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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 09.11.1999
Aktenzeichen: 9 AZR 917/98
Rechtsgebiete: Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz, BGB


Vorschriften:

Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen § 5 Abs. 1
BGB § 133
BGB § 157
Leitsätze:

Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf Freistellung zur Teilnahme an einer Bildungsveranstaltung, wenn er seine Teilnahmeabsicht dem Arbeitgeber nicht spätestens vier Wochen vor deren Beginn nach § 5 Abs. 1 AWbG mitgeteilt hat; zwischen dem Zugang des Freistellungsantrags beim Arbeitgeber und dem Beginn der Bildungsmaßnahme müssen volle vier Wochen liegen. Die verspätete Inanspruchnahme der Arbeitnehmerweiterbildung für die vom Arbeitnehmer benannte Bildungsveranstaltung läßt den Anspruch des Arbeitnehmers auf Freistellung für eine andere Bildungsveranstaltung unberührt.

Vereinbarung über die Entgeltfortzahlung für die Dauer einer Bildungsveranstaltung - Auslegung

Aktenzeichen: 9 AZR 917/98 Bundesarbeitsgericht 9. Senat Urteil vom 9. November 1999 - 9 AZR 917/98 -

I. Arbeitsgericht Hagen - 5 Ca 357/96 - Urteil vom 3. September 1996

II. Landesarbeitsgericht Hamm - 15 Sa 2156/96 - Urteil vom 11. September 1998


BUNDESARBEITSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES! URTEIL

9 AZR 917/98 15 Sa 2156/96

Verkündet am 9. November 1999

Brüne, der Geschäftsstelle

In Sachen

Kläger, Berufungskläger und Revisionskläger,

pp.

Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsbeklagte,

hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 9. November 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Leinemann, den Richter am Bundesarbeitsgericht Düwell und die Richterin am Bundesarbeitsgericht Reinecke sowie die ehrenamtlichen Richter Kranzusch und Otto beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 11. September 1998 - 15 Sa 2156/96 - aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Vergütung des Klägers für die Dauer seiner Teilnahme an einer Bildungsveranstaltung.

Der Kläger ist Arbeitnehmer der Beklagten und Mitglied der IG-Metall. Mit einem am 8. August 1995 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben teilte er mit, er beabsichtige vom 4. bis 15. September 1995 an dem Seminar "Arbeitnehmer in Betrieb, Wirtschaft und Gesellschaft III" teilzunehmen und beantrage für den 4. bis 8. September 1995 Freistellung nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz NRW (AWbG); für die anschließende Zeit bat er um unbezahlte Freistellung. Unter dem 16. August 1995 schrieb die Beklagte dem Kläger:

"Seminar "Arbeitnehmer in Betrieb, Wirtschaft und Gesellschaft III"

Sehr geehrter Herr ...,

Sie erhalten vom 04.09.1995 bis zum 15.09.1995 unbezahlten Sonderurlaub.

Die Zeit vom 04.09.1995 bis 08.09.1995 wird nachträglich wie Arbeitszeit vergütet, wenn gerichtlich rechtskräftig die Rechtsauffassung bestätigt wird, daß die Bildungsmaßnahme durch das AWbG abgedeckt ist. In diesem Falle erfolgt eine Verrechnung mit den gerichtlich festgestellten Ansprüchen aus dem AWbG.

Mit freundlichen Grüßen".

Der Kläger nahm an dem im Bildungszentrum der IG-Metall Sprockhövel durchgeführten Seminar teil. Dieses war wie folgt angekündigt:

"Sonntag

Anreise und Begrüßung

Montag

v

Begrüßung durch die Referenten

- Ermittlung der Erwartungen der Teilnehmerinnen an das Seminar

- Diskussion der Erwartungen

n

- Fortführung der Diskussion

- Vorstellung des Seminarablaufs

- Konkretisierung eines gemeinsamen Seminarplans

- Diskussion der Einschätzung der gegenwärtigen politischen, ökonomischen und sozialen Situation in der Bundesrepublik

Dienstag

v

- Fortsetzung der Diskussion

- Erarbeitung von Kriterien zur Beurteilung der politisch, ökonomischen Situation in der Bundesrepublik

