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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 25.10.2000
Aktenzeichen: 4 AZR 596/99
Rechtsgebiete: MTV


Vorschriften:

Manteltarifvertrag für die Metallindustrie (Hamburg/Schleswig-Holstein) vom 18. Mai 1990 § 3 Ziff. 1.1
Manteltarifvertrag für die Metallindustrie (Hamburg/Schleswig-Holstein) vom 18. Mai 1990 § 3 Ziff. 4.1
Manteltarifvertrag für die Metallindustrie (Hamburg/Schleswig-Holstein) vom 18. Mai 1990 § 3 Ziff. 4.5
Manteltarifvertrag für die Metallindustrie (Hamburg/Schleswig-Holstein) vom 18. Mai 1990 § 3 Ziff. 5
Manteltarifvertrag für die Metallindustrie (Hamburg/Schleswig-Holstein) vom 18. Mai 1990 § 6 Ziff. 1
Manteltarifvertrag für die Metallindustrie (Hamburg/Schleswig-Holstein) vom 18. Mai 1990 § 7 Ziff. 2.1
1. Der MTV für die Metallindustrie (Hamburg/Schleswig-Holstein) vom 18. Mai 1990 erlaubt in Verbindung mit dem Beschäftigungssicherungstarifvertrag in der Metallindustrie (Hamburg/Schleswig-Holstein) vom 16. Dezember 1996/3. Februar 1997 die Flexibilisierung der regelmäßigen Arbeitszeit für einen Ausgleichszeitraum von 12 Monaten auf Betriebsebene.

2. Wird ein im Vollzug einer tarifgerechten Betriebsvereinbarung über die flexible Gestaltung von Arbeitszeiten vor Ablauf des Ausgleichszeitraums entstandener sog. Plusstundensaldo durch Zahlung des Stundenlohnes abgebaut, so sind auf diese Stundenlöhne keine Mehrarbeitszuschläge zu leisten.


BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

4 AZR 596/99 4 Sa 586/98

Verkündet am 25. Oktober 2000

In Sachen

hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 25. Oktober 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Schliemann, die Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Friedrich und Dr. Wolter, den ehrenamtlichen Richter Valentien und die ehrenamtliche Richterin Scherweit-Müller für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 3. Juni 1999 - 4 Sa 586/98 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob tarifvertragliche Mehrarbeitszuschläge zu zahlen sind, wenn ein im Rahmen tarifgemäßer flexibler Arbeitszeit vor Ablauf des Ausgleichszeitraumes entstandener Plusstundensaldo durch Bezahlung ausgeglichen wird.

Der Kläger ist seit 1989 als gewerblicher Arbeitnehmer bei der Beklagten beschäftigt. Er ist Mitglied des bei der Beklagten gewählten Betriebsrates. Kraft beiderseitiger Tarifbindung finden auf das Arbeitsverhältnis der Manteltarifvertrag für die Metallindustrie in Hamburg und Umgebung und in Schleswig-Holstein vom 18. Mai 1990/ 15. März 1994 idF vom 3.2.1997 (MTV) und der Beschäftigungssicherungstarifvertrag vom 16. Dezember 1996/3. Februar 1997 Anwendung.

Am 26. Januar 1996 schloß die Beklagte mit dem Betriebsrat die Betriebsvereinbarung "Umsetzung der 35-Stunden-Woche gemäß MTV § 3 Abs. 1.1" mit Geltung seit dem 4. März 1996 (BV 1996) ab. Sie enthält ua. die folgenden Regelungen:

"1. Die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit aller gemäß Tarifvertrag beschäftigten Mitarbeiter beträgt im Durchschnitt 35 Stunden für jeden Mitarbeiter mit einem Ausgleichszeitraum von 3 bzw. 6 Wochen. ...

2. Die tägliche Arbeitszeit beträgt 7,5 Stunden mit einer Pause von 30 Minuten. ...

3. Je nach Schichtplan werden alle 3 oder 6 Wochen für jeden Mitarbeiter Freischichten zur Erfüllung der 35-Stunden-Woche festgelegt. Dies geschieht in Form eines individuellen, persönlichen, fortlaufenden Jahresarbeitskalender.

11. Aus betriebsbedingten Gründen kann sich eine andere Verteilung der Schichtpläne auf die Arbeitsplätze ergeben. Hierfür gilt abweichend von Punkt 14 eine einmonatige Ankündigungsfrist.

