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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 24.10.2000
Aktenzeichen: 9 AZR 645/99
Rechtsgebiete: AWbG


Vorschriften:

Gesetz zur Freistellung von Arbeitnehmern zum Zwecke der beruflichen und politischen Weiterbildung - Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz - (AWbG) in der Fassung vom 6. November 1984 (GVBl. NW 1984 S 678) § 1 Abs. 1
Gesetz zur Freistellung von Arbeitnehmern zum Zwecke der beruflichen und politischen Weiterbildung - Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz - (AWbG) in der Fassung vom 6. November 1984 (GVBl. NW 1984 S 678) § 1 Abs. 2
Gesetz zur Freistellung von Arbeitnehmern zum Zwecke der beruflichen und politischen Weiterbildung - Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz - (AWbG) in der Fassung vom 6. November 1984 (GVBl. NW 1984 S 678) § 5 Abs. 1
Gesetz zur Freistellung von Arbeitnehmern zum Zwecke der beruflichen und politischen Weiterbildung - Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz - (AWbG) in der Fassung vom 6. November 1984 (GVBl. NW 1984 S 678) § 5 Abs. 2
Gesetz zur Freistellung von Arbeitnehmern zum Zwecke der beruflichen und politischen Weiterbildung - Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz - (AWbG) in der Fassung vom 6. November 1984 (GVBl. NW 1984 S 678) § 9 Satz 1
Gesetz zur Freistellung v. Arbeitnehmern zum Zwecke d. beruflichen u. politischen Weiterbildung - Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz - (AWbG) in d. d. Gesetz v. 28. März 2000 geänderten Fassung (GVBl. NW 2000 S 361) § 5 Abs. 1
Die Durchführung einer anerkannten Bildungsveranstaltung verstieß während der Geltung des Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzes in der Fassung vom 6. November 1984 nicht gegen die Bestimmungen des Weiterbildungsgesetzes, wenn im Durchschnitt an jedem Tag der Bildungsveranstaltung ein organisierter Lernprozeß über sechs Lerneinheiten a 45 Minuten stattgefunden hat.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

9 AZR 645/99 9 (13) Sa 718/99

Verkündet am 24. Oktober 2000

In Sachen

hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. Oktober 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Leinemann, den Richter am Bundesarbeitsgericht Düwell, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Reinecke, die ehrenamtlichen Richter Fox und Dr. Klosterkemper für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 17. September 1999 - 9 (13) Sa 718/99 - aufgehoben.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 8. April 1997 - 8 (4) Ca 5400/96 - abgeändert:

Es wird festgestellt, daß das beklagte Land verpflichtet war, den Kläger in der Zeit vom 18. November bis 22. November 1996 von der Arbeit zum Zwecke der politischen Weiterbildung nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz für die Bildungsurlaubsveranstaltung "Sylt - eine Insel in Not" freizustellen und daß der vorbezeichnete Zeitraum nicht auf den tariflichen Jahresurlaub 1996 des Klägers anzurechnen ist.

Das beklagte Land hat die Kosten des Rechtsstreits und der Streithilfe zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob nach der zwischen ihnen am 12. November 1996 getroffenen Vereinbarung das beklagte Land dem Kläger fünf Tage Urlaub zu gewähren hat.

Der Kläger ist seit 1979 bei der B angestellt. Er wird in deren Rechenzentrum als Systemprogrammierer beschäftigt. Am 8. Oktober 1996 beantragte er bei dem für die Personalangelegenheiten zuständigen Kanzler, ihn für den Besuch der von der Weiterbildungseinrichtung Forum Unna für den 18. November bis 22. November 1996 ausgeschriebenen Veranstaltung "Sylt - eine Insel in Not" von der Arbeit freizustellen. Diese Veranstaltung war als Arbeitnehmerweiterbildung von der Bildungsberatung und Bildungswerbung der Stadt Köln in der Broschüre "Bildungsurlaubsangebote in NRW" unter der Überschrift "Sylt - eine Insel in Not - Lehrstück einer Umweltzerstörung" wie folgt angekündigt:

"Der Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer schützt seit mehreren Jahren das größte zusammenhängende Wattengebiet der Erde. Ziel des Seminars ist es, sich einen Überblick über den Lebensraum zu verschaffen und den Zusammenhang zwischen Meeresverschmutzung, Klimaveränderungen und Zerstörung des Wattenmeers begreifbar zu machen."

