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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 13.06.2006
Aktenzeichen: 9 AZN 226/06
Rechtsgebiete: ArbGG, ArbStättV, GG


Vorschriften:

ArbGG § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3
ArbStättV § 5
GG Art. 103
Ein Rechtsgrund zur Zulassung der Revision besteht regelmäßig nur dann, wenn sich das Landesarbeitsgericht mit der vom Beschwerdeführer in der Beschwerde formulierten Rechtsfrage befasst hat, sie also beantwortet hat. Es genügt nicht, dass das Landesarbeitsgericht nach Auffassung des Beschwerdeführers sich mit Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung hätte befassen müssen, die sich nach der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung nicht stellen.

Hinweis des Senats:

Abgrenzung zu BAG 15. Februar 2005 - 9 AZN 982/04 - AP ArbGG 1979 § 72a Grundsatz Nr. 63 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 99, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen


BUNDESARBEITSGERICHT

BESCHLUSS

9 AZN 226/06

In Sachen

hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der Beratung vom 13. Juni 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Düwell, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Reinecke, den Richter am Bundesarbeitsgericht Böck sowie die ehrenamtlichen Richter Jungermann und Dr. Klosterkemper beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 22. Dezember 2005 - 18 Sa 1193/05 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auf 7.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I. Der Kläger wurde von den beklagten Nahverkehrsbetrieben im August 1992 auf der Grundlage der für die Beklagte geltenden Tarifverträge zunächst als Zugabfertiger (U-Bahn) eingestellt. In den Jahren 1994 bis 1998 war er als Zugfahrer und anschließend als Zugprüfer mit dem ständigen Einsatzort U-Bahnhof W tätig. Zugfahrer und Zugprüfer werden nach derselben Lohngruppe vergütet. Der Kläger ist Nichtraucher. Zwischen ihm und seinen ebenfalls auf dem U-Bahnhof eingesetzten Kollegen kam es zu verschiedenen Vorfällen. Nachdem der Personalrat einer von der Beklagten beabsichtigten Kündigung nicht zugestimmt hatte, setzte die Beklagte den Kläger ab 12. August 2004 gegen seinen Willen erneut als Zugfahrer ein.

Der Kläger hält diese personelle Maßnahme für unzulässig. Er begehrt die Beschäftigung als Zugprüfer auf dem U-Bahnhof W und will festgestellt wissen, dass die von ihm als Versetzung bezeichnete Maßnahme unwirksam ist.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, weil sich die Beklagte mit der Übertragung der Tätigkeit als Zugfahrer im Rahmen ihres Direktionsrechts gehalten habe. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Das Landesarbeitsgericht ist der Auffassung des Arbeitsgerichts gefolgt. Die Herauslösung des Klägers aus der Betriebsgemeinschaft des U-Bahnhofes W habe betrieblichen Erfordernissen und billigem Ermessen entsprochen. Es könne dahingestellt bleiben, welcher "Seite" der Konfliktparteien die Entstehung und/oder die Eskalation der angespannten Situation zuzurechnen sei. Für die betrieblichen Auswirkungen sei dies ohne Bedeutung. Der Betreiber eines Unternehmens des öffentlichen Personennahverkehrs sei verpflichtet, alles zu vermeiden, was sich nachteilig auf die konzentrierte Arbeit der Arbeitnehmer und damit auf die Betriebssicherheit auswirken könne. Die räumliche Trennung der Konfliktparteien sei eine nicht zu beanstandende Reaktion auf diese Situation. Das gelte auch für die Umsetzung des Klägers statt einer Umsetzung der anderen Arbeitnehmer. Das Landesarbeitsgericht ist weiter davon ausgegangen, dass die betrieblichen Erfordernisse tatsächlich Motiv für die Umsetzung des Klägers gewesen seien und nicht etwa disziplinierende, maßregelnde oder sonstige sachfremde Motive. Die Übertragung der Aufgaben eines Zugfahrers sei gleichfalls nicht zu beanstanden. Der Kläger habe im August 2004 wegen Fehlens eines freien Arbeitsplatzes nicht als Zugprüfer eingesetzt werden können; freie Arbeitsplätze seien dagegen für Zugfahrer vorhanden gewesen. Da der Kläger bereits im Vorfeld einen ihm angebotenen anderen Arbeitsort abgelehnt habe, habe die Beklagte auch davon absehen dürfen, den Kläger durch umfangreiche Umsetzungen auf einem anderen U-Bahnhof als Zugprüfer einzusetzen.

