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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 09.08.2000
Aktenzeichen: 7 AZR 214/99
Rechtsgebiete: BAT, SGB VI, GG


Vorschriften:

BAT § 59 Abs. 1
SGB VI § 33
SGB VI § 43
SGB VI § 44
SGB VI § 96 a
GG Art. 12
Leitsätze:

Das Arbeitsverhältnis eines Angestellten, der eine Rente wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 33 SGB VI) bezieht, endet nicht nach § 59 Abs. 1 BAT, wenn der Angestellte nach seinem vom Rentenversicherungsträger festgestellten Leistungsvermögen noch in der Lage ist, seine nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Leistung zu erbringen.

Aktenzeichen: 7 AZR 214/99 Bundesarbeitsgericht 7. Senat Urteil vom 9. August 2000 - 7 AZR 214/99 -

I. Arbeitsgericht Urteil vom 2. Juli 1998 Würzburg - 1 Ca 3369/97 -

II. Landesarbeitsgericht Urteil vom 10. Februar 1999 Nürnberg - 3 Sa 651/98 -


BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

7 AZR 214/99 3 Sa 651/98

Verkündet am 9. August 2000

Schiege, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In Sachen

Beklagter, Berufungsbeklagter und Revisionskläger,

pp.

Klägerin, Berufungsklägerin und Revisionsbeklagte,

hat der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts am 9. August 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dörner, den Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Steckhan und die Richterin am Bundesarbeitsgericht Schmidt sowie die ehrenamtlichen Richter Niehues und Hökenschnieder für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 10. Februar 1999 - 3 Sa 651/98 - wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen !

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses nach § 59 Abs. 1 Satz 1 BAT.

Die Klägerin ist seit dem 23. Juni 1986 als Verwaltungsangestellte in einer Hauptschule mit einer Arbeitszeit von 12,75 Wochenstunden beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der BAT kraft einzelvertraglicher Vereinbarung Anwendung.

Mit Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) vom 17. November 1997 wurde der Klägerin eine Berufsunfähigkeitsrente auf Zeit vom 1. September 1997 bis zum 31. Juli 1998 bewilligt. Daraufhin berief sich der Beklagte auf das Ruhen des Arbeitsverhältnisses nach § 59 Abs. 1 Satz 4 und 5 BAT. Er weigerte sich, die Klägerin weiterzubeschäftigen, obwohl sie nach einer Mitteilung der BfA vom 16. Dezember 1997 hinsichtlich ihrer letzten beruflichen Tätigkeit als Stenotypistin sowie für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter halbschichtig bis zweistündig einsatzfähig war. Nachdem die Klägerin mit ihrer am 23. Dezember 1997 erhobenen Klage zunächst ihre Weiterbeschäftigung verlangt hatte, vereinbarten die Parteien am 10. Februar 1998 ein weiteres Arbeitsverhältnis für die Dauer des Rechtsstreits. Mit dem am 1. September 1998 zugegangenem Bescheid vom 27. August 1998 wurde der Klägerin eine Berufsunfähigkeitsrente auf Dauer gewährt. Dagegen wurde die Gewährung einer Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit wegen der ausgeübten Beschäftigung abgelehnt. Nunmehr berief sich der Beklagte auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 1998 gemäß § 59 Abs. 1 BAT und weigerte sich erneut, die Klägerin zu beschäftigen. Daraufhin erhielt die Klägerin wegen Verschlossenheit des Arbeitsmarkts durch den am 21. November 1998 zugegangenen Bescheid vom 12. November 1998 eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Dauer.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, das Arbeitsverhältnis sei nach § 59 Abs.1 BAT nicht in Folge der Rentengewährung beendet worden. Nach den der Rentengewährung zugrundeliegenden Feststellungen des Rentenversicherungsträgers sei sie ohne gesundheitliche Einschränkungen in der Lage, ihren arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nachzukommen.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt

festzustellen, das der Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin über den 1. Dezember 1997 hinaus im bisherigen Umfange weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses der Parteien festgestellt. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Revision, mit der er die Wiederherstellung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung begehrt. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat weder auf Grund der Zustellung des Rentenbescheids vom 27. August 1998 wegen der Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente noch auf Grund der Zustellung des Rentenbescheids vom 12. November 1998 wegen der Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente geendet.