Das geplante Programm sah wie folgt aus:

"Sonntag:|Anreise Montag:| 10.00 - 10.45 Uhr|Begrüßung und Kennenlernen der TeilnehmerInnen Vorstellung des Seminarverlaufes 11.00 - 12.30 Uhr|Entstehung und Geschichte der schleswig-holsteinischen Nordseeküste, des Wattenmeeres, der Inseln und Halligen 14.00 - 17.00 Uhr|Die Insel Sylt als Teil der schleswig-holsteinischen Geest |- Auswirkungen der Umwelteinflüsse auf den Geestkern der Insel |- Küstenschutzmaßnahmen im Wandel der Zeit |- Nutzen und Kosten der Schutzmaßnahmen Dienstag:| 10.00 - 12.15 Uhr|Einblick in einen Lebensraum |- Ökosystem Wattenmeer |- Auswirkungen von Umweltbelastung auf dieses System ("schwarze Flecken" etc.) |- Beispiele des angewandten und pädagogischen Naturschutzes 14.00 - 17.00 Uhr|Die Bedeutung des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer |- Vergleich mit anderen Nationalparks |- Schutzmaßnahmen des Bundes und des Landes für das Wattenmeer |- Interessenkonflikte und Gesetzgebung |- Entwicklung des Nationalparks Mittwoch:| 10.00 - 12.15 Uhr|Natur- und Kulturgeschichte der Nordfriesischen Inseln 14.00 - 15.30 Uhr|Vorbereitung der Fragestunde "Natur-, Umweltschutz und/oder Tourismus" |- Ausarbeitung von Fragen in Arbeitsgruppen 20.00 - 21.30 Uhr|Fragestunde mit Naturschutzexperten/Politiker/Tourismusexperten Donnerstag:| 9.30 - 12.30 Uhr|Die internationale ökologische Bedeutung des Wattenmeeres für den Vogelzug 14.30 - 16.00 Uhr|Geschichtliche Entwicklung des Tourismus und dessen Auswirkung auf die Insel Westerland: Entwicklung eines Dorfes zum Weltbad Freitag:| 10.00 - 12.15 Uhr|Schutzstation Wattenmeer Nutzung und Gefährdung des Wattenmeeres und der Nordsee internationale Bedeutung des Wattenmeeres Schutzkonzepte und Maßnahmen zum Erhalt dieses Lebensraumes und deren kritische Einschätzung 13.30 - 15.00 Uhr|Abschlußdiskussion Probleme des Naturschutzes in unserer Gesellschaft Erholungsbedürfnis contra Naturschutz Möglichkeiten jeder/jedes Einzelnen zum Schutze der Natur beizutragen Seminarauswertungen/Kritik"

Der Kanzler lehnte mit Schreiben vom 14. Oktober 1996 unter Bezugnahme auf den Programmablauf eine Freistellung ab. Dem widersprach der Kläger und beantragte beim Arbeitsgericht den Erlaß einer einstweiligen Verfügung. Vor dem Arbeitsgericht vereinbarten die Parteien am 12. November 1996 im Wege des Vergleichs, daß der Kläger berechtigt sei, an der Veranstaltung teilzunehmen und daß die Frage der Anrechnung dieser Arbeitsbefreiung auf den Weiterbildungsanspruch oder auf den Erholungsanspruch im Hauptsacheverfahren geklärt werden solle. Der Kläger nahm an der Veranstaltung teil, die von dem als Träger der Weiterbildung anerkannten Streithelfer durchgeführt worden ist.

