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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 26.04.2005
Aktenzeichen: I B 22/05
Rechtsgebiete: FGO, ZPO


Vorschriften:

FGO § 79a Abs. 1 Nr. 1
FGO § 128 Abs. 2
FGO § 155
ZPO § 251
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Beteiligten streiten in der Sache über Fragen des wirtschaftlichen Eigentums sowie des Gestaltungsmissbrauchs im Zusammenhang mit einem sog. Dividendenstripping. Im Zuge dieses Streits hatte das Finanzamt I, der ursprüngliche Beklagte (das Finanzamt --FA I--), der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), einer GmbH, die als freier Makler an der Wertpapierbörse in X tätig ist, Verluste aus dem Verkauf von Wertpapieren sowie die Anrechnung von Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer nicht anerkannt. Streitjahre sind 1990 und 1991. Gegen die hiernach geänderten Steuerbescheide vom 15. August 1997 hat die Klägerin am 15. September 1997 Einsprüche eingelegt, über die noch nicht entschieden ist. Das FA I sah "unter Abwägung der gegenseitigen Interessen einen ausreichenden Grund, die abschließende Würdigung im vorliegenden Fall zurückzustellen", in dem sog. Nichtanwendungserlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 6. Oktober 2000 (BStBl I 2000, 1392) gegen das Senatsurteil vom 15. Dezember 1999 I R 29/97 (BFHE 190, 446, BStBl II 2000, 527) sowie in verschiedenen anderweitigen Parallelverfahren, die beim Bundesfinanzhof (BFH) zu den Streitfragen anhängig waren und derzeit noch sind.

Die Klägerin hat am 29. November 2001 beim Finanzgericht (FG) Untätigkeitsklage erhoben. Auch über diese Klage ist bis heute nicht entschieden. Der Berichterstatter des zuständigen FG-Senats hat sich allerdings am 4. Juni 2004 gegenüber den Beteiligten unter Hinweis auf den BFH-Beschluss vom 14. Januar 2004 XI B 137/02 (BFH/NV 2004, 638) wie folgt geäußert:

" ... sehe ich es auch in Anbetracht der Tatsache, dass die Klägerin eine Untätigkeitsklage erhoben hat, die grundsätzlich demnächst entschieden werden könnte, zum jetzigen Zeitpunkt als sachgerecht an, eine Entscheidung des 11. Senats des BFH in einem gleichgelagerten Fall abzuwarten. ... sieht es der 11. Senat des BFH offenbar als vertretbar an, die Übertragung von wirtschaftlichem Eigentum auf den Börsenmakler (die Klägerin) zu verneinen und die Grundsätze des Wertpapierpensionsgeschäfts auf diesen Sachverhalt zu übertragen ( ...). Dies hätte zur Konsequenz, dass die Klage abgewiesen werden müsste. Da die Revision in dem genannten Beschlussfall vom BFH zugelassen wurde und gleichzeitig die wohl abweichende Auffassung des I. Senats des BFH [in BFHE 190, 446, BStBl 2000, 527] zitiert wird, kann auch mit einer Entscheidung durch den Großen Senat des BFH gerechnet werden. Bei dieser Sachlage scheint es mir von ganz besonders im Interesse der Klägerin zu liegen, nicht durch die im Streitfall vorprogrammierte Beanspruchung der nächsten Instanz ein unnötiges Kostenrisiko tragen zu müssen. Ich rege deshalb ein einverständliches Ruhen des Verfahrens i.S. der §§ 155 FGO, 251 ZPO an."

Die Klägerin stimmte einem Ruhen des Verfahrens im Schreiben vom 5. Juli 2004 nicht zu und hielt ein weiteres Zuwarten im Hinblick auf die zweifelsfreien Äußerungen des Senats im Urteil in BFHE 190, 446, BStBl II 2000, 527 für unzumutbar.

Auf ihre abermalige Nachfrage vom 12. Januar 2005 zum Stand und Fortgang des Verfahrens entgegnete der Vorsitzende des FG-Senats am 13. Januar 2005: "Zwar haben Sie einem förmlichen Ruhen des Verfahrens nicht zugestimmt. Das ändert aber nichts daran, dass das Gericht nach eigenem Ermessen bestimmt, ob terminiert wird. Die Ihnen vom Berichterstatter durch Verfügung vom 04.06.2004 im Zusammenhang mit einer Ruhensanordnung mitgeteilten Gründe rechtfertigen es, vorerst von einer Terminierung abzusehen."

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin, der seitens des Vorsitzenden des FG-Senats nicht abgeholfen wurde.

Zwischenzeitlich ist der nunmehrige Beklagte und Beschwerdegegner für die Besteuerung der Klägerin zuständig geworden.

