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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 18.02.1999
Aktenzeichen: I R 129/97
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 79a Abs. 2 bis 4
FGO § 90 Abs. 2
FGO § 79a
FGO § 90a
FGO § 73 Abs. 1 Satz 1
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 3
FGO § 119 Nr. 4
FGO § 126 Abs. 3 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhob am 20. November 1996 form- und fristgerecht beim Finanzgericht (FG) Klagen gegen den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) wegen Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuermeßbeträge für die Jahre 1991 und 1992 (Streitjahre). Das FG fragte mit Schreiben vom 22. November 1996 bei den Verfahrensbeteiligten an, ob auf mündliche Verhandlung verzichtet werde und ob sie mit einer Entscheidung des Berichterstatters an Stelle des Senats einverstanden seien. Das FA bejahte beide Fragen. Die Prozeßbevollmächtigten des Klägers erklärten mit Schriftsätzen vom 19. Dezember 1996, der Kläger sei mit einer Entscheidung des Berichterstatters an Stelle des Senats gemäß § 79a Abs. 2 bis 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einverstanden und verzichte insoweit auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Am 30. September 1997 entschied das FG durch Urteile über die Klagen und wies sie weitgehend ab. Die Revision ließ das FG nicht zu. Die Urteile sind Urteile des Senats und nicht des Berichterstatters. Sie ergingen ohne mündliche Verhandlung und enthalten den Hinweis, die Verfahrensbeteiligten hätten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Mit den Revisionen macht der Kläger geltend: Er sei in den Verfahren vor dem FG nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten gewesen. Das FG habe gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlungen durch Urteile entschieden, obwohl der Kläger nur für den Fall einer Entscheidung gemäß § 79a i.V.m. § 90a FGO auf mündliche Verhandlung verzichtet habe.

Der Kläger beantragt, die Urteile des FG aufzuheben und die Sachen an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revisionen als unzulässig zu verwerfen.

II. A. Der erkennende Senat hat gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO die Revisionsverfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Die Verbindung ist zweckmäßig, da in allen drei Verfahren nur die Frage zu entscheiden ist, ob die angefochtenen Urteile wegen des vom Kläger geltend gemachten absoluten Revisionsgrundes gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 3, § 119 Nr. 4 FGO aufzuheben und die Sachen an das FG zurückzuverweisen sind.

B. Die Revisionen sind zulässig und begründet. Sie führen zur Aufhebung der angefochtenen Urteile und Zurückverweisung der Sachen an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Die Rechtsmittel sind gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO auch ohne Zulassung durch das FG oder den Bundesfinanzhof (BFH) zulässig. Der Kläger hat vorgetragen, das FG habe ohne mündliche Verhandlungen durch Urteile über die Klagen entschieden, obwohl der Kläger nicht gemäß § 90 Abs. 2 FGO auf mündliche Verhandlungen verzichtet habe. Dieser Vortrag enthält die Rüge eines Verfahrensmangels i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3, § 119 Nr. 4 FGO (s. BFH-Urteile vom 2. Dezember 1992 II R 112/91, BFHE 169, 311, BStBl II 1993, 194; vom 29. August 1996 V R 18/96, BFH/NV 1997, 351; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., Stand August 1998, § 119 FGO Rz. 126).

2. Die Revisionen sind auch begründet. Dem FG ist in allen drei Klageverfahren der vom Kläger gerügte Verfahrensfehler unterlaufen.

a) Das FG ist bei Erlaß der angefochtenen Urteile davon ausgegangen, daß der Kläger uneingeschränkt sein Einverständnis mit Entscheidungen durch Urteil ohne mündliche Verhandlungen erklärt habe. Tatsächlich hat der Kläger auf die Anfragen des FG, ob er auf mündliche Verhandlung verzichte, lediglich die Prozeßerklärung abgegeben, er sei mit einer Entscheidung des Berichterstatters an Stelle des Senats gemäß § 79a Abs. 2, 3 und 4 FGO einverstanden und verzichte insoweit auf mündliche Verhandlung. Diese Verzichtserklärungen enthalten kein uneingeschränktes Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil. Sie beziehen sich eindeutig nur auf Entscheidungen, die gemäß § 79a Abs. 2 bis 4 FGO der Berichterstatter an Stelle des Senats erläßt. Mit Entscheidungen des FG-Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung hat sich der Kläger dadurch nicht einverstanden erklärt.

b) Diese Einschränkung des vom Kläger erklärten Verzichts ist wirksam. Sie ist vergleichbar mit der Erklärung eines Beteiligten, er verzichte nur für den Fall einer Senatsentscheidung auf mündliche Verhandlung. Es ist anerkannt, daß es sich bei einer solchen Erklärung um eine verfahrensrechtlich zulässige und von den Gerichten zu beachtende Modifizierung des Verzichts handelt (BFH-Urteile vom 9. August 1996 VI R 37/96, BFHE 181, 115, BStBl II 1997, 77; vom 9. Januar 1997 VII R 17/96, BFH/NV 1997, 507; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., 1997, § 90 Rz. 12). Für die vom Kläger abgegebene Erklärung kann nichts anderes gelten. Ob die Einschränkung sachgerecht ist und auf welchen Überlegungen sie beruhte, ist unerheblich. Der Verzicht unterliegt der freien Entscheidung des jeweiligen Verfahrensbeteiligten. Auch etwaige nicht sachgerechte Entscheidungen sind daher von den Gerichten zu akzeptieren.

c) Aufgrund des Verfahrensfehlers sind die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Sachen an das FG zurückzuverweisen. Der Verfahrensfehler ist ein absoluter Revisionsgrund, bei dem gemäß § 119 Nr. 4 FGO davon auszugehen ist, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruht. Eine Sachentscheidung ist dem erkennenden Senat verwehrt (s. BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 507; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 3, m.w.N.).

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