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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 19.05.1998
Aktenzeichen: 9 AZR 327/96
Rechtsgebiete: HGB


Vorschriften:

HGB § 75 Abs. 1 und Abs. 3
HBG § 75 a
HGB § 90 a
Leitsätze:

1. Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit einem kaufmännischen Angestellten wegen dessen vertragswidrigen Verhaltens aus wichtigem Grund, kann er sich in entsprechender Anwendung des § 75 Abs. 1 HGB von einer nachvertraglichen Wettbewerbsvereinbarung binnen eines Monats nach der Kündigung durch eine schriftliche Erklärung lösen (Anschluß an BAG Urteile vom 23. Februar 1977 - 3 AZR 620/75 - BAGE 29, 30 = AP Nr. 6 zu § 75 HGB; vom 17. Februar 1987 - 3 AZR 59/86 - AP Nr. 4 zu § 75 a HGB).

2. Sagt sich der Arbeitgeber vor Ablauf eines Monats nach Ausspruch der außerordentlichen Kündigung von der Wettbewerbsvereinbarung los, so kann nach Ausspruch einer Wiederholungskündigung eine erneute Lösungserklärung entbehrlich sein.

Aktenzeichen: 9 AZR 327/96 Bundesarbeitsgericht 9. Senat Urteil vom 19. Mai 1998 - 9 AZR 327/96 -

I. Arbeitsgericht Gelsenkirchen - 6 (3) Ca 130/94 - Schlußurteil vom 24. November 1994

II. Landesarbeitsgericht Hamm - 16 Sa 525/95 - Urteil vom 07. Dezember 1995


---------------------------------------------------------------------- Für die Amtliche Sammlung: Nein Für die Fachpresse : Ja Für das Bundesarchiv : Nein ----------------------------------------------------------------------

Entscheidungsstichworte: Lösung vom Wettbewerbsverbot wegen vertragswidrigen Verhal- tens des Arbeitnehmers

Gesetz: HGB § 75 Abs. 1 und Abs. 3, § 75 a, § 90 a

9 AZR 327/96

16 Sa 525/95 Hamm

Im Namen des Volkes! Urteil

Verkündet am 19. Mai 1998

Brüne, Reg.-Obersekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In Sachen

pp.

hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. Mai 1998 durch den Richter Düwell als Vorsitzenden, die Richterin Reinecke und den Richter Bott sowie die ehrenamtlichen Richter Schmidt und Kranzusch für Recht erkannt:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 7. Dezember 1995 - 16 Sa 525/95 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten noch darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Karenzentschädigung zu zahlen.

Der Kläger war seit 10. März 1986 bei der Beklagten als kaufmännischer Angestellter, zuletzt als Bereichsleiter Verkauf beschäftigt. Am 20. Juli 1992 trafen die Parteien eine Ergänzungsvereinbarung zum Arbeitsvertrag, von der eine Urkunde dem Kläger ausgehändigt wurde. Darin wurde ein einjähriges nachvertragliches Wettbewerbsverbot gegen die Zusage einer Entschädigung von 75 % der zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen geregelt. Am 7. Juni 1993 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis wegen vertragswidrigen Verhaltens des Klägers außerordentlich. Nach Erhebung der Kündigungsschutzklage am 22. Juni 1993 schrieb die Beklagte dem Kläger am 25. Juni 1993:

...

hiermit möchte ich Ihnen mitteilen, daß ich Sie von der Einhaltung der Konkurrenzklausel entbinde und aus diesem Grunde auch keine Karenzentschädigung an Sie zahlen werde. ...

Während des laufenden Kündigungsschutzprozesses kündigte die Beklagte, als weitere Unregelmäßigkeiten bekannt wurden, das Arbeitsverhältnis am 26. Juli 1993 vorsorglich erneut fristlos.

Die hiergegen erhobene Klage hat das Arbeitsgericht Gelsenkirchen rechtskräftig abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, daß die weitere außerordentliche Kündigung wegen vertragswidrigen Verhaltens des Klägers gerechtfertigt war. Bis Ende Januar 1994 war der Kläger arbeitslos gemeldet. Er hat von der Beklagten die Zahlung von Karenzentschädigung verlangt. Das hat die Beklagte abgelehnt, weil das Wettbewerbsverbot unwirksam geworden sei.

