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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 15.07.1998
Aktenzeichen: I B 134/97
Rechtsgebiete: FGO, ZPO, AO 1977


Vorschriften:

FGO § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2
FGO § 155
FGO § 128
ZPO § 557
AO 1977 § 10
AO 1977 § 12 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Antragstellerin, Beschwerdeführerin und Anschlußbeschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist eine Kapitalgesellschaft mit Sitz in Portugal. Nach den Feststellungen einer Steuerfahndungsprüfung erwarben die Herren M und L am 23. August 1995 sämtliche Anteile an der Antragstellerin. Ausweislich der notariellen Urkunde vom selben Tag wurden die beiden Gesellschafter zu deren Geschäftsführern bestellt. Zur wirksamen Vertretung der Antragstellerin werden laut Gesellschaftsvertrag die "gleichzeitigen Unterschriften beider Geschäftsführer benötigt".

Beide Geschäftsführer hatten im Streitjahr 1995 ihren Wohnsitz in Deutschland. Die Wohnung des Geschäftsführers L wurde gegenüber Auftraggebern der Antragstellerin als Büroadresse genannt. Sämtlicher Schriftverkehr lief über diese Wohnung. Sämtliche Geschäftsunterlagen der Antragstellerin befanden sich im Zeitpunkt der Steuerfahndung in der Wohnung des Geschäftsführers M, in der ein Raum als Büro eingerichtet war.

Die Antragstellerin war im Streitjahr im Inland in der Zeit vom Juli bis November als Subunternehmerin im Baugewerbe tätig. Am 29. November 1995 wurde gegen M das Steuerstrafverfahren eröffnet, in dessen Folge M inhaftiert wurde. Nach den Feststellungen der Steuerfahndnung hatte die Antragstellerin im Streitjahr vier Verträge mit inländischen Bauunternehmen abgeschlossen und war dabei stets durch M und L vertreten worden.

Der Antragsgegner, Beschwerdegegner und Anschlußbeschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) hielt die Antragstellerin im Inland für beschränkt steuerpflichtig und erließ, da die Antragstellerin keine Steuererklärungen abgab, für 1995 Schätzbescheide. Gegen diese Bescheide legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV). Nach Ablehnung der Anträge durch das FA stellte sie einen AdV-Antrag an das Finanzgericht (FG), dem das FG mit Beschluß vom 10. September 1997 insoweit stattgab, als es den Gewerbesteuermeßbescheid 1995 --mangels inländischer Betriebsstätte-- gegen Sicherheitsleistung von der Vollziehung aussetzte. Im übrigen lehnte es den Antrag ab. Dieser Beschluß enthielt den Hinweis, daß gegen ihn kein Rechtsmittel gegeben sei. Auf Anregung der Antragstellerin erließ das FG am 7. November 1997 einen erneuten Beschluß, in dem es den Tenor des Beschlusses vom 10. September 1997 wiederholte, nunmehr aber die Beschwerde zum Bundesfinanzhof (BFH) zuließ.

Mit ihrer Beschwerde beantragt die Antragstellerin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, die angefochtenen Bescheide in vollem Umfang von der Vollziehung auszusetzen und die Anschlußbeschwerde des FA zu verwerfen.

Das FA hat sich der Beschwerde der Antragstellerin angeschlossen. Es beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen, den Beschluß des FG, soweit er die Vollziehung des Gewerbesteuermeßbescheides 1995 ausgesetzt habe, aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf AdV in vollem Umfang abzuweisen, hilfsweise, die AdV von der Erbringung einer Sicherheitsleistung in entsprechender Höhe abhängig zu machen.

II. Die Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. Auf die Anschlußbeschwerde des FA sind die Beschlüsse des FG aufzuheben. Der Antrag auf AdV ist abzulehnen.

