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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 12.12.2007
Aktenzeichen: 4 AZR 966/06
Rechtsgebiete: TVG, MTV TÜV SÜD


Vorschriften:

TVG § 1
Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der TÜV Süddeutschland Holding AG und deren im Einzelnen genannte Konzerngesellschaften vom 18. September 2000 idF vom 12. Juli 2002 (MTV TÜV SÜD)
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

Hinweise des Senats: ebenso zu der damit in ihren Grundzügen übereinstimmenden Regelung im JazTV DB BAG 6. November 2003 - 6 AZR 166/02 - BAGE 108, 281

4 AZR 966/06

Verkündet am 12. Dezember 2007

In Sachen

hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 12. Dezember 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Bepler, die Richter am Bundesarbeitsgericht Bott und Creutzfeldt sowie die ehrenamtlichen Richter Schmalz und Görgens für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 24. Mai 2006 - 10 Sa 1233/05 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger einen tariflichen Zuschlag auf ein Zeitguthaben aus einem Jahresarbeitszeitkonto beanspruchen kann.

Der Kläger ist seit dem 15. Januar 1979 bei der Beklagten als amtlich anerkannter Sachverständiger beschäftigt. Er ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Die Beklagte gehört zur TÜV Süddeutschland Holding AG. Für das Arbeitsverhältnis der Parteien gilt der Manteltarifvertrag (MTV TÜV SÜD) vom 18. September 2000 in der Fassung vom 12. Juli 2002, den die TÜV Süddeutschland Holding AG für ihre Arbeitnehmer und diejenigen der von ihr vertretenen namentlich aufgeführten Konzerngesellschaften mit der Gewerkschaft ÖTV abgeschlossen hat. In diesem Tarifvertrag ist eine Jahresarbeitszeit von 2.002 Stunden vereinbart. Die diesbezüglichen tarifvertraglichen Regelungen werden ergänzt durch die Betriebsvereinbarung 1/2003 über Arbeitszeit (BV 1/2003) für den Standort München einschließlich Ingolstadt (Großraum München), die für das Arbeitsverhältnis der Parteien gilt.

Die Arbeitsleistung des Klägers im Ausgleichszeitraum vom 1. April 2003 bis zum 31. März 2004 überschritt die tarifliche regelmäßige Jahresarbeitszeit von 2.002 Stunden um insgesamt 61,6 Stunden. Dieses Zeitguthaben - in der Betriebspraxis "Mehrarbeit" genannt - wurde in den darauffolgenden Ausgleichszeitraum vom 1. April 2004 bis zum 31. März 2005 übertragen. Am Ende dieses Ausgleichszeitraumes wies das Arbeitszeitkonto des Klägers einschließlich des ihm im Mai 2004 gewährten Freizeitausgleichs von 61,6 Stunden mit 2.049,4 Gesamtstunden ein Zeitguthaben von 47,4 Stunden auf. Damit hatte die tatsächliche Arbeitsleistung des Klägers in dem Ausgleichszeitraum vom 1. April 2004 bis 31. März 2005 nicht die tarifliche regelmäßige Arbeitszeit von 2.002 Stunden erreicht. In Höhe dieses Guthabens erhielt der Kläger bezahlte Freizeit. Er verlangt von der Beklagten darüber hinaus für diese 47,4 Stunden die Zahlung eines tariflichen Zuschlags von 30 %. Dieser Anspruch beläuft sich rechnerisch unstreitig auf 376,69 Euro brutto.

