Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 24.03.1998
Aktenzeichen: 9 AZR 218/97
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 613 a
Leitsatz:

§ 613 a BGB ist auf Heimarbeitsverhältnisse weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden (Bestätigung von BAG Urteil vom 3. Juli 1980 - 3 AZR 1077/78 - BAGE 34, 43 = AP Nr. 23 zu § 613 a BGB)

Aktenzeichen: 9 AZR 218/97 Bundesarbeitsgericht 9. Senat Urteil vom 24. März 1998 - 9 AZR 218/97 -

I. Arbeitsgericht Krefeld Urteil vom 25. September 1996 - 1 Ca 1811/96 -

II. Landesarbeitsgericht Düsseldorf Urteil vom 30. Januar 1997 - 13 Sa 1639/96 -


---------------------------------------------------------------------- Für die Amtliche Sammlung: Nein Für die Fachpresse : Ja Für das Bundesarchiv : Nein ----------------------------------------------------------------------

Entscheidungsstichworte: Betriebsübergang und Kündigung eines Heimarbeitsverhältnisses

Gesetz: BGB § 613 a

9 AZR 218/97 ------------- 13 Sa 1639/96 Düsseldorf

Im Namen des Volkes! Urteil

Verkündet am 24. März 1998

Brüne, Regierungssekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In Sachen

pp.

hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgericht aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. März 1998 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Leinemann, den Richter Düwell und die Richterin Reinecke sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Kappes und Ott für Recht erkannt:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 30. Januar 1997 - 13 Sa 1639/96 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Klägerin war seit dem 15. Februar 1984 für die Beklagte als Heimarbeiterin tätig. Mit Schreiben vom 23. Mai 1996 kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis zum 31. Oktober 1996 mit der Begründung, sie schließe ihre Produktion zum 1. Juli 1996.

Mit ihrer am 21. Juni 1996 erhobenen Klage hat die Klägerin die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. Hierzu hat sie behauptet, die Beklagte habe ihre Produktion auf die T-GmbH übertragen.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt

festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Heimarbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 23. Mai 1996 nicht aufgelöst worden ist und über den 31. Oktober 1996 hinaus fortbesteht.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Heimarbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten rechtswirksam beendet worden.

I. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht davon abgesehen, die Kündigung auf ihre soziale Rechtfertigung im Sinne von § 1 KSchG zu überprüfen. Das Rechtsverhältnis der in Heimarbeit Beschäftigten ist durch Merkmale des Arbeitsrechts wie auch des Werkvertragsrechts gekennzeichnet. Auch wenn Heimarbeiter vielfach in die arbeitsrechtlichen Schutzgesetze einbezogen werden, sind sie keine Arbeitnehmer (vgl. allgemein Schmidt/Koberski/Tiemann/Wascher, HAG, 4. Aufl., Anh. § 19 Rz 1 ff.). Ihr Rechtsverhältnis bestimmt sich vorrangig nach dem Heimarbeitsgesetz und ihr Kündigungsschutz deshalb nach §§ 29, 29 a HAG. Hiergegen erhebt die Revision keine Einwendungen.

II. Die Kündigung ist nicht wegen eines Verstoßes gegen § 613 a Abs. 4 BGB rechtsunwirksam. Die Vorschrift ist nicht unmittelbar anwendbar.

1. Die Vorinstanzen haben offengelassen, ob die Behauptung der Klägerin zu der Verlagerung der Produktion der Beklagten auf die T-GmbH zutrifft, und ob darin ggf. ein Teilbetriebsübergang im Sinne von § 613 a Abs. 1 BGB liegt. Das ist nicht zu beanstanden. Die Vorschrift betrifft nur die im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse. Rechtsunwirksam sind nach § 613 a Abs. 4 BGB nur Kündigungen, die wegen des Inhaberwechsels gegenüber Arbeitnehmern ausgesprochen werden. Hierzu gehören Heimarbeiter nicht.

