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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 11.09.2007
Aktenzeichen: I B 86/07
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 164 Abs. 1 Satz 1
AO § 164 Abs. 2
AO § 164 Abs. 4 Satz 1
AO § 171 Abs. 10
AO § 176 Abs. 1 Nr. 2
AO § 177
AO § 177 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
I B 84/07 I B 85/07 I B 86/07

Gründe:

Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen (vgl. § 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) Beschwerden sind unbegründet.

1. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hält für grundsätzlich klärungsbedürftig (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) die Fragen:

a) Können trotz Eintritts der Festsetzungsverjährung auf der Ebene des Folgebescheides, die darauf beruht, dass der letzte wirksame und bindende Grundlagenbescheid nicht rechtzeitig innerhalb der Frist des § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung (AO) ausgewertet wurde, die ursprünglich im vorangegangenen Folgebescheid angesetzten Werte der Besteuerungsgrundlagen, die auf dem vorhergehenden und innerhalb der Frist des § 171 Abs. 10 AO ausgewerteten Grundlagenbescheid beruhen, nicht mehr herausgenommen werden, wenn der Folgebescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand?

b) Kann der nach § 164 Abs. 1 Satz 1 AO angebrachte Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 4 Satz 1 AO teilweise und zu unterschiedlichen Zeitpunkten entfallen, insbesondere, soweit für die von einzelnen Verhältnissen der gesonderten Feststellung abhängige Folgesteuer Teilverjährung eintritt?

c) Ist eine teilweise Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung zulässig?

d) Ist die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung zur Gänze, d.h. ohne sachliche Einschränkung zulässig, wenn der Vorbehalt der Nachprüfung zuvor teilweise aufgrund des Eintritts einer Teilverjährung entfallen ist? Oder darf in einem solchen Fall der Vorbehalt der Nachprüfung insgesamt nicht mehr aufgehoben werden?

e) Ist ein saldierungsfähiger Fehler i.S. des § 177 Abs. 3 AO auch dann gegeben, wenn das Finanzamt einen Grundlagenbescheid nicht rechtzeitig ausgewertet hat und daher durch die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung an einer Auswertung gehindert ist?

Diesen Rechtsfragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Wie die Klägerin selbst vorträgt, sind die Rechtsfragen a), b) und e) seit dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 9. August 2006 II R 24/05 (BFHE 214, 105, BStBl II 2007, 87) geklärt. Die Grundsätze dieses Urteils sind zwischenzeitlich bestätigt worden (BFH-Beschluss vom 9. Mai 2007 X B 33/05). Ferner hat sich der Senat u.a. in seinem Beschluss vom 8. Februar 2007 I R 51/04 (juris) mit diesen Fragen auseinandergesetzt. In sämtlichen Entscheidungen geht der BFH davon aus, dass die bislang im Folgebescheid angesetzten Besteuerungsgrundlagen des Grundlagenbescheids auch dann weiterhin angesetzt bleiben, wenn der geänderte endgültige Grundlagenbescheid nicht innerhalb der Frist des § 171 Abs. 10 AO ausgewertet wurde, und dass in diesen Fällen ein saldierungsfähiger Fehler i.S. des § 177 Abs. 3 AO gegeben ist. Dem Begehren der Klägerin, die im Grundlagenbescheid festgestellten Besteuerungsgrundlagen nunmehr überhaupt nicht mehr zu berücksichtigen, ist nach einhelliger Auffassung des BFH nicht zu folgen.

Ein Klärungsbedarf ist daher angesichts der bereits ergangenen Entscheidungen, die sich im Übrigen in der Begründung nicht widersprechen, sondern ergänzen, nicht ersichtlich.

Der Senat hält die von der Klägerin vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Auslegung des § 177 AO durch das Finanzgericht (FG) und den BFH für nicht durchgreifend. Insbesondere durfte die Klägerin nicht darauf vertrauen, dass, nachdem der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Grundlagenbescheide nicht ausgewertet hatte, die Besteuerungsgrundlagen hieraus nunmehr überhaupt nicht mehr berücksichtigt würden und eine Fehlerkorrektur nach § 177 Abs. 3 AO nicht möglich sei. Die im BFH-Urteil in BFHE 214, 105, BStBl II 2007, 87 entschiedenen Fragen waren zuvor höchstrichterlich noch nicht entschieden, so dass die Voraussetzungen des § 176 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht vorliegen. Es gibt keinen aus der Verfassung ableitbaren Grundsatz, dass ein Gericht, das erstmals mit einer bislang noch nicht entschiedenen Frage befasst ist, gehalten ist, zunächst eine für den Steuerpflichtigen negative Auslegung eines Gesetzes zu unterlassen.

