Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 21.07.2005
Aktenzeichen: 6 AZR 442/04
Rechtsgebiete: BZT-G/NRW, BMT-G


Vorschriften:

Bezirks-Zusatztarifvertrag (BZT-G/NRW) vom 11. September 1962 für gemeindliche Arbeiter in Nordrhein-Westfalen zu § 20
Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G) § 4 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

6 AZR 442/04

Verkündet am 21. Juli 2005

In Sachen

pp.

hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 21. Juli 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Fischermeier, die Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Armbrüster und Prof. Dr. Friedrich sowie die ehrenamtlichen Richter Kapitza und Wendlandt

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 21. Juni 2004 - 2 (9) Sa 183/04 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von der Beklagten für die Monate Oktober 2002 bis einschließlich September 2003 einen monatlichen Leistungszuschlag in Höhe von 92,03 Euro.

Der Kläger ist bei der Beklagten als Fahrer und Transportarbeiter tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Bezirks-Zusatztarifvertrag (BZT-G/NRW) vom 11. September 1962 für gemeindliche Arbeiter in Nordrhein-Westfalen zu § 20 Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G) Anwendung. In § 4 Abs. 4 BZT-G/NRW heißt es:

"An Arbeiter, deren Leistungen dauernd über dem Durchschnitt der Leistungen liegen, die normalerweise von Arbeitern der gleichen Berufsgruppe erwartet werden können, werden Leistungszuschläge gezahlt. Sie müssen im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Betriebes bzw. der Verwaltung liegen und dürfen im Einzelfall 10 v.H. des Monatstabellenlohnes der Stufe 1 der jeweils nächstniedrigeren Lohngruppe des Arbeiters - für Arbeiter der Lohngruppe 1 ist die Stufe 1 anzusetzen - und insgesamt 3,5 v.H. der Summe der Monatstabellenlöhne der Stufe 1 des Betriebes, der Verwaltung bzw. des Verwaltungszweiges nicht überschreiten.

...

Über die Leistungszuschläge ist jährlich neu zu entscheiden.

Die jederzeit widerruflichen Leistungszuschläge gewährt der Arbeitgeber auf schriftlich begründeten Vorschlag der für die Abnahme der Werksprüfung eingesetzten oder einer gleichwertigen dem Beruf entsprechenden Kommission.

Vor einem Widerruf ist die Kommission zu hören.

..."

Vor der Änderung des Tarifvertrages im Jahr 1990 fehlte der Satz: "Über die Leistungszuschläge ist jährlich neu zu entscheiden."

Die Werksprüfungskommission der Beklagten hatte mit Schreiben vom 17. September 2001 den Vorschlag gemacht, dem Kläger einen Leistungszuschlag für den Zeitraum vom 1. Oktober 2001 bis zum 30. September 2002 in gleicher Höhe wie bisher weiterzuzahlen. Sie stellte in diesem Schreiben auch fest, dass die Fachabteilung die Weitergewährung der Zuschläge für fünf namentlich genannte Arbeitnehmer befürworte in einer Höhe von 90,00 DM, 160,00 DM, 180,00 DM und zweimal 190,00 DM. Der Kläger sollte 180,00 DM erhalten. Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 11. Oktober 2001 Folgendes mit:

"Sehr geehrter Herr W,

die Werksprüfungskommission hat vorgeschlagen, den Ihnen bewilligten Leistungszuschlag in Höhe von 180,00 DM monatlich weiterzuzahlen.

Ich entspreche diesem Vorschlag und habe veranlasst, dass der genannte Betrag ab 01.10.2001 wie bisher angewiesen wird.

Der Leistungszuschlag ist jederzeit widerrufbar und wird längstens bis 30.09.2002 gewährt.

..."

Die Beklagte gewährte dem Kläger ab Oktober 2002 nicht mehr den Leistungszuschlag. Die Beklagte hat den Zugang einer Abmahnung behauptet und vorgetragen, der Kläger sei zweimal schlafend im Führerhaus seines LKWŽs angetroffen worden.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass der Leistungszuschlag nicht durch bloßen Fristablauf entfallen könne; es sei ein ausdrücklicher Widerruf erforderlich. Die Befristung des Leistungszuschlags sei unwirksam, da der Tarifvertrag bestimme, bei Veränderung des Leistungszuschlags müsse die Werksprüfungskommission angehört werden. Dies sei nicht erfolgt. Darüber hinaus sei er nicht abgemahnt oder in irgendeiner Weise darauf aufmerksam gemacht worden, dass seine Leistungen aus Sicht der Beklagten abgesunken seien.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.104,36 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab monatlicher Fälligkeit beginnend ab dem 16. Oktober 2002 aus je 92,03 Euro zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, dass der Leistungszuschlag wegen der jährlichen Überprüfungspflicht, die sich aus dem Tarifvertrag ergebe, stets nur auf ein Jahr befristet sei. Durch die Neuverteilung der hierfür zur Verfügung stehenden Mittel im Folgejahr sei eine ausreichende Beteiligung der Werksprüfungskommission gegeben. Die Mittel seien für die Zeit ab dem 1. Oktober 2002 neu vergeben worden, ohne den Kläger zu berücksichtigen, da die Beklagte mit den Leistungen des Klägers unzufrieden sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage als unbegründet abgewiesen.

Der Kläger hat gegen die Beklagte ab dem 1. Oktober 2002 keinen Anspruch auf den eingeklagten Leistungszuschlag nach § 4 Abs. 4 BZT-G/NRW. Dies ergibt die Auslegung des Tarifvertrages.