Mit der am 6. Dezember 1996 erhobenen Hauptsacheklage hat der Kläger geltend gemacht, das besuchte Seminar habe seiner politischen Weiterbildung gedient. Deshalb habe die Beklagte zu Unrecht die Dauer des Seminarbesuchs auf den tariflichen Erholungsurlaub angerechnet.

Der Kläger hat sinngemäß beantragt

festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet war, den Kläger in der Zeit vom 18. November bis 22. November 1996 von der Arbeit zum Zweck der politischen Weiterbildung nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz für die Bildungsurlaubsveranstaltung "Sylt - eine Insel in Not" freizustellen und daß der vorbezeichnete Zeitraum nicht auf den tariflichen Jahresurlaub 1996 des Klägers anzurechnen ist.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision hat zur Aufhebung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht geführt (Senat 17. November 1998 - 9 AZR 503/97 - AP BildungsurlaubsG NRW § 1 Nr. 26 = EzA AWbG NW § 7 Nr. 29). In der erneuten Berufungsverhandlung ist der Streithelfer dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers beigetreten. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers wiederum zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger weiterhin den erstinstanzlichen Klageantrag.

Entscheidungsgründe:

I. Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet.

1. Die Revision des Klägers ist zulässig. Das folgt aus den zugunsten der Hauptpartei wirkenden Prozeßhandlungen des Streithelfers.

a) Der Kläger hat innerhalb der Notfrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG gegen das ihm am 27. Oktober 1999 zugestellte Urteil des Landesarbeitsgerichts rechtzeitig am 26. November 1999 Revision eingelegt. Seine am 26. Januar 2000 per Telefax gesendete Revisionsbegründung ist zwar nach Ablauf der Monatsfrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG eingegangen, aber die Begründungsfrist ist dennoch nicht versäumt. Denn die auf Antrag des Streithelfers vom Bundesarbeitsgericht bis zum 31. Januar 2000 bewilligte Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist (§ 74 Abs. 1 Satz 2 ArbGG) wirkt auch zugunsten der Hauptpartei (BGH 15. Juni 1989 - VII ZR 227/88 - JZ 1989, 807; 26. März 1982 - V ZR 87/81 - NJW 1982, 2069; ArbGV-Düwell § 74 Rn. 31).

b) Die Revision ist auch ordnungsgemäß im Sinne von § 554 Abs. 3 Nr. 3 a ZPO, § 72 Abs. 5 ArbGG begründet. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gehört dazu, daß sich die Revisionsbegründung mit den tragenden Gründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzt und konkret darlegt, aus welchen Gründen sich das angefochtene Urteil als rechtsfehlerhaft erweisen soll (BAG 29. Oktober 1997 - 5 AZR 624/96 - BAGE 87, 41). Diesen Anforderungen genügt zwar die Revisionsbegründungsschrift des Klägers nicht; denn sie erschöpft sich in der Wiedergabe der Prozeßgeschichte, ohne sich mit den Argumenten des Landesarbeitsgerichts im einzelnen auseinanderzusetzen. Aber auch hier wirkt sich zugunsten der Hauptpartei eine den Kläger unterstützende Prozeßhandlung des Streithelfers aus. Der Streithelfer hat am 28. Januar 2000 eine den gesetzlichen Anforderungen genügende Begründung verfaßt, die noch vor Fristablauf am 31. Januar 2000 dem Revisionsgericht zugegangen ist.