Der Kläger hat vorgetragen, der ihm gewährte Freizeitausgleich für sein Guthaben aus dem Ausgleichszeitraum vom 1. April 2003 bis 31. März 2004 sei für die Ermittlung eines Zeitguthabens im nachfolgenden Ausgleichszeitraum wie geleistete Arbeitszeit anzurechnen. Damit habe er die tarifliche regelmäßige Jahresarbeitszeit in dem Ausgleichszeitraum vom 1. April 2004 bis zum 31. Mai 2005 um 47,4 Stunden überschritten. Entgegen der Auffassung der Beklagten fordere er die Zuschläge nicht doppelt. Die Beklagte setze die 47,4 Stunden unzulässigerweise gleich mit den 61,6 Stunden, die bis zum 30. Juni 2004 auszugleichen gewesen seien. Diese Stunden habe er bis zu dem vorgenannten Zeitpunkt durch Freizeit genommen, wie es auch in der Betriebsvereinbarung 1/2003 geregelt sei. Damit habe er die geschuldete Arbeitszeit in dieser Höhe erfüllt. Bei den 47,4 Stunden handele es sich somit um neu hinzugekommene Stunden. Eine Ungleichbehandlung mit Mitarbeitern, die sich die Mehrarbeitsstunden aus dem Arbeitszeitkonto ausbezahlen ließen, liege nicht vor, da diese dafür gerade eine zusätzliche Vergütung erhielten.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 376,69 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, der Kläger habe das am 31. März 2005 bestehende Zeitguthaben bereits in dem früheren Ausgleichszeitraum vom 1. April 2003 bis zum 31. März 2004 erworben. Die Zuschläge dafür seien bereits ausbezahlt worden. Im folgenden Ausgleichszeitraum habe der Kläger tatsächlich weniger als die geschuldeten 2.002 Arbeitsstunden im Jahr gearbeitet und verlange dennoch für das restliche bestehende Guthaben einen Mehrarbeitszuschlag. Dies sei nach der tariflichen Regelung nicht möglich. Danach sei für ein und dieselbe geleistete Stunde nur einmal ein Mehrarbeitszuschlag zu bezahlen. Durch die erneute Bezahlung des Zuschlags im Falle der Gewährung des Freizeitausgleichs wären Arbeitnehmer benachteiligt, die sich ihr Zeitguthaben aus einem abgelaufenen Ausgleichszeitraum abgelten ließen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die Berufung für die Beklagte zugelassen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Mit Recht haben die Vorinstanzen der Klage stattgegeben.

I. Der Kläger hat nach § 2 Ziff. 2.11 MTV TÜV SÜD gegenüber der Beklagten Anspruch auf Ausgleichung seines Zeitguthabens von 47,4 Stunden per 31. März 2005 mit einem Zuschlag von 30 %. Dies sind streitlos 376,69 Euro brutto.

1. Für das Arbeitsverhältnis gilt der MTV TÜV SÜD unmittelbar und zwingend kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG). Dieser lautet, soweit für den Rechtsstreit von Bedeutung:

"§ 2 Arbeitszeit

...

2.2 Arbeitszeit

Die regelmäßige Jahresarbeitszeit beträgt 2002 Stunden.

Am 24.12. und 31.12. erfolgt bezahlte Freistellung von der Arbeit.

Mehrarbeit darf nur erbracht werden, wenn diese angeordnet ist.

...

2.5 Ausgleichszeitraum

In der Regel wird das sich aus der Jahresarbeitszeit nach Ziff. 2.2 ergebende Arbeitszeitvolumen auf einen Zeitraum von 12 Kalendermonaten / 52 Wochen verteilt. Die Lage des Ausgleichszeitraumes (bezogen auf das Jahr) wird von den jeweiligen Betriebsparteien festgelegt. Werden durch Betriebsvereinbarung (Einigungsstellenverfahren ausgeschlossen) kürzere Ausgleichszeiträume vereinbart, wird - mit entsprechender Quotierung der in diesem Tarifvertrag enthaltenen (auf 12 Monate bezogenen) Determinanten - das dem kürzeren Zeitraum entsprechende Arbeitszeitvolumen verteilt.

2.6 Zuschläge

Über der 48. Wochenstunde wird bei angeordneter Arbeit ein Zuschlag von 30 % bezahlt.

Für Nachtarbeit, Samstage, Sonn- und Feiertage werden folgende Zuschläge bezahlt:

- Nachtarbeit 22:00 bis 6:00 Uhr 60 %

- Samstag 40 %

- Sonntag 100 %

- Feiertag 150 %

Zuschläge werden nur einmal bezahlt, und zwar der jeweils höhere Zuschlag.

Basis für die Errechnung der Zuschläge sind die Festlegungen im Vergütungsrahmentarifvertrag und im Tarifvertrag für Altbeschäftigte.

