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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 21.06.2001
Aktenzeichen: I B 141/00
Rechtsgebiete: FGO, AStG, EGV, DBA-Frankreich


Vorschriften:

FGO § 69 Abs. 3
AStG § 1 Abs. 1
EGV a.F. Art. 52 ff. (= EGV n. F. Art. 43 ff.)
EGV a.F. Art. 73b ff. (= EGV n. F. Art. 56 ff.)
DBA-Frankreich Art. 5
BUNDESFINANZHOF

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob § 1 Abs. 1 AStG mit den Diskriminierungsverboten in Art. 52 ff. und Art. 73b ff. EGV (= Art. 43 ff. und Art. 56 ff. EGV i.d.F. des Vertrages von Amsterdam) vereinbart werden kann.

FGO § 69 Abs. 3 AStG § 1 Abs. 1 EGV a.F. Art. 52 ff. (= EGV n. F. Art. 43 ff.), Art. 73b ff. (= EGV n. F. Art. 56 ff.) DBA-Frankreich Art. 5

Beschluss vom 21. Juni 2001 - I B 141/00 -

Vorinstanz: FG Münster (EFG 2000, 1389)


Gründe

I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist französischer Staatsbürger, der mit gebrauchten und neuen Waren handelt. Er unterhielt in Deutschland einen Gewerbebetrieb. Nach den Ermittlungen des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) hat er in den Streitjahren 1992 bis 1997 von seinem inländischen Betrieb aus Waren an seine Betriebe in Frankreich und auf Martinique "veräußert". Das FA beanstandete die Angemessenheit der verrechneten Preise; die Verkaufspreise hätten unter denen gelegen, wie sie unter fremden Dritten vereinbart und gezahlt worden wären. Die ermittelten Mehrgewinne wurden gemäß § 1 Abs. 1 des Außensteuergesetzes (AStG) den erklärten gewerblichen Einkünften hinzugerechnet.

Über die Einsprüche gegen die hiernach festgesetzte Einkommensteuer ist noch nicht entschieden. Den nach zuvoriger, teilweiser Ablehnung durch das FA beim Finanzgericht (FG) gestellten Antrag, die Vollziehung der angefochtenen Bescheide in vollem Umfang auszusetzen, lehnte das FG mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 1389 abgedruckten Gründen ab.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, mit der er beantragt, den Beschluss des FG aufzuheben und die angefochtenen Einkommensteuerbescheide insoweit von der Vollziehung auszusetzen, als in diesen Bescheiden Einkommensteuerbeträge festgesetzt worden sind, die über die Beträge hinausgehen, die entsprechend seiner Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuerbeträge gemäß der Anlage 2 zum Schreiben des Steuerberaters festzusetzen sind.

Das FA beantragt sinngemäß, die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Aussetzung der Vollziehung.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll --u.a. und soweit hier einschlägig-- erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; seitdem ständige Rechtsprechung). Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung anordnen (§ 69 Abs. 3 Satz 3 FGO). Im Streitfall bestehen ernstliche Zweifel daran, ob § 1 Abs. 1 AStG gemeinschaftsrechtskonform ist.

2. Nach dieser Vorschrift sind die Einkünfte eines Steuerpflichtigen, der Geschäftsbeziehungen zum Ausland unterhält, unter bestimmten Voraussetzungen für Zwecke der Besteuerung abweichend von der tatsächlich angefallenen Höhe anzusetzen. Eine solche Berichtigung der Einkünfte verlangt die Vorschrift dann, wenn der Steuerpflichtige Einkünfte aus Geschäftsbeziehungen mit einer ihm nahe stehenden Person bezieht und wenn im Rahmen solcher Geschäftsbeziehungen zum Ausland andere Bedingungen vereinbart worden sind, als sie voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen vereinbart hätten. Für diesen Fall bestimmt § 1 Abs. 1 AStG, dass die Einkünfte des Steuerpflichtigen so anzusetzen sind, wie sie unter den zwischen unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären.

Auf dieser Rechtsgrundlage hat das FA im Streitfall die vom Antragsteller erklärten Gewinne korrigiert, weil dieser die an seine Betriebe in Frankreich und auf Martinique gelieferten Waren zum jeweiligen Einkaufspreis weitergegeben habe. Diese Einkaufspreise überstiegen zwar die Teilwerte der Wirtschaftsgüter, so dass keine Entnahmen (§ 4 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) vorlägen. Der Antragsteller habe jedoch auf angemessene Gewinnaufschläge, wie sie unter fremden Dritten üblich seien, verzichtet.

3. Ernstliche Zweifel an der Vereinbarkeit des § 1 Abs. 1 AStG mit der Niederlassungsfreiheit nach Art. 52 ff. des Vertrages über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft --EGV a.F.-- (= Art. 43 ff. nach der Zählung des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, Amtsblatt --ABl-- Nr. C-340/173/1977 --EGV n.F.--) und der Freiheit des Kapitalverkehrs nach Art. 73b ff. EGV a.F. (= Art. 56 ff. EGV n.F.) und den daraus abzuleitenden Diskriminierungsverboten erkennt das FG nicht. Zwar wirkten sich vergleichbare Unterpreis-Lieferungen an im Inland oder im EU-Ausland befindliche Betriebe desselben Unternehmens unterschiedlich aus. Darin liege ein Eingriff in die besagten EU-Grundfreiheiten. Das sei jedoch aus Gründen der "nationalen Funktionsfähigkeit der steuerlichen Systeme in den einzelnen Mitgliedsstaaten der EU erforderlich". § 1 Abs. 1 AStG wahre die Interessen Deutschlands gegenüber Mitgliedsstaaten mit niedrigeren direkten Steuern. Solange diese Steuern innerhalb der EU nicht harmonisiert seien, sei dies geboten.