1. Die Auslegung eines Tarifvertrages durch das Berufungsgericht ist in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachzuprüfen (BAG 22. Oktober 2002 - 3 AZR 664/01 - AP TVG § 1 Auslegung Nr. 185, zu II 1 a der Gründe). Der normative Teil eines Tarifvertrages ist nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln auszulegen. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu ermitteln ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können (st. Rspr. des BAG, vgl. 28. Mai 1998 - 6 AZR 349/96 - AP BGB § 611 Bühnenengagementsvertrag Nr. 52 = EzA TVG § 4 Bühnen Nr. 5, zu II 2 a der Gründe; 26. April 2001 - 6 AZR 2/00 - AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 37, zu 1 a der Gründe; 29. August 2001 - 4 AZR 337/00 - BAGE 99, 24, 28; 22. Oktober 2002 - 3 AZR 664/01 - AP TVG § 1 Auslegung Nr. 185, zu II 1 a der Gründe).

2. Der Revision ist zuzugeben, dass der Wortlaut der Tarifbestimmung keine eindeutige Befristung der Gewährung der Leistungszuschläge vorsieht, sondern nur ein jährliches neues Entscheidungs- bzw. Überprüfungsrecht. Der Anspruch des Klägers auf Zahlung der Leistungszuschläge für den Monat Oktober 2002 und die Folgemonate setzt aber nach dem Wortlaut der Tarifbestimmung eine weitere bewilligende Entscheidung voraus. Das Fehlen einer widerrufenden Entscheidung führt nicht zur Zahlungspflicht. Dem Tarifwortlaut der Tarifbestimmung ist nicht zu entnehmen, dass nur eine Entscheidung über die "gewährte" Leistungszulage getroffen werden soll, sondern es soll allgemein über Leistungszuschläge jährlich neu entschieden werden. Zutreffend hat das Berufungsgericht deshalb angenommen, dass die Tarifvertragsparteien durch die Einführung der jährlichen Neuentscheidung in die Tarifbestimmung eine jährliche Befristung festsetzen wollten. Dies entspricht auch Sinn und Zweck der Tarifbestimmung.

Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Zulässigkeit der auf ein Jahr befristeten Gewährung der Zuschläge aus der ausdrücklich im Jahr 1990 in den Tarifvertrag eingefügten Regelung "Über die Leistungszuschläge ist jährlich neu zu entscheiden" folgt. Das Verteilungsvolumen soll jedes Jahr neu bestimmt und neu zugeteilt werden. Dies ist nur möglich, wenn die Verteilung des Vorjahres nur für ein Jahr wirksam ist. Aus § 4 Abs. 4 BZT-G/NRW ergibt sich, dass in einer Verwaltung oder in einem Betrieb des öffentlichen Dienstes insgesamt unter allen Arbeitern maximal 3,5 % der Summe der Monatstabellenlöhne der Stufe 1 des Betriebes, der Verwaltung bzw. des Verwaltungszweiges als Leistungszuschläge vergeben werden dürfen. Nur diese begrenzten Mittel können verteilt werden. Zu Recht hat deshalb auch das Berufungsgericht darauf hingewiesen, andernfalls müsste, um dem Tarifvertrag mit der Forderung einer jährlichen Neuverteilung zu entsprechen, jedes Jahr gegenüber allen Empfängern von Leistungszuschlägen die Gewährung ausdrücklich widerrufen werden. Der Wortlaut des Tarifvertrages gibt keinen Hinweis darauf, dass die Tarifvertragsparteien durch die Einführung der jährlichen Neuentscheidung in den Tarifvertragstext ein solches kompliziertes jährliches Widerrufsverfahren in Gang setzen wollten.

3. Der Einwand der Revision, dass der Begriff "dauernd" mit dem Begriff "Befristung" nicht zu vereinbaren sei, geht fehl. Tatbestandsvoraussetzung für die Zulage ist, dass die Leistung des Zuschlagsempfängers dauernd über dem Durchschnitt der Leistungen liegt, die normalerweise von Arbeitern in der gleichen Berufsgruppe erwartet werden können. Die Wortwahl "dauernd" bezieht sich somit allein auf den Tatbestand der überdurchschnittlichen Leistung, nicht auf die Dauer der Zuschlagsgewährung. Nach Sinn und Zweck der Tarifbestimmung sollte gerade ein jährliches Neuentscheidungsrecht eingeführt werden, um damit ggf. ein verändertes Verteilungsvolumen zu berücksichtigen. Dies bedingt - entgegen der Ansicht der Revision - eine Befristung der Gewährung der Leistungszuschläge.

Zu Recht hat das Berufungsgericht auch darauf hingewiesen, dass die daneben in dem Tarifvertrag eröffnete Widerrufsmöglichkeit nicht gegenstandslos wird. Der Tarifvertrag eröffnet insoweit die Möglichkeit, vor Ablauf der regelmäßigen Bezugsdauer von einem Jahr einen Widerruf auszusprechen. Für diesen Fall ist die Beteiligung der Werksprüfungskommission ausdrücklich vorgesehen. Diese Anhörung musste für die jährliche Neuverteilung nicht ausdrücklich geregelt werden, da für diesen Fall ohnehin der Vorschlag der Werksprüfungskommission erforderlich ist. Die Rüge des Klägers, die Werksprüfungskommission sei bei der Nichtweitergewährung des Leistungszuschlags ab Oktober 2002 nicht informiert worden, ist deshalb unbegründet.



Ende der Entscheidung

Zurück