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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 16.01.2002
Aktenzeichen: 5 AZR 715/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 157
Hat ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber in der Vergangenheit die Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung erhöht, begründet dies allein keine betriebliche Übung der Erhöhung der Arbeitsentgelte entsprechend der Tarifentwicklung.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

5 AZR 715/00

Verkündet am 16. Januar 2002

In Sachen

hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 16. Januar 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Müller-Glöge, die Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Mikosch und Dr. Linck sowie die ehrenamtlichen Richter Buschmann und Dr. Dombrowsky für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - vom 19. September 2000 - 14 Sa 26/00 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Höhe des Arbeitsentgelts.

Der 1963 geborene Kläger ist seit 16. März 1992 bei der Beklagten als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag ist nicht vorhanden. Die Beklagte gehört keinem Arbeitgeberverband an.

Zum Zeitpunkt der Einstellung vereinbarten die Parteien einen Stundenlohn von 18,00 DM brutto. Ab dem Jahre 1997 wurde in der Lohnabrechnung neben dem Grundlohn eine Zulage von 3,00 DM gesondert ausgewiesen.

Die Beklagte erhöhte in der Vergangenheit alljährlich die Löhne der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer. Die Lohnerhöhungen erfolgten auf den Grundlohn. Sie entsprachen der tariflichen Entwicklung im Bereich der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob die Lohnerhöhungen genau oder nur mit gewissen Rundungen der Tarifentwicklung folgten.

Anläßlich der Reduzierung der Wochenarbeitszeit in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden zum 1. Oktober 1995 teilte die Beklagte durch Aushang folgendes mit:

"Die tarifliche Wochenarbeitszeit wurde ab 01.10.1995 in der Metallindustrie um eine Stunde (von derzeit 36 Stunden auf 35 Stunden) herabgesetzt. Da in unserer Firma weiterhin die 37-Stunden-Woche maßgebend ist, wurde von uns ein Ausgleichsbetrag, berechnet vom Tarifgehalt, für den Oktober gezahlt. Ab 01.11.1995 erhöhen sich die Tarifgehälter um weitere 3,6 %."

Im April 1996 wurde die betriebliche Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden reduziert, was zu einer entsprechenden Lohnkürzung beim Kläger führte.

Im Jahre 1999 erhöhte die Beklagte die Löhne und Gehälter nicht, obwohl im Bereich der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden eine Tariflohnerhöhung erfolgte.

Der Kläger meint, die Beklagte sei verpflichtet, den monatlichen Grundlohn ab 1. März 1999 entsprechend der für die Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden vereinbarten Tariflohnerhöhung um 3,2 % zu erhöhen. Ausgehend von einem monatlichen Grundlohn in Höhe von 2.960,00 DM ergebe sich bei einer Tariflohnerhöhung um 3,2 % ein Betrag in Höhe von 3.054,72 DM. Die monatliche Differenz betrage damit 94,72 DM. Für die Monate März bis Oktober 1999 ergebe sich hieraus ein Betrag von 757,76 DM. Weiterhin habe die Beklagte die tarifliche Einmalzahlung in Höhe von 350,00 DM für die Monate Januar und Februar 1999 zu leisten. Der Anspruch folge aus betrieblicher Übung, weil die Beklagte in der Vergangenheit die Löhne und Gehälter stets entsprechend der tarifvertraglichen Entwicklung erhöht habe. Dies habe der ehemalige Betriebsleiter Ende November 1995 einem anderen Mitarbeiter bestätigt. Die Beklagte könne auch nicht die Tariflohnerhöhung auf die Zulage anrechnen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.107,76 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit 1. November 1999 zu zahlen.

Hilfsweise:

Es wird festgestellt, daß sich das Grundgehalt des Klägers seit 1. März 1999 auf 3.054,72 DM brutto erhöht hat.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie vertritt die Auffassung, ein Anspruch auf Erhöhung des Grundlohns nach Maßgabe der in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden vereinbarten Lohn- und Gehaltserhöhung für das Jahr 1999 bestehe nicht. Sie habe ihre Arbeitnehmer nicht nach den Merkmalen des Tarifvertrags der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden vergütet, sondern nach im einzelnen ausgehandelten Sätzen. Mit den Lohnerhöhungen in der Vergangenheit habe sie sich für den Kläger erkennbar nicht für die Zukunft dahin binden wollen, auch künftig die jeweiligen Tariflohnerhöhungen an ihre Arbeitnehmer weiterzugeben.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erhöhung des Grundlohns in Höhe der Tariflohnerhöhung in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden im Jahre 1999. Die Beklagte ist nicht tarifgebunden. Die Parteien haben die Geltung des Tarifvertrags auch nicht ausdrücklich vereinbart. Eine betriebliche Übung, die Löhne der Beschäftigten den jeweiligen tarifvertraglichen Lohnerhöhungen anzupassen, besteht nicht.

1. Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen. Entscheidend für die Entstehung eines Anspruchs ist nicht der Verpflichtungswille, sondern wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen mußte und durfte (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt zB Senat 16. September 1998 - 5 AZR 598/97 - AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 54 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 41; 13. Dezember 2000 - 5 AZR 381/99 - nv.; BAG 4. Mai 1999 - 10 AZR 290/98 - BAGE 91, 283; 19. Juni 2001 - 1 AZR 597/00 - nv.). Im Wege der Auslegung des Verhaltens des Arbeitgebers ist zu ermitteln, ob der Arbeitnehmer davon ausgehen mußte, die Leistung werde nur unter bestimmten Voraussetzungen oder nur für eine bestimmte Zeit gewährt (vgl. BAG 4. September 1985 - 7 AZR 262/83 - BAGE 49, 290).

2. Bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber kann eine betriebliche Übung der Erhöhung der Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet nur angenommen werden, wenn es deutliche Anhaltspunkte im Verhalten des Arbeitgebers dafür gibt, daß er auf Dauer die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariflohnerhöhungen übernehmen will. Denn ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber will sich grundsätzlich nicht für die Zukunft der Regelungsmacht der Verbände unterwerfen. Dies ist gerade Sinn des nicht erfolgten Beitritts in einen Arbeitgeberverband. Die fehlende Tarifbindung verdeutlicht den Willen des Arbeitgebers, die Erhöhung der Löhne und Gehälter zukünftig nicht ohne weitere Prüfung entsprechend der Tarifentwicklung vorzunehmen. Die nicht vorhersehbare Dynamik der Lohnentwicklung und die hierdurch verursachten Personalkosten sprechen grundsätzlich gegen einen objektiv erkennbaren rechtsgeschäftlichen Willen des Arbeitgebers zu einer dauerhaften Entgeltanhebung entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet. Mit den in Anlehnung an eine Tariflohnerhöhung erfolgenden freiwilligen Lohnsteigerungen entsteht lediglich ein Anspruch der Arbeitnehmer auf Fortzahlung dieses erhöhten Lohns, nicht aber zugleich eine Verpflichtung des Arbeitgebers, auch künftige Tariferhöhungen weiterzugeben (ebenso BAG 20. Juni 2001 - 4 AZR 290/00 - nv.). Der nicht tarifgebundene Arbeitgeber will seine Entscheidungsfreiheit über die künftige Lohn- und Gehaltsentwicklung behalten. Darin unterscheidet sich dieser Sachverhalt von der betrieblichen Übung bei der Gewährung von Zulagen oder Jahressonderzahlungen. Hierbei entstehen zwar auch weitere Kosten. Diese sind aber statisch und damit vorhersehbar und nicht unüberschaubar dynamisch ausgestaltet.

3. Die Klärung der Frage, ob aus einem wiederholten tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers eine betriebliche Übung und damit ein Anspruch des Arbeitnehmers auf zukünftige Gewährung der Leistung erwächst, ist in erster Linie eine tatrichterliche Aufgabe. Das Revisionsgericht kann insoweit nur überprüfen, ob der angenommene Erklärungswert des tatsächlichen Verhaltens den Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB entspricht, mit den Gesetzen der Logik und den allgemeinen Erfahrungssätzen vereinbar ist und ob das Berufungsgericht alle wesentlichen Umstände des Falles berücksichtigt hat. Zu beurteilen ist, ob das LAG anhand der von ihm festgestellten Umstände des Einzelfalls (§ 561 Abs. 2 ZPO aF) zu einem zutreffenden Auslegungsergebnis gelangt ist (vgl. Senat 16. September 1998 - 5 AZR 598/97 - aaO; 13. Dezember 2000 - 5 AZR 381/99 - nv.; BAG 16. April 1997 - 10 AZR 705/96 - AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 53 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 39).

