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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 14.05.2007
Aktenzeichen: I B 135/06
Rechtsgebiete: FGO, ZPO


Vorschriften:

FGO § 82
FGO § 128 Abs. 2
FGO § 128 Abs. 1
ZPO § 485 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Streitig ist, ob ein selbständiges Beweisverfahren durchzuführen ist.

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), eine GmbH, die Bauleistungen (Tiefbau) erbringt und Transportgerät vermietet, hatte bis Ende 2002 ihren Sitz in .../Sachsen. Durch Gesellschafterbeschluss vom 15. November 2002 wurde der Sitz der Gesellschaft nach Frankreich (X) verlegt. In X hat die Antragstellerin durch Mietvertrag vom 1. Februar 1993 (im Mietvertrag mit der Adresse Y) Räume in einem Gebäude ihres Gesellschafter-Geschäftsführers angemietet.

Durch Mietvertrag vom 1. November 1992 hat die Antragstellerin (mit der Adresse Z) einen Büroraum in einem Werkstattgebäude in H/Sachsen angemietet. Nach der Darstellung der Antragstellerin war das Büro in H in der Zeit bis 1994 besetzt, wurde aber nur für Hilfstätigkeiten genutzt. Ab 1995 sei eingehende Post durch eine dazu beauftragte Person nach X weitergeleitet worden. In einem Vertrag über eine bauprojektbezogene Arbeitsgemeinschaft vom 15. Dezember 1995 ist als Ort der Geschäftsadresse der Antragstellerin "Y" angeführt.

Das für H zuständige Finanzamt (FA) T hat verschiedene Steuerfestsetzungen erlassen. Insoweit sind seit 2001 bzw. 2002 zahlreiche Verfahren beim Sächsischen Finanzgericht (FG) anhängig. In sechs Verfahren, die die gesamten Streitpunkte im Wesentlichen abdecken sollen ("Pilotverfahren"), sind Mitte Mai 2006 verschiedene Aufklärungsanordnungen ergangen. Die Antragstellerin macht in den Verfahren insbesondere geltend, dass ein Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland nicht bestehe, da der Ort der Geschäftsleitung in Frankreich liege. Darüber hinaus wird geltend gemacht, dass sachlich unzuständige Behörden tätig geworden seien; wegen des in Frankreich belegenen Orts der Geschäftsleitung sei eine zentrale Zuständigkeit des FA Z begründet.

Unter Hinweis auf das beim FG anhängige Verfahren ... hat die Antragstellerin unter dem 28. Februar 2006 beim FG zur Sicherung von Beweisen einen Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens gestellt. Dieser Antrag wurde durch Beschluss des Sächsischen FG vom 21. August 2006 abgelehnt. Gegen den am 28. August 2006 zugestellten Beschluss wurde am 8. September 2006 Beschwerde eingelegt. Der Beschwerde wurde nicht abgeholfen (Beschluss des FG vom 12. September 2006).

Die Antragstellerin macht geltend, dass die Voraussetzungen für ein selbständiges Beweisverfahren in ausreichender Weise glaubhaft gemacht worden seien und dass das FG einen gesetzlichen Beteiligtenwechsel nicht beachtet habe.

Sie beantragt sinngemäß, den im Antrag vom 28. Februar 2006 begehrten Wechsel des Antragsgegners derart durchzuführen, dass das FA T aus dem Verfahren ausscheidet und neuer gesetzlicher Antragsgegner das FA Z ist, den Beschluss des Sächsischen FG aufzuheben und das selbständige Beweisverfahren gemäß dem Antrag vom 28. Februar 2006 durchzuführen.

II. 1. Die Beschwerde ist zulässig.

a) Da ein Beschluss des FG, der die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens (§ 82 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- i.V.m. §§ 485 ff. der Zivilprozessordnung --ZPO--) ablehnt, nicht als Beweisbeschluss i.S. des § 128 Abs. 2 FGO anzusehen ist (s. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 82 FGO Rz 100 und § 128 FGO Rz 21, 31), ist die Beschwerde statthaft (§ 128 Abs. 1 FGO; s.a. Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 128 FGO Rz 40).