2.7 Arbeitszeitkonto

Die geleistete Arbeitszeit wird für jeden Mitarbeiter auf einem Arbeitszeitkonto erfasst.

...

2.11 Abgleich am Ende des Ausgleichszeitraumes

Das tatsächliche Arbeitszeitvolumen darf am Ende des Ausgleichszeitraumes die regelmäßige Jahresarbeitszeit (Ziff. 2.2) zuzüglich 231 Stunden nicht überschreiten bzw. die regelmäßige Jahresarbeitszeit (Ziff. 2.2) abzüglich 77 Stunden nicht unterschreiten. Zeitguthaben bis zu 115,5 Stunden sind in den ersten 3 Monaten des neuen Ausgleichszeitraumes durch Freizeitausgleich mit einem Zuschlag von 30 % auszugleichen. Zeitguthaben über 115,5 Stunden bis zu 231 Stunden sind durch Freizeitausgleich oder finanziell, mit einem Zuschlag von 30 % auszugleichen.

Zuschläge werden nur einmal bezahlt; d.h. gemäß Ziff. 2.6 bereits während des Jahres bezahlte Zuschläge werden berücksichtigt.

Die in Satz 1 genannten 231 Stunden können durch Betriebsvereinbarung auf max. 400 Stunden erweitert werden, wenn besondere betriebliche Gründe dies rechtfertigen.

Bei der zeitlichen Festlegung des Ausgleichs sind die Wünsche des Mitarbeiters zu berücksichtigen, es sei denn, dass der Berücksichtigung dringende betriebliche Belange entgegenstehen oder Wünsche anderer Mitarbeiter, die unter sozialen Gesichtspunkten Vorrang haben.

Betriebsrat und Arbeitgeber können auch eine finanzielle Abgeltung des Zeitguthabens bis 115,5 Stunden anstelle des oben genannten Freizeitausgleiches bei nicht vorhersehbarem Arbeitsvolumen und nicht vorhersehbaren Fehlzeiten vereinbaren.

..."

Zur Auslegung des MTV TÜV SÜD haben die Tarifvertragsparteien Protokollnotizen vereinbart. Die Protokollnotiz zu § 2 Ziff. 2.6 MTV lautet:

"Gegenrechnung von während des Ausgleichszeitraumes bezahlten Zuschlägen

Zur Ermittlung der Anzahl noch auszuzahlender Zuschläge am Ende des Ausgleichszeitraumes in Höhe von 30 % wird von der Gesamtzahl der Guthabenstunden die Zahl der Stunden abgezogen, für die bereits während des Ausgleichszeitraumes ein Zuschlag ausbezahlt wurde."

Die BV 1/2003 enthält folgende für den Rechtsstreit bedeutsame Regelungen:

"...

3. Dauer der Arbeitszeit, durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit, Reisezeit

3.1 Für Mitarbeiter, für die der Manteltarifvertrag (MTV) gilt, beträgt die Arbeitszeit 2002 Stunden pro Jahr einschl. Ausfallzeiten wie z. B. Urlaub, Krankheit, Feiertage auf der Grundlage des MTV vom Stand 18.09.2000. Hieraus ergibt sich eine durchschnittlich zu leistende Wochenarbeitszeit in Höhe von 38,5 Stunden.

...

5. Arbeitszeitkonten

5.1 Für jeden Mitarbeiter, für den der Tarifvertrag gilt, wird ein Arbeitszeitkonto geführt.

Das Arbeitszeitkonto enthält folgende Angaben (auf Zehntelstunden genau):

a) Beschäftigungsgrad des Mitarbeiters (Vollzeit oder Teilzeit)

b) Sollzeit pro Mitarbeiter, d.h. die bis zum Auswertungszeitpunkt zu erbringende Arbeitszeit

c) Zeitkontostand, d.h. Stunden, die vom Mitarbeiter in Freizeit oder finanziell in Anspruch genommen werden können

d) geleistete Mehrarbeitsstunden (Mehrarbeitsvolumen), d.h. der Zeitkontostand zuzüglich ausbezahlter Mehrarbeit

e) ausbezahlte Mehrarbeit, d.h. Mehrarbeit, die der Mitarbeiter im aktuellen Ausgleichszeitraum geleistet hat und die bereits ausgezahlt wurden

f) Reststunden alter Ausgleichszeitraum, d.h. Zeitguthaben oder Rückstände aus dem Vorausgleichszeitraum

...

