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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 08.12.1998
Aktenzeichen: 9 AZR 622/97
Rechtsgebiete: KO


Vorschriften:

KO § 59
KO § 60
Leitsatz:

Nach Feststellung der Masseunzulänglichkeit begründete Ansprüche des Arbeitnehmers aus Annahmeverzug sind nach dem in § 60 Abs. 1 KO bestimmten Verhältnis nach Rang und Quote zu befriedigen und nicht vorweg zu berichtigen, auch dann, wenn der zunächst weiterbeschäftigte Arbeitnehmer aufgrund einer rechtsunwirksamen Kündigung des Konkursverwalters nicht weiterbeschäftigt worden ist (Bestätigung und Fortführung von BAG Urteil vom 30. August 1989 - 4 AZR 202/89 - BAGE 62, 338 = AP Nr. 7 zu § 60 KO).

Aktenzeichen: 9 AZR 622/97 Bundesarbeitsgericht 9. Senat Urteil vom 08. Dezember 1998 - 9 AZR 622/97 -

I. Arbeitsgericht Hagen Urteil vom 27. Oktober 1995 - 4 Ca 244/95 -

II. Landesarbeitsgericht Hamm Urteil vom 02. Juli 1997 - 2 Sa 2326/95 -


---------------------------------------------------------------------- Für die Amtliche Sammlung: Nein Für die Fachpresse : Ja Für das Bundesarchiv : Nein ----------------------------------------------------------------------

Entscheidungsstichworte: Anspruch aus Annahmeverzug nach festgestellter Massearmut - Neumasseschuld

Gesetz: KO §§ 59, 60

9 AZR 622/97 2 Sa 2326/95 Hamm

Im Namen des Volkes! Urteil

Verkündet am 8. Dezember 1998

Brüne, Reg.-Obersekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In Sachen

pp.

hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 8. Dezember 1998 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Leinemann, den Richter Düwell und die Richterin Reinecke sowie die ehrenamtlichen Richter Holze und Kranzusch für Recht erkannt:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 2. Juli 1997 - 2 Sa 2326/95 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von dem Beklagten vorrangige Befriedigung eines Entgeltanspruchs für Zeiten seiner Nichtbeschäftigung.

Der Kläger war seit dem 2. Januar 1993 bei der F. AG (Gemeinschuldnerin) mit einem Bruttomonatsgehalt von 5.500,00 DM zuzüglich Provision beschäftigt. Er leitete die Niederlassung H., in der außer ihm eine weitere Mitarbeiterin als Teilzeitkraft tätig war. Am 28. Februar 1994 wurde über das Vermögen der Arbeitgeberin das Konkursverfahren eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter bestellt. Unter dem 1. März 1994 zeigte der Beklagte im Hessischen Staatsanzeiger Masseunzulänglichkeit an. Der Beklagte führte mit einem Teil der Mitarbeiter den Betrieb der Gemeinschuldnerin zunächst fort; 115 Arbeitnehmer wurden sofort freigestellt. Der Kläger wurde bis zum 20. April 1994 beschäftigt und bezahlt. Mit Schreiben vom 20. April 1994 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht und stellte den Kläger mit sofortiger Wirkung von seiner Arbeitsleistung frei, da der Kläger von Kunden vereinnahmte Barzahlungen nicht an die Gemeinschuldnerin weitergeleitet hatte. Die hiergegen vom Kläger erhobene Kündigungsschutzklage hatte wegen fehlender Anhörung des Betriebsrats Erfolg.

Die Niederlassung H. wurde Mitte Mai 1994 geschlossen. Die dort beschäftigte Mitarbeiterin erledigte noch bis Ende Mai 1994 oder bis Ende Juni 1994 Restarbeiten.

Der Kläger hat mit seiner am 12. April 1995 erhobenen Klage Zahlung für die Zeit vom 21. April bis 30. Juni 1994 in rechnerisch unstreitiger Höhe verlangt. Er hat geltend gemacht, seine Forderung sei als sog. Neumasseschuld vorrangig aus der Konkursmasse zu befriedigen.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 12.964,68 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag ab 12. April 1995 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

den Kläger mit der Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vom Landesarbeitsgericht im Urteilsspruch zugelassenen Revision. Der Beklagte bittet um deren Zurückweisung.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen durch Leistungsklage durchsetzbaren Anspruch auf Zahlung von Arbeitsentgelt für die Zeit vom 21. April 1994 bis 30. Juni 1994, weil der Beklagte wirksam die Einrede der Masseunzulänglichkeit erhoben hat.

I. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung des Arbeitsentgelts für den streitbefangenen Zeitraum nach §§ 611, 615 BGB i.V.m. §§ 293, 296 BGB. Der Beklagte hat dem arbeitsbereiten und arbeitsfähigen Kläger nach Ausspruch der fristlosen Kündigung seit dem 21. April 1994 keinen Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt und ist deshalb in Annahmeverzug geraten (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG Urteil vom 24. November 1994 - 2 AZR 179/94 - BAGE 78, 333 = AP Nr. 60 zu § 615 BGB). Hierüber streiten die Parteien nicht. Auch der Beklagte macht nicht geltend, er sei aus besonderen Gründen berechtigt gewesen, die Arbeitsleistung des Kläger mit der Folge abzulehnen, daß dessen Entgeltansprüche erlöschen.

II. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, den Zahlungsanspruch des Klägers zu erfüllen. Die Konkursmasse ist im Sinne von § 60 KO unzulänglich.

1. Der Anspruch des Arbeitnehmers aus Annahmeverzug ist, soweit er nach Eröffnung des Konkursverfahrens fällig wird, Masseanspruch nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 KO. Massegläubiger nehmen grundsätzlich nicht am konkursrechtlichen Verteilungsverfahren teil; ihre Ansprüche sind nach § 57 KO vorweg in voller Höhe aus der Konkursmasse zu befriedigen. Das gilt aber nicht bei Massearmut. Sobald sich herausstellt, daß der Stand der Konkursmasse die gleichmäßige Befriedigung aller Massegläubiger nicht erwarten läßt, sind die Masseansprüche nur nach ihrem in § 60 KO bestimmten Rang und in Höhe der verbleibenden Quote zu berichtigen. Dem ist im Erkenntnisverfahren Rechnung zu tragen. Der Konkursverwalter kann nicht (mehr) auf volle Leistung in Anspruch genommen werden. Solange die Quote nicht feststeht, scheidet auch eine Verurteilung des Konkursverwalters zur anteiligen Zahlung aus (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vgl. BAG Urteil vom 31. Januar 1979 - 5 AZR 749/97 - AP Nr. 1 zu § 60 KO; zuletzt Urteil vom 11. August 1998 - 9 AZR 135/97 - NJW 1999, 517).

2. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 561 ZPO) steht dem Beklagten nicht genügend freie Masse zur Verfügung, um alle Masseansprüche in voller Höhe bedienen zu können; die auf Masseansprüche im Rang des Anspruchs des Klägers entfallende Quote kann ebenfalls noch nicht beziffert werden. Gegen diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts wendet sich die Revision nicht. Die Revision macht auch nicht geltend, der Anspruch des Klägers solle zumindest in seiner Höhe als Masseanspruch durch Urteil festgestellt werden.

III. Der Kläger kann auch nicht aus anderen Gründen eine vorrangige Berichtigung seines Masseanspruchs verlangen.

1. Eine Gleichbehandlung mit den Ansprüchen des Konkursverwalters kommt nicht in Betracht.

Der Konkursverwalter kann sich seiner gesetzlichen Aufgabe nicht entziehen, trotz festgestellter Massearmut die Konkursmasse zu verwalten und zu verwerten. Damit ist nicht zu vereinbaren, die ihm für diese Tätigkeit zustehende Vergütung nach Maßgabe von § 60 KO zu kürzen. Die Vorschrift ist deshalb verfassungskonform (Art. 12 GG) auszulegen. Die Honoraransprüche des Konkursverwalters sind vorrangig und zwar vor allen Ansprüchen anderer Massegläubiger aus der Konkursmasse zu berichtigen (BVerfG Beschluß vom 30. März 1993 - 1 BvR 1045/89 - und - 1 BvR 1381/90 - sowie - 1 BvL 11/90 - BVerfGE 88, 145; BGH Urteil vom 5. Dezember 1991 - IX ZR 275/90 - BGHZ 116, 233).

Mit dieser Ausgangslage ist die Situation des Klägers nicht vergleichbar. Er ist als Arbeitnehmer nicht aufgrund Gesetzes verpflichtet, seine Arbeitskraft im Interesse der Massegläubiger einzusetzen.

2. Der Kläger kann auch keine Gleichbehandlung mit den Arbeitnehmern beanspruchen, die der Beklagte für die Abwicklung des Konkurses mit Restarbeiten beschäftigt hat und denen er für die Dauer ihrer Weiterbeschäftigung das Arbeitsentgelt gezahlt hat.

a) Nach dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ist es dem Arbeitgeber untersagt, einzelne Arbeitnehmer oder Arbeitnehmer-Gruppen aus sachfremden Gründen ungünstiger zu behandeln als Arbeitnehmer in vergleichbarer Lage. Der zu Unrecht benachteiligte Arbeitnehmer kann regelmäßig dieselben Leistungen wie die begünstigten Arbeitnehmer beanspruchen.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Kläger ist mit den vom Beklagten eingesetzten Arbeitnehmern schon deshalb nicht zu vergleichen, weil er anders als diese nicht gearbeitet hat. Er wird gleichbehandelt mit den Arbeitnehmern, die der Beklagte nicht beschäftigt hat.

b) Gleichbehandlung ist auch nicht deshalb geboten, weil der Beklagte den Kläger zunächst ebenfalls beschäftigt hatte und seine Nichtbeschäftigung auf der fristlosen Kündigung und nicht auf "konkursrechtlichen Gründen" beruht, wie die Revision formuliert.

aa) Die tatsächliche Zahlung der vollen Vergütung an die zur Arbeitsleistung herangezogenen Arbeitnehmer steht an sich mit der in § 60 KO vorgeschriebenen nur anteiligen Berichtigung der Ansprüche aller Massegläubiger nicht in Einklang.