2. An dieser Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs ist auch nach der Änderung des § 613 a BGB durch das Europarechtliche Anpassungsgesetz vom 13. August 1980 (BGBl I, 1308) festzuhalten.

Mit der Ergänzung des § 613 a Abs. 1 BGB um die Sätze 2 bis 4 und der Aufnahme des Kündigungsverbots in Abs. 4 ist die EG-Richtlinie vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 5. März 1977 Nr. L 61, S. 26) in das deutsche Recht umgesetzt worden. Die Richtlinie überläßt es jedoch den Mitgliedstaaten, die Personen zu bestimmen, die nach dem nationalen Recht Arbeitnehmer sind oder als solche gelten. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist die Richtlinie deshalb nur auf Personen anwendbar, die auf die eine oder andere Weise nach den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten als Arbeitnehmer geschützt sind. Nur für diesen Fall sichert die Richtlinie, daß ihre Rechte aus dem Arbeitsvertrag oder aus dem Arbeitsverhältnis nicht durch den Betriebsübergang geschmälert werden (EuGH Urteil vom 11. Juli 1985, Rs 105/84, Sammlung 1985, S. 2639 "Mikkelsen"; vgl. Oetker/Preis, Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, B 1100 Rz 161; Felsner, Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen von Unternehmensübernahmen in Europa, 1997, S. 93 ff.; von Alvensleben, Die Rechte der Arbeitnehmer bei Betriebsübergang im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1992, S. 160 ff., 170). Nichts anderes ist § 613 a BGB zu entnehmen.

III. § 613 a Abs. 4 BGB ist auf die Kündigung eines Heimarbeitsverhältnisses auch nicht entsprechend anzuwenden.

1. Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 3. Juli 1980 (- 3 AZR 1077/78 - BAGE 34, 34 = AP Nr. 23 zu § 613 a BGB) eine entsprechende Anwendung von § 613 a BGB auf Heimarbeitsverhältnisse abgelehnt. Die Entscheidung hat weitgehend Zustimmung gefunden (vgl. u.a. Erman/Hanau, BGB, 9. Aufl. 1993, § 613 a Rz 44; Soergel/Raab, BGB, 12. Aufl., § 613 a Rz 16; BGB-RGRK/Ascheid, 12. Aufl., § 613 a Rz 26; Staudinger/Richardi, BGB, 12. Aufl., § 613 a Rz 30; MünchKomm-Schaub, 3. Aufl., § 613 a Rz 12; MünchArbR/Heenen, § 231 Rz 89; GK zum Kündigungsrecht/Rost, 4. Aufl., Arbeitnehmerähnliche Personen Rz 37 a, 159 a; Dieter Gaul, Der Betriebsübergang, 2. Aufl. E II. 7; so auch Lepke, BB 1979, 526; Mehrle, AR-Blattei SD, Ausgabe 1997, Heimarbeit Rz 138 f.; Otten, Heim- und Telearbeit, 1996, B Rz 254, Schmidt/Koberski/Tiemann/Wascher, Heimarbeitsgesetz, 4. Aufl., Anh. § 19 Rz 37, anders: § 29 Rz 55).

2. Für eine entsprechende Anwendung von § 613 a BGB wird die den Arbeitnehmern vergleichbare soziale Schutzbedürftigkeit der Heimarbeiter angeführt und auf die mögliche Umgehung der Schutzvorschriften der §§ 29, 29 a HAG verwiesen (vgl. GK zum Kündigungsrecht/Pfeiffer, 4. Aufl., § 613 a Rz 11; Tiefenbacher, AR-Blattei SD, Ausgabe 1997, Arbeitnehmerähnliche Personen Rz 35, 37; Schmidt/Koberski/Tiemann/Wascher, Heimarbeitsgesetz, 4. Aufl., § 29 Rz 55; Seiter, Betriebsinhaberwechsel, 1980, S. 57). Teils wird die entsprechende Anwendung für die Heimarbeiter befürwortet, die nach § 6 Abs. 1 Satz 2 und § 6 Abs. 2 Satz 2 BetrVG als Arbeitnehmer im Sinne des BetrVG gelten (Heinze, DB 1980, 205). Das Landesarbeitsgericht hält es für nicht überzeugend, zwar Arbeitnehmer ohne Kündigungsschutz in den Anwendungsbereich der Vorschrift einzubeziehen, Heimarbeitern den Schutz der Vorschrift jedoch deshalb zu versagen, weil sie nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterliegen.