7. Zeitausgleich bei Mitarbeitern, für die der Tarifvertrag gilt

7.1 Der Ausgleichszeitraum beträgt 12 Monate. Er beginnt jeweils am 01.04. und endet am 31.03. des Folgejahres.

7.2 Innerhalb des Ausgleichszeitraumes sind 2002 Stunden abzuleisten.

Dieser Wert darf am Ende des Ausgleichszeitraumes um maximal 231 Stunden über- bzw. maximal 77 Stunden unterschritten werden. Ausnahmen bedürfen einer gesonderten Regelung zwischen Betriebsrat und TÜV.

...

7.6 Am Ende des erweiterten Ausgleichszeitraumes, d.h. mit Ablauf des 30.06. des nachfolgenden Ausgleichszeitraumes, werden die noch bestehenden Zeitguthaben des abgelaufenen Ausgleichszeitraumes ausbezahlt.

..."

2. Danach hat der Kläger Anspruch auf den auf die Jahresarbeitszeit bezogenen Zuschlag nach § 2 Ziff. 2.11 Abs. 1 MTV TÜV SÜD - nachfolgend entsprechend der betriebsüblichen Terminologie: Mehrarbeitszuschlag -. Denn für den Abgleich am Ende des Ausgleichszeitraumes ist auch der dem Arbeitnehmer gewährte Freizeitausgleich für ein Guthaben aus dem davor liegenden Anspruchszeitraum zu berücksichtigen, wie das Landesarbeitsgericht mit zutreffender Begründung angenommen hat. Überschreitet die Summe des Guthabens aus dem "alten Ausgleichszeitraum" (vgl. Ziff. 5.1 Buchst. f BV 1/2003) und der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit im "neuen" Ausgleichszeitraum die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit von 2.002 Stunden, ist das Zeitguthaben durch Freizeitausgleich mit einem Zuschlag von 30 % auszugleichen. Dies folgt aus dem Wortlaut und dem Gesamtzusammenhang des Tarifvertrages als den für die Tarifauslegung vorrangig bedeutsamen Auslegungskriterien (Senat 11. Mai 2005 - 4 AZR 303/04 - BAGE 114, 327, 328).

3. Die tarifliche Regelung des MTV TÜV SÜD zur Jahresarbeitszeit und zum Ausgleich des Arbeitszeitkontos am Ende des Ausgleichszeitraumes entspricht in ihrer wesentlichen Struktur derjenigen des Tarifvertrages zur Regelung einer Jahresarbeitszeit für die Arbeitnehmer der DB AG (JazTV), dessen Auslegung Gegenstand der Entscheidung des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 6. November 2003 (- 6 AZR 166/02 - BAGE 108, 281) ist. Der Sechste Senat hat die Regelungen des JazTV dahin ausgelegt, dass einem Arbeitnehmer auf Grund von Zeitguthaben auf dem Arbeitszeitkonto gewährte Freizeit als "angeordnete und geleistete Arbeit" iSd. JazTV gilt und bei der Feststellung von Überzeitarbeit mitzuberücksichtigen ist (wegen der Einzelheiten in der Begründung 6. November 2003 - 6 AZR 166/02 - aaO). So verhält es sich auch bei den tariflichen Regelungen des MTV.

a) Die Tarifvertragsparteien haben sich vorliegend auf das Arbeitszeitmodell der Jahresarbeitszeit geeinigt. Wesentlicher Bestandteil dieses Modells ist die Führung eines Arbeitszeitkontos. Dieses ist am Ende des Ausgleichszeitraumes "abzugleichen" (§ 2 Ziff. 2.11 MTV TÜV SÜD). Ergibt sich dabei ein Zeitguthaben des Arbeitnehmers, ist dieses in das Arbeitszeitkonto des nachfolgenden Ausgleichszeitraumes aufzunehmen (Ziff. 5.1 Buchst. f der BV 1/2003). Erwirtschaftet ein Arbeitnehmer somit im Ausgleichszeitraum Mehrarbeit und lässt sich diese Mehrarbeit im folgenden Ausgleichszeitraum durch bezahlte Freizeit ausgleichen, erfüllt er in Höhe der Stundenzahl des bezahlten Freizeitausgleichs bereits die Zeitschuld des Folgeausgleichszeitraumes. Dem stimmt auch die Beklagte zu.

