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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 16.06.1998
Aktenzeichen: 5 AZR 67/97
Rechtsgebiete: EFZG, ArbGG, MTV Schuhinduestrie


Vorschriften:

EFZG § 4 Abs. 1 Satz 1 n.F.
ArbGG § 9 Abs. 5
ArbGG § 76
MTV für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Schuhindustrie in der Bundesrepublik Deutschland vom 31. Oktober 1984, letztmals geändert am 13. März 1996 § 6 Nr. 2
Leitsätze:

1. Nach § 6 Nr. 2 a des MTV für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Schuhindustrie in der Bundesrepublik Deutschland vom 31. Oktober 1984 hat der Arbeiter bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit keinen Anspruch auf Fortzahlung von 100 % seines Lohnes.

2. Bei Verweisungen auf die gesetzlichen Bestimmungen kann aus einer Tarifregelung über Zuschüsse zum Krankengeld ab der siebten Krankheitswoche nicht auf eine eigenständige Tarifregelung zur Höhe der Entgeltfortzahlung im Sechswochenzeitraum geschlossen werden.

3. Der Antrag auf Zulassung der Sprungrevision kann die nach § 76 Abs. 1 Satz 1 ArbGG erforderliche Zustimmung des Gegners zur Einlegung der Sprungrevision nicht ersetzen (Bestätigung von BAG Urteil vom 28. Oktober 1986 - 3 AZR 218/86 - AP Nr. 7 zu § 76 ArbGG 1979). Eine gegenteilige Rechtsmittelbelehrung ("der Antrag ersetzt die Zustimmung") ist unrichtig im Sinne von § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG.

Aktenzeichen: 5 AZR 67/97 Bundesarbeitsgericht 5. Senat Urteil vom 16. Juni 1998 - 5 AZR 67/97 -

Arbeitsgericht Freiburg Urteil vom 13. Dezember 1996 - 9 Ca 677/96 -


---------------------------------------------------------------------- Für die Amtliche Sammlung: Ja Für die Fachpresse : Ja Für das Bundesarchiv : Nein ----------------------------------------------------------------------

Entscheidungsstichworte: Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall; Sprungrevision

Gesetz: EFZG § 4 Abs. 1 Satz 1 n.F.; ArbGG § 9 Abs. 5, § 76; MTV für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Schuhindustrie in der Bundesrepublik Deutschland vom 31. Oktober 1984, letztmals geändert am 13. März 1996 § 6 Nr. 2

5 AZR 67/97 ----------- 9 Ca 677/96 ArbG Freiburg

Im Namen des Volkes! Urteil

Verkündet am 16. Juni 1998

Clobes, als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In Sachen

pp.

hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 1998 durch den Vorsitzenden Richter Griebeling, die Richter Dr. Reinecke und Kreft sowie die ehrenamtlichen Richter Ackert und Mandrossa für Recht erkannt:

1. Die Sprungrevision des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg, Kammern Villingen-Schwenningen, vom 13. Dezember 1996 - 9 Ca 677/96 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Sprungrevision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Der Kläger ist bei der Beklagten als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt. Nach Ziff. 11 des Arbeitsvertrags gelten für das Arbeitsverhältnis die Bestimmungen des jeweils gültigen Tarifvertrags für die Schuhindustrie. § 6 Nr. 2 des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Schuhindustrie in der Bundesrepubilk Deutschland vom 31. Oktober 1984, letztmals geändert am 13. März 1996 (künftig: MTV), lautet auszugsweise:

"§ 6 Entlohnung bei Arbeitsausfall

Grundsätzlich wird Lohn nur für die Zeit gezahlt, in der Arbeit geleistet wird. Von dem Grundsatz, daß nur geleistete Arbeit einschließlich Arbeitsbereitschaft gezahlt wird, gelten folgende Ausnahmen:

...

2.a) Arbeiter erhalten gegen Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über ihre Arbeitsunfähigkeit das Entgelt nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle.

Dasselbe gilt bei Betriebsunfällen.

b) Bei schweren Betriebsunfällen (Gliederverlust, Knochenbrüche, schwere innere Verletzungen u. dgl.) erhält der Arbeiter gegen Vorlage eines entsprechenden ärztlichen Zeugnisses nach Ablauf der Entgeltfortzahlung von sechs Wochen für weitere zwei Wochen einen Zuschuß zum Krankengeld bis zu 100 % des Nettolohnes.

...

Anerkannte Berufskrankheiten stehen Betriebsunfällen gleich.

..."

