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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 10.11.1998
Aktenzeichen: I R 108/97
Rechtsgebiete: AO 1977


Vorschriften:

AO 1977 § 160
BUNDESFINANZHOF

1. Leistet ein Steuerpflichtiger Zahlungen an eine in Liechtenstein ansässige Domizilgesellschaft für Leistungen, die diese mangels eigenen fach- und branchenkundigen Personals nicht selbst erbringen kann, so ist Empfänger i.S. des § 160 AO 1977 nicht die Domizilgesellschaft, sondern derjenige, an den diese die Gelder weiter geleitet hat (Anschluß an BFH-Beschluß vom 25. August 1986 IV B 76/86, BFHE 149, 381, BStBl II 1987, 481). Dieser kann, muß aber nicht Gesellschafter der liechtensteinischen Domizilgesellschaft sein (Abgrenzung zu BFH-Urteil vom 1. Juni 1994 X R 73/91, BFH/NV 1995, 2).

2. Die Aufforderung des FA an den Steuerpflichtigen, den unter Nr. 1 genannten Empfänger zu benennen, ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn für den Steuerpflichtigen bei vernünftiger Beurteilung der Umstände erkennbar gewesen ist, daß die von der Domizilgesellschaft angebotenen Leistungen nicht von deren Personal erbracht werden können und aus diesem Grund von der Einschaltung inländischer Leistungsträger auszugehen ist.

AO 1977 § 160

Urteil vom 10. November 1998 - I R 108/97 -

Vorinstanz: FG Münster (EFG 1998, 116)


Gründe

I.

Unternehmensgegenstand der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer GmbH, ist die Planung und der Vertrieb von schlüsselfertigen Hallen in Systembauweise sowie Ingenieurleistungen für den allgemeinen Hochbau. Die Klägerin verbuchte in den Streitjahren 1985 bis 1987 Provisionszahlungen an die Firma X, Vaduz/Liechtenstein als Betriebsausgaben.

Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) wurde X 1984 gegründet und in das liechtensteinische Handelsregister eingetragen. Verwaltungsräte der X waren in den Streitjahren die Herren A, Zürich und B, Vaduz/Liechtenstein. Letztgenannter wurde auch als Repräsentant der X im Handelsregister eingetragen. Anschrift der X war in den Streitjahren die Büroanschrift des Rechtsanwalts- und Treuhandbüros B, das sich nach den Erkenntnissen des Bundesamts für Finanzen (BfF) mit der Gründung, Verwaltung und Betreuung von Domizilgesellschaften befaßte. "Alleiniger Eigentümer" der X war der Schweizer Staatsbürger C, der seinen Wohnsitz in Monaco hatte und nach den Feststellungen der Steuerfahndung als Funktionsträger für eine Vielzahl Schweizer Domizilgesellschaften tätig war. In Deutschland wurde X durch den bei ihr angestellten deutschen Staatsbürger D vertreten, dessen letzter bekannter Wohnsitz in der Schweiz lag.

X war seit ihrer Gründung überwiegend in Deutschland tätig. Sie akquirierte --nach vorhergehenden Standortanalysen-- geeignete Grundstücke, die sie im Auftrag großer Handelsunternehmen mit branchentypischen Märkten bebaute (Einkaufszentren, Möbelmärkte, Autofahrerfachmärkte u.a.). Fertiggestellte Objekte veräußerte sie zeitnah an unterschiedliche Abnehmer. Bis zum Ende der Streitjahre war X in diesem Bereich überwiegend auf Provisionsbasis tätig. Sie suchte geeignete Grundstücke, warb für diese, stellte Bauanträge und beschaffte Investoren sowie Mieter. Danach vergab sie das Objekt an einen Generalunternehmer, der das jeweilige Grundstück bebaute und in die Verträge mit Investoren und Mietern eintrat. Auf diese Weise wurde u.a. die Klägerin als Generalunternehmer für X tätig. Sie zahlte der X hierfür in den Streitjahren die bereits genannten Provisionen.

Im Rahmen einer Betriebsprüfung wurde die Klägerin seitens der Finanzverwaltung aufgefordert, die hinter der X stehenden Personen zu benennen, die die Leistungen tatsächlich gegenüber der Klägerin erbracht haben. Die Klägerin brachte hierauf eine eidesstattliche Erklärung des nunmehrigen Verwaltungsrats der X, Rechtsanwalt E, Vaduz bei, in der dieser erklärte, daß ihm nicht bekannt sei, daß die X an der Klägerin und daß an der X letztlich nur eine natürliche Person beteiligt sei, die in Deutschland weder unbeschränkt noch beschränkt steuerpflichtig sei. Der Name des C wurde erst anläßlich weiterer Ermittlungen dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) bekannt.

Unter Hinweis auf § 160 der Abgabenordnung (AO 1977) versagte das FA den Provisionen den Betriebsausgabenabzug. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren und Klageerhebung gab das FG der Klage statt.