Mit der Erweiterung der zunächst nur wegen Arbeitsentgelts erhobenen Klage hat der Kläger am 2. Februar 1994 auch die Karenzentschädigung für den 27. Juli 1993 bis 31. Januar 1994 gerichtlich geltend gemacht. Er hat insoweit beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 67.740,30 DM brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, der Kläger sei spätestens seit November 1993 für ein Konkurrenzunternehmen als freier Handelsvertreter tätig geworden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger weiterhin sein erstinstanzliches Prozeßziel.

Entscheidungsgründe:

I. Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Karenzentschädigung. Das am 20. Juli 1992 vereinbarte Wettbewerbsverbot ist nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 27. Juli 1993 nicht wirksam geworden.

1. Der in der Vereinbarung vom 20. Juli 1992 geregelte Anspruch des Klägers auf Entschädigung ist nicht schon nach § 75 Abs. 3 HGB erloschen, weil die Beklagte das Arbeitsverhältnis wegen vertragswidrigen Verhaltens des Klägers aus wichtigem Grund gekündigt hat.

§ 75 Abs. 3 HGB enthält als Sanktion für vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers die Rechtsfolge, daß der Arbeitnehmer das vereinbarte nachvertragliche Wettbewerbsverbot entschädigungslos einhalten muß. Diese Regelung ist durch das Gesetz zur Änderung der §§ 74, 75 und des § 76 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches vom 10. Juni 1914 (RGBl. I, 209) eingeführt worden und gilt seitdem unverändert. Seine Anwendung ist lediglich für das Gebiet der ehemaligen DDR durch den Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889, 959) ausgeschlossen. Das Bundesarbeitsgericht hat in ständiger Rechtsprechung angenommen, daß diese vorkonstitutionelle Norm gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt und deshalb nichtig ist (BAG Urteil vom 23. Februar 1977 - 3 AZR 620/75 - BAGE 29, 30 = AP Nr. 6 zu § 75 HGB und Urteil vom 17. Februar 1987 - 3 AZR 59/86 - AP Nr. 4 zu § 75 a HGB). Daran ist festzuhalten. § 75 Abs. 3 HGB stellt den Arbeitgeber bei einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Arbeitnehmer, der außerordentlich kündigt, willkürlich besser. Das zeigt der Vergleich der in § 75 Abs. 3 HGB für die außerordentliche Arbeitgeberkündigung und in § 75 Abs. 1 HGB für die außerordentliche Arbeitnehmerkündigung geregelten Rechtsfolgen. Der Arbeitnehmer, der außerordentlich kündigt, hat nach § 75 Abs. 1 HGB nur ein Wahlrecht zwischen Fortbestehen und Wegfall des Wettbewerbsverbots. Wegen des generellen Ausschlusses der Karenzentschädigung hat das Bundesverfassungsgericht ebenso die für Handelsvertreter geltende nachkonstitutionelle Regelung des entschädigungslosen Wettbewerbsverbots nach § 90 a Abs. 2 Satz 2 HGB als mit Art. 12 Abs. 1 GG für unvereinbar erklärt (BVerfG Beschluß vom 7. Februar 1990 - 1 BvR 26/84 - BVerfGE 81, 242 = AP Nr. 65 zu Art. 12 GG).

2. Die Beklagte ist in entsprechender Anwendung des § 75 Abs. 1 HGB von der Verpflichtung zur Zahlung der Karenzentschädigung befreit worden. Sie hat das Arbeitsverhältnis wegen des vertragswidrigen Verhaltens des Klägers aus wichtigem Grund gekündigt und sich durch die schriftliche Erklärung vom 25. Juni 1993 von dem vereinbarten nachvertraglichen Wettbewerbsverbot wirksam losgesagt.

a) Die durch die Verfassungswidrigkeit des § 75 Abs. 3 HGB entstandene Lücke hat die Rechtsprechung durch eine entsprechende Anwendung des § 75 Abs. 1 HGB geschlossen (BAG Urteil vom 23. Februar 1977 - 3 AZR 620/75 - BAGE 29, 30, 37, 38 = AP Nr. 6 zu § 75 HGB; BAG Urteil vom 17. Februar 1987 - 3 AZR 59/86 - AP Nr. 4 zu § 75 a HGB, mit zust. Anm. Schaub in EWiR 1987, 695). Danach können der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer bei vertragswidrigem Verhalten der anderen Arbeitsvertragspartei die Unwirksamkeit der nachvertraglichen Wettbewerbsvereinbarung durch einseitige schriftliche Erklärung herbeiführen. Dieses gleichermaßen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer geltende Wahlrecht ist inzwischen auch von der Gesetzgebung anerkannt worden. Das Handelsrechtsreformgesetz vom 22. Juni 1998 (BGBl. I S. 1474) hat die nichtige Vorschrift des § 90 a Abs. 2 Satz 2 HGB aufgehoben und in dem neu gefaßten § 90 a Abs. 3 HGB das Recht, sich aus wichtigem Grund von der Wettbewerbsvereinbarung loszusagen, auf beide Vertragsparteien ausgedehnt.