Im Oktober 1996 war der Kläger 78 Arbeitsstunden arbeitsunfähig krank. Die Beklagte zahlte für diese Stunden nur 80 % des Lohns. Mit seiner Klage macht der Kläger den Differenzbetrag zu 100 % in unstreitiger Höhe von 398,88 DM geltend. Er hat die Auffassung vertreten, daß sich der Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nach dem früheren Lohnfortzahlungsgesetz richte. Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 398,88 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat erwidert, die genannte Tarifbestimmung habe nur deklaratorischen Charakter. Deshalb gelte die Neufassung des Entgeltfortzahlungsgesetzes, wonach im Krankheitsfall nur 80 % des Arbeitsentgelts fortzuzahlen seien.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht haben die Parteivertreter übereinstimmend die "Zulassung der Sprungrevision" beantragt. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und sowohl die Berufung als auch die Sprungrevision zugelassen. In der Rechtsmittelbelehrung des dem Kläger am 16. Januar 1997 zugestellten Urteils heißt es:

"II. Auf Antrag der Parteien war hier die Sprungrevision gem. §§ 76 Abs. 1, 76 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG zuzulassen. Die gerichtliche Protokollierung der Beantragung der Parteien ersetzt hier die schriftliche Zustimmung nach § 76 Abs. 1 Satz 1 ArbGG."

Mit seiner am 12. Februar 1997 eingegangenen Sprungrevision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hat - mit Eingang bei Gericht am 9. April 1997 - "nochmals ausdrücklich die Zustimmung zur Sprungrevision" erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die Sprungrevision ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von 398,88 DM. § 6 MTV verweist hinsichtlich der Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auf das Lohnfortzahlungsgesetz. Die Tarifvertragsparteien haben insoweit keine eigenständige Regelung getroffen.

A. Die Sprungrevision ist zulässig. Sie ist fristgerecht erhoben und begründet worden. Die schriftiche Zustimmung der Beklagten ist innerhalb der hier maßgeblichen Jahresfrist des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG und damit rechtzeitig nachgereicht worden.

I. Nach § 76 Abs. 1 Satz 1, 3 ArbGG kann gegen das Urteil eines Arbeitsgerichts unter Übergehung der Berufungsinstanz unmittelbar die Revision eingelegt werden (Sprungrevision)," wenn der Gegner schriftich zustimmt und wenn sie vom Arbeitsgericht auf Antrag im Urteil oder nachträglich durch Beschluß zugelassen wird. ... Die Zustimmung des Gegners ist, wenn die Revision im Urteil zugelassen ist, der Revisionsschrift, andernfalls dem Antrag beizufügen". Es genügt aber, wenn die Zustimmungserklärung vom Rechtsmittelführer oder vom Gegner bis zum Ablauf der Revisionsfrist nachgereicht wird (BAG Urteil vom 28. Oktober 1986 - 3 AZR 218/86 - AP Nr. 7 zu § 76 ArbGG 1979, zu II 1 der Gründe).

II. Zwar ist die schriftliche Zustimmungserklärung erst am 9. April 1997 und damit nicht binnen der einmonatigen Frist zur Einlegung der Revision (§ 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) nachgereicht worden. Maßgeblich ist hier aber die Jahresfrist des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG. Diese Frist ist gewahrt.

1. Nach § 9 Abs. 5 Satz 3 ArbGG beginnt die Frist für ein Rechtsmittel nur, wenn die Partei über das Rechtsmittel und das Gericht, bei dem es einzulegen ist, die Anschrift des Gerichts und die einzuhaltende Frist und Form schriftlich belehrt worden ist. Nach § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG kann ein Rechtsmittel, wenn die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt ist, nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung der Entscheidung eingelegt werden, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine Belehrung dahingehend erfolgt ist, daß ein Rechtsmittel nicht gegeben sei.

2. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, daß der übereinstimmend gestellte Antrag, die Sprungrevision zuzulassen, und die Zustimmung zu einem solchen Antrag die vom Gesetz verlangte Zustimmung zur Einlegung des Rechtsmittels nicht ersetzen können (BAG Urteil vom 28. Oktober 1986, aaO, zu I 1 a der Gründe; vgl. auch BVerwG Urteil vom 11. Februar 1997 - 8 C 4/97 - juris). Zwar kann die nach § 76 Abs. 1 Satz 3 ArbGG erforderliche schriftliche Zustimmung auch zur Niederschrift des Gerichts erklärt werden. Sie kann auch schon vor Erlaß des anzugreifenden Urteils erteilt werden. Allerdings muß die Erklärung, gerade wenn sie vor Erlaß des Urteils erteilt wurde, zweifelsfrei ergeben, daß nicht nur die Zulassung der Revision beantragt, sondern auch bereits deren Einlegung durch die Gegenseite zugestimmt wird (BAGE 36, 325, 326 = AP Nr. 1 zu § 76 ArbGG 1979, zu II 2 der Gründe; BAG Urteil vom 28. Oktober 1986, aaO, zu I 1 a der Gründe). Das ergibt sich aus Sinn und Zweck des Zustimmungserfordernisses. Dieses dient dazu, den Rechtsmittelgegner davor zu schützen, ohne sein ausdrückliches Einverständnis die an sich vorgesehene zweite Tatsacheninstanz zu verlieren. Eine Partei wird daher regelmäßig der Einlegung der Sprungrevision erst zustimmen, wenn sie Tatbestand und Entscheidungsgründe des anzufechtenden Urteils prüfen konnte.

Im Streitfall fehlt es an der erforderlichen Klarheit der Protokollerklärung. Die Beklagte hat - ebenso wie der Kläger - nur die Zulassung der Sprungrevision beantragt. Besondere Anhaltspunkte dafür, daß sie damit auch schon die Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision durch den Kläger gegeben hat, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

3. Entgegen dieser feststehenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat das Arbeitsgericht den Kläger dahin belehrt, daß "die gerichtliche Protokollierung der Beantragung beider Parteien ... hier die schriftliche Zustimmung nach § 76 Abs. 1 Satz 1 ArbGG" ersetzt. Damit ist über die einzuhaltende Form der Sprungrevision eine unrichtige Belehrung erteilt worden. Die Belehrung hat sich bei Zulassung der Sprungrevision im Urteil auch darauf zu erstrecken, daß dem Antrag die (schrift-liche) Zustimmung des Gegners beizufügen ist.

Der Begriff der Form des Rechtsmittels im Sinne von § 9 Abs. 5 Satz 3 ArbGG ist weit auszulegen. Das ergibt sich aus dem verfassungsrechtlichen Prinzip des Vertrauensschutzes sowie aus Sinn und Zweck der Belehrungspflicht. Der Vertrauensschutz gilt unabhängig davon, ob sich die Belehrung an eine rechtskundige Person richtet oder nicht. Aus dem Rechtsstaatsprinzip hat das Bundesverfassungsgericht als allgemeines Prozeßgrundrecht den Anspruch auf ein faires Verfahren abgeleitet. Der Richter muß das Verfahren so gestalten, wie die Parteien es von ihm erwarten dürfen. Er darf sich weder widersprüchlich verhalten noch aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen Verfahrensnachteile ableiten (BVerfGE 78, 123, 126; BVerfG Beschluß vom 15. Februar 1993 - 1 BvR 1045/92 - AP Nr. 8 zu § 76 ArbGG 1979).

Danach dürfen sich die Parteien im arbeitsgerichtlichen Verfahren auf die unrichtige Belehrung des Gerichts verlassen. Sie sind nicht gehalten, die vorgeschriebene Rechtsmittelbelehrung des Gerichts zu überprüfen (BAG Urteil vom 23. November 1994 - 4 AZR 743/93 - AP Nr. 12 zu § 9 ArbGG 1979 = EzA § 9 ArbGG 1979 Nr. 9). Allerdings kann eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung nicht dazu führen, daß ein nicht vorgesehener Rechtsweg eröffnet wird oder eine bereits abgelaufene Rechtsmittelfrist erneut beginnt (BAGE 38, 52 = AP Nr. 3 zu § 64 ArbGG 1979; BAG Urteil vom 23. November 1984, aaO). Um einen solchen Fall handelt es sich hier aber nicht. Da das Arbeitsgericht den Kläger falsch belehrt hat und dieser auf die Belehrung vertrauen durfte, lief ab Zustellung des Urteils nicht die Einmonatsfrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, sondern die Einjahresfrist des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG. Diese ist eingehalten. Innerhalb der Jahresfrist ist die schriftliche Zustimmung der Beklagten zur Einlegung der Sprungrevision nachgereicht worden.

B. Die Sprungrevision ist aber nicht begründet. § 6 Nr. 2 a MTV verweist auf das Lohnfortzahlungsgesetz. Das ist ein bloßer Hinweis auf das anwendbare Recht. Die tarifliche Bestimmung enthält keine gesetzesunabhängige eigenständige Regelung über die Höhe der Entgeltfortzahlung.