4. Das Landesarbeitsgericht hat das Bestehen einer betrieblichen Übung ohne Rechtsfehler verneint. Es hat bei der Auslegung des Verhaltens der Beklagten alle wesentlichen Gesichtspunkte beachtet.

a) Das Landesarbeitsgericht hat auf den Empfängerhorizont des Klägers abgestellt. Dabei hat es berücksichtigt, daß die nicht tarifgebundene Beklagte in der Zeit von 1992 bis 1998 die Löhne in Höhe der Tariflohnerhöhungen in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden erhöht hat. Weiterhin hat das Landesarbeitsgericht bei der Auslegung des Verhaltens der Beklagten beachtet, daß die Beklagte im Jahre 1995 die Arbeitszeitverkürzungen in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden nicht nachvollzog, sondern statt dessen einen Ausgleichsbetrag bezahlte. Dies teilte die Beklagte ihren Beschäftigten durch einen Aushang vom 15. November 1995 mit. Hieraus hat das Landesarbeitsgericht aber zu Recht nicht auf die Verlautbarung eines dauerhaften Willens der Beklagten zur wiederholten Entgelterhöhung entsprechend der Tarifentwicklung in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden geschlossen. Der Aushang erfolgte zur Erläuterung einer besonderen Situation, da die Beklagte trotz der Reduzierung der regelmäßigen tariflichen Wochenarbeitszeit von damals 36 auf 35 Stunden bei der 37-Stundenwoche blieb und statt dessen die Löhne erhöhte. Die Beklagte hat damit in dem Aushang den Beschäftigten ihre einzelfallbezogene und auf die konkreten betrieblichen Bedürfnisse abstellende Vorgehensweise dargestellt. Diese einzelfallbezogene, nicht stets an tariflichen Veränderungen ausgerichtete Vorgehensweise hat sich anläßlich der Reduzierung der Wochenarbeitszeit im Betrieb der Beklagten von 37 auf 35 Stunden im April 1996 wiederholt. Entgegen der Tarifentwicklung erfolgte die Verkürzung der Wochenarbeitszeit mit einer entsprechenden Lohnkürzung.

b) Auch die von der Beklagten vorgenommene Unterscheidung bei der Ausgestaltung des Arbeitsentgelts zwischen einem Grundlohn und einer Zulage spricht nicht für eine betriebliche Übung der Lohnerhöhung entsprechend der Tarifentwicklung in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden. Diese Unterscheidung macht zwar wegen fehlender Tarifbindung der Beklagten wenig Sinn. Sie stellt aber auch im Zusammenhang mit den in der Vergangenheit erfolgten Lohnerhöhungen kein hinreichendes Indiz für einen entsprechenden objektiv erkennbaren rechtsgeschäftlichen Willen der Beklagten dar.

c) Entgegen der Auffassung der Revision steht der einzelfallbezogenen Prüfung möglicher Lohnerhöhungen in der Vergangenheit die zwischen den Parteien streitige Erklärung des ehemaligen Betriebsleiters L nicht entgegen. Das Landesarbeitsgericht hat den zwischen den Parteien streitigen Inhalt der vom Kläger behaupteten Äußerung des Betriebsleiters als wahr unterstellt. Damit geht bereits die Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe angebotene Beweise nicht ausgeschöpft, ins Leere. Das Landesarbeitsgericht hat die Erklärung des Herrn Langer in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise dahin ausgelegt, dieser habe lediglich dem früheren Mitarbeiter B die Abrechnung erläutert und damit aktuellen Erklärungsbedarf im Einzelfall befriedigt. Ein Verstoß gegen Denkgesetze ist insoweit vom Kläger nicht aufgezeigt worden und auch nicht ersichtlich. Aus den vom Kläger behaupteten Äußerungen des früheren Betriebsleiters läßt sich nicht auf einen rechtsgeschäftlichen Willen der Beklagten zur dauerhaften Lohnerhöhung entsprechend der Tarifentwicklung in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden schließen.

Aus dem Vorgehen der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht damit zu Recht den Schluß gezogen, die Beklagte habe erst nach Prüfung ihrer konkreten betrieblichen Lage die Löhne und Gehälter angehoben. Soweit sich die Beklagte in den Jahren vor 1999 zu Lohnerhöhungen in Höhe der Tariflohnsteigerungen der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden entschloß, tat sie dies einzelfallbezogen, ohne sich auf Dauer rechtsgeschäftlich an die Tarifentwicklung zu binden.

5. Da der Kläger keinen Anspruch auf die begehrte Lohnerhöhung hat, ist nicht nur der Zahlungsantrag, sondern auch der Hilfsantrag abzuweisen.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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