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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 20.12.2000
Aktenzeichen: I B 116/00
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 65 Abs. 2 Satz 2
FGO § 56 Abs. 2 Satz 1
FGO § 56 Abs. 1
FGO § 56 Abs. 2 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) --eine GmbH-- erhob am 14. Januar 1998 beim zuständigen Finanzgericht (FG) Klagen wegen der im Rubrum angegebenen Steuern, Steuermessbeträge, Festsetzungen und Feststellungen. Da die Klageschriften den Gegenstand der Klagebegehren nicht erkennen ließen und die Klägerin der ersten Aufforderung des FG, diesen Mangel zu beheben, nicht nachgekommen war, setzte das FG ihr zur erforderlichen Ergänzung der Klagen am 12. März 1998 eine Ausschlussfrist gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zum 15. Mai 1998. Auch innerhalb dieser Frist ging beim FG kein Schriftsatz ein, in dem die Klägerin die Gegenstände ihres Klagebegehrens bezeichnete. Daraufhin wies das FG mit Schreiben vom 26. Mai 1998 den damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin, den Steuerberater K, auf die Fristversäumung und die Möglichkeit hin, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen.

Mit Schriftsatz der jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 22. Juni 1998, der am selben Tag beim FG einging, beantragte die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Frist vom 15. Mai 1998. Zur Begründung trug sie vor:

K habe am 26. April 1998 einen Schriftsatz an das FG diktiert, in dem er die Gegenstände des Klagebegehrens bezeichnet habe. Diesen Schriftsatz habe K jedoch nicht unterschreiben können, da er seinerzeit an einer Störung des vegetativen Nervensystems gelitten habe. Deshalb habe er seine erprobt zuverlässige Kanzleiangestellte L gebeten, den Schriftsatz ohne seine Unterschrift an das FG abzusenden. L habe den Schriftsatz am 30. April 1998 geschrieben und am gleichen Tag durch Aufgabe zur Post an das FG abgesandt. Dort sei der Schriftsatz jedoch aus Gründen, die K nicht zu vertreten habe, nicht angekommen. Dies habe K erst durch das am 5. Juni 1998 in seiner Kanzlei eingegangene Schreiben des FG vom 26. Mai 1998 erfahren. Wegen seiner Erkrankung habe er von dem Schriftsatz jedoch nicht bereits am 5. Juni 1998, sondern erst am 10. Juni 1998 Kenntnis nehmen können.

Mit Schriftsatz vom 24. Juni 1998 trug die Klägerin ergänzend vor, den an das FG abgesandten Schriftsatz vom 30. April 1998 habe die Steuerberaterin D unterzeichnet. Zur Glaubhaftmachung ihres Vortrags legte die Klägerin dem FG eine Aktenkopie des Schriftsatzes vom 30. April 1998, eine Ablichtung des Postausgangsbuches des K vom selben Tag, eidesstattliche Versicherungen des K und der L und ein ärztliches Attest vor. Nach dem Attest war K vom 30. März bis 14. Juni 1998 wegen einer hochfieberhaften Erkrankung arbeitsunfähig.

In der mündlichen Verhandlung vor dem FG erklärten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, K sei zwar möglicherweise am 2. und 4. Juni 1998 in seiner Kanzlei gewesen, in der Zeit vom 5. bis 9. Juni 1998 sei er aber nicht dort gewesen.

Das FG wies die Klagen durch Urteil vom 23. März 2000 ab. Es vertrat die Ansicht, die Klagen seien unzulässig, da die Klägerin die Gegenstände ihres Klagebegehrens nicht innerhalb der Ausschlussfrist bezeichnet habe und der Klägerin wegen der schuldhaften Versäumung der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei. Die Revision ließ das FG nicht zu.

Mit der Beschwerde beantragt die Klägerin, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde war zurückzuweisen. Sie ist unbegründet. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung.