I. Die Klage ist zulässig.

1. Das Landesarbeitsgericht hat den Inhalt des Klageantrags zutreffend bestimmt. Entgegen dem Wortlaut des Antrags handelt es sich um eine allgemeine Feststellungsklage im Sinn des § 256 Abs. 1 ZPO über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses bezogen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht. Nachdem sich der Beklagte im Berufungsverfahren auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 59 Abs. 1 BAT zum 30. September 1998 bzw. 30. November 1998 berufen hatte, war das Interesse der Klägerin allein noch auf die Feststellung des Fortbestehens ihres durch Vertrag vom 23. Juni 1986 begründeten Arbeitsverhältnisses gerichtet.

2. Die Klägerin war nicht gehalten, eine Klage nach § 1 Abs. 5 BeschFG zu erheben. Diese Vorschrift findet keine Anwendung bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge des Eintritts einer auflösenden Bedingung, wie sie § 59 Abs. 1 BAT regelt (BAG 23. Februar 2000 - 7 AZR 906/98 - BB 2000, 1473).

II. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat nicht auf Grund der Zustellung eines Bescheides über die Gewährung einer Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit und auch nicht auf Grund der Zustellung des Bescheides über die Gewährung einer Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 59 Abs. 1 BAT geendet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß der in dieser Tarifnorm geregelte Sachgrund zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses ohne Ausspruch einer Kündigung nicht vorliegt, weil die Klägerin trotz Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§ 33 Abs. 3 SGB VI) noch ohne Einschränkungen in der Lage ist, ihre arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen.

1. Die Zuerkennung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung hat nicht zwingend zur Folge, daß der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an der Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten gehindert ist.

a) Nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 Abs. 2 SGB VI ist berufsunfähig ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Kann der Versicherte nach den Feststellungen des Rentenversicherungsträgers seine zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Tätigkeit (bisheriger Beruf) und Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch unterhalbschichtig bis zwei Stunden verrichten, liegt Berufsunfähigkeit ungeachtet des vorhandenen Leistungsvermögens schon deswegen vor, weil die Erwerbsfähigkeit unter der von § 43 Abs. 2 SGB VI gezogenen Grenze liegt (vgl. KassKomm-Niesel Stand Dezember 1999 § 43 SGB VI Rn. 84 mwN). Eine dennoch ausgeübte Teilzeittätigkeit, die diesem Leistungsvermögen entspricht, steht der Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente nicht entgegen. Dieser Umstand ist lediglich für die Höhe der Rente von Bedeutung, die abhängig von dem jeweils erzielten Hinzuverdienst ist (§ 43 Abs. 5, § 96 a Abs. 2 SGB VI). Das entspricht der Lohnersatzfunktion der Berufsunfähigkeitsrente. Sie soll die finanziellen Nachteile ausgleichen, die ein Versicherter dadurch erleidet, daß er einer Vollzeitbeschäftigung in seinem bisherigen Beruf und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr nachgehen kann (vgl. KassKomm-Niesel Stand Dezember 1999 § 43 SGB VI Rn. 2).

b) Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit und die damit verbundene Erzielung von Arbeitseinkommen bei einem unterhalbschichtigen bis zweistündigen Leistungsvermögen auch für eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hindert jedoch die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente (BSGE 67, 1). Diese hat nach § 44 Abs. 2 SGB VI ua. zur Voraussetzung, daß der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, ein Arbeitseinkommen zu erzielen, das 1/7 der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV übersteigt. Wird der Versicherte nicht mehr beschäftigt und kann er nach den Feststellungen des Rentenversicherungsträgers nur noch eine Teilzeitbeschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben, sind für das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit nicht allein das festgestellte Leistungsvermögen, sondern die konkreten Verhältnisse des Arbeitsmarkts maßgebend. Für Versicherte mit einem unterhalbschichtigen bis zweistündigen Leistungsvermögen gilt der Arbeitsmarkt als verschlossen (GS BSG 10. Dezember 1976 BSGE 43, 75). Obwohl ihr Leistungsvermögen nicht völlig aufgehoben ist, steht ihnen aus arbeitsmarktbedingten Gründen eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu.