- Probleme sektoraler und regionaler Strukturpolitik

- Erarbeitung einer Bestandsaufnahme

Arbeitsform: Plenum/Arbeitsgruppen

n

- Arbeitsgruppen zum Thema

Mittwoch

v

- Aufarbeitung der Arbeitsgruppenergebnisse

n

- Auswirkung der Beschäftigungskrise auf das Bewußtsein der Beschäftigten

Donnerstag

v

- Gewerkschaftliche Zielsetzungen und Möglichkeiten ihrer Weiterentwicklung angesichts aktueller gesellschaftspolitischer Notwendigkeit

Arbeitsform: Plenum/Arbeitsgruppen

n

- Aufarbeitung der Arbeitsgruppenergebnisse und Diskussion im Plenum

Freitag

v/n

- Aufgaben und Herausforderungen gewerkschaftlicher Politik angesichts politischer und ökonomischer Krisensituation (an einem historischen Beispiel)

- Herausbildung der Hauptformen von wirtschaftlicher und politischer Organisation der Arbeitnehmer

Samstag

v

- Probleme der Durchsetzung gewerkschaftlicher Politik angesichts politischer und ökonomischer Krisen

Montag

v

- Konsequenzen für die Arbeit der Interessenvertretung auf den verschiedenen Ebenen

- Diskussion und Vorbereitung der folgenden Arbeitsgruppen

n

- Weiterführung der Diskussion

Konsequenzen für die Arbeit der Arbeitnehmervertretung im Betrieb

(an Beispielen)

( Tarifpolitik

( arbeitsrechtliche und gewerkschaftspolitische Fragestellungen zu Streik und Aussperrung

( Mitbestimmung im Betrieb und Unternehmen

( Handlungsmöglichkeiten gewerkschaftlicher Politik gegen Massenarbeitslosigkeit und Leistungsverdichtung durch Rationalisierungsmaßnahmen

Dienstag

v/n

- Erarbeitung von betrieblichen und übertariflichen Vorgehensweisen zu den genannten Themen

Mittwoch

v

- Fortsetzung zum Vortrag

n

- Aufarbeitung und Diskussion des Arbeitsgruppenergebnisses zur Tarifpolitik

Donnerstag

v/n

- Aufarbeitung und Diskussion des Arbeitsgruppenergebnisses zum Thema Mitbestimmung und Betriebsverfassung

Freitag

v

- Aufarbeitung und Diskussion des Arbeitsgruppenergebnisses zum Thema Massenarbeitslosigkeit und Leistungsverdichtung

Abschlußgespräch

Abreise".

Mit Schreiben vom 19. Dezember 1995 forderte der Kläger die Beklagte vergeblich zur Zahlung von 1.072,08 DM brutto auf. Er hat geltend gemacht, das Seminar habe der politischen Arbeitnehmerweiterbildung gedient; es sei nach den Bestimmungen des AWbG und des Weiterbildungsgesetzes (WbG) durchgeführt worden. Unerheblich sei, daß er seine Teilnahme entgegen § 5 Abs. 1 AWbG nicht mindestens vier Wochen vor Beginn der Veranstaltung mitgeteilt habe.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.108,50 DM brutto nebst 4% Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 11. Juni 1996 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision des Klägers. Die Beklagte beantragt deren Zurückweisung.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung.

I. Ein Anspruch des Klägers ergibt sich nicht nach § 7 AWbG. Ein gesetzlicher Anspruch auf Entgeltfortzahlung entsteht nach dieser Vorschrift nur, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von seiner Arbeitspflicht zur Teilnahme an einer Maßnahme der Arbeitnehmerweiterbildung freistellt (ständige Rechtsprechung des Senats vgl. BAG 21. Oktober 1997 - 9 AZR 253/96 - AP BildungsurlaubsG NRW § 1 Nr. 24, mwN = EzA AWbG NW 37 Nr. 28). Die Beklagte hat dem Kläger indessen lediglich unbezahlten Sonderurlaub gewährt.

II. Den Erwägungen des Landesarbeitsgerichts zum Anspruch des Klägers aus der Sondervereinbarung folgt der Senat nicht.

1. Die Arbeitsvertragsparteien können aufgrund ihrer Vertragsfreiheit vereinbaren, daß dem Arbeitnehmer durch die Gewährung von unbezahltem Sonderurlaub die Teilnahme an einer umstrittenen Bildungsveranstaltung ermöglicht und der Streit über die Entgeltpflicht des Arbeitgebers der späteren gerichtlichen Klärung vorbehalten wird (ständige Senatsrechtsprechung vgl. BAG 9. Februar 1993 - 9 AZR 648/90 - AP BildungsurlaubsG Hessen § 9 Nr. 1 = EzA HBUG § 1 Nr. 2). Eine solche Vereinbarung haben die Parteien getroffen. Die Beklagte hat dem Kläger vom 4. bis 8. September 1995 unbezahlten Sonderurlaub gewährt und ihm gleichzeitig angeboten, diese Tage unter den in ihrem Schreiben vom 16. August 1995 näher bestimmten Voraussetzungen zu vergüten. Dieses Angebot hat der Kläger angenommen, indem er während der fraglichen Zeit der Arbeit ferngeblieben ist und an dem Seminar teilgenommen hat. Eine ausdrückliche Annahmeerklärung war nicht erforderlich (§ 151 BGB).

