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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 14.07.1998
Aktenzeichen: I B 8/98
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 96 Abs. 1
FGO § 96 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) als Grenzgängerin der deutschen Einkommensteuer unterliegt.

Die Klägerin wohnte im Streitjahr (1994) in Deutschland und arbeitete als kaufmännische Angestellte bei einem Schweizer Unternehmen. In ihrer Einkommensteuer-Erklärung gab sie an, im Streitjahr an mehr als 60 Tagen nicht aus der Schweiz an ihren Wohnsitz zurückgekehrt zu sein, weshalb sie nach Art. 15a des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (DBA-Schweiz) nicht der deutschen Besteuerung unterliege. Hierzu reichte sie zum einen eine Bescheinigung ihrer Arbeitgeberin ein, die vom 10. Januar 1994 datiert und in der es heißt, daß sie im Streitjahr an mehr als 60 Tagen in der Schweiz tätig gewesen und an diesen Tagen nicht an ihren Wohnsitz zurückgekehrt sei. Vielmehr habe ihr für diese Zeit jeweils eine Firmenwohnung zur Verfügung gestanden. Zum anderen legte die Klägerin eine von ihr selbst gefertigte Aufstellung vor, nach der sie in der Schweiz jeweils an zwei zusammenhängenden Tagen tätig war, und zwar in der Regel am ersten Tag von 9 Uhr bis 20 Uhr und am Folgetag von 6 Uhr bis um die Mittagszeit. Schließlich trug sie vor, die Fahrzeit von ihrer Wohnung in die Schweiz und zurück betrage mindestens 2,5 Stunden, weshalb eine abendliche Rückkehr nach Hause nicht zumutbar gewesen sei.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) unterwarf die Einkünfte der Klägerin der Einkommensteuer. Nachdem die Klägerin hiergegen Einspruch eingelegt hatte, kam es zu einer Erörterung, in deren Verlauf die Klägerin weitere Bescheinigungen und Unterlagen vorlegte. Gleichwohl wies das FA den Einspruch zurück, da die Klägerin nicht nachgewiesen habe, daß sie an mehr als 60 Tagen des Streitjahres in der Schweiz übernachtet hatte.

In dem daraufhin eingeleiteten Klageverfahren hat die Klägerin u.a. eine Bestätigung ihrer Arbeitgeberin vorgelegt, die vom 31. Oktober 1996 datiert und von dem Vizedirektor der Arbeitgeberin (X) unterzeichnet ist. Diese im Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils zitierte Bescheinigung hat folgenden Wortlaut:

"Hiermit bestätige ich ... Ihnen, daß Sie im Jahre 1994 an 67 Tagen gemäß Ihrer Einzelaufstellung in der Schweiz aus beruflichen Gründen in unserer Firmenwohnung übernachtet haben. Davon habe Sie an 32 Tagen gemäß Ihrer Spesenabrechnung Ihren eigenen Pkw benutzt. An den restlichen 35 Tagen sind Sie mit mir gefahren."

Außerdem hat die Klägerin im finanzgerichtlichen Verfahren die Umstände der behaupteten Übernachtungen in der Schweiz näher erläutert.