2. Ungeachtet dieser rentenrechtlichen Besonderheiten endet nach § 59 Abs. 1 BAT das Arbeitsverhältnis eines Angestellten mit Ablauf des Monats, in dem ihm der Bescheid eines Rentenversicherungsträgers zugestellt wird, durch den festgestellt wird, daß der Angestellte berufsunfähig oder erwerbsunfähig ist. Sinn und Zweck der Tarifvorschrift gebieten nach der ständigen Rechtsprechung des BAG jedoch eine einschränkende Auslegung (vgl. BAG 28. Juni 1995 - 7 AZR 555/94 - AP BAT § 59 Nr. 6 = EzA BGB § 620 Nr. 134; 9. Oktober 1991 - 6 AZR 443/89 - ZTR 1992, 425 f.). Danach dient die Tarifvorschrift einerseits dem Schutz des Arbeitnehmers, der aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, seine bisherige Tätigkeit zu verrichten und bei dem bei einer Fortsetzung der Tätigkeit die Gefahr einer weiteren Verschlimmerung seines Gesundheitszustands besteht. Andererseits will die Tarifvorschrift dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers Rechnung tragen, sich von einem Arbeitnehmer zu trennen, der gesundheitsbedingt nicht mehr in der Lage ist, seine nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Leistung zu erbringen und für den ein zumutbarer leistungsgerechter Arbeitsplatz nicht zur Verfügung steht (BAG 28. Juni 1995 - 7 AZR 555/94 - AP BAT § 59 Nr. 6 = EzA BGB § 620 Nr. 134, zu I 3 b der Gründe mwN). Ein von den Tarifparteien anerkanntes Bedürfnis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht danach nicht, wenn der Arbeitnehmer einen leistungsgerechten Arbeitsplatz innehat und nach dem vom Rentenversicherungsträger festgestellten Leistungsvermögen seinen arbeitsvertraglichen Pflichten in vollem Umfang noch genügen kann.

3. Mit dieser einschränkenden Auslegung haben die Tarifparteien einen Sachgrund geregelt, der den von Verfassungs wegen gebotenen Anforderungen der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle genügt. Danach sind die staatlichen Gerichte gehalten, den Arbeitnehmer vor einer grundlosen, den staatlichen Kündigungsschutz umgehenden Verlust des Arbeitsplatzes zu bewahren und damit einen Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen der Arbeitsvertragsparteien zu finden (vgl. BAG 11. März 1998 - 7 AZR 101/97 - AP BAT § 59 Nr. 8 = EzA BAT § 59 Nr. 5, zu 2 c der Gründe mwN). Deshalb stellt das Vorliegen von Berufsunfähigkeit oder einer Erwerbsunfähigkeit aus Gründen der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes für sich gesehen keine eine auflösende Bedingung rechtfertigenden Sachgrund dar. Ansonsten bliebe die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit der Berufsausübung eines Arbeitnehmers unbeachtet, an einem von ihm gewählten Arbeitsplatz festzuhalten, dessen Anforderungen er trotz eines gesundheitlich eingeschränkten Leistungsvermögens genügt. Demgegenüber ist das Interesse des Arbeitgebers, sich von einem Arbeitnehmer allein deswegen zu trennen, weil er einen Anspruch aus der gesetzlichen Rentenversicherung wegen verminderter Erwerbsfähigkeit in Anspruch nimmt, nicht schützenswert. Verlangt der Arbeitnehmer trotz des Bezugs einer Rente wegen Erwerbsminderung vom Arbeitgeber seine Weiterbeschäftigung, hat der Arbeitgeber zu prüfen, ob das vom Rentenversicherungsträger festgestellte Leistungsvermögen für eine vertragsgemäße Beschäftigung, ggf. auf einem anderen freien Arbeitsplatz ausreicht (vgl. BAG 28. Juni 1995 - 7 AZR 555/94 - AP BAT § 59 Nr. 6 = EzA BGB § 620 Nr. 134, zu I 3 b, 4 der Gründe; 11. März 1998 - 7 AZR 101/97 - AP BAT § 59 Nr. 8 = EzA BAT § 59 Nr. 5, zu 2 d der Gründe). Läßt sich eine solche Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht feststellen, ist ein sachlicher Auflösungsgrund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Ausspruch einer Kündigung gegeben, weil der Arbeitgeber den leistungsgeminderten Arbeitnehmer nicht mehr beschäftigen kann.

4. Nach den mit Revisionsrügen nicht angegriffenen und damit bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war die Klägerin nach dem vom Rentenversicherungsträger festgestellten Leistungsvermögen in der Lage, ihrer bisherigen Teilzeitbeschäftigung im Umfang von 12,75 Wochenstunden ohne Einschränkungen nachzugehen. Das bewirkt trotz der Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung arbeitsrechtlich den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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