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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 29.08.2007
Aktenzeichen: 4 AZR 552/06
Rechtsgebiete: RSA


Vorschriften:

RSA § 3
RSA § 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

4 AZR 552/06

Verkündet am 29. August 2007

In Sachen

hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 29. August 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Bepler, die Richter am Bundesarbeitsgericht Bott und Dr. Wolter sowie die ehrenamtliche Richterin Pfeil und den ehrenamtlichen Richter Umlandt für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 16. März 2006 - 8 Sa 2007/05 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über das Bestehen eines Anspruchs auf Ersatz von Fahrtmehrkosten aus einem tariflichen Rationalisierungsschutzabkommen.

Die Klägerin ist seit dem 1. April 1974 als Kundenberaterin im Service bei dem beklagten Kreditinstitut, einer genossenschaftlichen Bank, beschäftigt, die im Sauerland mit Sitz in M einen Geschäftsbetrieb mit einer Reihe von Filialen führt. Das Filialnetz der Beklagten bestand bis zum 31. Dezember 2003 aus 18 Filialen. Wegen ihrer Absicht, ihr Filialnetz zu verschlanken, wandte sich die Beklagte unter dem 16. Mai 2003 mit folgendem - auszugsweise zitierten - Schreiben an ihre Mitarbeiter:

"...

der Markt für Finanzdienstleistungen wächst. Strukturvertriebe sind sehr erfolgreich, Banken machen Verluste, es bestehen veraltete und zu teure Strukturen, im internationalen Vergleich sind wir 'overbanked'. Diese Situation trifft auch auf uns zu. Wir haben eine gewollte Wachstumsschwäche durch mehrjährige Ausrichtung auf Risikoabbau, der Verwaltungsaufwand wächst, Kosten steigen trotz geringeren Wachstums, wir sind eine Flächenbank ohne regionale Kernmärkte, wir haben zu viele Filialen im Bankenvergleich. Lösungsansatz ist die Restrukturierung der Volksbank S, d.h. für uns mehr Vertrieb, weniger Verwaltung, stärkere Kundenorientierung, Kostenreduzierung u.a. durch die Schließung der Filialen, Aufbau eines Aussendienst, Verschlankung der Strukturen sowie Produktivitätserhöhung. Das Problem ist uns als Vorstand und dem Aufsichtrat seit 1999 bewußt. Mit den '4 Zielen' Mitgliederorientierung, Mittelstandsorientierung, perfekter Service und Niveau, ist die Strategie festgelegt. Die nächste Stufe der Umsetzung muss jetzt erfolgen. Die Volksbank S wird kurzfristig (bis März 2004) eine Restrukturierung des Filialnetzes durchführen. Das bedeutet, dass die Filialen F an die Volksbank Sc verkauft (bereits Ende 2003), C und N geschlossen und die Filialen R, V und Bi zu Selbstbedienungsfilialen umgewandelt werden.

Die Kunden der Filialen N und V sollen zukünftig von der nur 1-2 km entfernten Filiale B, die Kunden von Bi in der nahen Filiale O, von C in M oder Be betreut werden. Die Kunden der Filiale F werden an die Volksbank Sc übergeleitet. Die Kunden werden Ihre gewohnten Ansprechpartner in den genannten größeren Beratungszentren wiederfinden.

..."