2. Die Revision ist begründet. Auf den Antrag des Klägers ist festzustellen, daß er für den Besuch der anerkannten Bildungsveranstaltung "Sylt - eine Insel in Not" ohne Anrechnung auf den tariflichen Jahresurlaub von der Arbeit freizustellen war.

a) Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse hat der Senat bereits im Urteil vom 17. November 1998 geprüft und bejaht. Vom Ausgang des Feststellungsverfahrens hängt die rechtsgeschäftliche Verpflichtung des beklagten Landes ab, für die zum Besuch der anerkannten Bildungsveranstaltung 1996 in Anspruch genommenen fünf Urlaubstage Ersatz zu leisten (vgl. zur Zulässigkeit derartiger Sondervereinbarungen Senat 24. August 1993 - 9 AZR 240/90 - BAGE 74, 99).

b) Die Feststellungsklage ist begründet. Das beklagte Land war nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Freistellung von Arbeitnehmern zum Zwecke der beruflichen und politischen Weiterbildung (AWbG) vom 6. November 1984 (aF) verpflichtet, vom 18. November bis 22. November 1996 den Kläger zum Zwecke der Arbeitnehmerweiterbildung von der Arbeit bei Fortzahlung des Arbeitsentgelts freizustellen. Die vom Kläger zum Zwecke der Arbeitnehmerweiterbildung besuchte Bildungsveranstaltung gilt als anerkannt im Sinne von § 1 Abs. 1, § 9 Satz 1 AWbG aF. Der Kläger hat auch die Inanspruchnahme und den Zeitraum der Arbeitnehmerweiterbildung form- und fristgerecht bei dem Kanzler, als der nach dem Landeshochschulrecht zuständigen Stelle, angemeldet. Gründe, die das beklagte Land zur Verweigerung der Freistellung berechtigen könnten, sind nicht festgestellt.

aa) Nach § 5 Abs. 1 AWbG aF hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Inanspruchnahme und den Zeitraum der Arbeitnehmerweiterbildung mindestens vier Wochen vor Beginn der Bildungsveranstaltung schriftlich mitzuteilen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist das geschehen. Der Kläger hat am 8. Oktober 1996 bei dem für die Personalangelegenheiten zuständigen Kanzler den schriftlichen Antrag auf Freistellung gestellt und dazu das von dem Streithelfer erstellte Programm mit Ablaufplan vorgelegt. Soweit das beklagte Land dienstliche Belange geltend macht, die damals dem Freistellungsverlangen entgegengestanden haben sollen, kann es damit jetzt nicht mehr gehört werden. Der Kanzler hat mit dem Ablehnungsschreiben vom 14. Oktober 1996 insoweit keine Bedenken erhoben. Nach § 5 Abs. 2 AWbG aF muß ein Arbeitgeber entgegenstehende dienstliche Belange spätestens drei Wochen vor Beginn der Bildungsveranstaltung dem Arbeitnehmer schriftlich mitteilen.

bb) Für die Geltung als anerkannte Bildungsveranstaltung ist es notwendig, daß die Bildungsveranstaltung § 1 Abs. 2 AWbG aF entspricht. Die vom Kläger besuchte Bildungsveranstaltung diente der politischen Weiterbildung im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 AWbG aF.

Das Tatbestandsmerkmal "dient der politischen Weiterbildung" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff (Senat 17. November 1998 - 9 AZR 503/97 - AP BildungsurlaubsG NRW § 1 Nr. 26 = EzA AWbG NW § 7 Nr. 29; 19. Mai 1998 - 9 AZR 395/97 - nv. und - 9 AZR 396/97 - nv.).