I. Vor dem Inkrafttreten des Entgeltfortzahlungsgesetzes (1. Juni 1994 - Art. 68 Abs. 4 PflegeVG vom 26. Mai 1994 - BGBl. I,1014, 1070) gab es für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle für Arbeiter und Angestellte unterschiedliche Rechtsgrundlagen.

Für Arbeiter galt das "Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz)" vom 27. Juli 1969, zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 1988. Die hier interessierenden Vorschriften lauteten wie folgt:

"§ 1 Grundsatz der Entgeltfortzahlung

(1) Wird ein Arbeiter nach Beginn der Beschäftigung durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne daß ihn ein Verschulden trifft, so verliert er dadurch nicht den Anspruch auf Arbeitsentgelt für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. ...

§ 2 Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts

(1) Für den in § 1 Abs. 1 bezeichneten Zeitraum ist dem Arbeiter das ihm bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen. ...

...

(3) Von den Absätzen (1) und (2) kann durch Tarifvertrag abgewichen werden. ..."

Angestellte hatten Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach den §§ 133 c GewO, 63 HGB und 616 Abs. 2 BGB. Die für Angestellte geltenden Bestimmungen enthielten keine Tariföffnungsklausel, die es erlaubten, die Höhe des fortzuzahlenden Entgelts abweichend von den gesetzlichen Vorschriften zu regeln (vgl. BAGE 54, 308, 310 ff. = AP Nr. 1 zu § 20 a AVR Diakonisches Werk).

Durch das Entgeltfortzahlungsgesetz vom 26. Mai 1994, in Kraft getreten am 1. Juni 1994, wurde die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für Arbeiter und Angestellte auf eine einheitliche gesetzliche Grundlage gestellt. Dabei blieb die Regelung der Höhe des fortzuzahlenden Entgelts unverändert. Durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25. September 1996 (BGBl. I 1996, 1476, 1477) wurde die Höhe der Entgeltfortzahlung herabgesetzt. Sie beträgt nunmehr nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EFZG n. F. nur noch "80 von Hundert des dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehenden Arbeitsentgelts". Nach § 4 Abs. 4 EFZG kann durch Tarifvertrag eine vom Gesetz "abweichen-de Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts festgelegt werden". Nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer können die Anwendung der tariflichen Regeln vereinbaren.

Bestehende tarifliche Regelungen sind durch die gesetzliche Neuregelung nicht aufgehoben worden. Der Gesetzgeber wollte in bestehende Tarifverträge nicht eingreifen (BT-Drucks. 13/4612, B 1; Buchner, NZA 1996, 1177, 1179 f.).

II. Nach § 6 Nr. 2 a des laut Arbeitsvertrag im Streitfall anwendbaren Manteltarifvertrags erhalten Arbeiter Entgeltfortzahlung "nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle". Damit haben die Tarifvertragsparteien keine vom damaligen Lohnfortzahlungsgesetz abweichende Bestimmung zur Höhe der Entgeltfortzahlung getroffen. Gesetzesgleiche Tarifbestimmungen sind zulässig. Die Tarifvertragsparteien können überdies durch eine Verweisung auf gesetzliche Vorschriften eine bestimmte Gesetzesfassung unabhängig von deren gesetzlicher Weitergeltung zum Inhalt ihrer Tarifregelung machen (vgl. BAG Urteil vom 23. April 1957 - 1 AZR 477/56 - AP Nr. 1 zu § 1 TVG; Buchner, NZA 1996, 1177, 1182; Rieble, RdA 1997, 134, 135 f., 140).

III. Die Auslegung des hier umstrittenen Manteltarifvertrags ergibt aber, daß die Tarifvertragsparteien eine selbständige, das heißt in ihrer normativen Wirkung von der außertariflichen Norm unabhängige eigenständige Regelung nicht getroffen haben.

