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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 30.04.2003
Aktenzeichen: I B 120/02
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 160
AO 1977 § 162
FGO § 116 Abs. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Beteiligten streiten um die Aberkennung von Betriebsausgaben gemäß § 160 der Abgabenordnung (AO 1977), die Vornahme von Zuschätzungen nach § 162 AO 1977 sowie die erfolgswirksame Auflösung von Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit Geschäften, die die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, in den Streitjahren 1992 bis 1994 mit einer in Liechtenstein ansässigen Gesellschaft getätigt hat. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hat entsprechende Körperschaftsteuerbescheide für die Streitjahre erlassen, gegen die sich die Klägerin mit ihrer Klage wandte. Das Finanzgericht (FG) hat diese Klage als unbegründet abgewiesen. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2002, 948 abgedruckt.

Das FG hat die Revision zum Bundesfinanzhof (BFH) nicht zugelassen. Die Klägerin hat deshalb Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt eine Reihe von Verfahrensfehlern, die dem FG unterlaufen seien, u.a. dadurch, dass es seine Würdigung der Aussage des Zeugen X auch auf dessen persönlichen Eindruck anlässlich der Beweisaufnahme gestützt habe. Da diese Beweisaufnahme aber nicht in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat des FG stattgefunden habe, sondern zuvor in einem Termin des Vorsitzenden in dessen Funktion als Berichterstatter und beauftragter Richter, habe das FG den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und zugleich seine Sachaufklärungspflicht verletzt.

Das FA hält die Beschwerde für unbegründet.

II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Die Klägerin rügt mit Recht, dass das FG seiner Entscheidung einen verfahrensfehlerhaft festgestellten Sachverhalt zugrunde gelegt hat. Es hat gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 81 FGO) verstoßen.

1. Das FG hat die Aussage gewürdigt, die der Zeuge X vor dem Vorsitzenden des FG-Senats als beauftragten Richter gemacht hat. Es ist dessen, den Sachvortrag der Klägerin stützenden Aussagen im Ergebnis nicht gefolgt und hat diese im Ergebnis als nicht glaubhaft angesehen. In diesem Zusammenhang ist das FG davon ausgegangen, dass der Zeuge jedenfalls dann, wenn man die von der Klägerin und der Z-GmbH erstellten Bilanzen zugrunde lege, infolge der geschäftlichen Kontakte mit A und der von ihm beherrschten Unternehmen erhebliche Verluste erlitten habe. Der Senat sehe sich außerstande, die Hinnahme derartiger Verluste allein durch eine --offenbar nach wie vor bestehende-- Jugendfreundschaft als gerechtfertigt anzusehen. Dies halte der Senat "bei einer so vorsichtigen und im Wirtschaftsleben erfahrenen Person als die sich (X) im Beweistermin vorgestellt" habe, für ausgeschlossen. Eine solche Person setze nicht über ein Viertel des Familienvermögens wegen einer Jugendfreundschaft aufs Spiel, ohne dass überdies die Freundschaft einen nennenswerten Schaden nehme.

2. Das FG hat den Zeugen lediglich durch den Vorsitzenden als beauftragten Richter vernehmen lassen. Es durfte deshalb seiner Beurteilung nicht den --in der Vernehmungsniederschrift nicht festgehaltenen-- persönlichen Eindruck des Zeugen zugrunde legen und daraus Schlüsse auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen ziehen.

Die FGO geht, wie die Einrichtungen des beauftragten und ersuchten Richters (§ 81 Abs. 2 FGO) oder die Möglichkeit der Beweiserhebung durch den Vorsitzenden oder den Berichterstatter (§ 79 Abs. 3 FGO) zeigen, zwar davon aus, dass das erkennende Gericht eine Beweiswürdigung auch dann vornehmen darf, wenn es die Beweisaufnahme nicht selbst durchgeführt hat. Die Grundsätze der freien Beweiswürdigung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) und der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 81 Abs. 1 Satz 1 FGO) gebieten es aber, dass das Gericht bei seiner Entscheidung nur das berücksichtigen darf, was auf der Wahrnehmung aller an der Entscheidung beteiligten Richter beruht oder aktenkundig ist und wozu die Beteiligten sich zu erklären Gelegenheit hatten (vgl. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 81 FGO Tz. 24; Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 81 Rz. 9; Pfützenreuter in Haarmann/ Schmieszek, Rechtsschutz in Steuer- und Abgabensachen, Fach 65208 Rz. 97, 108, jew. m.w.N.). Nur unter diesen Voraussetzungen kann der persönliche Eindruck, den ein Zeuge bei der Beweisaufnahme gemacht hat, von dem Prozessgericht zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen herangezogen werden (vgl. z.B. Bundesgerichtshof --BGH--, Urteile vom 7. November 1966 II ZR 188/65, Versicherungsrecht 1967, 25; vom 27. April 1960 IV ZR 100/59, BGHZ 32, 233, 237; vom 30. Januar 1990 XI ZR 162/89, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1991, 1302; vom 4. Dezember 1990 XI ZR 310/89, NJW 1991, 1180).

Bei einer vom beauftragten oder ersuchten Richter durchgeführten Beweisaufnahme geschieht die Verwertung der Aussagen --wie im Falle des Richterwechsels (vgl. BGH-Urteil in NJW 1991, 1180)-- im Wege des Urkundenbeweises durch Auswertung des Protokolls. Eindrücke, die ausschließlich der vernehmende Richter bei der Beweisaufnahme gewonnen, aber nicht in der Niederschrift vermerkt hat, dürfen deshalb bei der Entscheidung keine Rolle spielen. Nur die Protokollierung ermöglicht es den Beteiligten, zu dem vom vernehmenden Richter gewonnenen Eindruck Stellung zu nehmen. Hätte der Vorsitzende im Streitfall seinen Eindruck, dass der Zeuge X sich im Beweistermin als "vorsichtige und im Wirtschaftsleben erfahrene Person" vorgestellt habe, dass dieser Eindruck im Widerspruch zu der Zeugenaussage stehe und dass damit Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen bestünden, in das Terminsprotokoll aufgenommen, so hätte das die Klägerin veranlassen können, auf eine Vernehmung der Zeugen durch den Senat zu dringen. Eine derartige Protokollierung ist indes unterblieben.

Der Verfahrensfehler wird nicht dadurch ausgeräumt, dass das FG sich auch sachlich mit dem Aussageinhalt auseinander gesetzt hat. Selbst wenn man diese Sacherwägungen für sich genommen als rechtsfehlerfrei ansehen könnte, beruhten sie doch auch auf der verfahrensfehlerhaft zustande gekommenen Überzeugung, dass ein anderes Verhalten des Zeugen nach dem von ihm in der Beweisaufnahme gewonnenen Eindruck nicht unterstellt werden könne und dass er deswegen nicht glaubwürdig sei (vgl. BGH-Urteil in NJW 1991, 1302).

3. Da die Beschwerde der Klägerin bereits wegen dieses wesentlichen Verfahrensverstoßes Erfolg hat, kann offen bleiben, ob auch die weiteren mit ihr erhobenen formellen Rügen durchgreifen.

Ende der Entscheidung

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