Dieses Konzept setzte die Beklagte, die am 31. Dezember 2003 160 und am 31. März 2004 157 Arbeitnehmer beschäftigte, in der Folgezeit um. Am 31. Dezember 2003 wurde die Filiale F, besetzt mit der Klägerin und möglicherweise - insoweit sind die Darstellungen der Parteien unterschiedlich - einer weiteren Halbtagskraft, geschlossen und die Filiale R in M, in der zwei Arbeitnehmer beschäftigt waren, danach als Selbstbedienungsfiliale fortgeführt. Am 31. März 2004 wurden dann die Filialen C und N, besetzt mit jeweils zwei Arbeitnehmern, geschlossen und die Filiale Bi, ebenfalls besetzt mit zwei Arbeitnehmern, sowie die bis dahin mit drei Arbeitnehmern besetzte Filiale V in Selbstbedienungsfilialen umgewandelt. Alle betroffenen Arbeitnehmer wurden weiterbeschäftigt, und zwar die in F (Ortsteil von Sc) wohnhafte und in der dortigen von ihr zu Fuß aufgesuchten Filiale noch bis zum 20. Februar 2004 beschäftigte Klägerin zunächst ab 23. Februar 2004 bis 14. Mai 2004 in der Filiale Br, in der Folgezeit in der ca. 18 km von F entfernten Filiale Ra. Für den Weg zur Arbeitsstelle benutzt die Klägerin ihr Privatfahrzeug. Auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung vom 23. März 2001 erhielt die Klägerin für drei Monate eine Fahrtkostenerstattung. Für den Folgezeitraum ab 17. August 2004 machte die Klägerin mit Schreiben vom 6. November 2004 gegenüber der Beklagten weitere Ansprüche auf Fahrtkostenerstattung auf der Grundlage der Tarifvereinbarung zur Absicherung von Arbeitsplätzen und Einkommen bei Rationalisierungsmaßnahmen (Rationalisierungsschutzabkommen) - für das private Bankgewerbe, die öffentlichen Banken, Bausparkassen und die SPARDA-Banken - vom 14. April 1983 (RSA) geltend. Die Klägerin vertrat in diesem Schreiben die Auffassung, die Schließung der Filiale F und der weiteren fünf Filialen sei eine wesentliche Änderung der Arbeitsorganisation iSv. § 3 RSA, so dass ihr für die Dauer von zwölf Monaten ein Anspruch auf Ersatz der Fahrtmehrkosten zustehe. Die Beklagte, die nunmehr noch zwölf Filialen hat, wies diesen Anspruch mit Schreiben vom 20. Dezember 2004 mit der Begründung zurück, sie vermöge einen Anspruch auf Fahrtkostenerstattung auf der Grundlage des RSA nicht zu erkennen.

