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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 27.04.2005
Aktenzeichen: I R 114/03
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 42
AO 1977 § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a
AO 1977 § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b
AO 1977 § 180 Abs. 5
AO 1977 § 180 Abs. 5 Nr. 2
AO 1977 § 218 Abs. 2
EStG 1990 § 20 Abs. 1 Nr. 1
EStG 1990 § 20 Abs. 1 Nr. 2
EStG 1990 § 20 Abs. 1 Nr. 3
EStG 1990 § 36 Abs. 2
EStG 1990 § 36 Abs. 2 Nr. 2
EStG 1990 § 36 Abs. 2 Nr. 3
EStG 1990 § 36 Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. f
EStG 1990 § 52 Abs. 1
FGO § 11 Abs. 2
FGO § 40 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Beteiligten streiten in der Sache darüber, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein Börsenmakler, in den Streitjahren 1990 und 1991 als sog. Dividendenstripping zu beurteilende börsliche Geschäfte getätigt hat, die als Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten i.S. von § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) zu beurteilen sind. Der ursprüngliche Beklagte und Revisionsbeklagte, das für die Besteuerung des vom Kläger unterhaltenen Gewerbebetriebs zuständige Finanzamt X (FA X), nahm dies nach Durchführung einer Betriebsprüfung an. Ziel jener Geschäfte sei es gewesen, nichtanrechnungsberechtigten ausländischen Anteilsinhabern zumindest teilweise die Vorteile der Anrechnung von Kapitalertragsteuer und Körperschaftsteuer zukommen zu lassen. Dementsprechend bezog das FA X weder die betreffenden Dividendenerträge noch die aus jenen Geschäften resultierenden Veräußerungsverluste ein und rechnete die auf die Erträge entfallenden Steuern nicht an. Das FA X erließ gegenüber dem Kläger, für dessen Einkommensbesteuerung ein anderes Finanzamt zuständig war, am 18. April 1994 entsprechende Feststellungsbescheide gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO 1977. Danach wurden die Gewinne für 1990 mit 2 131 843 DM und für 1991 mit 851 179 DM und die Steueranrechnungsbeträge wie folgt festgestellt: Körperschaftsteuer in Höhe von 931 096,32 DM (1990) und 313 876,76 DM (1991); Kapitalertragsteuer in Höhe von 415 170,56 DM (1990) und 139 483,01 DM zzgl. Solidaritätszuschlag in Höhe von 9 661,01 DM (1991).

Von diesen Beträgen entfielen auf die in Rede stehenden Geschäftsvorfälle:

1990

 Mehrgewinn infolge nicht anerkannter Veräußerungsverluste547 730,00 DM
Mindergewinn um Netto-Dividenden320 325,00 DM
Mindergewinn um Kapitalertragsteuer106 775,00 DM
Mindergewinn um Körperschaftsteuer240 243,75 DM

1991

 Mehrgewinn infolge nicht anerkannter Veräußerungsverluste340 250,00 DM
Mindergewinn um Netto-Dividenden198 900,00 DM
Mindergewinn um Kapitalertragsteuer 68 000,00 DM
Mindergewinn um Solidaritätszuschlag 5 100,00 DM
Mindergewinn um Körperschaftsteuer153 000,00 DM

Der Kläger beantragte am 13. und 16. Mai 1994, die Feststellungen aufgrund der Betriebsprüfung im Wege der "schlichten Änderung" rückgängig zu machen und die Beträge wie folgt festzustellen:

1990

 Gewinn2 228 538,68 DM
anzurechnende Kapitalertragsteuer 521 945,56 DM
anzurechnende Körperschaftsteuer1 171 340,07 DM

1991

 Gewinn 921 889,97 DM
anzurechnende Kapitalertragsteuer 207 483,01 DM
anzurechnender Solidaritätszuschlag 14 749,01 DM
anzurechnende Körperschaftsteuer 466 836,76 DM

Das FA X lehnte diesen Antrag ab. Auch die anschließende Verpflichtungsklage blieb erfolglos. Das Hessische Finanzgericht (FG) wies sie mit Urteil vom 18. September 2003 7 K 100/03 ab, und zwar hinsichtlich der --erhöhenden-- Einbeziehung der Dividendenerträge und der anzurechnenden Körperschaftsteuer gemäß § 20 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1990 mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig und hinsichtlich der gesonderten Feststellungen der Steueranrechnungsbeträge wegen Fehlens einer Rechtsgrundlage als unbegründet.