b) Daraus folgt entgegen der Auffassung der Beklagten aber auch, dass der Arbeitnehmer deshalb bereits dann erneut zuschlagspflichtige Mehrarbeit leistet, wenn er im Folgeausgleichszeitraum auf Anordnung des Arbeitgebers über die um die in Freizeit ausgeglichene Mehrarbeit aus dem Vorausgleichszeitraum verminderte Zeitschuld (geschuldete Jahresregelarbeitszeit abzüglich mitgebrachtes Arbeitszeitguthaben) hinaus Arbeitsleistung erbringt.

aa) Die Auffassung der Beklagten, die Freizeitausgleichsstunden seien deshalb nicht zuschlagsfähig, weil sie auf diese vom Arbeitnehmer eingebrachten Stunden bereits den Mehrarbeitszuschlag nach § 2 Ziff. 2.11 Abs. 1 MTV TÜV SÜD gezahlt habe, geht fehl. Die Beklagte übersieht dabei die Regelung der Ziff. 7.6 der BV 1/2003. Dort ist neben dem regulären Ausgleichszeitraum, der jeweils am 1. April beginnt und am 31. März des Folgejahres endet, das Instrument eines "erweiterten Ausgleichszeitraumes" vereinbart. Dieser endet nachfolgend am 30. Juni, also drei Monate nach dem Ende des regelmäßigen Ausgleichszeitraumes. Am Ende des "erweiterten Ausgleichszeitraumes ... werden die noch bestehenden Zeitguthaben des abgelaufenen Ausgleichszeitraumes ausbezahlt". Ein bis dahin ein Freizeitguthaben aufweisendes Arbeitszeitkonto ist damit am 30. Juni zwingend für den 31. März auf null gebracht. Weist das Arbeitszeitkonto des Arbeitnehmers nachfolgend dann aber am Ende des regulären Ausgleichszeitraumes am 31. März des Folgejahres ein Guthaben auf, muss dieses aus dem neuen Ausgleichszeitraum resultieren. Dafür hat der Arbeitnehmer aber noch keinen Mehrarbeitszuschlag von 30 % erhalten.

bb) Dem steht nicht entgegen, dass in § 2 Ziff. 2.11 Satz 1 MTV TÜV SÜD dem Begriff "Arbeitszeitvolumen" das Attribut "tatsächliche" zugeordnet ist. Denn der Begriff "Arbeitszeitvolumen" ist nicht identisch mit dem der Jahresarbeitszeit. Das zeigt die Gegenüberstellung dieser Begriffe in § 2 Ziff. 2.11 Abs. 1 Satz 1 MTV TÜV SÜD. Die Jahresarbeitszeit ist danach eine vom "tatsächlichen Arbeitszeitvolumen" zu unterscheidende Bezugsgröße für die Bestimmung seines maximalen und minimalen Umfangs.

cc) Die Auslegung des § 2 Ziff. 2.11 Abs. 2 MTV TÜV SÜD und der dazu von den Tarifvertragsparteien vereinbarten Protokollnotiz durch die Beklagte vermag ebenfalls nicht zu überzeugen.

(1) Die Beklagte setzt für ihre Auslegung der genannten Tarifnorm bei § 2 Ziff. 2.6 Abs. 3 MTV TÜV SÜD an, der lautet: "Zuschläge werden nur einmal bezahlt, und zwar der jeweils höhere Zuschlag." Dieser Grundsatz sei in § 2 Ziff. 2.11 Abs. 2 MTV TÜV SÜD erweitert worden, welcher lautet: "Zuschläge werden nur einmal bezahlt; d.h. gemäß Ziff. 2.6 bereits während des Jahres bezahlte Zuschläge werden berücksichtigt." Den Satzteil nach dem Semikolon versteht die Beklagte als Erläuterung, dass sich der Satzteil vor dem Semikolon - Zuschläge werden nur einmal bezahlt - "auch" auf § 2 Ziff. 2.6 MTV TÜV SÜD bezieht.