Das Finanzgericht (FG) hat eine frühere Arbeitskollegin der Klägerin als Zeugin vernommen und sodann die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen seines Urteils ist ausgeführt, es könne dahinstehen, ob die Klägerin im Streitjahr an 35 Tagen zusammen mit X in die Schweiz gefahren sei und dann jeweils dort übernachtet habe. Jedenfalls habe sie die darüber hinaus behaupteten 32 weiteren Übernachtungen nicht nachgewiesen. Es sei nicht ausgeschlossen, daß sie die von der Arbeitgeberin zur Verfügung gestellte Wohnung nicht genutzt habe und statt dessen abends nach Hause gefahren sei. Dies stehe nicht im Widerspruch dazu, daß sie ihrer Arbeitgeberin gegenüber jeweils nur eine Fahrt abgerechnet habe. Denn da sie nach dem vorgelegten Arbeitsvertrag zur Sparsamkeit und zur Benutzung der Firmenwohnung verpflichtet gewesen sei, habe sie ohnehin jeweils nur eine Hin- und Rückfahrt abrechnen können. Selbst wenn man unterstelle, daß sie auch bei Fahrten mit dem eigenen PKW gelegentlich in der Schweiz übernachtet habe, sei zumindest die erforderliche Anzahl von mehr als 60 Übernachtungen nicht bewiesen. Die damit verbleibende Unsicherheit müsse aus Beweislastgründen zu Lasten der Klägerin gehen. Das FG hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin, daß die erstinstanzliche Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhe. Diesen sieht sie darin, daß das FG die Bescheinigung der Arbeitgeberin vom 31. Oktober 1996 nicht berücksichtigt habe. Die Bescheinigung sei in den Entscheidungsgründen nicht gewürdigt worden, so daß zumindest nicht erkennbar sei, daß sich das FG mit ihrem Beweiswert auseinandergesetzt habe. Hätte es die Bescheinigung berücksichtigt, so hätte es als erwiesen ansehen können oder sogar müssen, daß sie --die Klägerin-- im Streitjahr an 67 Tagen in der Schweiz übernachtet habe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision gegen das Urteil des FG zuzulassen. Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Der von der Klägerin gerügte Verfahrenesmangel liegt nicht vor:

1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision u.a. dann zuzulassen, wenn dem FG ein Verfahrensfehler unterlaufen ist und das angefochtene Urteil auf dem Verfahrensmangel beruhen kann. Verfahrensfehler in diesem Sinne sind Verstöße des FG gegen Vorschriften des Prozeßrechts (Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. Januar 1991 V B 119/89, BFH/NV 1992, 667, m.w.N.), soweit sich diese nicht auf den Inhalt der zu treffenden Entscheidung beziehen (BFH-Beschlüsse vom 27. Februar 1986 IV B 6/85, BFHE 146, 204, BStBl II 1986, 492; vom 8. Februar 1993 I B 127-128/92, BFH/NV 1993, 551, m.w.N.). Nicht als Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO anzusehen sind hingegen materiell-rechtliche Fehler des FG, zu den nach ständiger Rechtsprechung des BFH insbesondere eine unzutreffende Beweiswürdigung gehört (BFH-Beschluß vom 5. Januar 1998 V B 76/97, BFH/NV 1998, 727, 728; Gräber/ von Groll, Finanzgerichtsordnung, § 115 Rz. 28, m.w.N.). Hierauf kann deshalb eine Revisionszulassung nicht gestützt werden.

2. Die im Streitfall von der Klägerin erhobene Rüge, daß das FG die ihm vorgelegte Bescheinigung der Arbeitgeberin nicht berücksichtigt habe, könnte einen Verfahrensmangel allenfalls unter dem Gesichtspunkt des § 96 Abs. 1 FGO begründen. Diese Vorschrift verpflichtet nämlich das FG, den Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen (Senatsurteil vom 6. Dezember 1978 I R 131/75, BFHE 126, 339, BStBl II 1979, 162, 163; BFH-Beschluß vom 13. März 1996 II R 28/94, BFH/NV 1996, 628, 629, m.w.N.). Deshalb kann ein Verfahrensmangel u.a. darin liegen, daß das FG bei seiner Überzeugungsbildung eine nach Aktenlage feststehende Tatsache unberücksichtigt läßt oder bei seiner Entscheidung vom Nichtvorliegen einer solchen Tatsache ausgeht (Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 115 FGO Rz. 156, m.w.N.). Ein solcher Fehler haftet dem angefochtenen Urteil indessen nicht an:

a) Die Bescheinigung der Arbeitgeberin, deren Würdigung die Klägerin vermißt, ist in dem Tatbestand des Urteils ausdrücklich erwähnt und sogar wörtlich zitiert worden. Unter diesen Umständen verbietet sich die Annahme, daß das FG die Bescheinigung übersehen oder bei der Urteilsfindung nicht zur Kenntnis genommen habe. Im Gegenteil ist vielmehr offensichtlich, daß das FG sowohl das Vorliegen der Bescheinigung als auch deren Inhalt zutreffend erfaßt hat.