Das Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Die Beklagte hat zwischenzeitlich das Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt. Über den Kündigungsrechtsstreit ist noch nicht entschieden.

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Die Revision ist nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung von Rechtsfragen zuzulassen.

a) Nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG in der Fassung vom 9. Dezember 2004 kann die Beschwerde auf die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage gestützt werden. Eine solche ist gegeben, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und diese Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt sind (BAG 24. März 1993 - 4 AZN 5/93 -BAGE 73, 4). Eine Rechtsfrage ist klärungsfähig, wenn sie entscheidungserheblich war, das Urteil also auf der Beantwortung dieser Rechtsfrage beruht (BAG 28. September 1989 - 6 AZN 303/89 - BAGE 63, 58). Sie ist klärungsbedürftig, wenn sie entweder noch nicht höchstrichterlich entschieden ist oder zwar entschieden ist, aber gewichtige Gesichtspunkte gegen diese Entscheidung vorgebracht werden (BAG 5. Dezember 1979 - 4 AZN 41/79 - BAGE 32, 203).

b) Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

aa) Der Kläger meint, der Rechtsstreit werfe folgende vier Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf:

"1. Kann der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf wirksamen Schutz vor den Gesundheitsgefahren des Rauchens im Sinne des § 5 ArbStV dadurch erfüllen, dass er den Arbeitnehmer umsetzt, oder anders ausgedrückt: Ist der Arbeitgeber berechtigt, im Rahmen des Direktionsrechts einen Arbeitnehmer, der einen effektiven Nichtraucherschutz im Sinne des § 5 ArbStV fordert, gegen dessen Willen umzusetzen?

2. Ist der Wunsch eines Arbeitnehmers auf einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz ein Umstand, der im Rahmen des billigen Ermessens gem. § 315 BGB bei einer Versetzung, Umsetzung oder einer sonstigen personellen Maßnahme zu Ungunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden darf?

3. Wie und in welchem Umfang ist das Bedürfnis des Klägers, seinen Anspruch auf einen absolut tabakrauchfreien Arbeitslatz am bisherigen Arbeitsplatz durchzusetzen, in die Versetzungserwägungen einzubeziehen?

4. Ist eine Umsetzung, die (auch) aus Gründen des Nichtraucherschutzes erfolgt, dann ausgeschlossen, wenn dem Arbeitnehmer dadurch die Möglichkeit eines weiteren beruflichen Aufstiegs genommen/erschwert wird?"

Der Kläger macht geltend, das Landesarbeitsgericht hätte bei richtiger Sachbehandlung sich mit dem Nichtraucherschutz iSv. § 5 ArbStättV und seinem Bemühen um einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz befassen müssen. Es hätte den Ursachen nachgehen müssen, die zu den erheblichen Spannungen zwischen ihm und den anderen am U-Bahnhof W eingesetzten Zugprüfern geführt hätten. Die von ihm formulierten Rechtsfragen seien unter Berücksichtigung der statistischen Erhebungen über die Zahl der rauchenden und nichtrauchenden Erwerbstätigen und der Belastungen der Nichtraucher am Arbeitsplatz von grundsätzlicher Bedeutung. Sie seien auch entscheidungserheblich, weil die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts bei Berücksichtigung des Nichtraucherschutzes hätte anders ausfallen können.

Damit verkennt der Kläger die Voraussetzungen des Zulassungsgrundes "grundsätzliche Bedeutung". Die Revision ist vom Bundesarbeitsgericht als Beschwerdegericht nur zuzulassen, wenn das Landesarbeitsgericht die Revision entgegen § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG rechtsfehlerhaft nicht zugelassen hat. Ein Rechtsgrund zur Zulassung besteht indessen regelmäßig nur, wenn sich das Landesarbeitsgericht mit der Rechtsfrage befasst hat, sie also beantwortet hat (vgl. GK-ArbGG/Mikosch Stand März 2006 § 72 Rn. 23). Es genügt nicht, dass das Landesarbeitsgericht nach Auffassung des Beschwerdeführers sich mit Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung hätte befassen müssen, die sich nach der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht stellen.

bb) Das Vorbringen des Klägers drängt auch keine andere Rechtsfrage auf. Zu denken wäre hier allenfalls an die Erwägung, ob ein Gericht, das die Wirksamkeit einer Umsetzung zu beurteilen hat, die im Zusammenhang mit Spannungen unter mehreren Arbeitnehmern steht, den Gründen nachgehen muss, die zu den Konflikten zwischen den Arbeitnehmern geführt haben. Die Antwort auf eine solche oder vergleichbare Frage liegt jedoch auf der Hand. Sie verschließt sich einer generellen, fallübergreifenden Aussage. Bei der Wahrnehmung des Direktionsrechts kommt es nach § 106 GewO iVm. § 315 BGB stets auf die Umstände des Einzelfalls an.