12. Entsprechend den vorgenannten Bestimmungen werden für jeden Mitarbeiter in der zentralen Zeiterfassung der Arbeitsvorbereitung die Zeiten für Arbeitsbeginn und Arbeitsende dokumentiert. Die mit einzelnen Mitarbeitern festgelegten individuellen Arbeitszeiten (Zeitmodelle) werden für die Abrechnung zugrundegelegt. Mehrarbeit wird abgerechnet, sofern sie von der Betriebsleitung angeordnet worden ist."

In Ziff. 8 bis 10 der BV 1996 sind die Schichtpläne bzw. Arbeitszeiten für die verschiedenen Abteilungen geregelt.

Am 29. April 1997 wurde die "Betriebsvereinbarung über die flexible Gestaltung der Arbeitszeit" (BV 1997) geschlossen, die am 15. Mai 1997 in Kraft trat. Diese lautet auszugsweise:

"...

III. Festlegung der Arbeitszeit

1. Entsprechend den betrieblichen Erfordernissen und den Bestimmungen des ArbZG sowie des MTV wird das Arbeitszeitvolumen unterschiedlich für bestimmte Arbeitsbereiche, Arbeitsgruppen, gegebenenfalls auch für einzelne Beschäftigte, verteilt. Die Festlegung der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit erfolgt nach Information des Betriebsrates und der Mitarbeiter mit einer Ankündigungsfrist von drei Arbeitstagen. Der Betriebsrat berät innerhalb der Ankündigungsfrist.

2. Die Über- bzw. Unterschreitung der individuellen regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit (Sollarbeitszeit) wird für jeden Mitarbeiter auf einem Zeitkonto erfaßt, über dessen Stand er sich informieren kann. Dabei können maximal 130 Plusstunden angesammelt werden. Darüber hinausgehende Zeitguthaben werden im Folgemonat abgegolten. Ferner darf das Zeitkonto mit maximal 50 Minusstunden belastet werden.

3. Die tarifliche individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit muß im Durchschnitt von längstens 12 Monaten erreicht werden.

...

5. Verbleibt am Ende des Ausgleichszeitraumes ein Saldo auf dem Zeitkonto, treffen Geschäftsleitung und Betriebsrat im beiderseitigen Einvernehmen eine Regelung über den notwendigen Ausgleich.

...

IV. Lage der Arbeitszeit einschließlich der Pausen

1. Beginn und Ende der individuellen regelmäßigen täglichen Arbeitszeit sowie die Lage der Pausen richtet sich nach der Betriebsvereinbarung vom 26.1.96.

2. Aufgrund der flexiblen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit können sich jeweils unterschiedliche Zeitpunkte bezüglich Beginn und/oder Ende der täglichen Arbeitszeit (bzw. ggfs. Früh-, Spät- oder Nachtschicht) ergeben.

V. Vergütung

Plus- und Minusstunden auf dem Zeitkonto haben keinen Einfluß auf die monatliche Vergütung, da diese über das ganze Jahr hinweg gleichmäßig gezahlt wird.

Bei einer Arbeitszeit von mehr als 45 Std/Woche handelt es sich um zuschlagspflichtige Mehrarbeit. Mehrarbeit muß grundsätzlich genehmigt und angeordnet sein.

...

VII. Beendigung des Arbeitsverhältnisses

1. Bei fristgemäßer Kündigung sind die auf dem Zeitkonto erfaßten Zeitguthaben rechtzeitig auszugleichen. Ist der Ausgleich bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich, wird das Zeitguthaben mit dem normalen Stundenverdienst vergütet.

...

VIII. Zeitkontenausgleich

Geschäftsleitung und Betriebsrat werden umgehend mit den Tarifvertragsparteien in Verhandlung treten, um eine Regelung für den Ausgleich des Zeitkontos zu treffen. Die Regelung soll bis zum 20.6.97 vorliegen.

..."