2. Das Landesarbeitsgericht hat einen vertraglichen Anspruch des Klägers verneint und dies im wesentlichen damit begründet, die Beklagte habe die nachträgliche Vergütung nur für den Fall zugesagt, daß sämtliche Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers nach dem AWbG erfüllt seien. Daran fehle es, weil der Kläger seine Freistellung entgegen § 5 Abs. 1 AWbG nicht spätestens vier Wochen vor Beginn der Bildungsveranstaltung beantragt habe. § 5 Abs. 1 AWbG enthalte eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist, bei deren Versäumung der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Freistellung zur Teilnahme an der mitgeteilten Bildungsveranstaltung habe. Nach dem Inhalt ihres Schreibens habe die Beklagte auf die Einhaltung der Frist als Voraussetzung des Zahlungsanspruchs des Klägers nicht verzichtet. Die Gewährung des Sonderurlaubs habe die Fristversäumung nicht geheilt.

3. Mit dieser Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden.

a) Das Landesarbeitsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger die Frist des § 5 Abs. 1 AWbG nicht gewahrt hat. Zwischen dem Zugang seiner Mitteilung bei der Beklagten und dem Beginn der Bildungsveranstaltung lagen keine vollen vier Wochen (§ 187 Abs. 2 iVm. § 188 Abs. 2 Halbsatz 2 BGB). Zu Recht hat es auch angenommen, daß ein Arbeitnehmer, der dem Arbeitgeber seine Teilnahmeabsicht an einer bestimmten Bildungsveranstaltung nicht fristgerecht mitteilt, keinen Anspruch auf Freistellung für die angegebene Bildungsveranstaltung hat. Diese Rechtsfolge ist im Gesetz zwar nicht ausdrücklich bestimmt. Sie ergibt sich aber aus dem systematischen Zusammenhang der Norm mit dem Ablehnungsrecht des Arbeitgebers nach § 5 Abs. 2 AWbG und dem Zweck dieser Verfahrensvorschriften.

Die Mitteilung des Arbeitnehmers soll dem Arbeitgeber erkennbar ermöglichen, die Abwesenheit des Arbeitnehmers von der Arbeit einzuplanen. Ihm wird Gelegenheit gegeben festzustellen, ob sich die Freistellung mit den betrieblichen Interessen und den Urlaubsanträgen anderer Arbeitnehmer (§ 5 Abs. 2 AWbG) vereinbaren läßt. Das dem Arbeitgeber danach ggf. zustehende Ablehnungsrecht ist ebenfalls fristgebunden geltend zu machen. Die Ablehnungserklärung muß dem Arbeitnehmer spätestens drei Wochen vor Beginn der Bildungsveranstaltung zugehen und ist außerdem schriftlich zu begründen. Hierdurch wird der Arbeitnehmer in die Lage versetzt, die Richtigkeit der angegebenen Gründe zu überprüfen, um ggf. seine Teilnahme an der Bildungsfreistellung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu erreichen. Diese zeitlich abgestimmte förmliche Regelung bedingt, daß der Arbeitnehmer selbst die ihm obliegende gesetzliche Mitteilungsfrist gewahrt hat. Andernfalls wird dem Arbeitgeber eine Pflicht zur begründeten Reaktion auf das Freistellungsbegehren auferlegt, die im Gesetz nicht vorgesehen ist. Hat der Arbeitnehmer seine Freistellung verspätet verlangt, ist der Arbeitgeber daher auch dann nicht verpflichtet, die sonst geschuldete Freistellungserklärung (vgl. BAG 24. August 1993 - 9 AZR 240/90 - AP BildungsurlaubsG NRW § 1 Nr. 9 = EzA AWbG NW § 7 Nr. 16) abzugeben, wenn die Bildungsveranstaltung den Anforderungen des § 1 AWbG entspricht und nach Maßgabe von § 9 AWbG durchgeführt wird.

