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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 17.12.1997
Aktenzeichen: I B 108/97
Rechtsgebiete: AStG, EStG, GG, EUV


Vorschriften:

AStG § 6
EStG § 17
GG Art. 3
EUV Art. 8
EUV Art. 8a
EUV Art. 48
EUV Art. 52
EUV Art. 59
EUV Art. 177
BUNDESFINANZHOF

1. § 6 Abs. 1 AStG verstößt nicht deshalb gegen Art 3 GG, weil der Wegzug anders als der Zuzug besteuert wird.

2. Im Verfahren gemäß § 69 FGO besteht keine Vorlagepflicht an den EuGH.

3. § 6 Abs. 1 AStG verletzt weder Art. 8 noch Art. 8a EUV.

4. Soweit § 6 Abs. 1 AStG die Grundfreiheiten der Art. 48, 52 und/oder 59 EUV tangiert, ist die sich ergebende Beschränkung gerechtfertigt.

AStG § 6 EStG § 17 GG Art. 3 EUV Art. 8, 8a, 48, 52, 59, 177

Beschluß vom 17. Dezember 1997 - I B 108/97

Vorinstanz: FG Köln


Gründe

I.

Das Finanzgericht (FG) Köln hat den bei ihm gestellten Antrag des Antragstellers und Beschwerdeführers (Antragsteller) gegen den Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) wegen Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 1995 als unbegründet abgelehnt und die Beschwerde zugelassen. Der Beschluß wurde dem Antragsteller am 13. August 1997 zugestellt. Er legte am 26. August 1997 beim FG Beschwerde ein, der das FG nicht abgeholfen hat und der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Der Antragsteller war seit 1982 zunächst mit 40 v.H. und später mit 100 v.H. an einer inländischen GmbH (A-GmbH) beteiligt. Er hatte seinen Wohnsitz bis März 1995 im Inland. Im März 1995 verzog der Antragsteller aus privaten Gründen nach Belgien. Er gab seinen inländischen Wohnsitz auf, blieb jedoch weiterhin Geschäftsführer der A-GmbH und bezog in dieser Eigenschaft weiterhin Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Einen Antrag nach § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) stellte er nicht.

Das FA veranlagte den Antragsteller zur Einkommensteuer 1995 Dabei ging es davon aus, daß der Antragsteller den Besteuerungstatbestand des § 6 Abs. 1 des Außensteuergesetzes (AStG) verwirklicht habe. Es ermittelte den Veräußerungsgewinn mit 633 500 DM.

Der Antragsteller legte gegen den Bescheid vom 16. April 1997 Einspruch ein, über den --soweit bekannt-- noch nicht entschieden wurde. Er machte geltend, § 6 AStG verstoße gegen Diskriminierungsverbote des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25. März 1957 in der Fassung des Europäischen Unionsvertrages von 7. Februar 1992 --EUV-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. C 224 vom 31. August 1992, 6). Gleichzeitig beantragte er die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides beim FA. Dieses lehnte den Antrag ab, weshalb der Antragsteller sich an das FG wandte, das wie eingangs erwähnt entschied.

Mit seiner Beschwerde macht der Kläger vor allem eine Verletzung von Art. 8a EUV durch die Besteuerung gemäß § 6 Abs. 1 AStG geltend.

Er beantragt sinngemäß, den Beschluß des FG Köln vom 4. August 1997 1 V 3634/97 aufzuheben und die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 1995 antragsgemäß auszusetzen.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Beschwerde ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen.

1. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind nur dann zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen sie sprechende Gründe zutage treten, die in entscheidungserheblicher Weise Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.

2. Zwischen den Beteiligten besteht Übereinstimmung darüber, daß der Antragsteller den Tatbestand verwirklicht hat, an den § 6 Abs. 1 AStG die sog. Wegzugsbesteuerung knüpft. Der Einkommensteuerbescheid 1995, dessen Aussetzung der Vollziehung der Antragsteller begehrt, verletzt nicht § 6 Abs. 1 AStG. Streit besteht ausschließlich über die Frage, ob die in § 6 Abs. 1 AStG getroffene Regelung gegen höherrangiges Recht, insbesondere das Grundgesetz (GG) und/oder den EUV verletzt. Nach der Auffassung des erkennenden Senats ist eine derartige Verletzung nicht gegeben.