Mit der Dezemberabrechnung zahlte die Beklagte an etwa 100 Mitarbeiter die Vergütung für den Plusstundensaldo, und zwar ohne den tariflichen Mehrarbeitszuschlag von 20 %. Zumindest bis zu diesem Zeitpunkt war eine Regelung über den Zeitkontenausgleich gem. Ziff. VIII BV 1997 nicht zustande gekommen. Die Beklagte schloß mit der IG Metall die folgende Vereinbarung (ohne Datum) ab:

"Zwischen der Geschäftsleitung der Firma M. J GmbH & Co. KG, M 1, S, und der Industriegewerkschaft Metall, Verwaltungsstelle F, R Str. 1, F, wird vereinbart, daß der Streitpunkt, ob die im Dezember 1997 ausgezahlten Arbeitsstunden mit Mehrarbeitszuschlägen gezahlt werden oder nicht, in einem Musterprozeß geklärt wird. In diesem Zusammenhang wird auf die tariflichen Ausschlußfristen verzichtet."

Der Kläger erhielt entsprechend der Dezemberabrechnung für 52,55 Plusstunden seinen Stundenlohn von 23,14 DM brutto. Der Kläger beansprucht für diese vergüteten Plusstunden den tariflichen Mehrarbeitszuschlag von 20 %. Er hat die Auffassung vertreten, der Plusstundensaldo stelle tarifliche Mehrarbeit iSd. § 7 Ziff. 2.1 MTV dar, da es sich um Arbeitszeit handele, die über die tarifliche individuelle regelmäßige Arbeitszeit von 35 Stunden in der Woche hinausgehe. Die in § 3 Ziff. 4.5 MTV iVm. Ziff. 5 des Beschäftigungssicherungstarifvertrages vom 16. Dezember 1996/3. Februar 1997 (TV Beschäftigungssicherung) getroffene Regelung, daß bei ungleichmäßiger Verteilung der Arbeitszeit auf mehrere Wochen die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Durchschnitt von längstens 12 Monaten erreicht werden müsse, führe nicht zu einer Änderung der tariflichen Definition von Mehrarbeit. Im übrigen sei die Beklagte nicht in der Lage gewesen, die angesparte Zeit in Freizeit auszugleichen. In der auftragsstarken Zeit sei für alle Beschäftigten eine wöchentliche Arbeitszeit von 37,5 Stunden festgelegt worden. Ein Zeitausgleich der Guthabenstunden sei nicht möglich gewesen, weil der erwartete geringere Arbeitszeitbedarf infolge anhaltender Aufträge nicht eingetreten sei. Die Beklagte habe aus diesem Grund die Auszahlung vorgenommen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 243,20 DM brutto zuzüglich 4% Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die BV 1997 regele die Verteilung der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf die einzelnen Werktage, wie dies gem. § 3 Ziff. 4 MTV erlaubt sei. Flexible Arbeitszeit führe nicht zu Mehrarbeit im Sinne des Tarifvertrages, da die individuelle Arbeitszeit nicht überschritten werde. Ziffer V der BV 1997 enthalte das Zugeständnis der Beklagten an die Mitarbeiter, daß die Arbeitszeit von über 45 Stunden in der Woche wie zuschlagspflichtige Mehrarbeit behandelt werde. Die Auszahlung des Stundenguthabens an die Mitarbeiter sei auf deren ausdrücklichen Wunsch erfolgt und zwar zu einem Zeitpunkt, als der Ausgleich in Freizeit in den Grenzen der 12-Monats-Frist noch ohne weiteres möglich gewesen wäre. Im übrigen sei der Anspruch des Klägers ohnehin gem. § 16 Ziff. 1.1 a MTV verfallen, da er nicht innerhalb von vier Wochen nach Erhalt der Entgeltabrechnung geltend gemacht worden sei. Die zwischen der IG Metall und der Beklagten getroffene Musterprozeßvereinbarung greife nicht, da diese sich nur auf die übrigen Prozesse beziehe, nicht aber auf den Musterprozeß selber.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die Berufung zugelassen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des Arbeitsgerichtsurteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch des Klägers auf Zahlung des tariflichen Mehrarbeitszuschlags für das im Dezember 1997 vergütete Plusstundensaldo zu Recht zurückgewiesen.

I. Der Klageantrag ist zulässig, insbesondere ist er hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Streitgegenstand ist der Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge für den mit der Lohnabrechnung für den Dezember gegenüber dem Kläger abgerechneten Arbeitsstundensaldo (sog. Plusstundensaldo). Wie dieser Saldo zustande gekommen ist, ist für die Bestimmtheit des Klageantrags ohne rechtliche Bedeutung. Denn es wird nicht über den Saldo oder dessen Zustandekommen gestritten, sondern nur darüber, ob auf die per Saldo ausgewiesene Stundenzahl Mehrarbeitszuschläge zu zahlen sind.