Seine Revision stützt der Kläger auf Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das zwischenzeitlich für die Besteuerung des Klägers zuständig gewordene (vgl. § 2 Nr. 16 der Verordnung über die Zuständigkeiten der hessischen Finanzämter vom 11. Dezember 2003, Gesetz- und Verordnungsblatt --GVBl-- I 2003, 335) und im Wege des gesetzlichen Beteiligungswechsels (vgl. Bundesfinanzhof --BFH--, Urteil vom 12. Januar 2001 VI R 102/98, BFHE 194, 372, BStBl II 2003, 151) an die Stelle des FA X getretene FA, der nunmehrige Beklagte und Revisionsbeklagte, beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet.

1. Die Verpflichtungsklage gegen die Ablehnung des Antrages auf sog. schlichte Änderung der Feststellungsbescheide des FA (vgl. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Halbsatz 2 i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) ist zwar als solche statthaft (vgl. BFH-Urteil vom 27. Oktober 1993 XI R 17/93, BFHE 172, 493, BStBl II 1994, 439). Soweit sie darauf gerichtet ist, die gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO 1977 festgestellten Gewinne um die in Rede stehenden Dividendenerträge sowie die Steueranrechnungsbeträge zu erhöhen, ist sie jedoch unzulässig. Ihr fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.

a) Denn eigentliches Rechtsschutzziel des Klägers ist die Anrechnung der Körperschaftsteuerbeträge. Dieses Ziel lässt sich mit der Klage gegen die Feststellungsbescheide grundsätzlich nicht erreichen. Die Anrechnung ist Teil des Steuererhebungsverfahrens und wird durch einen selbständigen Verwaltungsakt --durch Anrechnungsverfügung oder Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 AO 1977)-- herbeigeführt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 24. März 1992 VII R 39/91, BFHE 168, 300, BStBl II 1992, 956, unter II.1.c der Gründe; vom 25. Februar 1992 VII R 41/91, BFH/NV 1992, 716; vom 28. April 1993 I R 100/92, BFHE 171, 397, BStBl II 1993, 836; vom 19. Juli 1994 VIII R 58/92, BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362). Unzulässig ist ein Klageantrag grundsätzlich auch mit dem Begehren, höhere Gewinne festzusetzen oder festzustellen. Nach § 40 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann ein Verwaltungsakt nur angefochten werden, wenn der Kläger geltend macht, durch ihn in seinen Rechten verletzt zu sein. Das ist regelmäßig nicht der Fall, wenn der Steuerpflichtige behauptet, dass eine Steuer zu niedrig festgesetzt sei (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 17. Dezember 1987 V B 152/87, BFHE 152, 40, BStBl II 1988, 286, und Urteil vom 8. November 1989 I R 174/86, BFHE 158, 540, BStBl II 1990, 91).

