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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 23.03.2004
Aktenzeichen: I B 134/02
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, BGB


Vorschriften:

AO 1977 § 89
AO 1977 § 110 Abs. 3
AO 1977 § 189 Satz 3
FGO § 115 Abs. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
BGB § 839
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine Gemeinde. Auf ihrem Gebiet unterhielt die H GmbH (H) ab dem Erhebungszeitraum 1977 (Streitjahr) eine Betriebsstätte. Außerdem befanden sich Betriebsstätten der H im Streitjahr noch in über 30 anderen Gemeinden. Auf Grund eines Irrtums führte die H in ihrer Erklärung für die Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermessbetrags 1977 (Zerlegungserklärung) nicht die Klägerin, sondern die Gemeinde R als Betriebsstättengemeinde auf. Der Beklagte und Beschwerdegegner (Beklagter), das für die Besteuerung der H zuständige Finanzamt F, folgte den Angaben in der Zerlegungserklärung und teilte daher bei der erstmaligen Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrages 1977 den der Klägerin zustehenden Zerlegungsanteil der Gemeinde R zu. Dieser Fehler wurde in den auf Grund einer Außenprüfung erlassenen geänderten Zerlegungsbescheid vom 28. Juni 1985 übernommen. Sowohl dieser Änderungsbescheid als auch der ihm zugrunde liegende Gewerbesteuermessbescheid 1977 vom 28. Juni 1985 wurden bestandskräftig.

Am 22. April 1986 erinnerte der Gemeindeverwaltungsverband (GVV), dem die Klägerin angehört und der sie bei der Erhebung der Gewerbesteuer vertritt, das Finanzamt S (FA S) an die noch ausstehende Zerlegungsmitteilungen für den Betrieb der H und machte den Anspruch der Klägerin auf einen Zerlegungsanteil geltend. Dabei bezeichnete der GVV --wie 1977 von der H in der Anmeldung der Betriebsstätte angegeben-- den Geschäftsführer der H als Steuerpflichtigen. Zusätzlich enthält das Schreiben statt der Angabe der Steuernummer den Hinweis "Zweigstelle Sitz d. FA F Firma H GmbH". Ein Bediensteter des FA S vermerkte am 29. April 1986 auf dem Schreiben, der Steuerpflichtige werde nicht beim FA S geführt und möglicherweise sei das Finanzamt F zuständig. Davon wurde die Klägerin jedoch zunächst nicht unterrichtet. Am 10. Oktober 1986 richtete die Klägerin ein entsprechendes Schreiben an den Beklagten, der dieses Schreiben an das FA S weiterleitete. Mit Schreiben vom 4. November 1986 informierte das FA S die Klägerin dann darüber, dass die H beim FA S steuerlich nicht geführt werde.

In einem Schreiben vom 5. November 1986 wies die H den Beklagten auf den Fehler in der Zerlegungserklärung hin und bat sinngemäß, den Zerlegungsbescheid vom 28. Juni 1985 zu berichtigen. Einen entsprechenden Antrag der Klägerin vom März 1987 lehnte der Beklagte wegen Festsetzungsverjährung ab. Einspruch und Klage waren erfolglos. Das im ersten Rechtsgang ergangene Urteil des Finanzgerichts (FG) hat der beschließende Senat wegen unterlassener notwendiger Beiladungen aufgehoben (Senatsurteil vom 14. September 1994 I R 60/93, BFH/NV 1995, 484). Auch das im zweiten Rechtsgang ergangene FG-Urteil wurde, soweit es das Streitjahr betraf, aufgehoben. Der beschließende Senat verwies die Sache insoweit zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts an das FG zurück, da sich auf Grund der seinerzeit vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht entscheiden lasse, ob der Klägerin wegen Versäumung der Antragsfrist gemäß § 189 Satz 3 der Abgabenordnung (AO 1977) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO 1977) zu gewähren sei. Auf das Urteil des beschließenden Senats vom 28. Juni 2000 I R 84/98 (BFHE 192, 222, BStBl II 2001, 3) wird Bezug genommen. Auch im dritten Rechtsgang wies das FG die Klage ab (FG-Urteil vom 14. Juni 2002). Die Revision ließ es nicht zu.

Mit der Beschwerde beantragt die Klägerin, gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Revision gegen das FG-Urteil zuzulassen.

Der Beklagte beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde war zurückzuweisen. Sie ist unbegründet.

1. Das FG hat die Abweisung der Klage zweifach begründet:

- Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei der Klägerin zu versagen, da sie die Frist des § 189 Satz 3 AO 1977 schuldhaft versäumt habe.

