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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 20.09.2006
Aktenzeichen: 6 AZR 752/05
Rechtsgebiete: AEntG, BRTV, VTV, VO des Präsidenten der Republik Polen, SGB III, InsO, BGB


Vorschriften:

AEntG § 1 Abs. 3 Satz 2
BRTV vom 3. Februar 1981 idF vom 20. Dezember 1999 § 8 Ziff. 15.1
VTV vom 20. Dezember 1999 § 5 Abs. 1 Nr. 1
VTV vom 20. Dezember 1999 § 18 Abs. 1
VTV vom 20. Dezember 1999 § 18 Abs. 2
VO des Präsidenten der Republik Polen vom 24. Oktober 1934 Art. 20 § 1
VO des Präsidenten der Republik Polen vom 24. Oktober 1934 Art. 60
SGB III § 211 Abs. 1 Satz 1 aF
InsO § 80
BGB § 164 Abs. 2
BGB § 242
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

6 AZR 752/05

Verkündet am 20. September 2006

In Sachen

hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 20. September 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Fischermeier, die Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Armbrüster und Prof. Dr. Friedrich sowie den ehrenamtlichen Richter Oye und die ehrenamtliche Richterin Schilling für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 8. August 2005 - 16/15 Sa 516/01 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von der Beklagten für den Zeitraum Januar bis September 2000 die Zahlung von Urlaubskassenbeiträgen für in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigte Arbeitnehmer.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Er hat nach den Vorschriften des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe (BRTV) in Verbindung mit den Vorschriften des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) die Aufgabe, die Auszahlung der tarifvertraglich vorgesehenen Urlaubsvergütung zu sichern. Der BRTV und der VTV, jeweils in der am 1. Januar 2000 geltenden Fassung, wurden am 14. März 2000 für allgemeinverbindlich erklärt (BAnz. Nr. 61 vom 28. März 2000 S. 5337). Die Beklagte ist eine Gesellschaft polnischen Rechts mit Sitz in Wroclaw (Republik Polen). Sie unterhält seit Februar 1993 in H eine in das Handelsregister beim Amtsgericht München eingetragene Zweigniederlassung. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Wroclaw-Frabryczna vom 16. Juli 1999 wurde über das Vermögen der Beklagten das Konkursverfahren eröffnet und K als Konkursverwalter bestellt. Die Konkurseröffnung wurde am 4. Juli 2000 in das Handelsregister beim Amtsgericht München eingetragen. Mit Zustimmung des Konkursverwalters erbrachte die Beklagte im Jahr 2000 auf Grund verschiedener Werkverträge mit deutschen Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland bauliche Leistungen.

Mit der am 28. Juni 2000 beim Arbeitsgericht Wiesbaden eingegangenen Klage hat der Kläger von der Beklagten für den Zeitraum Januar bis September 2000 die Zahlung von Urlaubskassenbeiträgen in Höhe von zunächst 578.124,64 DM auf Grund der für diesen Zeitraum mitgeteilten Bruttolöhne gefordert. Nachdem die Beklagte sämtliche für den betreffenden Zeitraum gezahlten Bruttolöhne beziffert hat, hat der Kläger seine Forderung auf 443.731,39 DM reduziert und den Rechtsstreit im Übrigen für erledigt erklärt.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 443.731,39 DM zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, sie sei nicht zur Teilnahme am Urlaubskassenverfahren verpflichtet. Die entsprechenden Tarifverträge fänden auf sie keine Anwendung. Darüber hinaus müsse der Kläger etwaige Forderungen auf Grund des in Polen eröffneten Konkursverfahrens gegenüber dem polnischen Konkursverwalter geltend machen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit für die Revision noch von Bedeutung - stattgegeben. Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 17. Mai 2001 hat der Kläger Werklohnforderungen der Beklagten gegen ihre deutschen Auftraggeber gepfändet und sich zur Einziehung überweisen lassen. Das Landesarbeitsgericht hat zur Frage der Auswirkungen des Konkurses nach polnischem Recht auf das Vermögen der Beklagten in Deutschland eine Rechtsauskunft des Instituts fürs Ostrecht München e.V. eingeholt, auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsantrag weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.

I. Das Landesarbeitsgericht hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe zwar einen Anspruch auf Zahlung der Urlaubskassenbeiträge gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 AEntG iVm. § 8 Ziff. 15.1 BRTV und § 18 VTV. Diese Bestimmungen seien auch auf Arbeitgeber mit Sitz in Polen, die in der Bundesrepublik Deutschland bauliche Leistungen ausführen, anwendbar. Die Beklagte sei aber für die Erfüllung dieses Anspruchs nicht passiv legitimiert, denn der Anspruch sei gegenüber dem polnischen Konkursverwalter geltend zu machen. Mit der Konkurseröffnung habe die Beklagte nach polnischem Konkursrecht die Verwaltungsbefugnis sowie die Möglichkeit der Nutzung und der Verfügung über ihr Vermögen verloren. Gemäß Art. 60 der Verordnung des Präsidenten der Republik Polen über das Konkursrecht vom 24. Oktober 1934 (im Folgenden KR) könne ein Verfahren, das ein zur Konkursmasse gehörendes Vermögen betreffe, nur durch oder gegen den Konkursverwalter eingeleitet oder weitergeführt werden. Dabei sei unbeachtlich, dass nach der herrschenden polnischen Literaturmeinung der Konkurs nur das in Polen befindliche Vermögen erfasse, denn die vom Kläger geltend gemachten Forderungen beträfen nicht (nur) das in Deutschland gelegene Vermögen der Beklagten.

Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

II. Die Klage ist mangels Passivlegitimation der Beklagten unbegründet. Da der Konkursverwalter K als Verwalter über das Vermögen der T als Arbeitgeber die betreffenden Arbeitnehmer zur Erbringung baulicher Leistungen in die Bundesrepublik Deutschland entsendet hat, scheidet eine Inanspruchnahme der Beklagten mangels Passivlegitimation aus. Damit kann dahinstehen, ob das polnische Konkursverfahren das in der Bundesrepublik Deutschland gelegene Vermögen der Beklagten erfasst.

1. Gemäß § 18 Abs. 1 und Abs. 2 VTV 2000 hat der Arbeitgeber zur Aufbringung der tarifvertraglich festgelegten Leistungen im Urlaubskassen-, Lohnausgleichs- und Berufsbildungsverfahren als Sozialkassenbeitrag einen Gesamtbetrag von der Summe der Bruttolöhne aller von diesem Tarifvertrag erfassten Arbeitnehmer des Betriebes (Bruttolohnsumme) an die Kasse abzuführen. Die dem Urlaubskassenverfahren zugrunde liegenden Bestimmungen des BRTV und VTV finden nach § 1 Abs. 3 AEntG auch auf polnische Arbeitgeber Anwendung (vgl. BAG 25. Juni 2002 - 9 AZR 405/00 -BAGE 101, 357, 359). Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 AEntG ist ein Arbeitgeber mit Sitz im Ausland, dessen Betrieb überwiegend Bauleistungen iSd. § 211 Abs. 1 Satz 1 SGB III aF erbringt, verpflichtet, einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien, der im Zusammenhang mit der Gewährung von Urlaubsansprüchen die Einziehung von Beiträgen und die Gewährung von Leistungen durch allgemeinverbindliche Tarifverträge übertragen worden ist, die ihr zustehenden Beiträge zu leisten. Der Anspruch der Urlaubskasse richtet sich gegen den ausländischen Arbeitgeber, der die Arbeitnehmer zur Erbringung von baulichen Leistungen in die Bundesrepublik Deutschland entsendet. Dieser ist passiv legitimiert.

2. Die Beklagte ist nicht nach § 1 Abs. 3 Satz 2 AEntG iVm. § 8 Ziff. 15.1 BRTV und § 18 VTV zur Zahlung der Urlaubskassenbeiträge verpflichtet, da sie jedenfalls seit der Eröffnung des Konkursverfahrens nicht mehr Arbeitgeberin der zur Erbringung baulicher Leistungen in Deutschland entsendeten Arbeitnehmer war.

a) Über das Vermögen der Beklagten wurde am 16. Juli 1999 das polnische Konkursverfahren eröffnet und K zum Konkursverwalter bestellt. Der Konkursverwalter entschied, zur Mehrung der Konkursmasse bestehende Aufträge in der Bundesrepublik Deutschland abzuwickeln und neue Werkverträge zu schließen, wobei er nicht selbst in Erscheinung trat, sondern den Leiter der Niederlassung der Beklagten in Deutschland Z mit der Abwicklung und Weiterführung der laufenden Verträge mit deutschen Auftraggebern beauftragte (vgl. Eidesstattliche Versicherung des Z). Auch nach Eröffnung des Konkursverfahrens wurden Werkverträge geschlossen und Arbeitnehmer zur Erbringung baulicher Leistungen in die Bundesrepublik Deutschland entsendet. Der Kläger macht ausschließlich Urlaubskassenbeiträge für einen Zeitraum nach Eröffnung des Konkursverfahrens geltend.

b) Arbeitgeber und damit passiv legitimierter Schuldner war in diesem Zeitraum nicht die Beklagte, sondern K als Konkursverwalter über das Vermögen der T. Gemäß Art. 20 § 1 KR verliert der Gemeinschuldner durch die Konkurseröffnung die Verwaltungsbefugnis sowie die Möglichkeit der Nutzung und der Verfügung über das am Tag der Konkurseröffnung ihm gehörende und während des Verfahrens erworbene Vermögen. Dieses Vermögen bildet die Konkursmasse. Ein Verfahren, das ein zur Konkursmasse gehörendes Vermögen betrifft, kann gemäß Art. 60 KR nur durch oder gegen den Konkursverwalter eingeleitet oder weitergeführt werden. Art. 20 § 1 KR entspricht insoweit § 80 InsO. Daraus folgt der Übergang der Arbeitgeberstellung auf den Insolvenzverwalter. Art. 22 § 1 KR ändert daran nichts; die Vorschrift betrifft nur wirtschaftlich und rechnerisch abgesonderte Teile des Vermögens zur Unterstützung der Arbeitnehmer, also zB die Sicherung von Ansprüchen auf betriebliche Altersversorgung. Dass der Konkursverwalter nicht in die Arbeitgeberstellung gegenüber den im streitbefangenen Zeitraum aus Polen entsendeten Arbeitnehmer eingetreten ist, hat der Kläger nicht dargetan. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die baulichen Leistungen in Deutschland namens und in Vollmacht des Konkursverwalters erbracht wurden und die Werklohnforderungen zur Mehrung der Konkursmasse dienen sollten.