2. Die Beschwerde ist auch nicht wegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör erfolgreich.

a) Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessparteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei müssen die Parteien bei Anwendung der von ihnen zu verlangenden Sorgfalt erkennen können, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann. Auch bei umstrittener oder problematischer Rechtslage muss ein Verfahrensbevollmächtigter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und bei seinem Vortrag berücksichtigen. Stellt das Gericht seine Entscheidung ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt ab, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter nicht zu rechnen brauchte, wird ihm rechtliches Gehör zu einer streitentscheidenden Frage versagt. Ansonsten ist das Gericht vor Schluss der mündlichen Verhandlung grundsätzlich nicht zur Offenlegung seiner Rechtsauffassung verpflichtet (vgl. BVerfG 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133; 17. Februar 2004 - 1 BvR 2341/00 - DStRE 2004, 1050; BAG 31. August 2005 - 5 AZN 187/05 - AP ArbGG 1979 § 72a Rechtliches Gehör Nr. 7 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 104).

Gemessen an diesen Grundsätzen verletzt das anzufechtende Urteil des Landesarbeitsgerichts den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG. Es ist kein Rechtsgrund erkennbar, weshalb das Landesarbeitsgerichts ihn gemäß § 139 Abs. 2 ZPO hätte darauf hinweisen müssen, dass es 1. seine Forderung nach einem rauchfreien Arbeitsplatz, 2. sein Vorbringen zur Tabakrauchbelastung am Arbeitsort als Zugfahrer und 3. sein Vorbringen zu den Aufstiegsmöglichkeiten als Zugfahrer für unbeachtlich halte. Der Kläger hat, wie er selbst darlegt, zu den aus seiner Sicht für den Rechtsstreit erheblichen Rechts- und Tatfragen im Instanzenzug vorgetragen. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage nicht mangels hinreichenden Tatsachenvortrags abgewiesen, sondern weil es der Rechtsauffassung des Klägers nicht zugestimmt hat.

b) Auch die vom Kläger erhobenen "Beweisrügen" rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision. Das gilt sowohl für die nach seiner Behauptung mangelnden Möglichkeiten eines Aufstiegs aus der Position des Zugfahrers als auch für seine Behauptung, auch der Arbeitsplatz als Zugfahrer sei nicht tabakrauchfrei, weil dort trotz eines von der Beklagten angeordneten Rauchverbots geraucht werde. Nach den für die Zulassung der Revision maßgeblichen Entscheidungsgründen kommt es hierauf nicht an.

Im Übrigen verkennt der Kläger, dass das Gericht nicht verpflichtet ist, zu jeder näher angesprochenen Frage im Urteil Stellung zu nehmen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte brauchen nicht jedes Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu behandeln (vgl. etwa BVerfG 8. Oktober 2003 - 2 BvR 949/02 - EzA GG Art. 103 Nr. 5; BAG 22. März 2005 - 1 ABN 1/05 - AP ArbGG 1979 § 72a Rechtliches Gehör Nr. 3 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 101, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Nach § 313 Abs. 3 ZPO sollen die Entscheidungsgründe eine "kurze Zusammenfassung" der Erwägungen enthalten, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht. Allein der Umstand, dass sich die Gründe einer Entscheidung mit einem bestimmten Gesichtspunkt nicht ausdrücklich auseinander setzen, rechtfertigt daher nicht die Annahme, das Gericht habe diesen Gesichtspunkt bei seiner Entscheidung nicht erwogen. Vielmehr bedarf es hierzu besonderer Umstände (vgl. BVerfG 8. Oktober 2003 - 2 BvR 949/02 - aaO). Solche Umstände hat der Kläger nicht dargetan; sie sind auch nicht ersichtlich.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.



Ende der Entscheidung

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