- Selbst wenn die Klägerin kein Verschulden an der Fristversäumnis träfe, sei ihr die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren, da sie die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags erst nach Ablauf der Frist des § 110 Abs. 3 AO 1977 vorgetragen habe und diese nicht offenkundig gewesen seien.

Jede dieser Begründungen trägt für sich gesehen die Entscheidung des FG. Ist ein FG-Urteil derart auf mehrere Gründe gestützt, setzt die Zulassung der Revision gegen das Urteil voraus, dass hinsichtlich jeder Begründung mindestens ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO gegeben ist (s. Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., 2002, § 115 Rz. 31, § 116 Rz 28, m.w.N.). Daran fehlt es im Streitfall.

2. In Bezug auf die erste Begründung des FG-Urteils begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) und wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Dazu hat sie sinngemäß vortragen: Das FG habe die Belehrungs-, Beratungs- und Auskunftspflichten der Finanzbehörden gemäß § 89 AO 1977 nicht berücksichtigt und sei, indem es die Pflichtverletzung des FA S als nicht entscheidungserheblich und die Untätigkeit des GVV in der Zeit vom 22. April bis Ende Juni 1986 als Verletzung der gebotenen Sorgfalt beurteilt habe, von dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 6. April 1960 III ZR 38/59 (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1960, 1244) abgewichen. Außerdem habe das FG ein Verschulden der Klägerin an der Fristversäumung bejaht, ohne den Sachverhalt ausreichend aufzuklären und den klaren Inhalt der Akten zu berücksichtigen (Verstöße gegen §§ 76 und 96 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Die behauptete Abweichung besteht jedoch nicht. Das zitierten BGH-Urteil betrifft die Frage, ob ein Beamter seine Amtspflicht verletzt und dies zu einer Haftung gemäß § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs führen kann, wenn er ein Baugesuch zu bearbeiten hat und dabei den Antragsteller nicht auf eine zu erwartende Änderung baurechtlicher Vorschriften hinweist. In dem Urteil wird ausgeführt, dass "der Beamte 'Helfer des Staatsbürgers' zu sein hat, woraus im Einzelfall seine Pflicht folgen kann, den von ihm zu betreuenden Personenkreis gegebenenfalls ausreichend zu belehren und aufzuklären, damit insbesondere ein Gesuchsteller im Rahmen des jeweils Möglichen und Zulässigen das erreichen kann, was er zu erreichen wünscht, und damit vermeidbarer Schaden von ihm ferngehalten wird." Das FG-Urteil enthält keine davon abweichenden Ausführungen. Auch das FG ist von einer Informationspflicht des FA S gegenüber der Klägerin ausgegangen und hat es als Pflichtverletzung angesehen, dass das FA S das Schreiben vom 22. April 1986 zunächst nicht beantwortete. Zu der Rechtsfolge einer solchen Pflichtverletzung, insbesondere zu der Frage, ob sie ein Verschulden eines Antragsstellers bei der Versäumung einer Frist ausschließt, enthält das BGH-Urteil keine Aussage.

Auch der Auffassung der Klägerin, das FG habe verfahrensfehlerhaft den Sachverhalt in Hinblick auf die zur Fristversäumung führenden Umstände unzureichend aufgeklärt und den klaren Inhalt der Akten nicht berücksichtigt, ist nicht zu folgen. Das FG hat das der Klägerin zuzurechnende Verschulden des GVV bei der Versäumung der Frist des § 189 Satz 3 AO 1977 darin gesehen, dass der GVV sich nicht spätestens Ende Juni 1986 beim FA S nach dem Stand der Angelegenheit erkundigte, obwohl seit dem Ende des Streitjahres bereits mehr als acht Jahren vergangen waren und der GVV daher damit habe rechnen müssen, dass die Frist des § 189 Satz 3 AO 1977 bereits abgelaufenen war oder in Kürze abzulaufen drohte. Von diesem materiell-rechtlichen Standpunkt aus bestand für das FG kein Anlass, noch aufzuklären, wann der GVV oder die Klägerin erfahren hatte, dass die Frist am 2. August 1986 abgelaufen war. Das FG hat bei der Entscheidung auch die Aussage des von ihm vernommenen Zeugen berücksichtigt. Dass es die Aussage anders gewürdigt hat, als dies die Klägerin für richtig hält, ist kein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (s. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 82, m.w.N.).

3. Ob die hinsichtlich der zweiten Begründung des FG-Urteils vorgetragenen Zulassungsgründe bestehen, kann offen bleiben. Es ist nicht entscheidungserheblich (s. oben 1.).

Ende der Entscheidung

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