b) Diese Grundsätze können zwar zurücktreten, wenn andernfalls die Anrechnung einer höheren Körperschaftsteuer nicht möglich wäre. Es erweist sich dann als notwendig, die entsprechenden Einnahmen bei der Veranlagung oder der Gewinnfeststellung zu erfassen, also die Einkünfte aus Kapitalvermögen entsprechend zu erhöhen (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 Satz 4 Buchst. f EStG 1990; vgl. auch Senatsurteile vom 27. März 1996 I R 87/95, BFHE 180, 332, BStBl II 1996, 473; vom 26. November 1997 I R 110/97, BFH/NV 1998, 581; BFH-Urteil in BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362). Einzubeziehen sind hiernach die Kapitalerträge gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 sowie Nr. 3 EStG 1990, Letzteres aber erst vom Veranlagungszeitraum 1996 an (§ 36 Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. f EStG 1990 i.V.m. § 52 Abs. 1 EStG 1990 i.d.F. des Jahressteuergesetzes --JStG-- 1996 vom 11. Oktober 1995, BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438). Für die Veranlagungs- und Feststellungszeiträume zuvor --und damit auch in den Streitjahren 1990 und 1991-- galt dies noch nicht. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 6. Oktober 1993 I R 101/92 (BFHE 172, 370, BStBl II 1994, 191) entschieden hat, war die Körperschaftsteuer seinerzeit auch dann gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG 1990 anzurechnen, wenn sie ihrerseits nicht gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1990 als Einnahme erfasst war. Die dem offenbar entgegenstehende Annahme des Gesetzgebers, wonach die im JStG 1996 vorgenommene Änderung des § 36 Abs. 2 EStG 1990 eine schon bis dahin existente Rechtslage lediglich klarstellte (BTDrucks 13/901, S. 137), schlug sich im früheren Regelungstext nicht nieder. Die Neuregelung wirkte deswegen konstitutiv. Das wurde vom Senat seitdem wiederholt bekräftigt (vgl. Urteile vom 15. Dezember 1999 I R 29/97, BFHE 190, 446, BStBl II 2000, 527; vom 27. März 2001 I R 66/00, BFHE 195, 249, BStBl II 2003, 638; anders --aber insoweit nicht streiterheblich-- BFH-Urteil vom 18. April 2000 VIII R 75/98, BFHE 192, 80, BStBl II 2000, 423). Ließ sich die erstrebte Anrechnung von Körperschaftsteuer damit bis zum Veranlagungszeitraum 1996 aber erreichen, ohne dass diese zuvor bei den Kapitaleinkünften erfasst wird, fehlt einer auf diese Erfassung gerichteten Anfechtungsklage das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Die Anrechnung müsste dann im Anfechtungsverfahren gegen den hiernach zu erlassenden Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 AO 1977 verfolgt werden, der vorliegend indes nicht streitgegenständlich ist.

c) Allerdings wurde vom VIII. Senat des BFH im Urteil vom 19. August 2003 VIII R 44/01 (BFH/NV 2004, 925) gegenläufig entschieden. Der VIII. Senat ist der Ansicht, die Rechtsprechung des I. Senats des BFH sei auf die hier zu beurteilende Konstellation nicht anzuwenden, da sie zu Abrechnungsbescheiden bei bestandskräftigen Einkommensteuerbescheiden bzw. Körperschaftsteuerbescheiden ergangen sei. Diese Annahme ist indes unzutreffend.

Dass sich die Klagen in den vom I. Senat entschiedenen Fällen z.T. gegen Abrechnungsbescheide richteten (vgl. § 218 Abs. 2 AO 1977), ändert an den aufgestellten Grundsätzen nichts. Aus dem Senatsurteil in BFHE 190, 446, BStBl II 2000, 527, dem eine Klage gegen einen Körperschaftsteuerbescheid zugrunde lag, ergibt sich ungeachtet der in jenem Urteil zugrunde zu legenden Besonderheiten des Körperschaftsteuerrechts (vgl. dort unter B.I.3. der Entscheidungsgründe) nichts anderes. Auf dieser Basis wurde seinerzeit auch die Revision gegen das Urteil des FG München vom 26. Januar 1998 15 K 3861/93 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1998, 1076), das ebenfalls über einen Einkommensteuerbescheid ergangen war, ohne Begründung mittels (unveröffentlichten) Beschlusses vom 21. Oktober 1999 I R 47/98 nach Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs zurückgewiesen. In all diesen Fällen geht zwar auch der erkennende Senat davon aus, dass nach dem Gesetzesplan die Erfassung der anrechenbaren Körperschaftsteuer (sowie der Nettokapitaleinkünfte) im Steuerbescheid mit der Anrechnung der Steuer korrespondieren soll. Die Finanzbehörden sind nicht gehindert, diese Korrespondenz im Einklang mit ihren verfahrensrechtlichen Möglichkeiten herzustellen, auch nicht durch § 36 Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. f EStG 1987/ 1990 (vgl. insoweit auch BFH-Urteil in BFHE 192, 80, BStBl II 2000, 423). Dennoch schließt der Umstand, dass die Körperschaftsteuer nicht einbezogen wurde, die Anrechnung nach der früheren Gesetzesfassung nicht von vornherein aus. Es bleibt deswegen dabei, dass einer darauf gerichteten Klage das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.