3. Diese Erwägungen rechtfertigen die analoge Anwendung von § 613 Abs. 4 BGB nicht. An der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist festzuhalten.

Eine entsprechende Anwendung kommt regelmäßig nur in Betracht, wenn die gesetzliche Regelung planwidrig lückenhaft erscheint, insbesondere der allgemeine Gleichheitssatz sie gebietet (vgl. BAG Urteil vom 12. November 1992 - 8 AZR 157/92 - BAGE 71, 355 = AP Nr. 6 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX; BAG Urteil vom 9. November 1994 - 7 AZR 19/94 - BAGE 78, 244 = AP Nr. 33 zu Art. 33 Abs. 2 GG; BAG Urteil vom 24. Juni 1986 - 3 AZR 1/85 - BAGE 52, 238 = AP Nr. 2 zu § 29 HAG).

Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.

a) Soweit der Gesetzgeber bisher Heimarbeiter den Arbeitnehmern gleichstellen wollte, hat er dies durch entsprechende Verweisung oder Fiktionen ausdrücklich geregelt (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG; §§ 10, 11 EFZG; § 12 BUrlG; § 1 Abs. 2 Ziff. 1 BSchG). Das betrifft auch den Kündigungsschutz. Dieser bestimmt sich innerhalb des Heimarbeitsgesetzes nach § 29 und § 29 a HAG. In den kollektiven Kündigungsschutz von § 102 BetrVG (vgl. BAG Urteil vom 7. November 1995 - 9 AZR 268/94 - AP Nr. 74 zu § 102 BetrVG 1972) werden Heimarbeiter nur über § 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 BetrVG einbezogen. Auch der für Arbeitnehmer bestehende öffentlich-rechtliche Kündigungsschutz gilt für Heimarbeiter jeweils aufgrund gesetzlicher Anordnung. Nach dem geltenden Recht wird in diesem Bereich die Gruppe der in Heimarbeit Beschäftigten nicht einmal einheitlich behandelt. So setzt der Kündigungsschutz für Wehrpflichtige und Zivildienstleistende voraus, daß der in Heimarbeit Beschäftigte aus der Heimarbeit seinen Lebensunterhalt bezieht (§ 7 ArbPlSchG, § 78 Abs. 1 ZDG). Im Erziehungsurlaub sind Heimarbeiter vor Kündigung geschützt, die ihnen Gleichgestellten nur dann, wenn sie am Stück mitarbeiten (§ 20 Abs. 2 BErzGG). Während nach § 49 SchwbG alle Schwerbehinderten, in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten Kündigungsschutz haben, gilt demgegenüber § 9 MuSchG zwar für alle Heimarbeiterinnen, für Gleichgestellte aber nur dann, wenn die Gleichstellung hierauf ausdrücklich erstreckt ist. Auch das Betriebsverfassungsrecht enthält eine differenzierte Lösung. Als Arbeitnehmer gelten nur Heimarbeiter, die in der Hauptsache für den Betrieb arbeiten; Gleichgestellte können keinen kollektiven Schutz erwerben (§ 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 BetrVG).