(2) Damit verkennt die Beklagte den Sinn der Abkürzung "d.h." ("das heißt") zu Beginn des Satzteiles nach dem Semikolon. Bei diesem Konnektor handelt es sich um eine explikative Konjunktion (erklärende Anknüpfung), durch die der Sachverhalt der vorangehenden Aussage mit anderen Wörtern erläutert, nicht hingegen der in Bezug genommene Text erweitert oder verengt wird. Die Wörter "das heißt" drücken Sinnidentität des in Bezug genommenen Textes und seiner Erläuterung aus. Die Regelung des § 2 Ziff. 2.11 Abs. 2 MTV TÜV SÜD bestimmt daher allein, dass für Stunden, für die bereits während des Jahres Zuschläge gem. § 2 Ziff. 2.6 MTV TÜV SÜD bezahlt worden sind, also Zuschläge für wochenarbeitszeitbezogene Mehrarbeit, Nachtarbeit, Samstags-, Sonntags- und Feiertagsarbeit, diese für den (jahresarbeitszeitbezogenen) Mehrarbeitszuschlag nach § 2 Ziff. 2.11 Abs. 1 MTV TÜV SÜD berücksichtigt werden. Da die Zuschläge nach § 2 Ziff. 2.6 MTV TÜV SÜD mindestens 30 % betragen, bedeutet dies konkret den Wegfall des 30 %igen Mehrarbeitszuschlags nach § 2 Ziff. 2.11 Abs. 1 MTV TÜV SÜD für solche Stunden.

Dass die Regelung des § 2 Ziff. 2.11 Abs. 2 MTV TÜV SÜD nicht das Verbot der Doppelzahlung von Mehrarbeitszuschlägen nach § 2 Ziff. 2.11 Abs. 1 MTV TÜV SÜD regeln soll, verdeutlicht zudem die Protokollnotiz zu § 2 Ziff. 2.6 MTV TÜV SÜD. Wenn dort bestimmt ist, dass zur Ermittlung der Anzahl noch auszuzahlender Zuschläge am Ende des Ausgleichszeitraumes in Höhe von 30 % von der Gesamtzahl der Guthabenstunden die Zahl der Stunden abgezogen wird, für die bereits während des Ausgleichszeitraumes "ein Zuschlag" ausbezahlt wurde, dann ist damit einer der Zuschläge in § 2 Ziff. 2.6 MTV TÜV SÜD gemeint. Wäre damit derjenige nach § 2 Ziff. 2.11 Abs. 1 MTV TÜV SÜD gemeint, müsste der Text lauten, dass zur Ermittlung der Anzahl noch auszuzahlender Zuschläge am Ende des Ausgleichszeitraumes in Höhe von 30 % von der Gesamtzahl der Guthabenstunden die Zahl der Stunden abgezogen wird, für die bereits während des Ausgleichszeitraumes "der Zuschlag" oder "dieser Zuschlag" ausbezahlt wurde.