Bei der unter c) aufgeworfenen Rechtsfrage ist nicht ersichtlich, inwieweit diese Frage in einem nachfolgenden Revisionsverfahren geklärt werden könnte. Das FA hat in den angefochtenen Bescheiden den Vorbehalt der Nachprüfung nicht teilweise, sondern einschränkungslos aufgehoben. Die Rechtsfrage d) ist nicht klärungsbedürftig. Die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung nach § 164 Abs. 2 AO kann nur soweit wirken, soweit der Vorbehalt der Nachprüfung noch besteht. Ist der Vorbehalt der Nachprüfung kraft Gesetzes nach § 164 Abs. 4 Satz 1 AO bereits teilweise entfallen, geht die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung insoweit ins Leere, ohne dass sich hieraus weitere rechtliche Folgen ergeben.

2. Die Revisionen sind auch nicht wegen Divergenz zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO).

a) Die Urteile des FG, die der Auffassung des BFH in BFHE 214, 105, BStBl II 2007, 87 folgen, weichen nicht vom BFH-Urteil vom 3. Februar 1987 IX R 255/84 (BFH/NV 1987, 751) ab. Diesem Urteil liegt zwar der Rechtssatz zu Grunde, dass der Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO) stets den gesamten Bescheid erfasst. Davon geht jedoch auch das FG in Übereinstimmung mit dem BFH-Urteil in BFHE 214, 105, BStBl II 2007, 87 aus. Zu der Frage, ob der Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 4 Satz 1 AO zu unterschiedlichen Zeitpunkten entfällt, wenn hinsichtlich der Besteuerungsgrundlagen aus einem Grundlagenbescheid bereits Festsetzungsverjährung eingetreten und die Anpassungsfrist des § 171 Abs. 10 abgelaufen ist, verhält sich das BFH-Urteil in BFH/NV 1987, 751 nicht.

b) Eine Divergenz zum BFH-Beschluss vom 11. April 1995 III B 74/92, BFH/NV 1995, 943 liegt ebenfalls nicht vor. Nach Auffassung der Klägerin ist das FG von folgendem Rechtssatz ausgegangen: "Die ohne sachliche Beschränkung vorgenommene Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung in einem Grundlagenbescheid setzt die Festsetzungsfrist i.S.d. § 171 Abs. 10 AO nicht erneut in Gang, soweit für einzelne in diesem Grundlagenbescheid enthaltene selbstständige Besteuerungsgrundlagen der Vorbehalt der Nachprüfung wegen Teilverjährung bereits zuvor partiell entfallen war."

Dieser Rechtssatz liegt jedoch den FG-Urteilen nicht zu Grunde. Das FG hat vielmehr die Auffassung vertreten, dass die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung in einem Folgebescheid keine neuen Feststellungsfristen nach § 171 Abs. 10 AO begründet. Der BFH-Beschluss in BFH/NV 1995, 943 beschäftigt sich demgegenüber mit der Frage, ob die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung in einem Grundlagenbescheid ohne sachliche Änderung dieses Bescheides die Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 10 AO hinausschiebt.

3. Dem FG sind auch keine Verfahrensfehler unterlaufen.

a) Das FG hat in der Sache I B 84/07 kein Prozessurteil erlassen, sondern den von der Klägerin als Hilfsantrag bezeichneten Antrag, den Feststellungsbescheid zu ändern und die Besteuerungsgrundlagen auf null DM festzustellen, sachlich beschieden. Es hat damit zugleich entschieden, dass es eine isolierte Aufhebung des angefochtenen Feststellungsbescheids und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung aus den von der Klägerin genannten Gründen (Nichtigkeit wegen sachlicher Unzuständigkeit, Nichtigkeit wegen Durchführung eines zweistufigen Feststellungsverfahrens, Unwirksamkeit wegen mangelnder hinreichender Bestimmtheit des Bescheides, Rechtswidrigkeit wegen fehlender Feststellung des originären Gewinns, Nichtigkeit der Feststellungsbescheide der Untergesellschaften, rechtswidrige erstmalige Feststellungen nach § 180 Abs. 5 AO) für nicht gerechtfertigt erachtet.

b) Die Rügen der Klägerin, die Urteile befassten sich nicht mit der Frage der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des FA, sind nicht schlüssig erhoben. Es ist nicht ersichtlich und nicht dargetan, weshalb das FA für den Erlass der streitigen Feststellungsbescheide sachlich nicht zuständig gewesen sein und inwieweit eine Verletzung der örtlichen Zuständigkeit eine Aufhebung der Bescheide rechtfertigen könnte (§ 127 AO). Auch in den Klageverfahren hat die Klägerin lediglich vorgetragen, angesichts der Ausführungen des FA in der Einspruchsentscheidung zur sachlichen und örtlichen Zuständigkeit gehe sie davon aus, dass das FA sachlich und örtlich nicht zuständig gewesen sei. Das FG möge die sachliche und örtliche Zuständigkeit des FA prüfen.

Ende der Entscheidung

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