3. § 6 Abs. 1 AStG verstößt nicht gegen Art. 3 GG.

a) Dies gilt zum einen insoweit, als die Vorschrift nur wesentliche Beteiligungen an inländischen Kapitalgesellschaften erfaßt und für wesentliche Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften nicht gilt. Zwar widerspricht diese Differenzierung dem Welteinkommensprinzip, wie es mit der unbeschränkten Steuerpflicht verbunden ist und auf dem auch § 6 AStG aufbaut. Dennoch ist die getroffene Regelung deshalb nicht willkürlich (a.A.: Herzig/Dautzenberg, Der Betrieb --DB-- 1997, 8, 16). Sie baut vielmehr auf der Unterscheidung zwischen in- und ausländischen Einkünften auf, wie sie auch für andere Bereiche des deutschen Ertragsteuerrechts von Bedeutung ist (vgl. §§ 34c, 34d EStG, § 26 des Körperschaftsteuergesetzes --KStG--). Die in § 6 Abs. 1 AStG getroffene Regelung beschränkt die Besteuerung auf die stillen Reserven, die nach einem Wegzug bei beschränkter Steuerpflicht im Falle einer Beteiligungsveräußerung als inländische Einkünfte i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG erfaßt werden könnten, für die jedoch die Vorschriften der Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) eine Besteuerung bei nur beschränkter Steuerpflicht häufig ausschließen (vgl. Art. 13 Abs. 4 des OECD-Musterabkommens, Art. 13 Abs. 3 DBA-Belgien). § 6 Abs. 1 AStG verlagert damit lediglich die Besteuerung zeitlich vor, die nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG grundsätzlich vorgesehen ist. Ob deshalb Art. 13 Abs. 3 DBA-Belgien, wonach im Falle einer späteren Anteilsveräußerung das Besteuerungsrecht auf den Veräußerungsgewinn abkommensrechtlich Belgien zustehen könnte, Deutschland dazu zwingt, die ursprünglich vorgenommene Besteuerung wieder aufzuheben, ist eine andere Frage, die erst dann zu beurteilen ist, wenn feststeht, daß der Antragsteller Abkommensschutz nach dem DBA-Belgien für einen entsprechenden Gewinn genießt.

b) Der Senat verneint eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung auch insoweit, als im Falle des Zuzuges eines Steuerausländers ins Inland § 17 Abs. 1 EStG dessen während der Zeit der Ansässigkeit im Ausland angewachsenen stillen Reserven innerhalb der wesentlichen Beteiligung an einer ausländischen Kapitalgesellschaft erfaßt (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 1996 VIII R 15/94, BFHE 180, 146, BStBl II 1996, 312; Crezelius, DB 1997, 195, 200), während der Gesetzgeber in dem spiegelbildlichen Fall des § 6 AStG für sich beansprucht, auch den während der Zeit der Ansässigkeit in Deutschland entstandenen Wertzuwachs besteuern zu dürfen. Beide Regelungen schließen sich logisch nicht wechselseitig aus. § 6 AStG löst allenfalls Fälle von Doppelbesteuerungen aus, die nach den DBA bzw. nach den §§ 34c EStG und 26 KStG ermäßigt zu besteuern sind. Deshalb muß der deutsche Gesetzgeber jedoch den Wegzug und den Zuzug nicht spiegelbildlich besteuern.

4. Im summarischen Verfahren gemäß § 69 Abs. 3 FGO ist davon auszugehen, daß § 6 Abs. 1 AStG gegen kein Diskriminierungsverbot des EUV verstößt.