A. Die Beschwerde der Antragstellerin und die Anschlußbeschwerde des FA sind zulässig.

1. Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, da das FG die Beschwerde nachträglich zugelassen hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10. Oktober 1991 XI B 18/90, BFHE 165, 565, BStBl II 1992, 301; vom 4. Oktober 1996 I B 54/96, BFHE 181, 265, BStBl II 1997, 136).

2. Das FA konnte nach Ablauf der Beschwerdefrist gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 577a der Zivilprozeßordnung (ZPO) unselbständige Anschlußbeschwerde einlegen (BFH-Beschluß vom 16. März 1995 VIII B 158/94, BFH/NV 1995, 680; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 128 Rdnr. 13, m.w.N.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 128 FGO Tz. 7, m.w.N.).

B. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerbescheide. Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei der summarischen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (st. Rspr. des BFH seit BFH-Beschluß vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182). Bei summarischer Überprüfung des Streitfalles ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß die Antragstellerin im Inland sowohl körperschaftsteuer- als auch gewerbesteuerpflichtig war und daß Art. 24 des Doppelbesteuerungsabkommens Portugal (DBA-Portugal) die Besteuerung der inländischen Einkünfte aus Gewerbebetrieb nicht ausschließt.

1. a) Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) sind Kapitalgesellschaften, die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben, unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Auch ausländische Kapitalgesellschaften mit Geschäftsleitung im Inland können unbeschränkt steuerpflichtig sein (vgl. BFH-Urteile vom 23. Juni 1993 I R 31/92, BFH/NV 1994, 661; vom 23. Juni 1992 IX R 182/87, BFHE 168, 285, BStBl II 1992, 972; vgl. auch Wassermeyer in Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft --DStJG-- Bd. 20 S. 83).

b) Bei summarischer Überprüfung des Sachverhalts ist davon auszugehen, daß die Antragstellerin seit Beginn ihrer inländischen Geschäftstätigkeit ihre Geschäftsleitung im Inland hatte.

Geschäftsleitung ist nach § 10 der Abgabenordnung (AO 1977) der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung. Dieser befindet sich bei einer Körperschaft regelmäßig an dem Ort, an dem die zur Vertretung befugten Personen die ihnen obliegende Geschäftsführertätigkeit entfalten und wo die sog. Tagesgeschäfte vorgenommen werden (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 3. Juli 1997 IV R 58/95, BFHE 184, 185, BStBl II 1998, 86; vom 23. Januar 1991 I R 22/90, BFHE 164, 164, BStBl II 1991, 554; vom 7. Dezember 1994 I K 1/93, BFHE 176, 125, BStBl II 1995, 175; vom 15. Oktober 1997 I R 76/95, BFH/NV 1998, 434). Nach Aktenlage befand sich der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung im Inland, und zwar offensichtlich in dem von M in seiner Wohnung unterhaltenen Büroraum, wo sich sämtliche geschäftlichen Unterlagen (Werkverträge, Angebotsunterlagen, Aufmaßberechnungen, Lohnabrechnungen, Regieabrechnungen, Kostenaufstellungen, Personalunterlagen) und der betrieblich genutzte PC befanden. Da nach den vorliegenden Ermittlungen keine Anhaltspunkte für die Möglichkeit einer geschäftlichen Oberleitung in Portugal (oder anderen Staaten) sprechen, muß dem ersten Anschein nach von einer inländischen Geschäftsleitungsbetriebsstätte der Antragstellerin ausgegangen werden.