b) Der Antrag der Antragstellerin, "das selbständige Beweisverfahren ... durchzuführen", ist dabei dahin zu verstehen, dass die Antragstellerin in diesem Beschwerdeverfahren nicht die tatsächliche Erhebung der Beweise, sondern den Erlass des vom FG abgelehnten Beweisbeschlusses (§ 82 FGO i.V.m. § 490 Abs. 2 Satz 1 ZPO) begehrt. Damit liegt ein zulässiges Beschwerdebegehren vor (s.a. allgemein Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. Dezember 2004 VII B 146/04, juris). Darüber hinaus ist der Antrag der Antragstellerin, der ausdrücklich einen Beschluss des Sächsischen FG vom 11. September 2006 anführt, dahin auszulegen, dass er sich auf den Beschluss des Sächsischen FG vom 21. August 2006 bezieht; die Antragstellerin hat in der Betreffzeile der Beschwerdebegründung vom 21. September 2006 das Verfahren ... angeführt und auf den ursprünglichen Antrag beim FG (vom 28. Februar 2006) verwiesen.

c) Der Antrag, einen "Wechsel des Antragsgegners derart durchzuführen, dass das Finanzamt ... (T) aus dem Verfahren ausscheidet und neuer gesetzlicher Antragsgegner das Finanzamt Z ist", wird vom Senat als Hinweis darauf verstanden, dass die Entscheidung über den Erlass des vom FG abgelehnten Beweisbeschlusses (§ 82 FGO i.V.m. § 490 Abs. 2 Satz 1 ZPO) nach der Rechtsauffassung der Antragstellerin gegenüber dem Finanzamt Z zu treffen wäre und dass im Rahmen der Prüfung des § 82 FGO i.V.m. § 485 Abs. 1 ZPO die im Verfahren erklärte Ablehnung des FA H, ein selbständiges Beweisverfahren durchzuführen, nicht dazu herangezogen werden kann, anzunehmen, dass "der Gegner" (§ 485 Abs. 1 ZPO) nicht zugestimmt habe.

2. Die Beschwerde ist nicht begründet und war daher zurückzuweisen. Das FG hat die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens ohne Rechtsfehler abgelehnt.

a) Nach § 82 FGO i.V.m. § 485 Abs. 1 ZPO kann auf Antrag eines Beteiligten während oder außerhalb eines Streitverfahrens die Einnahme des Augenscheins, die Vernehmung von Zeugen oder die Begutachtung durch einen Sachverständigen angeordnet werden, wenn der andere Beteiligte ("der Gegner") zustimmt oder zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird. Nach Abs. 2 der Regelung kann dann, wenn ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist, ein Beteiligter die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn er ein rechtliches Interesse daran hat, dass z.B. "der Zustand einer Person oder der Zustand oder Wert einer Sache" (dort Satz 1 Nr. 1) festgestellt wird; ein rechtliches Interesse ist dabei anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann (dort Satz 2).

b) Die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gemäß § 82 FGO i.V.m. § 485 Abs. 1 ZPO kommt nicht in Betracht.

aa) Eine Zustimmung "des Gegners" liegt im Streitfall nicht vor. Dabei kann der Senat die Frage, ob jedenfalls mit dem Gesellschafterbeschluss über eine Sitzverlegung nach Frankreich eine Zuständigkeitsänderung mit der Folge eines Beteiligtenwechsels nach Maßgabe von § 20a Abs. 1 Satz 1, § 21 Abs. 1 der Abgabenordnung --AO-- (i.V.m. § 1 Abs. 1 der Verordnung über die örtliche Zuständigkeit für die Umsatzsteuer im Ausland ansässiger Unternehmer vom 20. Dezember 2001, BGBl I 2001, 3794, 3814) und der Grundsätze des Zwischenurteils des beschließenden Senats vom 25. Januar 2005 I R 87/04 (BFHE 209, 9, BStBl II 2005, 575) im finanzgerichtlichen Verfahren eingetreten ist, in diesem "Zwischenverfahren" (Antrag gemäß § 82 FGO i.V.m. §§ 485 ff. ZPO) offenlassen. Denn jedenfalls liegt im Zeitpunkt der Entscheidung über das Begehren eine finanzbehördliche Zustimmung zur Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nicht vor.

bb) Es ist nicht ausreichend dargelegt, dass "zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird". Ein so beschriebener "drohender Beweisnachteil" ist z.B. anzunehmen bei einer schweren und lebensgefährlichen Erkrankung oder einer längeren Auslandsreise eines Zeugen oder der drohenden Veränderung bzw. des Untergangs einer Sache (s. etwa Schreiber in Münchener Kommentar zur ZPO, 2. Aufl., § 485 Rz 8 f.; Herget in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 485 Rz 5; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 65. Aufl., § 485 Rz 6; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 485 Rz 3; jeweils m.w.N.).