3. Die Beklagte kann auch nicht auf Grund einer Ermächtigung des Konkursverwalters nach den Grundsätzen der gewillkürten Prozessstandschaft in eigener Person in Anspruch genommen werden. Ungeachtet der zum Teil erhobenen grundsätzlichen Bedenken gegen die Zulässigkeit der gewillkürten passiven Prozessstandschaft (vgl. Übersicht bei Zöller ZPO 26. Aufl. vor § 50 Rn. 43) hat der Konkursverwalter den Leiter der Niederlassung H lediglich beauftragt, Verträge der Beklagten mit deutschen Auftraggebern abzuschließen, weiterzuführen bzw. abzuwickeln. Er hat aber nicht über ihn die Beklagte ermächtigt, ungeachtet der Eröffnung des Konkursverfahrens im eigenen Namen die Masse betreffende Ansprüche in Prozessen abzuwehren. Dies hat der Kläger auch nicht in seinen Schriftsätzen vom 6. Mai 2002 und 11. Oktober 2002 behauptet.

4. Es besteht auch keine Haftung der Beklagten nach § 164 Abs. 2 BGB wegen der verspäteten Mitteilung des Konkurses gegenüber dem Kläger. Nach § 164 Abs. 2 BGB kommt bei einer Willenserklärung der Mangel des Willens, im eigenen Namen zu handeln, nicht in Betracht, wenn der Wille, in fremdem Namen zu handeln, nicht erkennbar hervortritt. Der Anwendungsbereich des § 164 Abs. 2 BGB ist aber auf rechtsgeschäftliche und rechtsgeschäftsähnliche Handlungen beschränkt (BAG 20. Oktober 1982 - 4 AZR 1152/79 -). Der Arbeitgeber ist zwar nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 VTV 2000 vor Aufnahme einer baugewerblichen Tätigkeit verpflichtet, sich bei der für ihn zuständigen Kasse zu melden und dieser verschiedene Stammdaten, wie Name, Rechtsform und gesetzlichen Vertreter des Unternehmens, mitzuteilen. Etwaige rechtlichen Verpflichtungen, wie zB ein Schuldanerkenntnis, werden nach dem Inhalt des Stammdatenblattes durch dessen Unterzeichnung und Übersendung nicht übernommen. Die Mitteilung der Stammdaten stellt daher lediglich eine Wissensmitteilung dar, die keinen rechtsgeschäftlichen oder rechtsgeschäftsähnlichen Charakter aufweist und deshalb nicht unter den Schutzbereich des § 164 Abs. 2 BGB fällt (vgl. BAG 20. Oktober 1982 - 4 AZR 1152/79 -).

5. Eine Verpflichtung der Beklagten lässt sich schließlich auch nicht nach § 242 BGB wegen widersprüchlichen Verhaltens begründen. Die Rechtsprechung hat eine solche anerkannt, wenn durch das Verhalten eines Vertragspartners für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (BGH 5. Juni 1997- X ZR 73/95 - NJW 1997, 3377 mwN). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Die Beklagte hat gegenüber dem Kläger keine rechtsgeschäftlichen oder rechtsgeschäftsähnlichen Erklärungen abgegeben. Zwischen den Parteien bestehen keine vertraglichen Beziehungen; die Zahlungsverpflichtung knüpft an die tatsächliche Arbeitgeberstellung an. Die Beklagte war jedenfalls seit der Eröffnung des Konkursverfahrens nicht mehr Arbeitgeberin der aus Polen zur Erbringung der baulichen Leistungen in Deutschland entsendeten Arbeitnehmer, wobei es unerheblich ist, ob der Konkursverwalter seinerseits unter Berücksichtigung der Kontingentierung (Art. 2 der Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über die Entsendung von Arbeitnehmern polnischer Unternehmen zur Ausführung von Werkverträgen vom 31. Januar 1990 - BGBl. II 1990 S. 602 - idF der Änderungen vom 8. Dezember 1990 - BGBl. II 1992 S. 93 - und vom 1. März/30. April 1993 - BGBl. II 1993 S. 1125) diese Arbeitnehmer entsenden durfte. Ein besonderes Vertrauen, dass sie gegenüber dem Kläger zur Zahlung der Urlaubskassenbeiträge passiv legitimiert sei, hat die Beklagte jedenfalls nicht in Anspruch genommen. Zudem wurde die Eröffnung des Konkursverfahrens am 4. Juli 2000 - noch vor Zustellung der Klage - in das Handelsregister bei dem Amtsgericht - Registergericht - München eingetragen.

Ende der Entscheidung

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