a) Eine Vorlagepflicht wegen dieser Rechtsfrage gemäß Art. 177 EUV an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- scheidet zum einen mit Rücksicht auf das summarische Verfahren gemäß § 69 Abs. 3 FGO aus (vgl. BFH-Beschluß vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BFHE 181, 511, BStBl II 1997, 466). Sie ist zum anderen aus den Gründen des EuGH-Urteils vom 26. Januar 1993 Rs. C-112/91 --Werner-- (EuGHE 1993, I-429) nicht geboten. Die in diesem Urteil vom EuGH vertretene Auffassung, daß sich ein Deutscher nicht gegenüber Deutschland auf die Verletzung des Art. 52 EUV berufen kann, wenn seine einzige Auslandsberührung aus dem Wohnsitz in einem anderen EG-Mitgliedstaat besteht, ist entgegen den Ausführungen von Herzig/Dautzenberg (DB 1997, 10) schon deshalb nicht überholt, weil sie der EuGH bisher nicht aufgegeben hat. Entscheidend ist deshalb, daß der Antragsteller ein Deutscher ist, der in Belgien seinen Wohnsitz genommen hat, jedoch weiterhin nur in Deutschland seine Berufstätigkeit ausübt. Sein belgischer Wohnsitz ist seine einzige Auslandsberührung. Damit kann er sich gegenüber Deutschland nicht auf eine Verletzung der Art. 48, 52, 59 und/oder 67 EUV berufen. Er nimmt gegenüber Deutschland weder Rechte aus dem EUV wahr noch befindet er sich in einer mit einem EU-Ausländer vergleichbaren Situation.

b) Der Senat sieht im Streitfall weder Art. 8 EUV noch Art. 8a EUV als verletzt an. Art. 8 EUV verbietet die Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. § 6 Abs. 1 AStG knüpft die Besteuerung jedoch nicht an die deutsche Staatsangehörigkeit an. Art. 8a EUV schützt nur die Freizügigkeit, d.h. das Recht auf freie Bewegung und auf freien Aufenthalt. Es ist schon fraglich, ob Art. 8a EUV das Recht auf freie Wohnsitznahme einschließt. Selbst wenn man dies jedoch unterstellt, schützt Art. 8a EUV nicht vor einer Besteuerung aus Anlaß des Wegzuges aus dem bisherigen Wohnsitzstaat. Art. 8a EUV garantiert die Freizügigkeit nur unter gleichzeitiger Wahrung der finanziellen Interessen des bisherigen Ansässigkeitsstaates (vgl. die Formulierung in den Erwägungen des Rates zur Richtlinie Nr. 90/434/EWG vom 23. Juli 1990, ABlEG Nr. L 225, 1). Solange ein Mitgliedstaat der EU sein Besteuerungsrecht nur deshalb an den Wegzug anknüpft, um es im Verhältnis zu den DBA durchsetzen zu können, handelt er in Wahrung seiner berechtigten finanziellen Interessen.

c) Der Senat hat erwogen, ob der Antragsteller aus Gründen des Art. 3 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit einem anderen unbeschränkt Steuerpflichtigen hat, der zugleich Staatsangehöriger eines anderen EU-Mitgliedstaates ist und nach Belgien auswandert, um dort selbständig oder nichtselbständig tätig zu werden. Der Senat muß über die Existenz eines entsprechenden Gleichbehandlungsgebotes nicht entscheiden, weil die unterstellte Verletzung der Art. 48, 52 und/oder 59 EUV jedenfalls gerechtfertigt wäre. Die Steuersouveränität der Mitgliedstaaten erlaubt diesen, ihr Steuersystem nach eigenem Ermessen auszugestalten. Dadurch bedingte Beschränkungen der Grundfreiheiten müssen hingenommen werden, wenn sie unvermeidbar sind, um das Funktionieren des Steuersystems zu gewährleisten. Diese Voraussetzung ist im Streitfall schon deshalb erfüllt, weil angesichts der Regelungen in den DBA im allgemeinen und im DBA-Belgien im besonderen der Zeitpunkt der Aufgabe der unbeschränkten Steuerpflicht der letzte ist, in dem die stillen Reserven innerhalb einer wesentlichen Beteiligung an einer inländischen Kapitalgesellschaft berechtigterweise noch besteuert werden können. Will Deutschland sein Besteuerungsrecht auf diese stillen Reserven nicht aufgeben, kann es dies im Falle eines Wegzuges nur mit Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht nach Maßgabe des § 6 Abs. 1 AStG durchsetzen.

Ende der Entscheidung

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