Ob die Frist des § 5 Abs. 1 AWbG deshalb als "materiellrechtliche Ausschlußfrist" zu bezeichnen ist, wie das Landesarbeitsgericht meint, ist für die Entscheidung ohne Bedeutung. Das gilt auch für die Erwägung des Klägers, in § 5 Abs. 1 AWbG seien lediglich Verfahrensfragen und keine materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen geregelt. Welcher Rechtsnachteil sich aus der verspäteten Inanspruchnahme der Arbeitnehmerweiterbildung ergibt, bestimmt sich nach dem Inhalt der Vorschrift und nicht nach deren Zuordnung. Richtig ist insoweit nur, daß eine verspätete Mitteilung den kalenderjährlichen (§ 3 Abs. 1 AWbG) Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitnehmerweiterbildung im übrigen unberührt läßt.

b) Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts tragen das von ihm gefundene Auslegungsergebnis nicht, die Beklagte habe nach dem Inhalt ihres Schreibens vom 16. August 1997 den Zahlungsanspruch des Klägers von der Einhaltung der Frist des § 5 Abs. 1 AWbG abhängig gemacht.

aa) Feststellungen des Landesarbeitsgerichts dazu, ob es sich bei dem Schreiben um das typische Formularschreiben handelt, mit dem die Beklagte regelmäßig auf die Inanspruchnahme der Arbeitnehmerweiterbildung reagiert und dessen Auslegung durch das Tatsachengericht deshalb der uneingeschränkten Rechtskontrolle des Revisionsgerichts unterliegt, fehlen. Es ist daher zu unterstellen, daß das Schreiben eine auf den Einzelfall abgestimmte und damit nicht typische Willenserklärung ist. Die Auslegung solcher Individualvereinbarungen obliegt grundsätzlich dem Tatsachengericht. Sie ist revisionsrechtlich nur eingeschränkt darauf zu überprüfen, ob die allgemeinen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) verletzt sind, die Auslegung gegen Erfahrungs- oder Denkgesetze verstößt oder für die Auslegung wesentlicher Tatsachenstoff nicht berücksichtigt worden ist ( ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. 26. Mai 1992 - 9 AZR 27/91 - AP HGB § 74 Nr. 63 = EzA HGB § 74 Nr. 54).

bb) Auch diesem eingeschränkten Prüfmaßstab hält das Berufungsurteil nicht stand.

Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts erschöpft sich im wesentlichen in einem Hinweis auf den "erklärten Willen der Beklagten", gerichtlich sämtliche Anspruchsvoraussetzungen überprüfen zu lassen und auf eine Betonung der Formulierung, die streitige Bildungsmaßnahme müsse durch das AWbG "abgedeckt" sein. Der vollständige Wortlaut des Schreibens der Beklagten wird nicht erwähnt und dementsprechend auch nicht ausgewertet. Zu vermissen ist eine Abwägung der für und gegen die Auslegung sprechenden Gründe und deren nachvollziehbare Darlegung im Urteil (vgl. BGH 9. Juli 1992 - XII ZR 268/90 - NJW - RR 1992, 1226). Hiervon durfte das Landesarbeitsgericht auch nicht im Hinblick auf § 5 Abs. 1 AWbG absehen. Im Streit ist nicht der gesetzliche Anspruch des Arbeitnehmers nach dem AWbG, sondern der Inhalt der von der Beklagten eingegangenen rechtsgeschäftlichen Verpflichtung. Dieser bestimmt sich nach ihren Erklärungen und nicht nach den sich aus einer verfristeten Mitteilung nach § 5 Abs. 1 AWbG ergebenden Rechtsfolgen. Erwägungen zu einem "Verzicht" der Beklagten auf die Einhaltung der Frist und zur "Heilung" durch die Gewährung des Sonderurlaubs kommen danach nur zum Tragen, soweit sie für den Inhalt des vertraglichen Anspruchs des Klägers von Bedeutung sind. Das Landesarbeitsgericht hätte mithin auch prüfen müssen, wie der Kläger als Empfänger der Erklärungen der Beklagten die mit der gleichzeitigen Gewährung von Sonderurlaub verbundene Vergütungszusage verstehen durfte. Zu Recht rügt daher die Revision die Verletzung der allgemeinen Regel, nach der sich die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen nach dem Empfängerhorizont bestimmt.