1. Im vorliegenden Zusammenhang finden die Grundsätze für die Auslegung des normativen Teils von Tarifverträgen Anwendung.

a) Hier geht es darum, ob eine Tarifbestimmung normativ ist, das heißt eine eigenständige (konstitutive) Regelung der Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall enthält, oder aber nur einen (deklaratorischen) Hinweis auf das geltende Gesetzesrecht. Es geht nicht um die Auslegung des schuldrechtlichen Teils von Tarifverträgen, sondern ebenso wie bei der Auslegung von unstrittig normativen Tarifvertragsbestimmungen darum, wie Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Tarifvertrag zu verstehen haben. Daher sind hier die Grundsätze für die Auslegung des normativen Teils von Tarifverträgen heranzuziehen.

b) Diese folgen den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien ist über den reinen Wortlaut hinaus mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lassen sich auch so zuverlässige Auslegungsergebnisse nicht gewinnen, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge auf weitere Anhaltspunkte wie die Tarifgeschichte, die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages und die praktische Tarifübung zurückgreifen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG Urteil vom 25. Oktober 1995 - 4 AZR 478/94 - AP Nr. 57 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel; BAGE 42, 86; 46, 308, 313, 316 = AP Nr. 128, 135 zu § 1 TVG Auslegung).

2. Das Bundesarbeitsgericht ist bei der Auslegung von Tarifbestimmungen, die gesetzliche Regelungen wortgleich oder inhaltsgleich übernehmen oder auf sie verweisen, zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt.

a) In zwei Urteilen aus dem Jahre 1957 (Urteil vom 5. März 1957 - 1 AZR 420/56 - AP Nr. 1 zu § 1 TVG Rückwirkung; Urteil vom 23. April 1957 - 1 AZR 477/56 - AP Nr. 1 zu § 1 TVG) hat es in Urlaubstarifverträgen, die mit Landesurlaubsgesetzen übereinstimmten, eigenständige tarifliche Regelungen bejaht, und zwar mit der Begründung, die Tarifvertragsparteien hätten mit der wörtlichen Übernahme wesentlicher Teile aus dem Landesurlaubsgesetz in ihre Urlaubsregelung mehr getan, als ihre Mitglieder auf das Gesetz zu verweisen. Sie hätten vielmehr das, was das Landesurlaubsgesetz vorgeschrieben habe, für ihre Tarifunterworfenen vereinbart. Dagegen hat der Senat in einem Urteil aus dem Jahre 1964 (Urteil vom 12. November 1964 - 5 AZR 507/63 - AP Nr. 4 zu § 34 SchwBeschG 1961) eine Bestimmung eines Urlaubstarifvertrages, wonach "Schwerbeschädigte i.S. der §§ 1, 2 SchwBeschG ... einen zusätzlichen Urlaub von sechs Werktagen gemäß § 33 des Gesetzes" erhalten, als bloße Klarstellung angesehen und dazu ausgeführt, einer Übernahme oder Verweisung auf eine gesetzliche Regelung in einem Tarifvertrag komme üblicherweise nur der Charakter einer sogenannten neutralen Regelung zu, die keine eigenständige tarifliche Bedeutung habe. Es könne nicht angenommen werden, die frühere - den Arbeitnehmern günstigere - gesetzliche Regelung habe damit gleichsam zementiert werden sollen; dies widerspreche auch der vielfachen Tarifpraxis.

b) In ihrer Rechtsprechung zur tariflichen Übernahme gesetzlicher Kündigungsfristen haben der Zweite und der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts durchgehend das Vorliegen einer nur deklaratorischen Regelung angenommen und dazu den folgenden Auslegungsgrundsatz entwickelt: "Werden einschlägige gesetzliche Vorschriften wörtlich oder inhaltlich unverändert in einen umfangreichen Tarifvertrag aufgenommen, so handelt es sich um deklaratorische Klauseln, wenn der Wille der Tarifvertragsparteien zu einer gesetzesunabhängigen eigenständigen Tarifregelung im Tarifvertrag keinen hinreichend erkennbaren Ausdruck gefunden hat" (BAGE 40, 102 = AP Nr. 133 zu § 1 TVG Auslegung; BAGE 74, 167; 81, 76 = AP Nr. 42, 48 zu § 622 BGB; Urteil vom 14. Februar 1996 - 2 AZR 201/95 - AP Nr. 50 zu § 622 BGB; Urteil vom 14. Februar 1996 - 2 AZR 166/95 - AP Nr. 21 zu § 1 TVG Tarifverträge: Textilindustrie; Urteil vom 29. Januar 1997 - 2 AZR 370/96 - NZA 1997, 726; zuletzt Urteil vom 6. November 1997 - 2 AZR 707/96 - juris).