cc) Eine entsprechende Substantiierung ist insbesondere mit dem Hinweis auf drohende Erinnerungslücken bei Zeugen und den Zeitablauf nicht erfolgt (s. z.B. BFH-Beschluss vom 7. Oktober 1982 V B 36/82, juris). Auch gibt der Aufenthalt eines Zeugen im nahen Ausland für sich allein keinen Anlass zur Besorgnis, der Zeuge werde zu gegebener Zeit nicht mehr oder nur unter erschwerten Bedingungen zu einer Aussage zur Verfügung stehen (Senatsbeschluss vom 20. November 1969 I B 50/69, BFHE 97, 288, BStBl II 1970, 96). Das FG hat auch zu Recht darauf verwiesen, dass der Fortgang der anhängigen Klageverfahren bei der Einschätzung eine Rolle spielt, ob die Nutzbarkeit der Beweismittel gefährdet ist. Je deutlicher eine zeitnahe Förderung des Verfahrens erkennbar ist, desto weniger ist die entsprechende "Besorgnis" gerechtfertigt (so in der Sache bereits BFH-Beschluss vom 7. Oktober 1982 V B 36/82, juris). Die in den Klageverfahren ergangenen Aufklärungsanordnungen (Mai 2006) lassen insoweit eine zeitnahe Beweiserhebung und Erledigung der Rechtsstreitigkeiten erwarten.

Soweit die Antragstellerin darauf verweist, dass zur Erfüllung der verstärkten Aufklärungs- und Mitwirkungspflicht gemäß § 90 Abs. 2 AO das selbständige Beweisverfahren zur Vermeidung von wesentlichen Rechtsnachteilen für die Antragstellerin unabdingbar sei, ist dem nicht zu folgen; die Aufgabe, ausländische Zeugen im Termin zur mündlichen Verhandlung zu stellen, besteht im Rahmen eines besonderen Beweistermins ebenfalls. Eine "zeitliche Streckung", die diese Aufgabe erleichtern könnte, ist auch im selbständigen Beweisverfahren nicht vorgesehen. Nicht zuletzt ist der Antragstellerin darin nicht zu folgen, dass die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens unter dem Gesichtspunkt erforderlich sei, Beweise sichern zu können, "die das Gericht möglicherweise gegenwärtig für nicht entscheidungserheblich hält". Denn wenn eine Beweiserhebung (im "Hauptprozess") nicht sämtliche gebotene Beweisthemen erschöpft, besteht für die Beteiligten die Möglichkeit, im Zusammenhang mit ihrer Äußerungsmöglichkeit (§§ 83, 92 Abs. 3 FGO) zu einer Änderung des Beweisbeschlusses (§ 82 FGO i.V.m. § 360 ZPO) beizutragen (s. z.B. Senatsbeschluss vom 28. Februar 1997 I B 7/97, juris).

c) Die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gemäß § 82 FGO i.V.m. § 485 Abs. 2 ZPO, soweit die Antragstellerin Beweiserhebung über Tatumstände durch Sachverständigengutachten beantragt, kommt nicht in Betracht. Es kann dabei offenbleiben, ob dies --soweit die Antragstellerin mit "noch nicht anhängigen Verfahren" weitere Finanzprozesse meinen sollte-- schon daraus folgt, dass für die Einleitung eines einem Hauptprozess vorgeschalteten gerichtlichen Beweisverfahrens angesichts der amtsgebundenen Sachverhaltsermittlung im finanzbehördlichen Verfahren kein Raum ist (so die Begründung des Regierungsentwurfs in BTDrucks 11/3621, S. 24; Schreiber, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1991, 2600, 2601; ders. in Münchener Kommentar zur ZPO, a.a.O., § 485 Rz 3). Denn die Antragstellerin hat jedenfalls mit Blick auf "noch nicht anhängige Verfahren" ein rechtliches Interesse i.S. des § 82 FGO i.V.m. § 485 Abs. 2 ZPO nicht dargelegt. Der Gesetzgeber hat durch den Hinweis, dass ein rechtliches Interesse anzunehmen ist, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann (§ 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO), den Zweck der Regelung, einen Rechtsstreit über die beweisbedürftigen Fragen möglichst zu vermeiden, hervorgehoben (s. insoweit BTDrucks 11/3621, S. 23; Schreiber, NJW 1991, 2600; ders. in Münchener Kommentar zur ZPO, a.a.O., § 485 Rz 1; Herget in Zöller, a.a.O., § 485 Rz 6 f.). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn die Beweisfragen schon entscheidungserheblicher Gegenstand anhängiger Gerichtsverfahren sind. Insoweit ist ein Antragsteller auf eine Beweiserhebung in diesen Verfahren zu verweisen.



Ende der Entscheidung

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