Das FA rügt mit seiner Revision Verletzung des § 160 AO 1977 und beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision des FA ist begründet. Die Entscheidung des FG ist aufzuheben. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Gemäß § 160 AO 1977 können die Finanzbehörden im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens einen Steuerpflichtigen u.a. auffordern, den Empfänger u.a. von Betriebsausgaben zu benennen. Empfänger im Sinne der Norm ist nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) derjenige, dem der in der Betriebsausgabe enthaltene wirtschaftliche Wert übertragen wurde. Ist eine natürliche oder juristische Person, die die Zahlungen unmittelbar entgegennahm, lediglich zwischengeschaltet, weil sie entweder mangels eigener wirtschaftlicher Betätigung die ausbedungenen Leistungen nicht erbringen konnte oder weil sie aus anderen Gründen die ihr erteilten Aufträge und die empfangenen Gelder an Dritte weiterleitete, so ist sie nicht Empfänger i.S. des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO 1977, so daß die hinter ihr stehenden Personen, an die die Gelder letztlich gelangt sind, zu benennen sind (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 30. August 1995 I R 126/94, BFH/NV 1996, 267; BFH-Beschluß vom 25. August 1986 IV B 76/86, BFHE 149, 381, BStBl II 1987, 481; BFH-Urteil vom 19. Januar 1994 I R 40/92, BFH/NV 1995, 181).

Als hinter einer Domizilgesellschaft stehende Personen, an die die Gelder letztlich gelangten, kommen die Anteilseigner (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 1. Juni 1994 X R 73/91, BFH/NV 1995, 2; vom 5. November 1992 I R 8/91, BFH/NV 1994, 357), aber auch die Auftragnehmer der ausländischen Domizilgesellschaft in Betracht (vgl. BFH in BFHE 149, 381, BStBl II 1987, 481; BFH/NV 1996, 267). Die Rechtsprechung, wonach auch die Auftragnehmer der Domizilgesellschaft wirtschaftliche Empfänger der Zahlungen sein können, hat der BFH --entgegen der Auffassung des FG-- weder aufgegeben noch modifiziert (vgl. z.B. auch Zitat in BFH-Urteil vom 4. April 1996 IV R 55/94, BFH/NV 1996, 801). Hierzu besteht auch kein Anlaß.

Sinn und Zweck des § 160 AO 1977 ist die Verhinderung von Steuerausfällen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 30. März 1983 I R 228/78, BFHE 138, 317, BStBl II 1983, 654; vom 15. März 1995 I R 46/94, BFHE 178,99, BStBl II 1996, 51; Regierungsbegründung BTDrucks VI/1982 zu § 141 -E-AO; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 160 AO 1977 Tz. 3, m.w.N.). Der Anwendungsbereich des § 160 AO 1977 wäre daher in einer mit seiner Teleologie nicht mehr zu vereinbarenden Weise eingeschränkt, wenn man die Benennung des Anteilseigners der Domizilgesellschaft genügen lassen würde. Mag in einer Vielzahl derartiger Fälle zwar der Anteilseigner der Domizilgesellschaft eigentlicher Empfänger der Zahlung sein, so ist jedoch nicht ausgeschlossen und abkommensrechtlich bereits seit Jahren als Problem erkannt (vgl. z.B. Art. 1 Nr. 11 ff. des Kommentars zum OECD-Musterabkommen), daß Domizilgesellschaften auch als reine "Durchleitungsgesellschaften" fungieren und auf diese Weise Zahlungen von Steuerinländern insbesondere über Domizilgesellschaften an inländische Leistungserbringer zurück fließen. Selbst wenn die Gesellschaften in derartigen Fällen formal eine eigene Geschäftstätigkeit durch Einschaltung und Beauftragung inländischer Auftragnehmer entfalten, so werden die Leistungen, für die bezahlt wird, tatsächlich und wirtschaftlich nicht von der Domizilgesellschaft und deren Angestellten erbracht. Bestehen folglich Anhaltspunkte, daß der Rechnungssteller eine sog. Domizilgesellschaft ist, die mangels eigenem fachkundigen Personal im Inland durch inländische Auftragnehmer tätig wird, so ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn das FA zur Benennung der Personen auffordert, die die Leistungen tatsächlich gegenüber dem inländischen Steuerpflichtigen erbracht haben.