Zur Begründung wird ausgeführt: Der Wille zur Schaffung einer eigenständigen Regelung habe regelmäßig dann einen hinreichend erkennbaren Ausdruck gefunden, "wenn die Tarifvertragsparteien eine im Gesetz nicht oder anders enthaltene Regelung treffen oder eine gesetzliche Regelung übernehmen, die sonst nicht für die betroffenen Arbeitsverhältnisse gelten würde". Für einen rein deklaratorischen Charakter der Übernahme spreche hingegen, wenn einschlägige gesetzliche Vorschriften wörtlich oder inhaltlich unverändert übernommen würden. In einem derartigen Fall sei bei Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen, daß es den Tarifvertragsparteien bei der Übernahme des Gesetzestextes darum gegangen sei, im Tarifvertrag eine unvollständige Darstellung der Rechtslage zu vermeiden. Sie hätten dann die unveränderte gesetzliche Regelung im Interesse der Klarheit und Übersichtlichkeit deklaratorisch in den Tarifverträge aufgenommen, um die Tarifgebundenen möglichst umfassend über die zu beachtenden Rechtsvorschriften zu unterrichten.

Nach dieser Rechtsprechung können die tariflichen Regelungen zu den Kündigungsfristen teils konstitutiv, teils deklaratorisch sein (BAG Urteil vom 14. Februar 1996, aaO).

3. Die in der Literatur vorherrschende Auffassung geht dahin, daß im Zweifel eine eigenständige Regelung gewollt ist, die von Bestand und Inhalt der gesetzlichen Arbeitsbedingungen unabhängig ist (vgl. Wiedemann, Anm. zu BAG AP Nr. 133 zu § 1 TVG Auslegung; Bengelsdorf, Anm. zu BAG AP Nr. 48 zu § 622 BGB; K. Gamillscheg, SAE 1996, 274, 277 ff.; Creutzfeldt, AuA 1995, 87 ff.; Löwisch/ Rieble, TVG, § 1 Rz 419; Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Auflage 1993, Seite 214, Rz 386; Rieble, RdA 1997, 134; Giesen, RdA 1997, 203 f.; Wedde, AuR 1996, 421; Boerner, ZdR 1996, 435; Ahrens, NZA 1997, 301; dem Zweiten und Siebten Senat zustimmend dagegen Hromadka, BB 1993, 2372, 2375; Hergenröder, Anm. zu AP Nr. 40 zu § 622 BGB; Jansen, Anm. zu AP Nr. 42 zu § 622 BGB; Bauer/Lingemann, BB 1996, Beilage 17, Seite 8, 16). Für beurkundete Rechtsgeschäfte gelte die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit. Daraus sei nicht nur zu folgern, daß Abreden außerhalb der Urkunde nicht gelten sollten. Die Vermutung der Vollständigkeit bedeute auch positiv, daß alle beurkundeten Abreden vom Vertragswillen der Parteien umfaßt seien, also "gelten soll(t)en". Gesetz und Tarifvertrag unterschieden sich auch in ihrer Wirkung (vgl. § 4 Abs. 4 TVG). Schließlich werde die Rechtsprechung des Zweiten Senats dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit nicht gerecht. Ein für sich genommen eindeutiger Tarifwortlaut werde erst durch den Wort- und Inhaltsvergleich mit den gesetzlichen Regelungen mehrdeutig.

4. Hinsichtlich tariflicher Verweisungen auf gesetzliche Vorschriften gilt nach der Rechtsprechung des Zweiten und Siebten Senats des Bundesarbeitsgerichts dieselbe Auslegungsregel wie bei der wörtlichen oder inhaltlichen unveränderten Aufnahme einschlägiger gesetzlicher Vorschriften in ein Tarifwerk. Danach sind auch Verweisungen im Zweifel deklaratorisch, wenn nicht der Wille zur Schaffung einer eigenständigen Norm im Tarifvertrag einen hinreichend erkennbaren Ausdruck gefunden hat (BAGE 40, 102 = AP Nr. 133 zu § 1 TVG Auslegung; Urteile vom 28. Januar 1988 - 2 AZR 296/87 - und vom 4. März 1993 - 2 AZR 355/92 - AP Nr. 24, 40 zu § 622 BGB; vgl. auch BAG Urteil vom 12. November 1964 - 5 AZR 507/63 - AP Nr. 4 zu § 34 SchwBeschG 1961).