Solche Erwägungen können --jedenfalls bei summarischer Prüfung-- die auch vom FG konstatierte Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. Ausschlaggebend für die darin liegende Diskriminierung ist vielmehr allein, dass derjenige Steuerpflichtige, der Geschäfte mit einem nahe stehenden Geschäftspartner in einem anderen EU-Mitgliedsstaat tätigt, steuerlich ungünstiger behandelt wird als ein solcher Steuerpflichtiger, der entsprechende Geschäfte im Inland betreibt. Dem einen wird ein fiktives Entgelt als Gewinnaufschlag hinzugerechnet, dem anderen hingegen nicht.

Zwar könnte eingewandt werden, dass bei einem rein innerstaatlichen Vorgang zugleich eine entsprechende Gewinnminderung auf Seiten des nahe stehenden Geschäftspartners entfällt; die fehlende Gewinnerhöhung bei dem leistenden Steuerpflichtigen und die fehlende Gewinnminderung beim Leistungsempfänger gleichen sich also aus. Es lässt sich jedoch zumindest ernstlich bezweifeln, dass mit einer derartigen Gesamtwürdigung die abweichende Behandlung von Auslandssachverhalten gemeinschaftsrechtlich gerechtfertigt werden kann. Der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) ist eher zu entnehmen, dass beim Vergleich der Gebietsansässigen und der Gebietsfremden auf die Belastung des jeweiligen Steuerpflichtigen abgestellt werden muss, nicht aber auf eine "Zusammenschau" voneinander verschiedener Unternehmen, auch wenn diese nahe stehende sind. Eine Ausnahme kann nur für den Fall einer steuerlichen "Kohärenz" gemacht werden, wenn der erlittene steuerliche Nachteil durch eine korrespondierende steuerliche Begünstigung desselben Staatsangehörigen kompensiert wird (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 26. Oktober 1999 Rs. C-294/97 "Eurowings", Internationales Steuerrecht --IStR-- 1999, 691 Tz. 41 ff.; Senatsbeschluss vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BFHE 181, 511, BStBl II 1997, 466, jeweils m.w.N.). Eine solche Begünstigung fehlt hier.

Die Ungleichbehandlung lässt sich auch nicht dadurch rechtfertigen, dass die direkten Steuern innerhalb der EU noch nicht harmonisiert sind und dass deswegen zu befürchten ist, einander nahe stehende Unternehmen könnten veranlasst sein, ein "Steuergefälle" zu ihren Gunsten auszunützen; die Mitgliedsstaaten sind verpflichtet, die ihnen verbliebenen Befugnisse unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts auszuüben (vgl. z.B. EuGH-Urteil in IStR 1999, 691 Tz. 32).

Schließlich wird die Schlechterstellung desjenigen, der mit einem Gebietsfremden kontrahiert, nicht durch die Gewinnkorrekturvorschrift in Art. 5 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern legitimiert. Zum einen begründet diese --Art. 9 des OECD-Musterabkommens nachgebildete-- Regelung selbst keine Steuerpflicht, sondern beschränkt lediglich eine nach dem Steuerrecht des Anwenderstaates bestehende Berichtigungsmöglichkeit (vgl. Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 9 MA Rz. 4; Kramer, daselbst, Art. 5 Frankreich Rz. 4). Zum anderen geht das Gemeinschaftsrecht ohnehin sowohl dem Völkervertragsrecht als auch dem innerstaatlichen Recht vor (vgl. Scherer, daselbst, Vor Art. 1 MA Rz. 87, 101 ff., m.w.N.; Herlinghaus, Finanz-Rundschau --FR-- 2001, 241, 243).

Der erkennende Senat ist deshalb den Bedenken, die im Schrifttum gegenüber der Vereinbarkeit von § 1 Abs. 1 AStG mit dem Gemeinschaftsrecht geäußert worden sind (z.B. Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, 6. Aufl., § 1 AStG Rz. 95 f. und Rz. 816.1; derselbe, IStR 2001, 113; Köplin/Sedemund, IStR 2000, 307; Herlinghaus, FR 2001, 241; Dautzenberg/Goksch, Betriebs-Berater 2000, 904, 908 ff.), bereits in seinem Urteil vom 29. November 2000 I R 85/99 (Deutsches Steuerrecht 2001, 737; zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt) gefolgt (unter II. 6. der Entscheidungsgründe). Daran ist im vorläufigen Verfahren festzuhalten, ohne dass in diesem Eilverfahren eine Vorabentscheidung des EuGH (§ 234 Abs. 1 EGV n.F.) einzuholen wäre (vgl. Senatsbeschluss in BFHE 181, 511, BStBl II 1997, 466, m.w.N.).

4. Da die Vorinstanz eine abweichende Rechtsauffassung vertreten hat, war ihr Beschluss aufzuheben. Die Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide ist in jenem Umfang auszusetzen, in dem Hinzurechnungen gemäß § 1 Abs. 1 AStG vorgenommen wurden. Auf die Frage, ob diese Hinzurechnungen auch ihrer Höhe nach zu Zweifeln Anlass geben, ist nicht mehr einzugehen. Die Berechnung der hiernach auszusetzenden Beträge wird dem FA übertragen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).



Ende der Entscheidung

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