Die Klägerin nimmt mit ihrer Klage die Beklagte auf Ersatz ihrer Fahrtkosten für die Zeit vom 17. August 2004 bis 16. Mai 2005 in der zwischen den Parteien rechnerisch unstreitigen Höhe von insgesamt 1.695,60 Euro nebst Verzugszinsen in Anspruch. Sie ist der Auffassung, die Schließung der Filiale F sei insbesondere unter Berücksichtigung der Mitarbeiterinformation vom 16. Mai 2003 Teil eines einheitlichen Rationalisierungskonzeptes. Die in diesem Schreiben angesprochene Restrukturierung des Filialnetzes mit dem Ziel der Produktivitätserhöhung durch Verschlankung der Strukturen, Kostenreduzierung durch Schließung von Filialen, Aufbau eines Außendienstes usw. betreffe in gleicher Weise die Aufgabe der Filiale F wie auch die zeitgleich oder kurzfristig danach umgesetzte Schließung weiterer kleiner Filialen. Soweit die Beklagte angebliche Besonderheiten der Schließung der Filiale F aus dem Gesichtspunkt der "Doppelpräsenz" mit der dortigen Filiale der Volksbank Sc herleiten wolle, könne dies schon deshalb nicht überzeugen, weil an zahlreichen weiteren Standorten ebenfalls weitere Doppelpräsenzen - etwa zu den Filialen der Volksbank A, der Volksbank Br oder der Sparda-Bank Oe - bestünden, ohne dass dies zu Filialschließungen geführt habe. Übergreifender Gesichtspunkt der Filialschließungen sei vielmehr der Umstand, dass durchweg nur Filialen mit geringer Personalstärke von der Umstrukturierungsmaßnahme betroffen gewesen seien. In Anbetracht der Tatsache, dass im Bankgeschäft die Präsenz in der Fläche besondere Bedeutung besitze, könne die Reduzierung des Filialnetzes um 33 % - unabhängig von der Zahl der betroffenen Mitarbeiter - nicht als unwesentlich angesehen werden. Nicht nur für die beschäftigten Mitarbeiter, sondern auch für die betroffenen Kunden bedeute dies eine wesentliche Änderung der Arbeitsorganisation, wie etwa aus dem Umstand deutlich werde, dass die Beklagte für Kunden, welche infolge Filialschließungen größere Entfernungen zur nächsten Filiale zurückzulegen hätten, einen kostenlosen Bargeldservice nach Hause eingerichtet habe.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 853,20 Euro nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem derzeitigen Basiszinssatz der EZB seit dem 6. November 2004 zu zahlen sowie die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 842,40 Euro nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem derzeitigen Basiszinssatz der EZB seit dem 17. Februar 2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, im Gegensatz zu den übrigen Filialschließungen sei es ihr bei der Filiale F nicht um eine Straffung der Arbeitsorganisation unter Fortführung der Kundenbeziehungen in anderen Filialen gegangen, sondern um die Übertragung des Geschäfts auf die in F ebenfalls mit einer Filiale vertretene Volksbank Sc. Damit werde der Vorgabe des Bundesverbandes der Volks- und Raiffeisenbanken entsprochen, Doppelpräsenzen von Volksbanken an einem Ort zu vermeiden. Ohnehin habe die Filiale F räumlich außerhalb des Geschäftsgebietes gelegen, welches sich - in etwa dem Verlauf der Ruhr folgend - von W über Br, O, B, M, Be, Su, A bis N erstrecke. Schon aus diesem Grund sei die Schließung der Filiale F keineswegs Teil einer "Gesamtstrategie". Dies ergebe sich auch aus der Mitarbeiterinformation vom 16. Mai 2003. Dieses Schreiben belege deutlich die Unterschiedlichkeit von Motivation und Umsetzung der beabsichtigen Maßnahmen, so dass von einem "einheitlichen Konzept" keine Rede sein könne. Auch wenn es möglicherweise zutreffe, dass der Aufsichtsrat sowohl die Schließung der Filiale F als auch die weitere Straffung des Filialnetzes zeitgleich in einer Aufsichtsratssitzung beschlossen habe, könne hieraus nicht auf einen einheitlichen Charakter der Maßnahme geschlossen werden. Bereits im Jahre 1999 sei nämlich die Schließung der Filiale F nebst Übertragung des Kundenstammes auf die Volksbank Sc erwogen worden, wohingegen der Entschluss zur Straffung des Filialnetzes und zur Schließung fünf weiterer Filialen erst im Frühjahr 2003 getroffen worden sei. Damit fehlt es aber hinsichtlich der Schließung der Filiale F mit nur einem Mitarbeiter am Merkmal der "wesentlichen" Änderung der Arbeitsorganisation.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Im Ergebnis zutreffend haben die Vorinstanzen der Klage stattgegeben.

I. Die Klägerin hat gem. § 6 Ziff. 2b RSA gegen die Beklagte Anspruch auf Ersatz der der Höhe nach unstreitigen Fahrtkosten von insgesamt 1.695,60 Euro nebst der geforderten Zinsen. Denn die Versetzung der Klägerin von F nach Ra beruht auf einer Rationalisierungsmaßnahme der Beklagten iSv. § 3 RSA.

1. Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass das RSA auf ihr Arbeitsverhältnis anzuwenden ist.

2. Die für die Entscheidung des Rechtsstreits bedeutsamen Bestimmungen des RSA lauten:

"...

§ 3

Begriffsbestimmung

Rationalisierungsmaßnahmen i.S. dieses Tarifvertrages sind wesentliche Änderungen der Arbeitstechnik oder der Arbeitsorganisation zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens, sofern diese zu Versetzungen, Herabgruppierungen oder Kündigungen führen.

...

§ 6 Änderung der Tätigkeit - Versetzung

1. Ändert sich durch eine Rationalisierungsmaßnahme die Tätigkeit eines Arbeitnehmers an seinem bisherigen Arbeitsplatz, hat dieser Anspruch auf die notwendigen und geeigneten Maßnahmen zur Einarbeitung in die geänderte Tätigkeit. Dies gilt entsprechend bei einer Versetzung auf einen neuen Arbeitsplatz.