Die Literatur stimmt dem - anders als für den Fall der wörtlichen oder inhaltsgleichen Übernahme gesetzlicher Bestimmungen in Tarifverträgen - überwie-gend zu (Rieble, RdA 1997, 134; Buchner, NZA 1996, 1177, 1182). Allerdings wird teilweise darauf hingewiesen, daß bei Verweisungen kaum jemals ein Regelungswille der Tarifvertragsparteien vorhanden sei (Kamanabrou, RdA 1997, 22, 27; Giesen, RdA 1997, 193, 201, Fußnote 93; ähnlich K. Gamillscheg, Anm. zu BAG SAE 1996, 274, 278; Bengelsdorf, Anm. zu BAG AP Nr. 48 zu § 622 BGB; Wiedemann, Anm. zu BAG AP Nr. 133 zu § 1 TVG Auslegung). Eine Mindermeinung hält dagegen (auch) tarifliche Verweisungen auf gesetzliche Bestimmungen im Zweifel für konstitutiv und statisch (Stein, AuR 1998, 1, 11; Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Auflage 1993, Rz 386; Wedde, AuR 1996, 421; Boerner, ZTR 1996, 435, 438).

5. Dem Zweiten und Siebten Senat ist hinsichtlich der Auslegung tariflicher Verweisungen auf geltende - ohnehin anwendbare - gesetzliche Vorschriften zu folgen. Solche Verweisungen sind im Zweifel deklaratorisch. Dabei macht es keinen Unterschied, ob nur allgemein auf "das Gesetz" oder auf bestimmte Gesetze, z. B. das - hier ausdrücklich genannte - Lohnfortzahlungsgesetz oder die für Angestellte geltenden gesetzlichen Vorschriften, verwiesen wird, oder ob es heißt, der Arbeitnehmer habe Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts "nach Maßgabe" des Gesetzes. Mit einer Verweisung auf ein ohnehin geltendes Gesetz bringen die Tarifvertragsparteien in aller Regel zum Ausdruck, daß das Gesetz und nicht der Tarifvertrag maßgeblich sein soll. Sie halten dann eine eigene (inhaltsgleiche) tarifliche Normsetzung für entbehrlich.

Bei der Aufnahme einer Verweisung in den Tarifvertrag haben die Tarifvertragsparteien zwar regelmäßig genaue Vorstellungen vom Inhalt der geltenden gesetzlichen Norm; diese Vorstellung ist aber mit dem Willen zur Schaffung einer eigenständigen Regelung nicht gleichzusetzen. Die Verweisung macht nur deutlich, daß kein eigenes Regelwerk geschaffen werden sollte, sondern daß es bereits ein Regelwerk gab, das ohnehin galt. Aus einer solchen Verweisung wird auch nicht dadurch nachträglich eine eigenständige Regelung, daß das Gesetz, auf das verwiesen wird, hier das Lohnfortzahlungsgesetz, durch ein neues Gesetz ersetzt wird und die Tarifvertragsparteien ihre bisherige Verweisung unverändert lassen.

6. Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts verlangt, daß der Wille zur Schaffung einer von der gesetzlichen Norm unabhängigen eigenständigen Regelung im Tarifvertrag "einen hinreichend erkennbaren Ausdruck" gefunden hat. Das sei z. B. bei Formulierungen wie, die Tarifbestimmung gelte "unabhängig von der gesetzlichen Regelung" oder "auch bei Änderung der gesetzlichen Regelung", der Fall. Diese Formulierungen betreffen allein die wort- oder inhaltsgleiche Übernahme der gesetzlichen Bestimmungen in den Tariftext. Bei Verweisungen könnte die Formulierung etwa lauten, "es gilt das Gesetz ... in seiner am ... gültigen Fassung". Der Wille zur Schaffung einer eigenständigen Regelung kann sich aber nicht nur aus derartigen Formulierungen, sondern auch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergeben. Das ist auch bei Verweisungen nicht von vornherein ausgeschlossen.

Zumindest für den Bereich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist zu unterscheiden zwischen der wortgleichen oder inhaltsgleichen Übernahme einschlägiger gesetzlicher Vorschriften und solchen Tarifbestimmungen, die nur auf die gesetzlichen Vorschriften oder das Lohnfortzahlungsgesetz oder das Entgeltfortzahlungsgesetz verweisen. Da die Tarifvertragsparteien mit allgemeinen oder umfassenden Verweisungen auf ohnehin anwendbare gesetzliche Vorschriften typischerweise ihren fehlenden Regelungswillen zum Ausdruck bringen, bedarf es in solchen Fällen besonders deutlicher Anhaltspunkte dafür, daß gleichwohl ein Regelungswille bestand. Anders verhält es sich bei wortgleicher oder inhaltsgleicher Übernahme einschlägiger gesetzlicher Vorschriften eines Tarifvertrages ohne Nennung des Gesetzes. Zwar bedarf es auch hier nach Auffassung des Zweiten und Siebten Senats zusätzlicher Anhaltspunkte, um auf den Willen der Tarifvertragsparteien zur Schaffung einer gesetzesunabhängigen Regelung schließen zu können. Da aber in derartigen Fällen nicht schon der Wortlaut des Tarifvertrages gegen das Bestehen eines Regelungswillens spricht, sind insoweit weniger strenge Anforderungen an den Ausdruck dieses Willens zu stellen.

