Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 02.07.2008
Aktenzeichen: 4 AZR 391/07
Rechtsgebiete: MTV Pro Seniore


Vorschriften:

Manteltarifvertrag von 24. September 2004 zwischen der Pro Seniore Consulting und Conception für Senioreneinrichtungen AG sowie der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (MTV Pro Seniore) § 11
Manteltarifvertrag von 24. September 2004 zwischen der Pro Seniore Consulting und Conception für Senioreneinrichtungen AG sowie der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (MTV Pro Seniore) § 12
Manteltarifvertrag von 24. September 2004 zwischen der Pro Seniore Consulting und Conception für Senioreneinrichtungen AG sowie der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (MTV Pro Seniore) § 12b
Manteltarifvertrag von 24. September 2004 zwischen der Pro Seniore Consulting und Conception für Senioreneinrichtungen AG sowie der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (MTV Pro Seniore) Anlage B
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT

Im Namen des Volkes!

URTEIL

4 AZR 391/07

Verkündet am 2. Juli 2008

In Sachen

hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 2. Juli 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Bepler, die Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Wolter und Creutzfeldt sowie den ehrenamtlichen Richter von Dassel und die ehrenamtliche Richterin Dierßen

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 21. März 2007 - 4 Sa 1804/06 und 4 Sa 1806/06 - im Kostenausspruch sowie insoweit aufgehoben, als es in Ziff. II.2. seines Tenors festgestellt hat, dass die Klägerin seit dem 1. Januar 2005 nach der Vergütungsgruppe Ap IV zu vergüten ist und die Berufung der Klägerin im Übrigen zurückgewiesen hat. Ziff. II.2. und III. des Tenors werden zur Klarstellung wie folgt neu gefasst: II. 2. Es wird festgestellt, dass die Klägerin seit dem 1. Januar 2005 nach Vergütungsgruppe Ap IV und seit dem 1. Januar 2007 nach Vergütungsgruppe Ap V der Anlage B - Pflegepersonal - zum Manteltarifvertrag (MTV) zwischen der Pro Seniore Consulting und Conception für Senioreneinrichtungen AG und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft vom 24. September 2004 zu vergüten ist; im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen für die I. Instanz die Klägerin 4/10, die Beklagte 6/10. Von den Kosten der Berufungsinstanz tragen die Klägerin 3/10, die Beklagte 7/10.

2. Die Kosten der Revision haben die Klägerin zu 55 Prozent und die Beklagte zu 45 Prozent zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten nach rechtskräftiger Erledigung mehrerer Streitgegenstände in der Revision noch über die tarifgerechte Entlohnung der Klägerin.

Die Klägerin ist staatlich anerkannte Altenpflegerin und seit dem 17. Dezember 2001 bei der Beklagten beschäftigt. Sie ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di.

Am 24. September 2004 unterzeichneten die Pro Seniore Consulting und Conception für Senioreneinrichtungen AG (Pro Seniore AG) und die Gewerkschaft ver.di verschiedene Tarifverträge, nämlich den Manteltarifvertrag (im Folgenden: MTV) mit den Anlagen A und B, den Tarifvertrag über eine Zuwendung und den Vergütungstarifvertrag Nr. 1. Der betriebliche Geltungsbereich der Tarifverträge wurde - in teilweise voneinander abweichenden Formulierungen - auf die in der Anlage A zum MTV im Einzelnen aufgeführten 21 zum Konzern der Pro Seniore AG gehörenden Seniorenbetriebsgesellschaften, unter ihnen die Beklagte, mit insgesamt ebenfalls aufgeführten 96 "Residenzen" (Einrichtungen) erstreckt.

Danach beantragte die Beklagte bei dem in der Einrichtung bestehenden Betriebsrat die Zustimmung zur Eingruppierung der Klägerin nach VergGr. Ap IV Fallgruppe 1 ("Altenpflegerinnen mit entsprechender Tätigkeit") der Anlage B zum Manteltarifvertrag - Pflegepersonal -. Der Betriebsrat verweigerte jedoch die Zustimmung. Die Beklagte zahlte der Klägerin daraufhin weiterhin die bis dahin gezahlte monatliche Vergütung von 2.033,92 Euro brutto.

Die Klägerin hat in den Vorinstanzen gegenüber der Beklagten die Feststellung der Vergütungspflicht nach VergGr. Ap V Anlage B zum MTV sowie die Zahlung der dementsprechenden Vergütungsdifferenzen für - zuletzt -den Zeitraum von Januar 2005 bis einschließlich April 2006 geltend gemacht. Nach rechtskräftiger Teilerledigung mehrerer Streitgegenstände im vorliegenden Rechtsstreit steht fest, dass die Klägerin für die Zeit seit dem 1. Januar 2005 Anspruch auf eine Vergütung nach VergGr. Ap IV (Fallgruppe 1: Altenpflegehelferinnen mit entsprechender Tätigkeit) hat und dass für den Zeitraum Januar 2005 bis April 2006 die Beklagte an die Klägerin eine Vergütungsdifferenz von mindestens 748,39 Euro brutto nebst Zinsen zu zahlen hat.