b) Der Heimarbeiter ist daher nur unter besonderen Voraussetzungen vor einer Beendigung durch Kündigung geschützt. Allgemeiner Kündigungsschutz besteht nur nach § 29 HAG. Er verwirklicht sich durch die Verpflichtung des Auftraggebers, je nach Dauer des Beschäftigungsverhältnisses Kündigungsfristen einzuhalten. Für diesen Zeitraum besteht Entgeltschutz nach Maßgabe von § 29 Abs. 7 HAG. Der Heimarbeiter erwirbt damit regelmäßig keinen dem Kündigungsschutzgesetz vergleichbaren Bestandsschutz. Hiermit läßt sich die Heranziehung von § 613 a Abs. 4 BGB nicht vereinbaren. Die Norm gewährleistet einen Bestandsschutz, den Heimarbeitnehmer ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung nicht haben. Die Gefahr einer Umgehung von § 29 HAG begründet deshalb auch nicht die Anwendung von § 613 a BGB. Vielmehr widerspricht es der Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers, gerade in der Phase des Wechsels des Betriebsinhabers eine Kündigungsmöglichkeit auszuschließen.

c) Das geltende Recht kann allerdings zu unbefriedigenden Folgen führen. Denn die Nichtanwendung von § 613 a BGB kann die Funktionsfähigkeit des Betriebsrates beeinträchtigen, wenn die Beschäftigungsverhältnisse der nach § 29 a HAG geschützten Heimarbeiter nicht auf den Betriebserwerber übergehen. Ob in diesen Fällen eine entsprechende Anwendung von § 613 a Abs. 4 BGB in Betracht kommt, kann offenbleiben.

d) Eine entsprechende Anwendung von § 613 a Abs. 4 BGB ist nicht nach Art. 3 Abs. 1 GG geboten. Das gilt auch unter Berücksichtigung von Art. 12 GG.

Die Kündigungsfristen nach § 29 Abs. 3 und Abs. 4 HAG für die Heimarbeiter, die überwiegend von einem Auftraggeber beschäftigt werden, sind erst durch das Kündigungsfristengesetz vom 7. Oktober 1993 (BGBl I, 1668) mit Wirkung zum 15. Oktober 1993 den für Arbeitnehmer geltenden Fristen des § 622 BGB angepaßt worden. Die Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern und Heimarbeitern in der früheren Regelung, wonach bei Heimarbeitern die Beschäftigungszeiten vor Vollendung des 35. Lebensjahres für die Berechnung der Kündigungsfristen unerheblich waren, hat das Bundesarbeitsgericht bereits als verfassungskonform beurteilt (BAG Urteil vom 24. Juni 1986 - 3 AZR 1/85 - BAGE 52, 238 = AP Nr. 2 zu § 29 HAG). Das gilt auch für die insgesamt schwächere Ausgestaltung des Kündigungsschutzes bei Heimarbeitern im Verhältnis zu dem der Arbeitnehmer. Heimarbeiter sind dadurch nicht schutzlos willkürlichen Kündigungen ausgesetzt. Vielmehr sind die Generalklauseln in den §§ 134, 138 und 242 BGB maßgeblich (vgl. hierzu auch BVerfG Beschluß vom 27. Januar 1998 - 1 BvL 15/87).

Die Revision macht nicht geltend, daß die Kündigung aus einem dieser Gründe unwirksam wäre.

e) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist es nicht widersprüchlich, wenn das Kündigungsverbot zwar auch für Arbeitnehmer ohne den Bestandsschutz nach §§ 1 ff. KSchG gilt (vgl. BAG Urteil vom 31. Januar 1985 - 2 AZR 530/83 - BAGE 48, 40 = AP Nr. 40 zu § 613 a BGB), nicht aber für Heimarbeiter.

Die Einbeziehung der Arbeitnehmer ohne Kündigungsschutz in den Geltungsbereich des § 613 a BGB ist bloße Nebenfolge der für Arbeitsverhältnisse grundsätzlich geltenden Bestandsschutzvorschriften. Sie ist überdies durch das Gemeinschaftsrecht zwingend vorgegeben. Denn zu den Arbeitnehmern im Sinne der Richtlinie 77/187 gehören alle Personen, die nach nationalem Recht Kündigungsschutz als Arbeitnehmer haben. Kündigungsschutz im Sinne der Richtlinie sind auch Kündigungsfristen (EuGH Urteil vom 15. April 1986 - Rs 237/84 - - Vertragsverletzungsverfahren gegen das Königreich Belgien - Amtliche Sammlung 1986, 1247).

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück