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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 15.11.2000
Aktenzeichen: 7 ABR 53/99
Rechtsgebiete: BetrVG 1972, WahlO BetrVG


Vorschriften:

BetrVG 1972 § 18 Abs. 3 Satz 1
BetrVG 1972 § 19 Abs. 1
WahlO BetrVG § 13
Leitsätze:

Die in § 18 Abs. 3 Satz 1 BetrVG vorgeschriebene Öffentlichkeit der Stimmauszählung erfordert, daß Ort und Zeitpunkt der Stimmauszählung vorher im Betrieb öffentlich bekanntgemacht werden.

Aktenzeichen: 7 ABR 53/99 Bundesarbeitsgericht 7. Senat Beschluß vom 15. November 2000 - 7 ABR 53/99 -

I. Arbeitsgericht Nürnberg - 6 BV 61/98 - Beschluß vom 13. Oktober 1998

II. Landesarbeitsgericht Nürnberg - 6 TaBV 37/98 - Beschluß vom 23. November 1999


BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! BESCHLUSS

7 ABR 53/99 6 TaBV 37/98

Verkündet am 15. November 2000

Schiege, der Geschäftsstelle

In dem Beschlußverfahren

mit den Beteiligten

1.

Beteiligte zu 1), Beschwerdeführerin und Rechtsbeschwerdeführerin,

2.

Beteiligter zu 2),

3.

Beteiligte zu 3),

hat der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der Beratung vom 15. November 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dörner, den Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Steckhan, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Schmidt, den ehrenamtlichen Richter Nottelmann und die ehrenamtliche Richterin Meyer für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 23. November 1999 - 6 TaBV 37/98 - aufgehoben.

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 6. Oktober 1998 - 6 BV 61/98 - abgeändert.

Die Betriebsratswahl vom 5. bis 7. Mai 1998 im Betrieb Niederlassung Briefpost Nürnberg der Beteiligten zu 3) wird für unwirksam erklärt.

Von Rechts wegen!

Gründe

A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.

Die Beteiligte zu 1) ist eine im Betrieb Niederlassung Briefpost N der Beteiligten zu 3) vertretene Gewerkschaft. Vom 5. bis zum 7. Mai 1998 wurde dort der zu 2) beteiligte Betriebsrat gewählt. Wahlberechtigt waren 4.185 Beamte, Angestellte und Arbeiter. Mehr als 1.000 Beschäftigte wählten im Wege der Briefwahl. Wahllokale befanden sich im Hauptbahnhof N und im ca. vier Kilometer davon entfernten Briefpostzentrum. Abschluß der Stimmabgabe im Wahllokal Hauptbahnhof war am 7. Mai 1998 um 14.00 Uhr. Im Wahllokal Briefpostzentrum wurde am 7. Mai 1998 bis 20.00 Uhr gewählt. Ab 20.00 Uhr sollten die Stimmzettel ausgezählt werden. Nach der Wahlniederschrift wurde am 7. Mai 1998 ab 20.00 Uhr mit der Stimmauszählung begonnen. Die Stimmauszählung erfolgte in einem Sitzungssaal C 130 im Briefpostzentrum, der ein Stockwerk über dem Wahllokal liegt. Ort und Beginn der Stimmauszählung waren weder im Wahlausschreiben noch bei den beiden Wahlräumen noch am Schwarzen Brett oder auf andere Weise allgemein mitgeteilt worden. Das Wahlergebnis wurde am 8. Mai 1998 bekanntgegeben. Danach war kein Mitglied der Beteiligten zu 1) gewählt.

Mit ihrem am 22. Mai 1998 beim Arbeitsgericht Nürnberg eingegangenen Antrag hat die Beteiligte zu 1) die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl geltend gemacht. Sie hat eine Vielzahl von Verstößen gegen Wahlvorschriften behauptet und unter anderem vorgetragen, die Auszählung der Stimmen sei entgegen § 18 Abs. 3 Satz 1 BetrVG und § 13 WahlO nicht öffentlich gewesen, da Auszählungsort und -zeit nicht öffentlich bekanntgemacht worden seien.

Die Beteiligte zu 1) hat beantragt,

die Betriebsratswahl vom 5. bis zum 7. Mai 1998 für unwirksam zu erklären.

Der Beteiligte zu 2) hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, die Stimmauszählung sei öffentlich durchgeführt worden, da der Raum C 130 für jedermann zugänglich gewesen sei. Eine Verpflichtung zur öffentlichen Bekanntmachung des Auszählungsortes und der Auszählungszeit habe nicht bestanden. Außerdem habe sich jeder Wahlberechtigte, der der Auszählung habe beiwohnen wollen, jederzeit über den Ort und die Zeit der Auszählung informieren können.

Die zu 3) beteiligte Arbeitgeberin hat im Verfahren nicht Stellung genommen und keinen Antrag gestellt.

Beide Vorinstanzen haben den Antrag zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Beteiligte zu 1) ihr bisheriges Begehren weiter. Der Beteiligte zu 2) beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Wahl zu Unrecht für nicht anfechtbar gehalten.

I. Die formellen Voraussetzungen der Wahlanfechtung sind erfüllt. Die nach § 19 Abs. 2 Satz 1 2. Alternative BetrVG anfechtungsberechtigte Beteiligte zu 1) hat die Wahl rechtzeitig innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG angefochten.

II. Ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften, der das Wahlergebnis beeinflußt haben konnte und damit die Wahlanfechtung rechtfertigt, liegt bereits in der Verletzung der §§ 18 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, 13 WahlO. Denn die Stimmauszählung im Saal C 130 des Briefpostzentrums erfolgte nicht öffentlich. Auf die weiter geltend gemachten Verstöße gegen Wahlvorschriften kommt es damit nicht mehr an.

1. Nach § 18 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nimmt der Wahlvorstand unverzüglich nach Abschluß der Wahl öffentlich die Auszählung der Stimmen vor. Dieselbe Regelung findet sich in § 13 WahlO. Öffentlichkeit im Sinne dieser Vorschriften ist nicht die allgemeine Öffentlichkeit, sondern die Betriebsöffentlichkeit. Die dazu gehörenden Personen, vor allem die Arbeitnehmer des Betriebs, müssen einen ungehinderten Zugang zum Ort der Stimmauszählung erhalten (Fitting/Kaiser/Heither/Engels BetrVG 20. Aufl. § 18 Rn. 13 und § 13 WO 72 Rn. 3; Richardi BetrVG 7. Aufl. § 13 WahlO Rn. 3; GK-Kreutz BetrVG 6. Aufl. § 18 Rn. 33, 34; Däubler/Kittner/Klebe-Schneider BetrVG 7. Aufl. § 13 WO Rn. 4). Das Gebot der Öffentlichkeit der Auszählung erfordert auch, daß Ort und Zeit der Auszählung vorher öffentlich bekanntgemacht werden. Das kann im Wahlausschreiben, aber auch noch später, etwa am Wahltag geschehen. Besondere Förmlichkeiten sind dabei nicht zu beachten.

2. Diese Anforderungen ergeben sich aus dem Sinn und Zweck des Öffentlichkeitsgebots. Das in § 18 Abs. 3 BetrVG statuierte Erfordernis der Öffentlichkeit entspricht der Bedeutung, die der Feststellung des Wahlergebnisses in einem demokratischen Rechtsstaat zukommt (Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, zu BT-Drucks. VI/2729 S 21). Interessierte Personen sollen die Möglichkeit erhalten, die Ordnungsmäßigkeit der Feststellung des Wahlergebnisses beobachten zu können, damit der Verdacht von Wahlergebnismanipulationen "hinter verschlossenen Türen" nicht aufkommen kann. Zur Herstellung dieser Beobachtungsmöglichkeit genügt es entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 2) nicht, daß jeder Interessierte auf Nachfrage beim Wahlvorstand erfahren hätte, wann und wo die Stimmen ausgezählt werden. Informiert der Wahlvorstand die Betriebsöffentlichkeit von sich aus weder über den Umstand, daß die Stimmen öffentlich ausgezählt werden, noch über Ort und Zeit der Auszählung, hat die Betriebsöffentlichkeit nicht den erforderlichen ungehinderten Zugang zur Beobachtung der Auszählung. Es hängt dann von Zufällen ab, ob der einzelne überhaupt von der Möglichkeit der Beobachtung erfährt. Es ist nicht selbstverständlich, daß jeder Arbeitnehmer ohne entsprechende Information damit rechnet, der Auszählung beiwohnen zu können. Das Erfordernis, selbst aktiv zu werden und sich nach dem Bestehen einer Teilnahmemöglichkeit sowie nach deren Ort und Zeit zu erkundigen, ist geeignet, Zugangsberechtigte von vornherein von der Teilnahme auszuschließen, sei es auf Grund von Unkenntnis, sei es durch die psychologische Hemmschwelle, die einer Nachfrage entgegenstehen kann. Eine solche Auslegung des § 18 Abs. 3 BetrVG brächte das mit dem Öffentlichkeitsgebot bezweckte Kontrollrecht nicht wirksam zur Geltung. Denn wenn interessierte Personen den Wunsch, ihr Kontrollrecht wahrzunehmen, gerade gegenüber den zu kontrollierenden Personen im Vorfeld offenbaren müssen, um Ort und Zeitpunkt ihrer Kontrollmöglichkeit zu erfahren, gibt dies vermeidbaren Anlaß zu Mißtrauen bzw. Mißdeutungen. Diese werden gerade durch eine jederzeit und ohne Ankündigung mögliche Kontrolle besonders wirkungsvoll verhindert.

Die Möglichkeit, daß insbesondere in größeren Betrieben oft schon aus Raumgründen nicht die gesamte Belegschaft bei der Auszählung zugegen sein kann, rechtfertigt es nicht, eine Verkleinerung der Beobachtergruppe durch Verzicht auf eine allgemeine Information herbeizuführen mit der Folge, daß sie nur aus einem Kreis von "Eingeweihten" besteht. Ohne Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit ist es bei einem zu geringen Fassungsvermögen des Auszählungsraumes zulässig, weiteren Personen den Zutritt zu versagen (Fitting/Kaiser/Heither/Engels BetrVG 20. Aufl. § 13 WO Rn. 3; Däubler/Kittner/Klebe-Schneider BetrVG 7. Aufl. § 13 WO Rn. 5; Richardi BetrVG 7. Aufl. § 13 WahlO Rn. 3).

Dieser Auslegung des Begriffs Öffentlichkeit in § 18 Abs. 3 BetrVG und § 13 WahlO steht nicht entgegen, daß § 3 WahlO keine Regelung über die Bekanntgabe von Ort und Zeit der Stimmauszählung für die Betriebsöffentlichkeit enthält. § 3 Abs. 2 WahlO regelt nur die im Wahlausschreiben gebotenen Angaben. Die Bekanntmachung über Ort und Zeit der Auszählung muß aber nicht notwendig im Wahlausschreiben enthalten sein, sondern kann auch auf andere Art und Weise erfolgen, zB durch Aushang am Schwarzen Brett, durch Aushang in den Wahllokalen oder durch schriftliche Information bei der Aushändigung der Wahlunterlagen.

3. Im Streitfall wurde das Gebot der Öffentlichkeit der Stimmauszählung verletzt, weil der Betriebsöffentlichkeit zu keinem Zeitpunkt in allgemein zugänglicher Form mitgeteilt wurde, daß die Auszählung öffentlich im Saal C 130 des Briefzentrums stattfinden werde. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kommt es nicht auf die Feststellung an, ob ein Belegschaftsmitglied vergeblich versucht, den Raum zu finden.

4. Die Anfechtung der Wahl wegen der Verletzung des § 18 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ist nicht nach § 19 Abs. 1 letzter Halbsatz BetrVG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften ausnahmsweise dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn ein solcher Verstoß das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnte. Nach der Senatsrechtsprechung (BAG 31. Mai 2000 - 7 ABR 78/98 - zur Veröffentlichung vorgesehen, zu B IV 6 a der Gründe) ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtung eine ohne den Verstoß durchgeführte Wahl zwingend zu demselben Ergebnis geführt hätte.

Das kann bei einem Verstoß gegen das Gebot der öffentlichen Stimmauszählung nicht angenommen werden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß es während der Stimmauszählung zu Fehlern gekommen ist, die im Falle der öffentlichen Auszählung nicht unterlaufen wären. Es kommt nicht darauf an, ob tatsächlich objektive Anhaltspunkte für solche Fehler vorliegen. Die Vorschrift des § 18 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ist gerade dadurch gekennzeichnet, daß sie der Minderung abstrakter Gefährdungen dient.

Ende der Entscheidung

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