4. Dieser Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts führt indessen nicht zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. Der Senat kann das Schreiben der Beklagten selbst auslegen, da der erforderliche Sachverhalt vollständig festgestellt und weiteres tatsächliches Vorbringen nicht zu erwarten ist (vgl. BAG 26. August 1997 - 9 AZR 761/95 - AP BGB § 611 Lehrer, Dozenten Nr. 137). Danach kommt es auf die verspätete Geltendmachung der Arbeitnehmerweiterbildung durch den Kläger nicht an.

a) Die Beklagte hat sich zur nachträglichen Vergütung des einwöchigen unbezahlten Sonderurlaubs verpflichtet, "wenn gerichtlich rechtskräftig die Rechtsauffassung bestätigt wird, daß die Bildungsmaßnahme durch das AWbG abgedeckt ist". Die Beklagte hat also nicht etwa formuliert, der Kläger erhalte nachträglich die Vergütung, wenn gerichtlich bestätigt werde, er habe einen Anspruch auf Freistellung zur Teilnahme an der Bildungsveranstaltung nach dem AWbG gehabt oder dessen Anforderungen müßten in jeder Hinsicht erfüllt sein. Nach dem Wortlaut des Schreibens hat sie ausschließlich einen Bezug zwischen der Bildungsveranstaltung als solcher und dem AWbG hergestellt. Entgegen ihrer Auffassung ist anderes dem Begriff "abgedeckt" nicht zu entnehmen. Auch dieser bezieht sich nur auf das Verhältnis der Bildungsveranstaltung zum AWbG.

Die Zahlungspflicht der Beklagten sollte zudem bestehen, wenn "die" Rechtsauffassung bestätigt wird. Die Beklagte hat mit dieser Formulierung auf das Freistellungsbegehren des Klägers zurückgegriffen, in dem er die Bildungsveranstaltung als solche der Arbeitnehmerweiterbildung iS des AWbG beurteilte. Der Ablehnung seines Antrags bei gleichzeitiger Gewährung des (zunächst) unbezahlten Sonderurlaubs konnte der Kläger dementsprechend nur entnehmen, daß die Beklagte seine Auffassung nicht teilt und sein Vergütungsanspruch daher von einer seine Auffassung bestätigenden Entscheidung über Inhalt und Durchführung der Bildungsveranstaltung nach § 1 und § 9 AWbG abhängen sollte. Unterstrichen wird dieses Verständnis durch den Umstand, daß das Antragsschreiben des Klägers zwar einen Hinweis auf das dem Arbeitgeber aus organisatorischen Gründen zustehende Ablehnungsrecht nach § 5 Abs. 2 AWbG enthält. Die Frist des § 5 Abs. 1 AWbG ist aber weder dort genannt, noch haben die Parteien beim Abschluß ihrer Sondervereinbarung die verspätete Mitteilung des Klägers angesprochen.

b) Folgt man der Vorstellung der Beklagten, so lief die Vereinbarung überdies von vornherein ins Leere. Denn die Überschreitung der Frist stand unabänderlich fest. Ein durchsetzbarer Anspruch des Klägers auf Gewährung der Freistellung nach dem AWbG schied damit für diese Bildungsveranstaltung ersichtlich aus (vgl. LAG Düsseldorf 12. November 1992 - 13 (8) Sa 1198/92 - LAGE AWbG NW § 5 Nr. 1; Schlömp AiB 1986, 58; Schiefer, Schulung und Weiterbildung im Arbeits- und Dienstverhältnis Rn. 322 a). Der Einwand der Beklagten, die Auslegung ihres Schreibens iS des Klägers unterstelle ihr einen juristischen Kenntnisstand des AWbG, den sie nicht gehabt haben könne, verfängt demgegenüber nicht. Im Streit ist nicht der Wissensstand der Beklagten von der gesetzlichen Regelung sondern der Inhalt der von ihr rechtsgeschäftlich begründeten Zahlungsverpflichtung. Der Senat unterstellt der Beklagten indessen nicht, sie habe dem Kläger den Abschluß einer Sondervereinbarung angeboten, nach deren Inhalt er keinen Vergütungsanspruch erwerben konnte.