Diese Unterschiede zeigen sich insbesondere bei der Bedeutung, die das Vorhandensein einer eigenständigen Tarifregelung über die Zahlung von Zuschüssen zum Krankengeld ab der siebten Krankheitswoche für die Auslegung hat. Der Senat sieht in einer solchen Regelung bei bloßen Verweisungen - anders als bei der wortgleichen oder inhaltsgleichen Übernahme gesetzlicher Bestimmungen in den Tarifvertrag - kein hinreichend starkes Indiz dafür, daß der Tarifvertrag die Höhe der Entgeltfortzahlung innerhalb der Sechswochenfrist eigenständig regelt.

7. Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, daß § 6 Nr. 2 a MTV die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nicht eigenständig regelt. Die Vorschrift verweist auf das Lohnfortzahlungsgesetz. Die Tarifvertragsparteien haben die gesetzlichen Bestimmungen weder wort- noch inhaltsgleich übernommen. Sie haben sie sich nicht zu eigen gemacht. Aber auch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergibt sich nicht, daß es sich um eine eigenständige Regelung der Höhe der Entgeltfortzahlung handelt.

Nach § 6 Abs. 2 b MTV erhalten Arbeitnehmer bei schweren Betriebsunfällen und vergleichbaren Berufskrankheiten "nach Ablauf der Entgeltfortzahlung von sechs Wochen für weitere zwei Wochen einen Zuschuß zum Krankengeld bis zu 100 % des Nettolohnes". Diese Regelung ist - auch nach den Grundsätzen des Zweiten Senats - eigenständig (konstitutiv), da ein über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehender Anspruch geschaffen wurde. Allein aus dem konstitutiven Charakter dieser Bestimmung folgt jedoch noch nicht, daß auch § 6 Nr. 2 a MTV als konstitutiv anzusehen wäre. Der konstitutive Charakter nur eines Teils eines zusammengehörenden Regelungsbereichs läßt noch keinen Schluß auf den Charakter des übrigen Teils der auszulegenden Bestimmung zu. Den Tarifvertragsparteien steht es frei, von ihrer Regelungsbefugnis nur in einem Teilbereich Gebrauch zu machen und in einem anderen Teilbereich auf die gesetzlichen Bestimmungen zu verweisen (vgl. BAG Urteil vom 14. Februar 1996 - 2 AZR 166/95 - AP Nr. 21 zu § 1 TVG Tarifverträge: Textilindustrie, zu II 4 b der Gründe).

Das Vorhandensein einer eigenständigen Regelung ergibt sich auch nicht aus dem Zweck der Zuschußregelung. Diese Regelung soll den Arbeitnehmer, der einen schweren Betriebsunfall erlitten hat, auch nach Ablauf der Sechswochenfrist für zwei Wochen finanziell (etwa) so stellen wie in den vorangegangenen sechs Wochen. Dieser Zweck wird zwar nur erreicht, wenn dem Arbeitnehmer für die ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch auf Fortzahlung des vollen Arbeitsentgelts zusteht. Allein daraus kann aber bei Verweisungen wie der des § 6 Nr. 2 a MTV nicht auf eine eigenständige Regelung geschlossen werden. Deutlich wird daraus nur, daß sich die Tarifvertragsparteien bei der Zuschußregelung eine vorausgegangene Lohnfortzahlung zu 100 % vorgestellt, also auf der Basis der damaligen gesetzlichen Regelung verhandelt haben. Dessen ungeachtet bleibt hier die Verweisung auf das Lohnfortzahlungsgesetz das, was sie von Anfang an war: Ein bloßer Hinweis auf das geltende Gesetzesrecht.

§ 6 Nr. 2 a MTV ist auch nicht durch das Außerkrafttreten des Lohnfortzahlungsgesetzes zu einer eigenständigen Regelung geworden. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, daß die Tarifvertragsparteien bei Änderung anderer Bestimmungen des Manteltarifvertrags, zuletzt am 13. März 1996, den Willen gehabt hätten, die Höhe der Entgeltfortzahlung auf 100 % festzuschreiben.



Ende der Entscheidung

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