II. Die Klage ist unbegründet. Der aus im Vollzug der BV 1997 für den Kläger entstandene Plusstundensaldo ist keine nach § 7 Ziff. 2.1 MTV zuschlagspflichtige Mehrarbeit iSv. § 6 Ziff. 1 MTV. Das ergibt die Auslegung des MTV.

1. Die einschlägigen Regelungen des MTV lauten:

§ 3

Arbeitszeit

1. Regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit

1.1 Die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit ohne Pausen beträgt

...

ab 01.10.1995 35 Stunden

1.2 Soll für einzelne Arbeitnehmer die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf bis zu 40 Stunden verlängert werden, bedarf dies der Zustimmung des Arbeitnehmers. Der Betriebsrat ist vorher zu informieren.

...

4. Verteilung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit

4.1 Die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit kann gleichmäßig oder ungleichmäßig auf die fünf Werktage Montag bis Freitag durch Betriebsvereinbarung verteilt werden.

...

4.5 Bei ungleichmäßiger Verteilung der Arbeitszeit auf mehrere Wochen muß die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Durchschnitt von längstens sechs Monaten erreicht werden. In den Betriebsvereinbarungen über die Arbeitszeitverteilung sind auch Beginn und Ende der Ausgleichszeiträume festzulegen.

...

5. Regelmäßige tägliche Arbeitszeit

Die Arbeitszeit an den einzelnen Werktagen sowie Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Pausen werden gemäß § 87 BetrVG durch Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat nach Maßgabe der betrieblichen Erfordernisse unter Beachtung der arbeitszeitrechtlichen Vorschriften festgesetzt.

...

§ 6

Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit

1. Begriff der Mehrarbeit

Mehrarbeit ist die angeordnete Überschreitung der individuellen regelmäßigen täglichen Arbeitszeit, die bis zum Arbeitsbeginn des darauffolgenden Tages abgefordert wird.

...

5. Ausgleich von Mehrarbeit

Mehrarbeit bis 16 Stunden im Monat kann im einzelnen Fall auch durch bezahlte Freistellung von der Arbeit ausgeglichen werden. Bei mehr als 16 Mehrarbeitsstunden im Monat kann der Arbeitnehmer die Abgeltung durch bezahlte Freistellung von der Arbeit verlangen, soweit dem nicht dringende betriebliche Belange entgegenstehen. Der Freizeitausgleich hat in den folgenden sechs Monaten zu erfolgen.

Mehrarbeitszuschläge sind grundsätzlich in Geld zu vergüten.

...

§ 7

Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit

...

2. Zuschläge für gewerbliche Arbeitnehmer im Tarifgebiet Schleswig-Holstein

2.1 Der Mehrarbeitszuschlag beträgt

a) für die beiden ersten Überstunden täglich 20 %

b) für die folgenden Überstunden 40 %

..."

Durch Ziff. 5.1 TV Beschäftigungssicherung ist der Ausgleichszeitraum gem. § 3 Ziff. 4.5 MTV auf 12 Monate verlängert worden.

2. Die Auslegung des normativen Teils des Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (Senat 5. Oktober 1999 - 4 AZR 578/98 - AP TVG § 4 Teilzeitdienstsicherung Nr. 15).

3. Nach § 6 Ziff. 1 MTV ist Mehrarbeit im tariflichen Sinne die angeordnete Überschreitung der individuellen regelmäßigen täglichen Arbeitszeit (IRTAZ). Der in § 6 Ziff. 1 MTV enthaltene Begriff der "regelmäßigen täglichen Arbeitszeit" wird in § 3 Ziff. 5 MTV dahingehend beschrieben, daß die Arbeitszeit an den einzelnen Werktagen, deren Beginn bzw. Ende und die Pausen gem. § 87 BetrVG durch Betriebsvereinbarung festgesetzt werde. Dabei kann von der Möglichkeit einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung gem. § 3 Ziff. 4 MTV Gebrauch gemacht werden. Bei flexibler Arbeitszeitgestaltung ist die durch die Betriebsvereinbarung festgelegte jeweilige tägliche Sollarbeitszeit die individuelle regelmäßige Arbeitszeit (IRTAZ). Nur die angeordnete Überschreitung dieser festgesetzten täglichen Arbeitszeit stellt Mehrarbeit dar. Es wäre widersprüchlich, anzunehmen, daß die IRTAZ trotz solcher tarifkonformen Arbeitszeitflexibilisierung sieben Stunden pro Tag beträgt, dh. die sich bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden gem. § 3 Ziff. 1.1 MTV und typischerweise fünf Arbeitstagen gem. § 3 Ziff. 4 MTV bei gleichmäßiger Verteilung pro Tag ergebende Stundenzahl. § 3 Ziff. 4.1 MTV sieht vielmehr ausdrücklich vor, daß die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit durch Betriebsvereinbarung gleichmäßig oder ungleichmäßig auf die fünf Werktage Montag bis Freitag verteilt werden kann. Ebensowenig ist dabei, wie der Kläger meint, auf die regelmäßige tägliche Arbeitszeit von 7,5 Stunden mit der Gewährung von Freischichten gem. Ziff. 2 und 3 BV 1996 abzustellen, weil diese Regelung insoweit durch die BV 1997 über die flexible Gestaltung der Arbeitszeit abgelöst worden ist.