2. Ist die Versetzung mit einem Ortswechsel verbunden, so trägt der Arbeitgeber

a) bei einem notwendigen Wohnungswechsel die Kosten im Rahmen des Bundesumzugskostengesetzes,

b) für längestens 12 Monate die nachgewiesenen Mehrkosten für die Fahrt zum neuen Arbeitsort bzw. die nachgewiesenen Kosten der doppelten Haushaltsführung im Rahmen der steuerlich jeweils zulässigen Höchstbeträge.

..."

3. Im Ergebnis mit Recht haben die Vorinstanzen erkannt, dass die Versetzung der Klägerin in die Filiale Ra auf einer Rationalisierungsmaßnahme iSv. § 3 RSA beruht. Sie ist die Folge einer wesentlichen Änderung der Arbeitsorganisation zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit der Beklagten.

a) Der Rückzug der Beklagten aus dem Markt F ist eine Maßnahme der Arbeitsorganisation. Darunter ist das betriebliche Ordnungsgefüge für die im Betrieb arbeitenden Menschen zu verstehen, wobei sich die konkrete Arbeitsorganisation aus dem vorgegebenen Aufbau des einzelnen Betriebes ergibt und die Gliederung der Abteilungen, die Verteilung der Zuständigkeiten, die Zentralisierung oder Dezentralisierung usw. beinhaltet (Kappes/Sauer/Grimmke/Thau Kommentar zu den Tarifverträgen für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken 6. Aufl. Teil V RSA § 3 Anm. b). Die Filialstruktur eines Betriebes ist eine Erscheinungsform seines Aufbaus. Dieser besteht bei einer Flächenbank in der Unterhaltung eines Filialnetzes, um die Kunden im räumlichen Geschäftsbereich des Unternehmens durch in den Filialen tätige Mitarbeiter vor Ort zu betreuen. Verändert das Bankunternehmen seine Filialstruktur, gleich ob durch Filialzusammenlegung, -schließung oder Umwandlung vormals mit Servicepersonal besetzter Filialen in Selbstbedienungsfilialen, nimmt es eine Änderung der Arbeitsorganisation des Bankbetriebes vor. Die Schließung der Filiale F ist demgemäß ebenso eine Änderung der Arbeitsorganisation der Beklagten wie diejenige der Filialen C und N und die Übertragung der Kundenbetreuung in den auf Selbstbedienung umgestellten Filialen M (R), Bi und V auf benachbarte größere Filialen.

b) Der Senat tritt den Vorinstanzen im Ergebnis auch darin bei, dass die Versetzung der Klägerin auf einer "wesentlichen" Änderung der Arbeitsorganisation der Beklagten beruht.

aa) Der Tarifbegriff "wesentlich" in der Voraussetzungskombination "wesentliche Änderungen der Arbeitsorganisation" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Bei der Anwendung eines solchen Rechtsbegriffs durch das Berufungsgericht kann das Revisionsgericht nur prüfen, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff als solchen verkannt hat, ob es bei der Subsumtion Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist (st. Rspr. des BAG, zB Senat 16. Februar 2000 - 4 AZR 62/99 -BAGE 93, 340, 357; 27. Januar 1999 - 4 AZR 88/98 - BAGE 91, 8, 13; 14. April 1999 - 4 AZR 334/98 - BAGE 91, 185, 196 mwN; 26. September 2001 - 4 AZR 540/00 -).