2. Die Aufforderung des FA bzw. der Betriebsprüfer an die Klägerin zur Benennung der (inländischen) Auftragnehmer der X war unter den gegebenen Umständen ermessensfehlerfrei:

a) Es bestehen ausreichende Anhaltspunkte dafür, daß X eine sog. Domizilgesellschaft ist. Das Wesen der (hier: liechtensteinischen) Domizil- oder Sitzgesellschaft besteht darin, daß diese in Liechtenstein nur ihren Sitz (mit oder ohne Haltung eines Büros) hat und in Liechtenstein keine geschäftliche oder kommerzielle Tätigkeit ausübt (vgl. Art. 239 des liechtensteinischen Personen- und Gesellschaftsrechts; Marxer/Goop/Kieber, Gesellschaften und Steuern in Liechtenstein, 9. Aufl., S. 261; Carl/Klos, Standort Liechtenstein, Leitfaden für unternehmerische und private Aktivitäten, 1993, S. 111). Wie die Klägerin selbst vorträgt, sind Sitzgesellschaften im Sinne des liechtensteinischen Rechts größtenteils auslandsbeherrscht, verfügen in Liechtenstein vielfach nur über eine Mindestausstattung an Kapital und dürfen keine auf das liechtensteinische Staatsgebiet bezogene geschäftliche Tätigkeit ausüben. Tätigkeiten im Ausland sind hingegen nicht beschränkt.

Nach den Feststellungen des BfF erfüllt die X die Voraussetzungen einer solchen Sitz- oder Domizilgesellschaft. Gegen die Annahme einer geschäftlichen Tätigkeit der X in Liechtenstein spricht auch die Identität der Postanschrift der X mit der Büroanschrift ihres Verwaltungsrats bzw. Repräsentanten. Auch die Bestellung eines Repräsentanten als solche indiziert das Vorliegen einer liechtensteinischen Domizilgesellschaft. Die Klägerin hat bestätigt, daß Domizilgesellschaften einen Repräsentanten haben müssen, wenn ihre Geschäftsführung mehrheitlich aus Ausländern besteht. Auf die Frage, ob X als sog. Briefkastenfirma zu qualifizieren ist, kommt es nicht an.

b) Der jeweils als Repräsentant oder Verwaltungsrat für die X tätige Rechtsanwalt war erkennbar mangels eigener Fach- und Branchenkenntnisse nicht in der Lage, die von X wahrgenommenen Aufgaben zu erfüllen. Die Tätigkeit der X umfaßte nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) insbesondere die Suche nach den für Einkaufsketten zur Bebauung geeigneten Grundstücken, den Erwerb dieser Grundstücke, die Stellung von Bauanträgen und die Beschaffung von Investoren, Mietern und die Bebauung dieser Grundstücke durch Generalunternehmer. Diese Aufgaben konnten von Liechtenstein aus durch die liechtensteinischen Rechtsanwälte bzw. Treuhänder, die die X beschäftigte, augenscheinlich nicht erfüllt werden. Ein Teil der Aufgaben wurde sicherlich von D wahrgenommen, der aber zu keinem Zeitpunkt --trotz Ermittlung seines Namens-- als wirtschaftlicher Empfänger der hier streitigen Provisionszahlungen der Klägerin benannt wurde. Es liegt vielmehr auf der Hand, daß X, soweit sie im Inland tätig wurde, inländische Fachkräfte wie beispielsweise Makler, Anwälte, Architekten, Ingenieure, Bauunternehmen mit der Durchführung der Aufträge beauftragte. Nach den bisherigen Erkenntnissen ist auch nicht ausgeschlossen, daß im Zusammmenhang mit der Bebaubarmachung von Grundstücken oder Genehmigungserteilungen Zahlungen der X an Inländer geflossen sind.

c) Die Aufforderung zur Benennung dieser hinter der X stehenden Personen ist auch dann nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Klägerin die Namen der tatsächlichen Leistungsträger nicht selbst --z.B. aufgrund ihrer Generalunternehmertätigkeit für X-- kennt. Die X mußte, für die Klägerin erkennbar, ihre nach den Feststellungen des FG im Inland wahrgenommenen Aufgaben durch sach- und branchenkundige Personen erfüllen lassen, so daß die hier streitigen Zahlungen der Klägerin letztlich diesen zuflossen. Es ist nicht ermessensfehlerhaft, in einem solchen Fall der Klägerin das Risiko aufzuerlegen, daß die X die Leistungserbringer nicht bekannt gibt, zumal sich jeder Steuerpflichtige, der Zahlungen an liechtensteinische Gesellschaften leistet, der Gefahr bewußt ist oder sein müßte, daß in Liechtenstein ansässige Gesellschaften nicht selten zur Umgehung der Steuerpflicht von Inländern eingeschaltet werden (vgl. z.B. Wagner, Berater Handbuch, Schweiz/Liechtenstein, 1996, Rdnr. 641, m.w.N.)

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Der Klägerin ist nunmehr im 2. Rechtsgang insbesondere Gelegenheit zu geben nachzuweisen, daß X --wie von ihr behauptet-- in den Streitjahren neben dem Firmen- und Verwaltungssitz hinaus einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb unterhielt, der sachlich und personell so ausgestaltet war, daß sie die vom FG festgestellten Aufgaben selbst erfüllen konnte. Die Sache wird daher zur Erhebung der angebotenen Beweise, ggf. auch zur Durchführung der vom FA beantragten Beweiserhebung an das FG zurückverwiesen.

Ende der Entscheidung

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