In seiner ständigen Rechtsprechung hat der Senat diesen unbestimmten Rechtsbegriff näher konkretisiert. Danach dient eine Veranstaltung dann dem Ziel der politischen Weiterbildung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 AWbG aF, wenn das Verständnis der Arbeitnehmer für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge verbessert sowie die in einem demokratischen Gemeinwesen anzustrebende Mitsprache und Mitverantwortung in Staat, Gesellschaft und Beruf gefördert werden soll (BVerfG 15. Dezember 1987 - 1 BvR 563/85 - BVerfGE 77, 308, zu C II 2 a der Gründe). Dazu ist erforderlich, daß nach dem didaktischen Konzept der Veranstaltung sowie der zeitlichen und sachlichen Ausrichtung der einzelnen Lerneinheiten das Erreichen dieses Ziels uneingeschränkt ermöglicht wird (Senat 15. Juni 1993 - 9 AZR 411/89 - AP BildungsurlaubsG NRW § 1 Nr. 5 = EzA AWbG NW § 7 Nr. 12, zu 3 a der Gründe; 24. August 1993 - 9 AZR 473/90 - AP BildungsurlaubsG NRW § 1 Nr. 11 = EzA AWbG NW § 7 Nr. 18; 9. Mai 1995 - 9 AZR 185/94 - BAGE 80, 94, 101 f., zu III 1 der Gründe; 24. Oktober 1995 - 9 AZR 433/94 - BAGE 81, 185, 189, zu III 1 der Gründe; 5. Dezember 1995 - 9 AZR 666/94 - BAGE 81, 328, zu II 2 a aa der Gründe; 19. Mai 1998 - 9 AZR 395/97 und 396/97 - nv., jeweils zu I 1 der Gründe; 16. März 1999 - 9 AZR 166/98 - AP BildungsurlaubsG NRW § 1 Nr. 27 = EzA AWbG NW § 7 Nr. 30, zu II 2 a der Gründe; mit zustimmender Anmerkung Dauner-Lieb SAE 2000, 354 ff.). Unter diesen Voraussetzungen hat der Senat Seminare zur Umweltschutzpolitik auch dann als politische Weiterbildung beurteilt, wenn sie sich beispielhaft mit den Verhältnissen einer bestimmten Region in Deutschland befassen (vgl. 24. August 1993 - 9 AZR 240/90 - BAGE 74, 99; 5. Dezember 1995 - 9 AZR 666/94 - aaO; 19. Mai 1998 - 9 AZR 395/97 und 9 AZR 396/97 - nv.; 17. November 1998 - 9 AZR 503/97 - aaO; 16. März 1999 - 9 AZR 166/98 - aaO, zu II 2 b bb (1) der Gründe).

Der Senat hat mit Urteil vom 17. November 1998 das erste in dieser Sache ergangene Berufungsurteil mit der rechtlichen Beurteilung aufgehoben (§ 565 Abs. 2 ZPO), der Begriff der politischen Arbeitnehmerweiterbildung sei verkannt worden. Nunmehr hat das Landesarbeitsgericht nach der anderweiten Berufungsverhandlung seiner erneut angefochtenen Entscheidung das "didaktische Konzept im Sinne der Spruchpraxis des 9. Senats des Bundesarbeitsgerichts (24.08.1993 - 9 AZR 240/90 - NZA 1994, 456)" zugrunde gelegt. Dabei hat es sich in tatsächlicher Hinsicht die Ausführungen des Streithelfers zu eigen gemacht. Diese in der Revision nur eingeschränkt überprüfbare rechtliche Würdigung ist von dem beklagten Land nicht beanstandet worden. Der Senat sieht keinen Anhaltspunkt dafür, daß das Landesarbeitsgericht bei der Anwendung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs gegen Denkgesetze, allgemeine Erfahrungssätze verstoßen oder entscheidungserhebliche Tatumstände unberücksichtigt gelassen hat.

cc) Die besuchte Bildungsveranstaltung hat auch die weitere Voraussetzung des § 9 Satz 1 AWbG aF erfüllt. Sie ist gemäß den Bestimmungen des Weiterbildungsgesetzes von dem Streithelfer als anerkannte Einrichtung der Weiterbildung in anderer Trägerschaft durchgeführt worden.