dd) Die vom Kläger vertretene Auffassung, der das Landesarbeitsgericht gefolgt ist, gestattet es dem Arbeitnehmer auch nicht, einmal geleistete jahresarbeitszeitbezogene Mehrarbeit bis zum Ende seines Arbeitslebens "durchzuschieben" und für ein und dieselbe Mehrarbeit Jahr für Jahr den Mehrarbeitszuschlag des § 2 Ziff. 2.11 Abs. 1 MTV TÜV SÜD zu vereinnahmen, wie die Beklagte meint. Sie bezeichnet diese Konstruktion auch als "perpetuum mobile" einmal geleisteter Mehrarbeit oder im Anschluss an einen von der Beklagten des Rechtsstreits - 6 AZR 166/02 - verwandten Begriff als "Zinseszins-Effekt". Dazu hat der Sechste Senat zum JazTV mit Recht - zusammengefasst - ausgeführt, dieser Effekt könne nur dann eintreten, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer jeweils im Folgejahr trotz jeweiliger Gewährung von Freizeitausgleich erneut zur Nachleistung der durch die Befreiung von der Arbeitspflicht bereits erfüllten Arbeitszeitverpflichtung heranziehe (ausführlich dazu 6. November 2003 - 6 AZR 166/02 - BAGE 108, 281, zu II 1 b (4) aa der Gründe). Diese Ausführungen treffen auch für den MTV TÜV SÜD zu. Nach § 2 Ziff. 2.2 Abs. 3 MTV TÜV SÜD darf Mehrarbeit nur erbracht werden, wenn diese angeordnet ist. Die Beklagte hat es daher in der Hand, den Arbeitnehmer im Folgeausgleichszeitraum lediglich in dem um die in Freizeit ausgeglichene Mehrarbeit aus dem Vorausgleichszeitraum verminderten Umfang zu beschäftigen. Geschieht dies nicht und beschäftigt sie den Arbeitnehmer in einem solchen Fall im folgenden Ausgleichszeitraum wiederum mit der vollen regelmäßigen Jahresarbeitszeit, gewährt sie nicht wirklich einen Freizeitausgleich.

ee) Diese Auslegung führt nicht zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern, die sich ein Zeitguthaben aus einem abgelaufenen Ausgleichszeitraum mit Zuschlag ausbezahlen lassen, und denjenigen, die - wie der Kläger vorliegend - die Gewährung von Freizeitausgleich im folgenden Ausgleichszeitraum bevorzugen. Bei Auszahlung des Freizeitguthabens kann der Arbeitnehmer im folgenden Ausgleichszeitraum seine Arbeitszeitverpflichtung nicht durch Inanspruchnahme von Freizeit erfüllen, schuldet daher die volle Jahresarbeitszeit von 2.002 Stunden und leistet bei deren Erfüllung keine Mehrarbeit. Im Falle der Gewährung von Freizeitausgleich besteht hingegen nur eine um die gewährte Freizeit verminderte Jahresarbeitszeitschuld. Deren Überschreitung beinhaltet demzufolge Mehrarbeit des Arbeitnehmers, auch wenn seine tatsächliche Arbeitsleistung das Jahresarbeitszeitsoll nicht überschreitet (ebenso mit konkreten Beispielen solcher Fallgestaltungen BAG 6. November 2003 - 6 AZR 166/02 - BAGE 108, 281).

ff) Für das Vorliegen einer Tariflücke hinsichtlich der Regelung des Freizeitausgleichs mit Zuschlag enthält der MTV TÜV SÜD keinen Anhaltspunkt. Die Tarifregelung ist in sich schlüssig und in dieser schlüssigen Auslegung vollständig.

gg) Die Einholung einer Tarifauskunft zur Auslegung der hier behandelten Regelung des MTV TÜV SÜD war nach dem eigenen Vortrag der Beklagten entbehrlich. Es kann hier unterstellt werden, dass es sich bei dem Vorwurf, das Landesarbeitsgericht habe fehlerhaft die Einholung einer Tarifauskunft unterlassen, um eine Verfahrensrüge handelt. Diese ist jedenfalls unbegründet. Denn die Beklagte führt selbst aus, zu den wesentlichen Streitpunkten der Auslegung der Zuschlagsregelung wären die Auskünfte der Tarifvertragsparteien jeweils gegensätzlich ausgefallen. Damit wäre die Tarifauskunft unergiebig gewesen.

hh) Auf die im Revisionsverfahren erstmals von der Beklagten eingeführte BV 1/2006, die am 8. März 2006 in Kraft getreten ist, kommt es für die Ansprüche des Klägers aus dem Jahre 2005 nicht an.

4. Die Höhe des Zeitguthabens des Klägers am 31. März 2005 und diejenige des sich daraus ergebenden Mehrarbeitszuschlags ist zwischen den Parteien nicht streitig.

5. Ihre Verurteilung zur Verzinsung des Klaganspruchs greift die Beklagte nicht an.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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