b) Das Landesarbeitsgericht hat die schriftliche Erklärung der Beklagten vom 25. Juni 1993 so ausgelegt, daß der Kläger erkennen mußte, die Beklagte habe mit sofortiger Wirkung auf die Einhaltung des nachvertraglichen Wettbewerbs verzichtet. Da die Beklagte nach dem rechtskräftigen Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen am 26. Juli 1993 das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund gekündigt habe, sei der Anspruch auf Karenzentschädigung erloschen. Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 17. Februar 1987 (- 3 AZR 59/86 - AP Nr. 4 zu § 75 a HGB) habe es dazu nach Ausspruch der erneuten außerordentlichen Kündigung keiner weiteren Erklärung zum Wettbewerbsverbot bedurft.

c) Das erweist sich im Ergebnis als richtig. Auf die von der Revision beanstandete Auslegung der Erklärung vom 25. Juni 1993 als Verzicht i.S.v. § 75 a HGB kommt es nicht an.

(1) Der Beklagte mußte nach den §§ 133, 157 BGB die ihm zugegangene Erklärung der Beklagten so verstehen, daß die Beklagte sich von der am 20. Juli 1992 geschlossenen Wettbewerbsvereinbarung wegen des vertragswidrigen Verhaltens des Klägers, das Anlaß der außerordentlichen Kündigung vom 7. Juni 1993 war, lossagen wollte. Das räumt die Revision auch ein, wenn sie anführt, ein nach Ausspruch einer fristlosen Kündigung erklärter Verzicht sei stets als Lossagung i.S.v. § 75 Abs. 1 HGB zu verstehen und deshalb nur wirksam, wenn ein wichtiger Grund bestehe. Der zeitliche Zusammenhang spricht auch für dieses Verständnis. Die Beklagte hat unmittelbar nach Erhebung der Kündigungsschutzklage erklärt, daß sie sich nicht mehr an die Wettbewerbsvereinbarung gebunden erachte.

(2) Das Arbeitsverhältnis ist wegen des vertragswidrigen Verhaltens des Klägers von der Beklagten am 26. Juli 1993 außerordentlich gekündigt worden. Die Wirksamkeit dieser Kündigung steht nach dem rechtskräftigen Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen fest.

(3) Entgegen der Ansicht der Revision bedurfte es nach der erneuten Kündigung vom 26. Juli 1993 keiner weiteren Lossagung der Beklagten.

Zwar schreibt § 75 Abs. 1 HGB vor, daß die Lösungserklärung vor Ablauf eines Monats nach der Kündigung abzugeben ist. Eine erneute Erklärung ist aber entbehrlich, wenn im Fall einer Wiederholungskündigung der Arbeitnehmer erkennen muß, daß der Arbeitgeber nicht nur an der Vertragsbeendigung, sondern auch an der Lösung von der Wettbewerbsvereinbarung festhalten will.

So ist es hier. Nach den vom Landesarbeitsgericht festgestellten Umständen mußte der Kläger die vorsorgliche erneute außerordentliche Kündigung so verstehen (§§ 133, 157 BGB), daß die Beklagte weiterhin die sofortige Aufhebung des Arbeitsverhältnisses und der Wettbewerbsvereinbarung herbeiführen wollte. Dem Kläger war wegen des laufenden Kündigungsschutzprozesses der Vorwurf der Beklagten bekannt, er habe finanzielle Unregelmäßigkeiten begangen. Er wußte, daß die Beklagte die zweite außerordentliche Kündigung nur aus Vorsorge ausgesprochen hatte, weil möglicherweise die bisher dem Gericht mitgeteilten Kündigungsgründe nicht ausreichten. Unter diesen Umständen war die von der Revision geforderte erneute Lossagung nach Ausspruch der zweiten außerordentlichen Kündigung entbehrlich.

II. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

Ende der Entscheidung

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