Das Landesarbeitsgericht hat die Anerkennung als Bildungsveranstaltung verneint, weil es die im Programm angegebene Seminarzeit für nicht ausreichend erachtet hat. Auch wenn das AWbG aF keine zeitlichen Vorgaben enthalte, müsse wie in anderen Bundesländern eine mindestens sechsstündige Unterrichtszeit für jeden einzelnen Seminartag gefordert werden. Demgegenüber betrage die Unterrichtszeit des vom Streithelfer durchgeführten Seminars an zwei Tagen "5,15 Stunden" und an den restlichen drei Tagen vier Stunden und 30 Minuten oder drei Stunden und 45 Minuten. Hinzukomme, daß die für Exkursionen aufgewandte Zeit nicht auf die Unterrichtszeit angerechnet werden könne.

Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß gesetzliche Vorgaben für den zeitlichen Mindestumfang von Unterrichts- und sonstigen Lehrveranstaltungen fehlen. Entgegen der Ansicht der Revision gilt für die Rechtsbeziehung der Parteien nicht die Verordnung über die Förderung von Lehrveranstaltungen der Einrichtungen der Weiterbildung vom 9. Juli 1984 (GVBl. NW 1984 S 467). Danach liegt ein Teilnehmertag dann vor, wenn eine Person an einer Lehrveranstaltung teilnimmt, die mindestens sechs förderungsfähige Unterrichtsstunden umfaßt (§ 3 Abs. 1 VO), wobei eine Unterrichtsstunde 45 Minuten dauert (§ 1 Abs. 2 VO). Diese Verordnung gilt nur für die Rechtsbeziehungen zwischen dem Förderer und dem Träger der Weiterbildung als Förderungsempfänger. Eine Ausweitung auf die Rechtsbeziehung des Arbeitnehmers zum Arbeitgeber ergibt sich auch nicht aus § 9 Satz 1 AWbG aF. Die dortige Verweisung auf die Durchführungsbestimmungen des Weiterbildungsgesetzes (WbG) erfaßt nicht die Förderungsbestimmungen in den §§ 20 und 24 WbG in der Fassung vom 7. Mai 1982 (GVBl. NW 1982 S 275). Das hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 11. Mai 1993 (- 9 AZR 289/89 - BAGE 73, 138, zu I der Gründe) ausgeführt.

Auch wenn der Ansicht des Landesarbeitsgerichts zu folgen ist, daß trotz fehlender zeitlicher Mindestvorgaben für die Arbeitnehmerweiterbildung die ordnungsgemäße Durchführung einer anerkannten Bildungsveranstaltung ein Mindestmaß von Lehrveranstaltungen voraussetzt, kann dem vom Landesarbeitsgericht gefundenen Ergebnis nicht zugestimmt werden. Das Landesarbeitsgericht hat sowohl einen falschen Beurteilungsmaßstab gewählt als auch den von ihm festgestellten Programmablauf weder in sachlicher Hinsicht noch in rechnerischer Hinsicht zutreffend ausgewertet.