Trotz der in diesem Punkt bestehenden (streitentscheidenden) Abweichung zwischen dem I. und dem VIII. Senat des BFH kann der Senat auf Basis seiner Rechtsauffassung durcherkennen. Es bedarf keiner Anfrage gemäß § 11 Abs. 2 FGO, weil der Geschäftsverteilungsplan des BFH für Streitfragen der erwähnten Art die Alleinzuständigkeit des I. Senats vorsieht (vgl. bezogen auf 2005 in BStBl II 2005, 112, dort unter A. I. Senat Nr. 2. und A. Ergänzende Regelungen unter II.1.).

2. Hinsichtlich der vom Kläger begehrten Einbeziehung höherer Steuerabzugs- und Steueranrechnungsbeträge in die angegriffenen gesonderten Feststellungen hielt das FG die Klage zu Recht für unbegründet.

Zwar können Steuerabzugsbeträge und anzurechnende Kapitalertragsteuern --ggf. auch der Solidaritätszuschlag (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 180 AO Tz. 104; Koenig in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, § 180 Rz. 101)-- nach § 180 Abs. 5 AO 1977 gesondert festgestellt werden. § 180 Abs. 5 AO 1977 findet jedoch erst für Feststellungszeiträume ab 1995 an Anwendung (vgl. Art. 97 § 10b des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung i.d.F. des Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts --StMBG-- vom 21. Dezember 1993, BGBl I 1993, 2310, BStBl I 1994, 50; Helmschrott/Eberhard, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1994, 525, 530). Zwar hat der Senat in seinen Urteilen vom 22. November 1995 I R 114/94 (BFHE 179, 296, BStBl II 1996, 531, 532) sowie I R 185/94 (BFHE 179, 299, BStBl II 1996, 390, 391; bestätigt durch Urteil vom 27. Juni 2001 I R 65/00, BFH/NV 2001, 1528) entschieden, dass Körperschaftsteuer-Anrechnungsbeträge gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 auch bereits vor Einfügung von § 180 Abs. 5 Nr. 2 in die Abgabenordnung 1977 durch das StMBG vom 21. Dezember 1993 einheitlich und gesondert festgestellt werden konnten. Er hat dies jedoch nur für den Fall der einheitlichen Feststellung unter Hinweis darauf angenommen, dass die entsprechenden Ansprüche zum Sonderbetriebsvermögen der Beteiligten gehörten. Die Rechtsgrundlage dafür erkannte der Senat bei Personengesellschaften in § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977, die eine Feststellung der Steuerabzugsbeträge und der anrechenbaren Körperschaftsteuer auch vor Einfügung des § 180 Abs. 5 AO 1977 umfasste. Für den Fall eines Einzelgewerbetreibenden fehlte eine derartige Rechtsgrundlage aber. Eine solche wurde mit § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO 1977 erst ab 1995 geschaffen (im Ergebnis ebenso z.B. Helmschrott/Eberhard, DStR 1994, 525, 530; Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, § 180 Rz. 209; Kunz in Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 180 AO Rz. 59; Koenig in Pahlke/Koenig, a.a.O., § 180 Rz. 100).

Ende der Entscheidung

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