4. Weder der hier geltende Tarifvertrag noch das Gesetz enthalten eine Regelung, wonach ein sich aus der Flexibilisierung der täglichen Arbeitszeit ergebender Zwischensaldo der Arbeitsstunden, der ein Plus zugunsten des Arbeitnehmers ausweist, als Mehrarbeit zu vergüten wäre. Die Flexibilisierung der Menge der täglichen Arbeitszeit ermöglicht vielmehr - gemessen am Durchschnitt der Arbeitszeit im Ausgleichszeitraum - längere oder kürzere Tagesarbeitszeiten, ohne daß infolge der Abweichung vom Durchschnitt (zuschlagpflichtige) Mehrarbeit entsteht oder der Arbeitgeber in Annahmeverzug gerät. Der jeweilige Stundensaldo während des Ausgleichszeitraumes beschreibt keine Mehr- oder Minderarbeit, sondern nur ein Zeitguthaben bzw. eine Zeitschuld. Vorliegend ermöglicht § 3 Ziff. 4.1 MTV eine solche Arbeitszeitflexibilisierung innerhalb des durch § 3 Ziff. 4.5 MTV, 5.1 TV-Beschäftigungsförderung bestimmten Ausgleichszeitraumes von zwölf Monaten.

Das bedeutet nicht, daß bei Einführung der flexiblen Arbeitszeit keine tarifliche Mehrarbeit entstehen kann. Mehrarbeit iSv. § 6 Ziff. 1 MTV entsteht vielmehr auch dann, wenn die im Rahmen der flexiblen Arbeitszeit für den jeweiligen Arbeitstag per Betriebsvereinbarung festgelegte Arbeitszeit aufgrund einer Anordnung überschritten wird. Die dabei entstehende Mehrarbeit ist eine eigene arbeitszeitrechtliche Kategorie und fließt auch nicht in den Stundensaldo der flexiblen Arbeitszeit ein. Diese Mehrarbeit im tariflichen Sinne ist in §§ 6, 7 MTV geregelt. Auf sie sind im Unterschied zu einem Plusstundensaldo grundsätzlich Mehrarbeitszuschläge zu leisten; auch dann, wenn die Mehrarbeitsstunden durch eine entsprechende bezahlte Zeitfreistellung ausgeglichen werden (§ 3 Ziff. 5 MTV).

5. Ausgehend von dieser tariflichen Regelung ist der dem Kläger mit der Dezemberabrechnung vergütete Plusstundensaldo keine Mehrarbeit im tariflichen Sinne. Der Saldo ist als Zwischensaldo im Vollzug der flexiblen Arbeitszeitgestaltung nach der BV 1997 entstanden und war dem Zeitausgleich zugänglich. Daß der Zwischensaldo statt dessen vergütet worden ist, begründet keinen tarifvertraglichen Mehrarbeitszuschlag für die vergüteten Plusstunden.