Der Senat hat im Urteil vom 11. Mai 1993 (- 9 AZR 289/89 - aaO) die Auffassung abgelehnt, an jedem Tag einer fünftägigen Seminarwoche müßten mindestens sechs Unterrichtsstunden zur Weiterbildung genutzt werden. Er hat herausgestellt, eine Bildungsveranstaltung diene dann nicht mehr der Weiterbildung, wenn bei ihrer Durchführung nicht in ausreichendem Maße Zeit für die Weiterbildung genutzt werde. Als Beurteilungsmaßstab für die Abgrenzung zu mehr freizeitorientierten Veranstaltungen bieten sich die damals für förderungsfähige Lehrveranstaltungen geltenden Mindestzeiten der Verordnung vom 9. Juli 1984 an. Wenn schon der Verordnungsgeber eine Bildungsveranstaltung als förderungsfähig nach dem Weiterbildungsgesetz ansieht, kann für die Beurteilung ob ein Freistellungsanspruch nach § 1 Abs. 1 AWbG aF besteht, nicht anderes gelten. Das ergibt sich schon aus der für die Durchführung der Arbeitnehmerweiterbildung nach § 9 Satz 1 AWbG aF herangezogenen Bestimmungen des Weiterbildungsgesetzes. Allerdings kommt es dabei nicht auf einen aus abrechnungstechnischen Gründen in der Verordnung vorgesehenen Maßstab des einzelnen Teilnehmertags an. Wie der Senat im Urteil vom 11. Mai 1993 (- 9 AZR 289/89 - aaO) schon ausgeführt hat, kann nicht beanstandet werden, wenn die zur Vermittlung der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nach dem didaktischen Konzept der Veranstaltung veranschlagte Gesamtdauer der Lehrveranstaltungen in unterschiedlicher Weise auf die einzelnen Seminartage verteilt wird, so daß zB am letzten Tag noch genügend Zeit für die Heimreise bleibt (Senat 11. Mai 1993 - 9 AZR 289/89 - aaO, zu II der Gründe; vgl. auch BVerfG 15. Dezember 1987 - 1 BvR 563/85 - aaO, zu C II 2 b der Gründe). Bei einer fünftägigen Arbeitnehmerweiterbildung genügt es somit regelmäßig, wenn die Lehrveranstaltungen so verteilt werden, daß insgesamt 30 Unterrichtsstunden/Lerneinheiten á 45 Minuten sichergestellt sind.

Sofern das Landesarbeitsgericht demgegenüber die Einhaltung einer täglichen sechs Zeitstunden umfassenden Unterrichtszeit fordert, geht es von falschen Voraussetzungen aus. Die Bezugnahme auf die in anderen Bundesländern geltenden Bildungsurlaubsgesetze ist für die Anwendung des in Nordrhein-Westfalen geltenden Landesrechts unergiebig. Im übrigen bestehen in den vom Landesarbeitsgericht angeführten Bundesländern allenfalls Sollbestimmungen, deren Vorgaben im Einzelfall unterschritten werden können. Entgegen der Darstellung des Landesarbeitsgerichts geben ferner die Länder Brandenburg (§ 3 Abs. 3 Nr. 2 Verordnung über die Anerkennung von Bildungsfreistellung nach dem Brandenburgischen Weiterbildungsgesetz - Bildungsfreistellungsverordnung vom 22. November 1995 Brand. GVBl. II 1995 S 686), Bremen (§ 6 Abs. 3 VO über die Anerkennung von Bildungsveranstaltungen nach dem Bremischen Bildungsurlaubsgesetz vom 24. Januar 1983 Brem. GBl. 1983 S 3 idF 1. Februar 1994, Brem. GBl. 1994 S 97) und Rheinland-Pfalz (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 Landesgesetz über die Freistellung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern für Zwecke der Weiterbildung [Bildungsfreistellungsgesetz] vom 30. März 1993, GVBl. Rheinland-Pfalz 1993 S 157 idF vom 17. November 1995 GVBl. Rheinland-Pfalz 1995 S 454) ebenfalls "Unterrichtsstunden" und keine Zeitstunden vor. Unterrichtsstunden sind nach allgemeinem Sprachgebrauch Stunden zu je 45 Minuten und nicht Zeitstunden. Lediglich Hamburg (§ 2 Nr. 2 VO über die Anerkennung von Bildungsveranstaltungen vom 9. April 1974 Hamb. GVBl. I 1974 S 113 idF vom 18. Februar 1997 Hamb. GVBl. I 1997 S 25) und Hessen (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 Hess. Gesetz über den Anspruch auf Bildungsurlaub idF vom 28. Juli 1998 Hess. GVBl. I 1998 S 294; ber. S 348) verwenden den Begriff "Stunden".