Die Klägerin hat - soweit für die Revision noch von Interesse - die Auffassung vertreten, dass sie seit dem 1. Januar 2007 in der VergGr. Ap V ("Altenpflegerinnen mit entsprechender Tätigkeit nach zweijähriger Bewährung in VergGr. Ap IV FG 1") der Anlage B - Pflegepersonal - zum MTV eingruppiert sei. Sie habe sich in der Tätigkeit einer Altenpflegerin über zwei Jahre bewährt. Im Lauf des Arbeitsverhältnisses sei sie weder ermahnt noch abgemahnt worden, sondern habe ihre Arbeit stets zur vollsten Zufriedenheit der Beklagten verrichtet. Die Bewährungszeit sei am 31. Dezember 2006 vollendet worden.

Die Klägerin hat zuletzt - soweit für die Revisionsinstanz noch von Bedeutung - in der Sache beantragt,

festzustellen, dass die Klägerin seit dem 1. Januar 2007 nach VergGr. Ap V der Anlage B - Pflegepersonal - zum Manteltarifvertrag (MTV) zwischen der Pro Seniore Consulting und Conception für Senioreneinrichtungen AG und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft vom 24. September 2004 zu vergüten ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Das Arbeitsgericht hat die Klage im hier noch interessierenden Umfang abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr dagegen im Zahlungs- und Feststellungsanspruch hinsichtlich der Eingruppierung in der VergGr. Ap IV stattgegeben, was für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2006 rechtskräftig geworden ist. Mit ihrer nach einer Teilrücknahme noch aufrechterhaltenen Revision verfolgt die Klägerin die von ihr begehrte Eingruppierung in der VergGr. Ap V für den Zeitraum ab 1. Januar 2007 weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist im noch aufrechterhaltenen Umfang begründet. Das Landesarbeitsgericht ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass die Bewährungszeit für die tarifliche Höhergruppierung erst mit Inkrafttreten des MTV am 1. Januar 2005 begonnen hat. Es hätte aber feststellen müssen, dass die zweijährige Bewährungszeit dann mit Ablauf des Jahres 2006 beendet und die Klägerin seit dem 1. Januar 2007 in der VergGr. Ap V eingruppiert ist.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung - kurz zusammengefasst - damit begründet, dass sich die Vergütung der Klägerin seit dem 1. Januar 2005 nach der VergGr. Ap IV richtet und nicht nach Ap V, da die Bewährungszeit als Altenpflegerin erst seit Inkrafttreten des MTV und nicht bereits seit Beginn ihrer Tätigkeit bei der Beklagten im Jahre 2001 zu berechnen sei.

II. Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin ist insofern begründet, als das Landesarbeitsgericht auch die Feststellung abgelehnt hat, die Klägerin sei seit dem 1. Januar 2007 nach der VergGr. Ap V zu vergüten. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft die von ihm selbst aufgestellten und zutreffenden Rechtsgrundsätze zur Eingruppierung nicht konsequent angewandt.

1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der MTV kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung. Die Beklagte ist als tarifvertragsschließende Partei beim Abschluss des Tarifvertrages von der Konzernmuttergesellschaft wirksam vertreten worden (vgl. dazu Senat 17. Oktober 2007 - 4 AZR 1005/06 - NZA 2008, 713, 715). Die Klägerin ist Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft ver.di.

2. Die sich aus der Geltung des Tarifvertrages für das Arbeitsverhältnis der Parteien für die Ermittlung der Eingruppierung der Klägerin ergebenden Vorschriften lauten:

"§ 12

Eingruppierung

1. Die Eingruppierung der Arbeitnehmer richtet sich nach den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsordnung (Anlage B). Der Arbeitnehmer erhält Vergütung nach der Vergütungsgruppe, in die er eingruppiert ist.

2. Der Arbeitnehmer ist in die Vergütungsgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihm nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht.

Die gesamte auszuübende Tätigkeit entspricht den Tätigkeitsmerkmalen einer Vergütungsgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Vergütungsgruppe erfüllen.

..."

Die in § 12 Ziff. 1 Satz 1 MTV in Bezug genommene Anlage B lautet auszugsweise wie folgt:

"Anlage B zum Manteltarifvertrag vom 24.09.2004 Pflegepersonal

...

Vergütungsgruppe Ap IV

1. Altenpflegerinnen mit entsprechender Tätigkeit

2. ...

Vergütungsgruppe Ap V

1. Altenpflegerinnen mit entsprechender Tätigkeit nach zweijähriger Bewährung in der Vergütungsgruppe Ap IV FG 1

..."