c) Das Auslegungsergebnis der Beklagten steht überdies nicht mit dem Ziel der Sondervereinbarung in Einklang. Danach sollte dem Kläger in seinem Interesse die Teilnahme an der gewünschten Bildungsveranstaltung ermöglicht werden, während das Interesse der Beklagten darauf gerichtet war, die ausgefallene Arbeitszeit nicht ohne weiteres zu vergüten. Gleichwohl wollte sie mit der von ihr vorgeschlagenen Regelung den Anspruch des Klägers auf Arbeitnehmerweiterbildung für 1995 durch diese Arbeitsbefreiung erfüllen. Deutlich wird das aus der von ihr angebotenen Umsetzung bei einem Obsiegen des Klägers. So sollte in diesem Fall "eine Verrechnung mit den ... Ansprüchen aus dem AWbG" erfolgen. Die Gewährung des Sonderurlaubs sollte mithin nachträglich als Erfüllung des Anspruchs des Klägers auf Arbeitnehmerweiterbildung für 1995 gelten. Aus der Sicht des Klägers hatte die Annahme des Angebots der Beklagten daher zur Folge, daß er für 1995 keinen neuerlichen - fristgerechten - Antrag auf Freistellung für eine andere Bildungsmaßnahme stellen konnte, weil er seinen Anspruch insoweit "verbraucht" hatte. Auch die Beklagte verkennt nicht, daß eine verspätete Mitteilung nach § 5 Abs. 1 AWbG den Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitnehmerweiterbildung für das jeweilige Kalenderjahr unberührt läßt. Damit ist ihre Auslegung nicht zu vereinbaren, daß ihre Vergütungszusage gleichwohl von der rechtzeitigen Geltendmachung der Arbeitnehmerweiterbildung abhängen soll.

III. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden. Das Landesarbeitsgericht hat nicht geprüft, ob die vom Kläger besuchte Bildungsveranstaltung der politischen oder beruflichen Arbeitnehmerweiterbildung im Sinne von § 1 Abs. 2 AWbG gedient hat und ob die Veranstaltung nach den Bestimmungen des AWbG im Sinne von § 9 AWbG durchgeführt ist und damit die für einen Zahlungsanspruch des Klägers vorausgesetzten Bedingungen erfüllt sind. Das wird das Landesarbeitsgericht nachzuholen haben:

1. Der Senat hat ein Seminar mit dem Titel "Arbeitnehmer in Betrieb, Wirtschaft und Gesellschaft III" bereits als politische Arbeitnehmerweiterbildung beurteilt (BAG 2. Dezember 1997 - 9 AZR 584/96 - nv.). Ob das auch für das hier streitbefangene Seminar gilt, ist vom Landesarbeitsgericht zu beurteilen.

2. Zu klären ist, ob die Veranstaltung von einem anerkannten Träger der Weiterbildung im Sinne von § 9 Satz 1 a AWbG durchgeführt worden ist. Zwar hat der Kläger behauptet, die Bildungsveranstaltung sei von dem als Einrichtung der Weiterbildung in anderer Trägerschaft anerkannten IG-Metall Bildungszentrum Sprockhövel durchgeführt worden. Unstreitig ist bisher aber nur, daß die Bildungsveranstaltung in der Bildungsstätte durchgeführt worden ist.

3. Dem Anspruch des Klägers steht grundsätzlich nicht entgegen, daß der Träger der Bildungsveranstaltung nur von Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern einen Kostenbeitrag erhoben hat (ständige Senatsrechtsprechung vgl. BAG 21. Oktober 1997 - 9 AZR 253/96 - AP BildungsurlaubsG NRW § 1 Nr. 24 = EzA AWbG NW § 7 Nr. 28). Nicht geklärt ist jedoch die Richtigkeit der Behauptung des Klägers, das Seminar sei auch im übrigen für jedermann zugänglich gewesen und im Betrieb der Beklagten bekannt gemacht worden.

IV. Sollte das Landesarbeitsgericht dem Grunde nach einen vertraglichen Anspruch des Klägers bejahen, wird es zu beachten haben, daß nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Tarifverträge der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie NRW in ihrer jeweiligen Fassung anzuwenden sind. Da der Kläger im Dezember 1995 vorgerichtlich lediglich 1.072,08 DM brutto geltend gemacht hat, ist nicht auszuschließen, daß ein Anspruch auf den Differenzbetrag zu den nunmehr verlangten 1.108,50 DM brutto wegen Nichtwahrung der tariflichen Ausschlußfrist in § 19 MTV Metall NRW erloschen ist. Seine Berechnung ist im übrigen unklar. Bei dem vom Kläger angegebenen Stundenlohn von 30,78 DM und 36 Stunden/Woche ergibt sich ein Betrag von 1.108,08 DM brutto.

V. Das Landesarbeitsgericht hat auch über die Kosten der Revision zu entscheiden.

Ende der Entscheidung

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