Gemessen daran bestehen keine Bedenken gegen die im Programm vorgesehene und nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts so tatsächlich durchgeführte Bildungsveranstaltung. Das Programm enthält 32 Lerneinheiten zu je 45 Minuten. An den ersten drei Tagen sind im Programm jeweils für Lehrveranstaltungen 5 1/4 Zeitstunden = sieben "Unterrichtsstunden", am Donnerstag 4 1/2 Zeitstunden = sechs "Unterrichtsstunden" und am Abreisetag Freitag 3 3/4 Zeitstunden = fünf "Unterrichtsstunden" vorgesehen. Das sind insgesamt 24 Zeitstunden, die im Zeitmaß 32 "Unterrichtsstunden" entsprechen.

Soweit das Landesarbeitsgericht Exkursionen bei der Zeitbemessung nicht als Lerneinheiten berücksichtigt, weil in den "Wanderungsphasen" Wissensvermittlung nicht möglich sei, widerspricht das der Senatsrechtsprechung. Exkursionen können Teil eines sinnvollen didaktischen Konzepts sein (Senat 19. Mai 1998 - 9 AZR 395/97 - und - 9 AZR 396/97 - aaO, zu I 3 der Gründe; 5. Dezember 1995 - 9 AZR 666/94 - aaO, zu II 2 b cc der Gründe; 24. August 1993 - 9 AZR 240/90 - aaO, zu I 2 c cc der Gründe; vgl. auch LAG Düsseldorf 30. November 1993 - 16 (13) Sa 608/93 - LAGE AWbG NW § 7 Nr. 15, zu 2 c bb der Gründe). Ob eine sinnvolle Einbettung gegeben ist, hängt davon ab, ob nach dem zugrunde gelegten didaktischen Konzept die Exkursion geeignet ist, die angestrebten Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln. Das hat der Senat beispielsweise für Studienreisen mit touristischem Anstrich wie bei Besichtigungsfahrten und Rundreisen abgelehnt (Senat 24. Oktober 1995 - 9 AZR 431/94 - AP BildungsurlaubsG NRW § 1 Nr. 15 = EzA AWbG NW § 7 Nr. 22, zu III 3 der Gründe). So ist es hier nicht. Nach der Feststellung des Landesarbeitsgerichts liegt der Bildungsveranstaltung ein ausreichendes didaktisches Konzept im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 AWbG aF zugrunde. Watt-Exkursionen, auf denen Watt-, Strand- und Spülsaumfunde aufgesucht und erläutert werden, können in einem Seminar, mit dem das Interesse der Teilnehmer für das Beziehungsgeflecht zwischen Industriegesellschaft und natürlichen Lebensgrundlagen geweckt und die Urteilsfähigkeit für umweltpolitische Rahmenbedingungen verbessert werden sollen, sinnvoll sein. Das hat der Senat bereits mit Urteil vom 24. August 1993 (- 9 AZR 240/90 - aaO, zu I 2 c cc der Gründe) ausgeführt. Anhaltspunkte für eine abweichende rechtliche Würdigung hat das Landesarbeitsgericht weder festgestellt, noch sind sie von dem revisionsbeklagten Land bis zum Schluß der Revisionsverhandlung vorgebracht worden.

dd) Dem Kläger und seinem Streithelfer war es - entgegen den vom Landesarbeitsgericht geäußerten Bedenken - auch nicht verwehrt, die näheren Einzelheiten des didaktischen Konzepts der besuchten Bildungsveranstaltung im Prozeß darzulegen. Nach der 1996 geltenden Fassung des § 5 AWbG war der Kläger nicht verpflichtet, vor der Inanspruchnahme der Arbeitnehmerweiterbildung Einzelheiten über die Zielgruppe, Lernziele und Lerninhalte sowie den zeitlichen Ablauf der Veranstaltung nachzuweisen. Diese Erweiterung der Mitteilungspflicht ist erst durch das Änderungsgesetz vom 28. März 2000 (GVBl. NW 2000 S 361) mit Wirkung zum 29. April 2000 eingeführt worden.

II. Das beklagte Land hat als unterlegene Partei nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Nebenintervention (§ 101 Abs. 1 ZPO) zu tragen.

Ende der Entscheidung

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