3. Danach war die Klägerin vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2006 in der VergGr. Ap IV eingruppiert. Seit dem 1. Januar 2007 ist sie nach VergGr. Ap V zu vergüten. Sie hat daher einen Anspruch auf die entsprechende Feststellung.

a) Die Auslegung eines Tarifvertrages durch das Berufungsgericht ist in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachzuprüfen (BAG 22. Oktober 2002 - 3 AZR 468/01 - AP TVG § 1 Auslegung Nr. 184 = EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 36). Dabei folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages oder die praktische Tarifübung ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (st. Rspr., zB Senat 30. Mai 2001 - 4 AZR 269/00 - BAGE 98, 35, 38 f.; 7. Juli 2004 - 4 AZR 433/03 - BAGE 111, 204, 209).

b) Bei Fallgruppen, die - wie die vorliegend entscheidungserheblichen - in der Weise aufeinander aufbauen, dass sich der Angestellte in der im Tätigkeitsmerkmal der niedrigeren Vergütungsgruppe geforderten Tätigkeit eine gewisse Zeit lang bewährt haben muss, ist zunächst zu prüfen, ob der Angestellte die allgemeinen Anforderungen der niedrigeren Vergütungsgruppe - hier der VergGr. Ap IV - erfüllt, und anschließend, ob das Merkmal der darauf aufbauenden höheren Vergütungsgruppe - hier der VergGr. Ap V - vorliegt.

c) Durch die Teilrechtskraft des Berufungsurteils steht fest, dass die Klägerin von der Beklagten seit dem 1. Januar 2005 nach der VergGr. Ap IV der Anlage B zum MTV zu vergüten ist, weil - so das Landesarbeitsgericht - die Tätigkeit der Klägerin das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. Ap IV (Altenpflegerinnen mit entsprechender Tätigkeit) erfüllt, die Bewährungszeit im Sinne des Tätigkeitsmerkmals der VergGr. Ap V Fallgruppe 1 der Anlage B zum MTV jedoch erst mit Inkrafttreten des MTV am 1. Januar 2005 zu laufen begonnen hat. Diese Auffassung hat der Senat in seiner dieselbe Einrichtung betreffenden Entscheidung vom 17. Oktober 2007 (- 4 AZR 1005/06 - NZA 2008, 713, 716 ff.) bereits ausführlich begründet.

d) Im zuletzt noch aufrechterhaltenen Teil hat die Revision Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die von der Klägerin begehrte Feststellung auch für die Zeit ab dem 1. Januar 2007 zu Unrecht abgelehnt. Denn die Klägerin ist seit dem 1. Januar 2007 in der VergGr. Ap V eingruppiert, weil sie sich vorher zwei Jahre lang in der VergGr. Ap IV Fallgruppe 1 der Anlage B zum MTV bewährt hat.

aa) Die Klägerin übt die Tätigkeit einer Altenpflegerin nach VergGr. Ap IV 20 Fallgruppe 1 der Anlage B zum MTV seit dem 1. Januar 2005 aus.

bb) In dieser Tätigkeit hat sie sich auch bewährt. Hinsichtlich des Begriffs 21 der Bewährung ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien sich - wie in zahlreichen anderen Punkten - an dem im Tarifwerk des öffentlichen Dienstes gebräuchlichen Begriff orientierten, zB in § 2Sa Abs. 2 Nr. 1 BAT, der auf eine Formulierung der Rechtsprechung des Senats zurückgeht (zB 24. Juni 1960 - 4 AZR 565/58 - AP TOA § 3 Nr. 70). Danach ist das Erfordernis der Bewährung dann erfüllt, wenn der Angestellte während der vorgeschriebenen Bewährungszeit sich den in der ihm übertragenen Tätigkeit auftretenden Anforderungen der Ausgangsvergütungsgruppe gewachsen gezeigt hat. Der Angestellte muss keine herausragenden Leistungen erbringen. Es genügt die qualitative und quantitative Normalleistung, die nach den herkömmlichen Beurteilungssystemen mit "genügt den Anforderungen" zu bewerten wäre (Breier/Kiefer/Hoffmann/Dassau Eingruppierung und Tätigkeitsmerkmale für Beschäftigte im öffentlichen Dienst Stand Mai 2008 BAT § 23a Erl. 3).

Dass die Arbeit der Klägerin nicht beanstandet wurde und sie sich daher in diesem Sinne in ihrer Tätigkeit bewährt hat, wird von der Beklagten nicht bestritten. Auch sind keine sonstigen Anhaltspunkte ersichtlich, die gegen die Annahme einer tariflichen Bewährung sprechen würden.

4. Dementsprechend ist das Urteil des Landesarbeitsgerichts teilweise aufzuheben und das arbeitsgerichtliche Urteil auf die Berufung der Klägerin auch entsprechend ihrem Obsiegen in der Revision abzuändern. Ferner ist die Kostenentscheidung des Berufungsurteils, auch soweit es über die erstinstanzlichen Kosten entschieden hat, entsprechend dem Obsiegen und Unterliegen anzupassen, § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1, § 91 Abs. 1 ZPO.

III. Die Kosten des Rechtsstreits sind anteilig nach dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens in der Revision unter Berücksichtigung der Teilrücknahme der Revision zu verteilen, § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1, § 565, § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO.

Hinweise des Senats:

weitgehend parallel: Senat 17. Oktober 2007 - 4 AZR 1005/06 ua. - NZA 2008, 713



Ende der Entscheidung

Zurück