbeitsgericht durfte kein Teilurteil über den Pauschalbetrag für den Monat Mai 2002 erlassen.

I. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf nach § 301 ZPO ein Teilurteil nur dann erlassen werden, wenn die Entscheidung durch das über den Rest ergehende Schlussurteil unter keinen Umständen mehr berührt werden kann, so dass die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen, auch durch das Rechtsmittelgericht, ausgeschlossen ist (28. November 2003 - V ZR 123/03 - BGHZ 157, 133, zu II der Gründe; 25. November 2003 - VI ZR 8/03 - NJW 2004, 1452, zu II 1 a der Gründe; 30. April 2003 - V ZR 100/02 - NJW 2003, 2380, zu II 1 b der Gründe; 8. Dezember 1992 - VI ZR 349/91 - BGHZ 120, 376, zu II 1 der Gründe; 19. April 2000 - XII ZR 334/97 - NJW 2000, 2512, zu I der Gründe; 5. Februar 1997 - VIII ZR 14/96 - NJW 1997, 2184, zu II 2 der Gründe; 26. September 1996 - X ZR 48/95 - NJW 1997, 453, zu III b aa der Gründe; 26. April 1989 - IVb ZR 48/88 - BGHZ 107, 236, zu II 2 a der Gründe). Widersprüchlichkeit meint dabei keinen Rechtskraftkonflikt, der bei Teilentscheidungen in aller Regel nicht auftritt, sondern umfasst bereits Fälle der Präjudizialität, das heißt, die Entscheidung des verbliebenen Rechtsstreits darf nicht eine Vorfrage für den entscheidungsreifen Teilstreit umfassen (BGH 27. Mai 1992 - IV ZR 42/91 - NJW-RR 1992, 1053, zu I 2 der Gründe; 26. April 1989 - IVb ZR 48/88 - aaO; 26. September 1996 - X ZR 48/95 - aaO). Die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen besteht also immer dann, wenn das Teilurteil eine Frage entscheidet, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über die anderen - noch nicht im Teilurteil beschiedenen - Ansprüche noch einmal stellt. In einem solchen Fall fehlt es an der in § 301 ZPO für den Erlass eines Teilurteils vorausgesetzten Entscheidungsreife, weil die Beurteilung des Teilanspruchs nicht vom Ausgang des Streits über die anhängig bleibenden Ansprüche unabhängig ist (BGH 27. Mai 1992 - IV ZR 42/91 - aaO mwN; Musielak ZPO 4. Aufl. § 301 Rn. 11; OLG Stuttgart 11. März 1998 - 20 U 98/97 - NJW-RR 1999, 141, zu I der Gründe; OLG Frankfurt 29. Januar 1998 - 15 U 90/97 - MDR 1998, 1053). Einem Teilurteil über einen von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen steht es demgegenüber nicht entgegen, dass die Entscheidung über den weiteren Anspruch lediglich von derselben Rechtsfrage abhängt (BGH 28. November 2003 - V ZR 123/03 - aaO).

II. Der Erlass des Teilurteils war nach diesen Grundsätzen unzulässig.

1. Sämtliche vom Kläger geltend gemachten Ansprüche - Pauschalbetrag, Lohnerhöhung iHv. 3,1 % und ERA-Strukturkomponente - können sich nur aus dem LTV in der ab 1. März 2002 gültigen Fassung ergeben. Die zwischen den Parteien streitige Anwendbarkeit des LTV auf das Arbeitsverhältnis des Klägers ist also Anspruchsvoraussetzung für alle Ansprüche. Mit der Frage der Anwendbarkeit des LTV auf das Arbeitsverhältnis des Klägers hat das Landesarbeitsgericht im Rahmen des Teilurteils eine Frage entschieden, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über die anderen - noch nicht im Teilurteil beschiedenen - Ansprüche noch einmal stellt. Dabei handelt es sich nicht um eine reine Rechtsfrage, sondern mit der Anwendbarkeit des LTV auf das Arbeitsverhältnis um eine tatsächliche Frage, die eine materiellrechtliche Verzahnung der verschiedenen vom Kläger geltend gemachten Ansprüche begründet.

2. Die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen lässt sich auch nicht - wie in dem der Entscheidung des Neunten Senats vom 19. Mai 1998 (- 9 AZR 394/97 - AP BGB § 611 Treuepflicht Nr. 11 = EzA HGB § 74 Nr. 61, zu A II der Gründe) zugrunde liegenden Fall mit durch Teilurteil entschiedenen Unterlassungsanträgen und einem weitergehenden Verpflichtungsantrag - gemäß § 318 ZPO verneinen. Die Bindung nach § 318 ZPO erstreckt sich nur auf den Urteilsausspruch, nicht jedoch auf die vom Tatsachengericht festgestellten Tatsachen und deren rechtliche Bewertung (BGH 14. Juni 2002 - V ZR 79/01 - NJW 2002, 3478, zu II 1 a der Gründe; 13. Oktober 2000 - V ZR 356/99 - NJW 2001, 78, zu II 3 der Gründe mwN). Die Bindungswirkung erstreckt sich damit nicht auf die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hinsichtlich der Erklärung der Beklagten zur Geltung der Tarifverträge der Metallindustrie in Hamburg und Umgebung und die rechtliche Bewertung dieser Erklärungen, die nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts zur Anwendbarkeit des LTV auf das Arbeitsverhältnis des Klägers führten. Die für alle drei Klageansprüche erhebliche Vorfrage der Anwendbarkeit des LTV auf das Arbeitsverhältnis des Klägers, die nicht Bestandteil des Urteilsspruchs ist, entfaltet demnach keine Bindung nach § 318 ZPO.

3. Eine Zulässigkeit des Teilurteils ließe sich deswegen nur dann begründen, wenn auf Grund des Akteninhalts unzweifelhaft feststünde, dass die weiteren, vom Kläger geltend gemachten Ansprüche, auch bei Anwendbarkeit des LTV auf sein Arbeitsverhältnis in jedem Fall unbegründet wären. Dies lässt sich unter Zugrundelegung des Akteninhalts aber nicht feststellen.

4. Der Erlass des Teilurteils war dementsprechend unzulässig. Ob die Unzulässigkeit des Erlasses des Teilurteils von Amts wegen oder nur auf entsprechende Rüge berücksichtigt werden kann (vgl. hierzu BGH 30. April 2003 - V ZR 100/02 - NJW 2003, 2380, zu II 1 c der Gründe mwN), bedarf keiner Entscheidung. Die Beklagte hat eine Verletzung des § 301 ZPO ausdrücklich gerügt.

5. Die Unzulässigkeit des Teilurteils führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung (§ 563 Abs. 1 ZPO). Eine abschließende Entscheidung ist dem Senat nicht möglich. Er kann den noch nicht beschiedenen Teil des Rechtsstreits nicht an sich ziehen und anstelle des Berufungsgerichts darüber entscheiden, weil gem. § 557 Abs. 1 ZPO die Nachprüfung des Berufungsurteils durch die Revisionsanträge begrenzt wird (BGH 13. Oktober 2000 - V ZR 356/99 - NJW 2001, 78, zu III der Gründe).

Ende der Entscheidung

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