Die Vergütungsansprüche der nicht freigestellten Arbeitnehmer sind ebenso wie die Ansprüche der freigestellten Arbeitnehmer nur entsprechend der auf ihren Anspruch entfallenden Quote zu berichtigen.

Nach der im Schrifttum herrschenden Auffassung ist der Konkursverwalter demgegenüber nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die Ansprüche sog. Neumassegläubiger vorab in voller Höhe zu berichtigen. Neumassegläubiger sind die Gläubiger, die nach festgestellter Massearmut Sach- oder Dienstleistungen zugunsten der Konkursmasse erbringen. Ihnen soll für diese Leistung der Anspruch auf ihre Gegenleistung ungekürzt aus der Konkursmasse zustehen, weil anderenfalls der Konkurs nicht ordnungsgemäß abgewickelt werden kann. Kaum ein Vertragspartner wird sich zu seiner vollen Leistung bereitfinden, wenn er wegen der feststehenden Massearmut von vornherein damit rechnen muß, daß er nicht den seiner Leistung entsprechenden Gegenwert aus der Masse erhalten wird. Das liegt nicht im wirtschaftlichen Interesse der Massegläubiger, zu deren Gunsten der Konkursverwalter die Masse noch zu verwerten hat. Zudem wird der Abfluß der Gegenleistung aus der Konkursmasse durch den Wert der erbrachten Sach- oder Dienstleistung ausgeglichen (vgl. Kilger/Karsten/Schmidt, Insolvenzgesetze 17. Aufl., § 60 KO Anm. 4; Kuhn/Uhlenbruck, KO 11. Aufl., § 60 KO Rz 2 b) bis 2 d); Henckel, Festschrift 100 Jahre Konkursordnung, S. 169 ff.; ders. ZIP 1993, 1277; Gerhardt, JZ 1984, 601; ders. ZIP 1992, 741; Pape, ZIP 1984, 796; ders. EWiR 1990, 707; Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 60 KO Rz 5).

Der Anspruch des Klägers ist danach kein sog. Neumasseanspruch. Der Senat kann deshalb offenlassen, ob dem Schrifttum angesichts der unbefriedigenden Regelung von § 60 KO (vgl. BAG Urteil vom 30. August 1989 - 4 AZR 202/87 - BAGE 62, 338 = AP Nr. 7 zu § 60 KO) zu folgen ist.

Der Kläger hat nicht gearbeitet. Für die konkursrechtliche Behandlung seines Anspruchs ist allein maßgeblich, daß er nicht durch tatsächliche Leistung zur Konkursmasse beigetragen und der Beklagte nicht im Interesse der Massegläubiger auf seine Arbeitsleistung zurückgegriffen hat. Auf die Ursache seiner Nichtbeschäftigung kommt es nicht an. Der Beklagte war deshalb auch nicht gehalten, wie die Revision meint, dem Kläger erneut aus "konkursrechtlichen" Gründen zu kündigen und ihn von seiner Arbeitspflicht zu befreien.

bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Erwägung der Revision, der Beklagte habe mit der fristlosen Kündigung und der sich anschließenden Nichtbeschäftigung des Klägers unzulässig ein Zahlungsrisiko auf diesen abgewälzt. Massegläubiger laufen im Konkurs grundsätzlich Gefahr, mit ihren Forderungen ganz oder teilweise auszufallen. Der Umstand, daß neue Massegläubiger im Interesse der ordnungsgemäßen Abwicklung des Konkurses von diesem Risiko ggf. entlastet werden, rechtfertigt es nicht, auch im übrigen von dem Verteilungsverfahren nach § 60 KO abzusehen.

cc) Fehl gehen deshalb die Erwägungen der Revision zu den vermeintlichen Mißbrauchsmöglichkeiten des Konkursverwalters. Sie führt an, dieser könne treuwidrig seine Vergütungsansprüche sichern, indem er allen Arbeitnehmern grundlos fristlos kündige, sie freistelle und sich damit von allen Lohnzahlungspflichten befreie. Die Revision verkennt überdies, daß eine rechtsunwirksame Kündigung nicht den Verlust von Ansprüchen aus Annahmeverzug nach §§ 611, 615 BGB bewirkt.

3. Auch unter Berücksichtigung der zum 1. Januar 1999 in Kraft tretenden Insolvenzordnung vom 5. Oktober 1994 (BGBl. I 2911) ist kein anderes Ergebnis angezeigt. Nach § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO stehen Ansprüche aus einem Dauerschuldverhältnis den Masseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO nur gleich, soweit der Verwalter die Gegenleistung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse in Anspruch genommen hat. Für arbeitsvertragliche Entgeltansprüche kommt es also auf die Heranziehung zur tatsächlichen Arbeit an, nicht auf den Grund einer Freistellung.

IV. Der Kläger hat nach § 97 ZPO die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

Ende der Entscheidung

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