bb) Bei Anwendung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs erweisen sich die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts im Ansatz als nicht zutreffend, wie die Beklagte mit Recht geltend macht. Das Landesarbeitsgericht hat zu dem Attribut "wesentlich" ausgeführt, anders als im Falle der Betriebsänderung gem. § 111 BetrVG erfordere die Rationalisierungsmaßnahme im Tarifsinne keine "grundlegende" Änderung der Betriebsorganisation. Mit der Beschränkung auf "wesentliche" Änderungen solle vielmehr allein zum Ausdruck gebracht werden, dass nicht jede noch so geringfügige Änderung der Arbeitsabläufe, auch wenn sie im Einzelfall Versetzungen oä. zur Folge habe, Ansprüche nach dem Rationalisierungsschutzabkommen auslösen solle. Die Beklagte vertritt hingegen unter Verweisung auf die der Senatsentscheidung vom 26. September 2001 (- 4 AZR 540/00 -) vorangegangene Entscheidung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 4. Juli 2000 (- 5 Sa 948/99 -) die Auffassung, Synonyme für den Begriff "wesentlich" seien "bedeutsam", "wichtig", "den Kern der Sache betreffend", "grundlegend". Die These, der Begriff "wesentlich" sei nicht gleichbedeutend mit "grundlegend" iSd. § 111 BetrVG, lasse sich ausgehend von dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht halten. Tatsächlich sei danach "wesentlich" mit "grundlegend" gleichzusetzen. Der Begriff "wesentlich" sei insoweit sogar "stärker" als der Begriff "grundlegend". Dies zeige die Verwendung dieser Begriffe in § 111 Satz 3 Ziff. 1 und 2 BetrVG ("wesentlichen Betriebsteilen") verglichen mit derjenigen in § 111 Satz 3 Ziff. 4 und 5 BetrVG ("grundlegende Änderungen ...", "grundlegend neuer Arbeitsmethoden ..."). In seiner Entscheidung vom 26. September 2001 (- 4 AZR 540/00 -) hat der Senat nicht allgemein definiert, wie der Tarifbegriff "wesentlich" als Attribut zu demjenigen der Arbeitsorganisation zu verstehen ist. Dessen bedurfte es nicht, weil die Klägerin jenes Rechtsstreits zur Begründung ihres Anspruchs - in jenem Fall auf eine Abfindung - allein auf die Zahl der entlassenen Arbeitnehmer (etwas mehr als 15 %) abgestellt hatte, ohne weiter darzulegen, welche Auswirkungen diese Entlassungen auf die Arbeitsorganisation der damaligen Beklagten gehabt habe. Der Senat hat sich daher auf die Wertung beschränkt, die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts, eine "wesentliche" Veränderung der Arbeitsorganisation im Tarifsinne setze die Notwendigkeit einer Veränderung des betrieblichen Ordnungsgefüges in einem Grundbestandteil verbunden mit Auswirkungen auf den Gesamtbetrieb voraus, seien revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

cc) Eine sichere oder jedenfalls zuverlässig praktikable Eingrenzung, welche Änderungen der Arbeitstechnik oder der Arbeitsorganisation "wesentlich" sind, ist kaum möglich. Unzutreffend ist es jedoch, den Begriff "wesentlich" von dem vom Landesarbeitsgericht als Antonym dazu verstandenen Begriff "geringfügig" zu bestimmen, wie die Beklagte dem Landesarbeitsgericht mit Recht vorwirft. Denn damit wird der Mittelbereich - weder wesentlich noch geringfügig, sondern "normal" oder "durchschnittlich" - zwischen den Antonymen fehlerhaft als "wesentlich" gewertet. Der Tarifbegriff "wesentlich" muss vielmehr in seinem Regelungszusammenhang aus sich selbst heraus ausgelegt werden. Danach kann das Tarifmerkmal sinnvoll als qualitative wie als quantitative Eingrenzung der in § 3 RSA aufgeführten - betrieblichen - Änderungen verstanden werden. Qualitativ ausgelegt bedeutet "wesentlich" - Adjektiv zu "Wesen" - in § 3 RSA, dass das Wesen der Arbeitsorganisation geändert sein muss. Sachgerecht erscheint aber auch seine Auslegung als Bezeichnung eines beträchtlichen Grades oder Ausmaßes der in § 3 RSA genannten Änderungen. Eine Einschränkung der - in dem einen wie in dem anderen Sinne - von dem RSA erfassten Rationalisierungsmaßnahmen nach Maßgabe des Relativsatzes des § 111 Satz 1 BetrVG - "die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können" -, sieht § 3 RSA nicht vor (anders Kappes/Sauer/Grimmke/Thau Teil V RSA § 3 Anm. d ohne Begründung). Eine solche einschränkende Auslegung entspricht nicht dem Tarifwortlaut. Denn die Tarifvertragsparteien haben bei Abschluss des RSA die gesetzliche Regelung des § 111 BetrVG gesehen und berücksichtigt, wie die Verweisung auf diese in § 11 RSA - "Schlussbestimmungen" - zeigt. Sie haben aber mit der Begriffsbestimmung in § 3 RSA eigenständig eingegrenzt, für welche Rationalisierungsmaßnahmen das RSA gelten soll, und dabei nicht im Sinne einer notwendigen Voraussetzung darauf abgestellt, dass die Maßnahmen wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können. Dies schließt im Einzelfall aber die Mitberücksichtigung dieses Umstandes bei der Wertung, ob eine Änderung der Arbeitsorganisation wesentlich ist, nicht aus.

dd) Im Ergebnis erweist sich die Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "wesentlichen" Änderung der Arbeitsorganisation durch das Landesarbeitsgericht jedoch als zutreffend. Auf der Grundlage seiner Feststellungen hat eine wesentliche Änderung der Arbeitsorganisation der Beklagten zur Versetzung der Klägerin geführt.

(1) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass die Verschlankung des Filialnetzes durch Schließung der Filialen F, C und N und die Umwandlung der Filialen M (R), V und Bi zu Selbstbedienungsfilialen eine - einheitliche - Rationalisierungsmaßnahme iSv. § 3 RSA war.

(a) Maßgeblicher Anknüpfungspunkt zur Bestimmung einer Rationalisierungsmaßnahme iSv. § 3 RSA ist die Planungsentscheidung des Arbeitgebers. Ändert der Arbeitgeber seine Rationalisierungsplanung, bevor er eine zunächst geplante Maßnahme durchgeführt hat, ist für die Bestimmung der Maßnahme die neue Planung maßgeblich (so BAG 28. März 2006 - 1 ABR 5/05 - AP BetrVG 1972 § 112a Nr. 12 = EzA BetrVG 2001 § 111 Nr. 4 zur Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 111 BetrVG für eine solche Fallgestaltung). Die Annahme der Einheitlichkeit der Rationalisierungsmaßnahme setzt auch weder die Gleichartigkeit aller von ihr umfassten Änderungen der Arbeitsorganisation noch die Gleichartigkeit der Gründe dafür voraus (vgl. auch insoweit BAG 28. März 2006 - 1 ABR 5/05 - aaO). Dafür enthält die Begriffsbestimmung der Rationalisierungsmaßnahmen in § 3 RSA keinen Anhaltspunkt.

(b) Demgemäß steht der Umstand, dass die Schließung der Filiale F wegen der dortigen Doppelpräsenz von Volksbanken von der Beklagten bereits 1999 in Erwägung gezogen worden ist, während die Straffung des Filialnetzes im Übrigen erst deutlich später geplant wurde, nicht der Wertung entgegen, dass es sich dabei um eine einheitliche Rationalisierungsmaßnahme handelt, die eine wesentliche Änderung der Arbeitsorganisation der Beklagten zum Inhalt hat. Da die Beklagte die ursprünglich auf die Filiale F beschränkte Rationalisierungsplanung noch nicht durchgeführt hatte, als sie diese erweiterte, wurde die ursprüngliche Planung Bestandteil des neuen erweiterten Rationalisierungskonzeptes. Die Mitarbeiterinformation vom 16. Mai 2003 belegt unzweideutig, dass der schon 1999 ins Auge gefasste Rückzug der Beklagten aus F Teil eines einheitlichen Filialverschlankungskonzeptes der Beklagten geworden ist. Dies hat das Landesarbeitsgericht überzeugend dargelegt, indem es darauf verwiesen hat, darin kündige die Beklagte die "Umsetzung" einer zuvor festgelegten "Strategie" an, die die Filiale F als eine von sechs betroffenen Filialen nenne. Bestätigt wird dies durch das von der Beklagten vorgelegte Gesprächsprotokoll des Vorstandes zur Mitgliederversammlung B vom 10. November 2003, die lediglich hinsichtlich der Motive der Veränderung des Filialnetzes zwischen der Filiale F und den anderen fünf hier interessierenden Filialen unterscheidet, die Verschlankung des Filialnetzes als solche hingegen als einheitliche Maßnahme der Umgestaltung der Filialstruktur mit einer "jährlichen Kostenreduzierung in einer Größenordnung von 500 T€" auf Dauer darstellt. Dass die Schließung der Filiale F einerseits und diejenige der Filialen C und N sowie die Umstellung der Filialen M (R), V und Bi auf Selbstbedienung andererseits nach der Behauptung der Beklagten auf unterschiedlichen Gründen beruhten, ist unerheblich. Die Beklagte hat in den Vorinstanzen keinen vom Inhalt der Mitarbeiterinformation vom 16. Mai 2003 und des Gesprächsprotokolls vom 10. November 2003 abweichenden Sachvortrag unter Beweis gestellt. Sie zieht aus dem Inhalt dieser Urkunden lediglich ihr günstige Schlussfolgerungen bezüglich der Annahme einer wesentlichen Betriebsänderung. Die Erhebung der von ihr angebotenen Beweise zu den Motiven und zur Einheitlichkeit der Organisationsänderung war daher entbehrlich, so dass die Kritik der Beklagten an der Nichterhebung dieser Beweise unberechtigt ist.