1. Nach Auffassung der Klägerin hat der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung, da in dem angestrebten Revisionsverfahren die Rechtsfrage zu klären sei, ob die fehlende Kenntnis eines Steuerpflichtigen bzw. seines Vertreters von der Versäumung einer Frist solange ein Hindernis i.S. des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO ist, bis der Steuerpflichtige/sein Vertreter von den zur Fristversäumung führenden Tatsachen Kenntnis erlangt, oder ob ein Wegfall dieses Hindernisses bereits dann eintritt, sobald der Steuerpflichtige/sein Vertreter bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt diese Tatsachen hätte erkennen können und müssen. Ist die Frage entsprechend der ersten Alternative zu beantworten, beginnt die Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO, innerhalb der ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen ist (Antragsfrist), erst mit der positiven Kenntnis der Fristversäumung i.S. des § 56 Abs. 1 FGO. Ist sie entsprechend der zweiten Alternative zu beantworten --was im Streitfall das FG bejaht hat--, beginnt die Antragsfrist, sobald der Steuerpflichtige/sein Vertreter die zur Fristversäumung führenden Tatsachen schuldhaft nicht zur Kenntnis nimmt.

2. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist diese Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig. Sie ist bereits höchstrichterlich geklärt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) fällt ein Hindernis für die Einhaltung einer gesetzlichen Frist weg, sobald die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter erkannt hat oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können und müssen, dass die Frist versäumt worden ist (s. z.B. BFH-Entscheidungen vom 16. Dezember 1988 III R 13/85, BFHE 155, 282, BStBl II 1989, 328; vom 29. Oktober 1999 VI R 36/99, BFH/NV 2000, 470; vom 3. Juli 2000 VI B 223/99, BFH/NV 2000, 1491). Diese Rechtsprechung stimmt mit der des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und z.B. auch des Bundesgerichtshofs (BGH) überein (s. BVerfG-Beschlüsse vom 11. Januar 1991 1 BvR 1435/89, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1992, 38; vom 2. Juni 1992 2 BvR 1401/91, 254/92, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht --NVwZ-- 1992, 1080; BGH-Beschlüsse vom 31. Januar 1990 VIII ZB 44/89, NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht --NJW-RR-- 1990, 830; vom 13. Dezember 1999 II ZR 225/98, NJW 2000, 592). Sie entspricht auch der in der Kommentarliteratur vertretenen Auffassung (s. z.B. Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., 1995, § 56 FGO Rz. 315; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, § 56 Rz. 41; Bier in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, 2000, § 60 Rz. 52; Greger in Zöller, Zivilprozeßordnung, 22. Aufl., 2001, § 234 Rz. 5 und 5 b).

3. Die Einwendungen der Klägerin gegen diese Rechtsprechung erfordern keine erneute Prüfung der Rechtsfrage durch den BFH. Denn sie werden eindeutig durch § 56 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 3 FGO widerlegt.

§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO bestimmt zwar lediglich, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen ist. Dies lässt entgegen der Auffassung der Klägerin aber nicht den Schluss zu, der "Wegfall des Hindernisses" sei ein verschuldensunabhängiges Tatbestandsmerkmal und für den Beginn der Antragsfrist komme es deshalb in Fällen wie dem Streitfall nur darauf an, wann der Steuerpflichtige oder sein Vertreter Kenntnis von den zur Fristversäumung führenden Tatsachen erlangte. Eine solche Auslegung würde den Kontext, in dem § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO steht, nicht berücksichtigen. Das Hindernis i.S. des Abs. 2 Satz 1 ist der Sachverhalt, der ursächlich dafür war, dass jemand an der Einhaltung einer Frist i.S. des Abs. 1 "verhindert war". Nicht jedes einmal objektiv bestehende Hindernis rechtfertigt jedoch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Vielmehr muss derjenige, der die Frist versäumt hat, gemäß § 56 Abs. 1 FGO "ohne Verschulden" verhindert gewesen sein, die Frist zu wahren. Außerdem muss er die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist, also binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses nachholen (§ 56 Abs. 2 Satz 3 FGO). Daraus folgt, dass die Verhinderung endet (= das Hindernis wegfällt), sobald der Steuerpflichtige/sein Vertreter nicht mehr unverschuldet verhindert ist, die versäumte Rechtshandlung nachzuholen.



Ende der Entscheidung

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