Der Senat vermag bei summarischer Betrachtung insoweit nicht die Zweifel des FG zu teilen, wonach der Ort der Geschäftsleitung am Sitz der Antragstellerin gewesen sein könnte. Dem Beschluß des FG vom 10. September 1997 lassen sich Anhaltspunkte für diese Vermutung nicht entnehmen. Nach Aktenlage erwarben M und L am 23. August 1995 sämtliche Anteile an der Antragstellerin. Am gleichen Tag änderten sie den Gesellschaftsvertrag und bestellten sich zu deren Geschäftsführern. Gleichzeitig wurde der Gesellschaftsvertrag dahingehend geändert, daß zur rechtswirksamen Vertretung der Antragstellerin "die gleichzeitigen Unterschriften beider Geschäftsführer benötigt" würden. Somit ist dem Gesellschaftsvertrag zu entnehmen, daß die Antragstellerin --jedenfalls seit dem 23. August 1995-- zwei Geschäftsführer hatte. Dies können nach Aktenlage nur die im Inland ansässigen und tätigen M und L sein. Dies wird auch von der Antragstellerin, die ihre Argumentation im wesentlichen auf die Geschäftsführerfunktion von M und L stützt, nicht bestritten. Da der Ort der Geschäftsleitung i.S. des § 10 AO 1977 nicht das Unterhalten eigener Büroräume voraussetzt, Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung vielmehr auch die Wohnung des Geschäftsführers sein kann, kann die Frage offenbleiben, ob der Büroraum in der Wohnung des M eine feste Geschäftseinrichtung i.S. des § 12 Satz 1 AO 1977 ist (vgl. z.B. BFH in BFH/NV 1998, 434; Tipke/Kruse, a.a.O., § 10 AO 1977 Tz. 2, m.w.N.).

Bei summarischer Betrachtung ergibt sich auch für die Zeit vor der formellen Bestellung von M und L zu Geschäftsführern nichts anderes. Nach den Angaben der Firmen A-GmbH & Co. und B, die bereits vor dem 23. August 1995 vertragliche Kontakte zur Antragstellerin hatten, wurden bereits seinerzeit sämtliche Vertragsverhandlungen von M und L geführt, die sich als Vertreter der Antragstellerin ausgewiesen hatten. Die maßgeblichen geschäftlichen Entscheidungen der Antragstellerin wurden daher offensichtlich schon damals von M und L im Inland getroffen. Die geschäftliche Oberleitung einer Körperschaft kann sich auch in den Händen anderer als der zur gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung gesetzlich befugten Personen befinden (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 10 AO 1977 Tz. 2, m.w.N.).

2. Die Antragstellerin ist auch gemäß § 2 Abs. 1 und 2 des Gewerbesteuergesetzes gewerbesteuerpflichtig, da bei summarischer Betrachtung die Stätte ihrer Geschäftsleitung nach oben Gesagtem seit Juli 1995 in Inland lag. Sie hatte damit eine Betriebsstätte im Inland (§ 12 Satz 2 Nr. 1 AO 1977).

3. Art. 24 DBA-Portugal sieht eine Freistellung der von der Antragstellerin im Inland erzielten gewerblichen Einkünfte nicht vor.

Die Antragstellerin ist abkommensrechtlich eine im Inland ansässige Person. Nach Art. 4 Abs. 1 DBA-Portugal bedeutet der Ausdruck "eine in einem Vertragsstatt ansässige Person" eine Person, die nach dem Recht dieses Staates dort aufgrund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist. Da die Antragstellerin bei summarischer Betrachtung, wie dargestellt, aufgrund ihrer Geschäftsleitung im Inland jedenfalls seit Juli 1995 nach deutschem Steuerrecht aufgrund ihrer inländischen Geschäftsleitung steuerpflichtig ist, ist sie nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 DBA-Portugal eine in Deutschland ansässige Person. Sollte sie nach portugiesischem Steuerrecht aufgrund ihres dortigen Sitzes gleichermaßen steuerpflichtig sein, so würde sie gleichwohl nach Art. 4 Abs. 3 DBA-Portugal als in Deutschland ansässig gelten, da sich hier der Ort ihrer tatsächlichen Geschäftsleitung befindet. Bei einer in Deutschland ansässigen Person sieht Art. 24 Abs. 2 DBA-Portugal nur für in Portugal erzielte Einkünfte eine Steuerfreistellung vor. Derartige Einkünfte sind jedoch hier nicht Streitgegenstand.



Ende der Entscheidung

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