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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 15.12.1999
Aktenzeichen: I R 113/98
Rechtsgebiete: AO 1977, BGB, EStG, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 222
AO 1977 § 222 Satz 1
AO 1977 § 37 Abs. 1
AO 1977 § 37 Abs. 2
AO 1977 § 168
BGB § 242
BGB § 387
BGB § 398
EStG § 43 Abs. 1
EStG § 44 Abs. 1 Satz 3
EStG § 44 Abs. 1 Satz 1
FGO § 121
FGO § 90a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, schüttete aufgrund Gesellschafterbeschlusses im Dezember 1994 Gewinne aus und gab eine entsprechende Kapitalertragsteueranmeldung für den Anmeldungszeitraum 12/94 ab. Zugleich beantragte sie, die von ihr abzuführende Kapitalertragsteuer in Höhe eines zu erwartenden Körperschaftsteuererstattungsanspruchs zu stunden. Dies lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ab.

Am 15. März 1995 änderte das FA den Körperschaftsteuerbescheid für 1993 und verrechnete das dadurch entstandene Körperschaftsteuerguthaben der Klägerin mit der noch nicht von der Klägerin beglichenen Kapitalertragsteuer.

Die gegen die Ablehnung der Stundung erhobene Klage blieb erfolglos (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1999, 414).

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 222 der Abgabenordnung (AO 1977) und der §§ 242, 387, 398 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und beantragt, das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und die zinslose Stundung bis zur Verrechnung bzw. Tilgung des Kapitalertragsteueranspruchs durch Verwaltungsakt auszusprechen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Vorentscheidung entspricht im Ergebnis der Entscheidung des erkennenden Senats vom 24. März 1998 I R 120/97 (BFHE 186, 98, BStBl II 1999, 3). Danach kann die Verpflichtung des Schuldners der Kapitalerträge (hier: der Klägerin), die Steuer für Rechnung des Gläubigers der Kapitalerträge (hier: Gesellschafter) zu entrichten, einzubehalten und abzuführen, nicht mit der Begründung gestundet werden, der Abzugs- und Entrichtungsverpflichtete habe gegen das FA einen mit Sicherheit entstehenden Körperschaftsteuererstattungsanspruch. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die bezeichnete Entscheidung Bezug genommen.

Den gegen das Urteil erhobenen Einwendungen folgt der Senat nicht:

1. a) "Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis" i.S. des § 222 Satz 1 AO 1977 sind gemäß § 37 Abs. 1 AO 1977 nur der Steueranspruch, der Steuervergütungsanspruch, der Haftungsanspruch, der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung, der Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO 1977 sowie die in Einzelsteuergesetzen geregelten Steuererstattungsansprüche. Der in § 37 Abs. 1 AO 1977 nicht erwähnte Anspruch des Steuergläubigers auf Abzug und Entrichtung einbehaltener Steuer ist danach kein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis.

b) Daran ändert auch beispielsweise § 168 AO 1977 nichts, denn die Bestimmung, wonach eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht, sagt über die Rechtsnatur des festgesetzten Anspruchs nichts aus. Insbesondere lässt sich dieser (Verfahrens)Norm nicht entnehmen, dass diese Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung einen Steueranspruch i.S. des § 37 Abs. 1 AO 1977 betreffen muss. Sie kann es (z.B. Umsatzsteuervoranmeldung), muss es aber nicht. Auch eine Entrichtungsverpflichtung kann --unter dem Vorbehalt der Nachprüfung-- festgesetzt werden. In diesem Fall erschöpft sich die Festsetzung in der Festsetzung der abzuführenden Steuerbeträge (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. August 1997 I B 30/97, BFHE 184, 92, BStBl II 1997, 700).

c) § 43 Abs. 1 i.V.m. § 44 Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) begründet ebenfalls keine Ansprüche aus einem Steuerschuldverhältnis, da nach § 44 Abs. 1 Satz 1 EStG Schuldner der Kapitalertragsteuer ausschließlich der Gläubiger der Kapitalerträge ist. Einbehaltungs- und Abführungsverpflichtung einerseits und Steuerschuld andererseits sind nach der im Gesetz angelegten Systematik zu unterscheiden, da die Steuerschuld eine eigene ist, während der zum Einbehalt und zur Abführung Verpflichtete eine fremde Steuerschuld begleicht.

2. Daraus folgt aber --entgegen der Auffassung der Klägerin-- nur, dass eine Stundung der Abführungsverpflichtung ausgeschlossen ist, nicht dass diese sich nunmehr nach § 242 BGB richtet.