(2) Diese einheitliche Rationalisierungsmaßnahme ist eine "wesentliche" Änderung der Arbeitsorganisation der Beklagten sowohl im qualitativen als auch im quantitativen Sinne des Tarifbegriffs. Die Beklagte selbst unterscheidet qualitativ zwischen "großen" und "kleineren Filialen", wenn sie ausführt, die Umgestaltung des Filialnetzes habe sich auf die Schließung der "kleineren Filialen" beschränkt. Die Betreuung eines Teils ihrer Kunden in den "kleineren" Filialen war damit ein Wesenselement ihrer Arbeitsorganisation. Deren Schließung hat demzufolge deren Wesen geändert. Auch in quantitativen Sinne ist die Schließung bzw. Umwandlung der sechs Filialen eine wesentliche Änderung der Arbeitsorganisation. Denn die Organisationsänderung betraf ein Drittel von vormals insgesamt 18 Filialen der Beklagten. Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, dass die Eingliederung kleinerer Filialen in größere Organisationseinheiten zugleich Auswirkungen auf die innerbetriebliche Hierarchie und Aufgabenverteilung hat. Dies ist entgegen der Kritik der Beklagten an diesen Ausführungen keine Mutmaßung, sondern versteht sich von selbst. Hinzu kommt als Änderung der Arbeitsorganisation die Einrichtung eines kostenlosen Bargeldservices für nach der Filialnetzverschlankung filialfern wohnhafte Kunden in einem Drittel des Geschäftsgebietes der Beklagten, denn nach deren eigener karthografischer Darstellung war der räumliche Einzugsbereich aller 18 Filialen gleich groß. Für die Annahme einer wesentlichen Änderung der Arbeitsorganisation spricht schließlich der Umstand, dass sich das von der Beklagten erwartete Einsparvolumen der Filialnetzverschlankung auf 500.000,00 Euro p.a. beläuft. Dies versteht die Beklagte selbst als wesentliche Kostensenkung, wenn sie darauf zur Begründung ihrer Restrukturierungsmaßnahmen verweist.

4. Die Neugestaltung des Filialnetzes der Beklagten diente der Steigerung ihrer Wirtschaftlichkeit. Der Abbau von Kosten ist eine Form der Steigerung der Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens. Die Beklagte hat als eines der mit der Änderung der Filialstruktur erstrebten Ziele in der Mitarbeiterinformation vom 16. Mai 2003 zB die "Produktivitätserhöhung" angeführt und in der Mitgliederversammlung vom 10. November 2003 - wie bereits ausgeführt worden ist - die dadurch auf Dauer zu erwartende Kostenreduzierung auf 500.000,00 Euro jährlich beziffert.

5. Die Rationalisierungsmaßnahme hat streitlos zur Versetzung der Klägerin von F nach Ra geführt.

6. Damit hat die Klägerin Anspruch auf Ersatz der der Höhe nach unstreitigen Fahrtkosten.

7. Gegen den Zinsanspruch wendet sich die Beklagte nicht.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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