II. 1. Die Beschwerde ist zulässig. § 128 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) steht dem nicht entgegen.

a) Nach dieser Vorschrift können u.a. prozessleitende Verfügungen nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Prozessleitende Verfügungen sind Entscheidungen des Gerichts oder seines Vorsitzenden, die eine Förderung des Verfahrens, mithin den Verlauf des gerichtlichen Verfahrens selbst betreffen (z.B. BFH-Beschlüsse vom 2. Dezember 1982 IV B 35/82, BFHE 137, 393, BStBl II 1983, 332, und vom 2. Dezember 1987 IX B 138, 139/87, BFH/NV 1988, 382). Zu den prozessleitenden Verfügungen gehört u.a. auch die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung durch den Vorsitzenden (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1988, 382; vom 28. Oktober 1992 X B 68/92, BFH/NV 1993, 372). Nicht dazu gehört die Entscheidung über die Aussetzung und das Ruhen des Verfahrens; solche Entscheidungen des Vorsitzenden oder des Berichterstatters (vgl. § 79a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 FGO) sind mit der Beschwerde anfechtbar (§ 128 Abs. 1 letzter Halbsatz FGO).

b) Im Streitfall hat der Vorsitzende des FG-Senats erklärtermaßen nicht gemäß § 79a Abs. 1 Nr. 1 FGO durch Beschluss über das "förmliche" Ruhen des Verfahrens (i.S. von § 155 FGO i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung --ZPO--) entschieden, sondern aus den "im Zusammenhang mit einer Ruhensanordnung mitgeteilten Gründen" über die Terminierung der anhängigen Streitsache. Die inhaltliche Verknüpfung beider Maßnahmen zeigt indes auf, dass die Entscheidung nur vordergründig als eine solche über die Terminierung der Sache bezeichnet worden ist. Tatsächlich wurde das Klageverfahren jedenfalls faktisch zum Ruhen gebracht. Eine derartige Entscheidung über das faktische Ruhen lässt sich (unbeschadet der dafür nach der Bestellung des Berichterstatters im Streitfall u.U. fehlenden Entscheidungsbefugnis des Vorsitzenden, vgl. § 79a Abs. 4 FGO) unter den Begriff des Ruhens des Verfahrens gemäß § 79a Abs. 1 Nr. 1 FGO subsumieren. Sie genügt diesem Begriff, zumal dieser sich systematisch nicht explizit auf die Regelungen über das entsprechende förmliche Verfahren in § 155 FGO i.V.m. § 251 ZPO bezieht (vgl. auch Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 79a FGO Tz. 6; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 79a Rz. 11 i.V.m. § 72 Rz. 3; s. auch FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. Juni 1994 6 K 326/90, Entscheidungen der Finanzgerichte 1994, 1108). Die Entscheidung des Vorsitzenden ist deswegen beschwerdefähig.

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Da die Klägerin einem förmlichen Ruhen des Verfahrens ausdrücklich nicht zugestimmt hat, durfte es nicht faktisch zum Ruhen gebracht werden. Dem Vorsitzenden war insoweit kein Ermessensspielraum eingeräumt; seine Entscheidung war aufzuheben. Das entscheidungsreife Verfahren ist weiterzubetreiben und im Rahmen eines ordnungsmäßigen Geschäftsgangs zu fördern. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass es sich um eine Untätigkeitsklage (§ 46 FGO) gegen ein mehr als siebenjähriges Untätigbleiben des FA über die am 15. September 1997 eingelegten Einsprüche der Klägerin handelt, diese Klage ihrerseits bereits seit dem 29. November 2001 und damit mehr als drei Jahren beim FG anhängig ist und der Klägerin durch Sicherheitsleistungen erhebliche Aufwendungen entstehen sowie ihre Kreditfähigkeit eingeschränkt wird. Dies bedingt zur Sicherung eines verfassungsrechtlich gewährleisteten (vgl. Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) zeitnahen Rechtsschutzes eine beschleunigte Bearbeitung der Sache und steht (auch zur Vermeidung dienstaufsichtsrechtlicher Maßnahmen oder haftungsrechtlicher Ansprüche) einer weiteren Verfahrensverzögerung zwingend entgegen (vgl. z.B. Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 46 FGO Rz. 14 ff., m.w.N.). Ggf. anderweitig beim BFH anhängige Parallelverfahren ändern daran bei fehlender Zustimmung des Einspruchsführers oder Klägers nichts (vgl. auch § 363 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung).

3. Eine Kostenentscheidung war in dem unselbständigen Ruhensverfahren nicht zu treffen (§ 143 Abs. 1 FGO; vgl. auch BFH-Beschluss vom 4. August 1988 VIII B 83/87, BFHE 154, 15, BStBl II 1988, 947 zur Aussetzung des Verfahrens).

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