b) Richtig ist allerdings, daß die Bescheinigung in den Entscheidungsgründen des Urteils nicht mehr angesprochen worden ist. Daraus kann jedoch nicht ohne weiteres geschlossen werden, daß das FG sie im Rahmen der angestellten Beweiswürdigung nicht --oder nicht hinreichend-- berücksichtigt hat. Denn zum einen ist generell davon auszugehen, daß ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat (BFH-Beschluß vom 15. Dezember 1992 VIII B 52/91, BFH/NV 1993, 684, 685, m.w.N.). Zum anderen weisen speziell im Streitfall die Ausführungen des FG sogar konkret darauf hin, daß diese Annahme hier ebenfalls berechtigt ist.

In diesem Zusammenhang ist nämlich insbesondere zu beachten, daß nach dem Wortlaut der in Rede stehenden Bescheinigung die Klägerin "gemäß ihrer Einzelaufstellung" an 67 Tagen in der Schweiz übernachtet hat und "gemäß ihrer Spesenabrechnung" an 32 Tagen mit ihrem eigenen Fahrzeug dorthin gefahren ist. Diese Formulierungen besagen eindeutig, daß die Bestätigung nicht auf eigenen Feststellungen der Arbeitgeberin, sondern auf den ihr gegenüber gemachten Angaben der Klägerin beruht. Hierzu hat das FG indessen in den Entscheidungsgründen seines Urteils ausgeführt, daß speziell aus den von der Arbeitgeberin angesprochenen Spesenabrechnungen kein hinreichend zuverlässiger Schluß auf die Anzahl der Übernachtungen gezogen werden könne. Es hat dies vor allem damit begründet, daß die Klägerin arbeitsrechtlich ohnehin nur eine Fahrt pro Einsatz habe abrechnen können und sich im übrigen auf die Möglichkeit habe verweisen lassen müssen, die ihr zur Verfügung stehende Firmenwohnung zu benutzen. Diese Erwägung läßt erkennen, daß sich das FG mit der Frage nach der Zuverlässigkeit der Angaben der Klägerin konkret auseinandergesetzt hat. Und da andererseits gerade diese Angaben die Grundlage für die zitierte Bescheinigung waren, ist es naheliegend, daß es unter diesem Gesichtspunkt auch der Bescheinigung kein entscheidendes Gewicht beigemessen hat. Diese gedankliche Schlußfolgerung des FG läßt das angefochtene Urteil mithin durchaus erkennen.

Angesichts dessen kann allein der Umstand, daß in den Entscheidungsgründen des Urteils ausdrückliche Erwägungen hierzu fehlen, die Vermutung der Berücksichtigung des vollständigen Akteninhalts --und damit auch der Bescheinigung-- nicht entkräften. Ebenso rechtfertigt er nicht die Annahme, daß das FG die Bescheinigung zwar gewürdigt, ihre Bedeutung aber in verfahrensfehlerhafter Weise unterschätzt hätte. Die dahingehende Rüge der Klägerin vermag daher einen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht zu begründen.

3. Anderweitige Verfahrensmängel sind von der Klägerin nicht gerügt worden. Ob --wie die Klägerin meint-- angesichts der von ihr vorgelegten Unterlagen "eine andere gerichtliche Entscheidung möglich" gewesen wäre, ist aus revisionsrechtlicher Sicht unerheblich, da sich dieser Einwand letztlich gegen die allein dem FG obliegende Beweiswürdigung richtet. Im Ergebnis bestehen mithin im Streitfall keine ausreichenden Gründe für eine Revisionszulassung, weshalb die hierauf gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen werden muß.

Ende der Entscheidung

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