a) Durch die BV 1997 ist in dem Betrieb auf der Basis der Arbeitszeitregelung in der BV 1996 die flexible Arbeitszeit eingeführt worden. Die BV 1996 enthält in Ziff. 8 bis 10 konkrete Schichtpläne bzw. Arbeitszeitregelungen für die jeweils benannten Arbeitsplätze bzw. Abteilungen. In Ziff. 11 ist die Möglichkeit einer anderen Verteilung der Schichtpläne auf die Arbeitsplätze mit einer Ankündigungsfrist von einem Monat geregelt. Die BV 1997 verweist zum einen in Ziff. IV 1 hinsichtlich des Beginns und des Endes der individuellen regelmäßigen Arbeitszeit und der Länge der Pausen auf die BV 1996, somit also auch auf die Schichtpläne und sonstigen Arbeitszeitregelungen. Ziff. III enthält ausgehend davon die Regelungen über die Flexibilisierung dieser Arbeitszeiten mit der Möglichkeit der geänderten Festlegung der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit mit einer Ankündigungsfrist von drei Tagen (Ziff. III 1), der Führung und Begrenzung des Zeitsaldos (Ziff. III 2) und der Regelung über den Zeitausgleich (Ziff. III 3 bis 5). Dementsprechend wird in Ziff. IV 2 klargestellt, daß sich gegenüber der Regelung in der BV 1996 auf Grund der flexiblen Arbeitszeitverteilung unterschiedliche Zeitpunkte bezüglich Beginn und/oder Ende der täglichen Arbeitszeit ergeben können. Das sich für den Kläger bzw. andere Arbeitnehmer im Vollzug dieser betrieblichen Regelung ergebende Plusstundensaldo ist entsprechend den obigen Darlegungen keine Mehrarbeit im tariflichen Sinne.

b) Daran ändert sich auch nichts, daß die Vergütung des Plusstundensaldos im Dezember 1997 möglicherweise nicht regelungskonform war.

In Ziff. III 5 BV 1997 ist vorgesehen, daß Geschäftsleitung und Betriebsrat eine Regelung über den Zeitausgleich treffen sollen, wenn am Ende des Ausgleichszeitraums ein Saldo auf dem Zeitkonto verbleibt. Beginn und Ende des Ausgleichszeitraums sind in der BV 1997, wie es in § 3 Ziff. 4.5 MTV vorgesehen ist, nicht ausdrücklich bestimmt. Nach den vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Vergütung des Plusstundensaldos im Dezember 1997 regelungskonform nach Ende des Ausgleichszeitraums aufgrund einer Vereinbarung der Betriebsparteien iSv. Ziff. III 5 BV 1997 erfolgt ist. Darauf kommt es aber nicht an. Auch wenn die Vergütung des Plusstundensaldos dem MTV bzw. der BV 1997 widersprochen hätte, führt das nicht dazu, daß die damals saldierten Plusstunden zu Mehrarbeit iSd. Tarifvertrages geworden sind. Denn der Saldo war nur ein Zwischensaldo. Der Ausgleichszeitraum betrug zwölf Monate (Ziff. III 3 BV 1997). Er lief frühestens am 29. April 1998 ab. Denn die BV 1997 ist am 29. April 1997 abgeschlossen worden und enthielt keine Bestimmung, daß sie rückwirkend gelte.

III. Auch unter dem vom Kläger geltend gemachten Gesichtspunkt, ihm stehe wegen der Unwirksamkeit der BV 1996 die Klageforderung als Mehrarbeitszuschlag auf die wöchentlich angefallenen Mehrarbeitsstunden zu, ist die Klage nicht begründet. Dabei kann dahinstehen, ob die BV 1997 unwirksam ist, sei es, wie der Kläger meint, weil die BV 1997 gegen Bestimmungen des MTV verstoße, oder sei es, weil die Regelung in Ziff. III 1 BV 1997 - falls sie dahingehend auszulegen ist, daß die Mitwirkungsrechte des Betriebsrates auch im Informationsrecht beschränkt sein sollen - ggf. gegen die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zur Ausübung betriebsverfassungsrechtlicher Mitbestimmungsrechte verstößt (vgl. ua. BAG 7. September 1956 - 1 AZR 646/54 - BAGE 3, 207, 212; 28. Oktober 1986 - 1 ABR 11/85 - AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 20; 26. Juli 1988 - 1 AZR 54/87 - AP BetrVG 1972 § 87 Provision Nr. 6). Denn selbst wenn man unterstellt, die BV 1997 sei unwirksam, ist die Klage nicht begründet. Denn dazu hätte der Kläger darlegen müssen, in welcher Woche welche zuschlagpflichtigen Mehrarbeitsstunden angefallen sind. Das aber hat der Kläger nicht getan. Zudem sind solche Ansprüche mangels rechtzeitiger Geltendmachung nach § 16 Ziff. 1.1 a MTV verfallen.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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