In BFHE 186, 98, BStBl II 1999, 3 hat der erkennende Senat es abgelehnt, neben § 222 AO 1977 auch § 242 BGB als Rechtsgrundlage für eine Stundung der Abführungsverpflichtung in Betracht zu ziehen. § 222 AO 1977 regelt insoweit die Stundungsmöglichkeiten abschließend. An der fehlenden Tatbestandsverwirklichung des § 222 Satz 1 AO 1977 ändert auch nichts, dass die Entrichtungsschuld und der Steuererstattungsanspruch des Schuldners der Kapitalerträge jeweils auf Geldzahlung gerichtet und insoweit "gleichartig" i.S. des § 387 BGB sind. Gegenstand des Rechtsstreits ist die Verpflichtung des FA zur Stundung der Kapitalertragsteuer, nicht die Wirksamkeit einer Aufrechnung durch die Klägerin, die im Übrigen mangels Fälligkeit des Körperschaftsteuererstattungsanspruchs im Rahmen des Stundungsantrags noch nicht ausgesprochen werden konnte (§ 226 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. § 387 BGB; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 58. Aufl., § 387 Rdnr. 2; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 222 AO Tz. 14, m.w.N.).

3. In Fällen der vorliegenden Art stellt sich auch nicht die Frage, ob die Ablehnung der Stundung ermessensgerecht ist oder dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung widerspricht.

Der Inhalt des § 222 AO 1977 teilt sich --wie der jeder anderen Rechtsnorm-- auf in die Tatbestands- und die Rechtsfolgeseite. Sind die Tatbestandsmerkmale erfüllt, so tritt die im Gesetz angeordnete Rechtsfolge ein. Diese kann im Gesetz selbst festgeschrieben sein, sie kann aber auch (wie hier) der Finanzverwaltung einen Ermessensspielraum eröffnen. Dieser Ermessensspielraum wird durch den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung eingeschränkt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 10. Juni 1992 I R 142/90, BFHE 168, 226, BStBl II 1992, 784; Tipke/Kruse, a.a.O., § 4 AO Tz. 38; ebenso BFH-Urteil vom 21. Oktober 1999 I R 1/98, zur Veröffentlichung in BHF/NV bestimmt). Fehlt es aber --wie im Streitfall-- bereits an der Erfüllung des Tatbestandes, stellt sich die Frage nach der Rechtsfolge nicht mehr. Solange daher das Tatbestandsmerkmal "Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis" i.S. des § 222 Satz 1 AO 1977 nicht erfüllt ist, kann eine Stundung nicht ausgesprochen werden. Sie wäre mangels Erfüllung des Tatbestandes gesetzeswidrig.

4. Der Senat vermag auch nicht der Auffassung zu folgen, bei der einbehaltenen Kapitalertragsteuer handle es sich nicht um Fremdgelder. Der Gläubiger der Kapitalerträge erwirbt aufgrund des Gewinnausschüttungsbeschlusses einen Anspruch auf die Gewinnausschüttung in Höhe des beschlossenen Betrages. Hierfür schuldet er die Kapitalertragsteuer (§ 44 Abs. 1 Satz 1 EStG) mit der Folge, dass ihm die Kapitalerträge nur um die Kapitalertragsteuer gekürzt zufließen. Die Verpflichtung, die Kapitalertragsteuer einzubehalten und abzuführen, erfüllt der Schuldner der Kapitalerträge daher mit fremdem Geld.

Die Auffassung der Klägerin, "daß es im Grunde genommen das gleiche Vermögen ist, da sowohl der Gesellschafter Anteile am Gesellschaftsvermögen als auch an seinem eigenen Vermögen" habe, verkennt die rechtliche Selbständigkeit der Kapitalgesellschaft als juristische Person.

5. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus den Überlegungen der Klägerin zu § 398 BGB. Abgesehen davon, dass nicht erkennbar ist, durch welchen Rechtsakt die Klägerin ihren Anspruch auf Körperschaftsteuererstattung an die Schuldner der Kapitalertragsteuer abgetreten haben sollte, entspräche die Abtretung nicht den von § 46 Abs. 2 AO 1977 gestellten Anforderungen. Auch änderte die Abtretung nichts daran, dass der Erstattungsanspruch im Zeitpunkt der Fälligkeit der Verpflichtung zur Abführung der Kapitalertragsteuer noch nicht fällig war (§ 220 AO 1977).

Der Senat hat gemäß §§ 121, 90a FGO durch Gerichtsbescheid entschieden, da er in Anbetracht der bereits zur Streitfrage vorliegenden Entscheidung eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält.

Ende der Entscheidung

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