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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 25.04.2001
Aktenzeichen: I R 22/00
Rechtsgebiete: AO 1977, GmbHG, BGB


Vorschriften:

AO 1977 § 55 Abs. 1 Nr. 4
AO 1977 § 61 Abs. 3
AO 1977 § 63 Abs. 2
AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 2
GmbHG § 54 Abs. 3
BGB § 71 Abs. 1 Satz 1
BUNDESFINANZHOF

1. Geändert i.S. des § 61 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 ist die Bestimmung über die Vermögensbindung in der Satzung einer GmbH oder eines eingetragenen Vereins erst dann, wenn das Änderungsverfahren durch die Eintragung der Satzungsänderung im Handels- bzw. Vereinsregister abgeschlossen ist.

2. § 61 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 schließt die Anwendung der Vorschriften über die Festsetzungsverjährung nicht aus.

AO 1977 § 55 Abs. 1 Nr. 4, § 61 Abs. 3, § 63 Abs. 2, § 175 Abs. 1 Satz 2 GmbHG § 54 Abs. 3 BGB § 71 Abs. 1 Satz 1

Urteil vom 25. April 2001 - I R 22/00 -

Vorinstanz: FG Berlin


Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) --eine GmbH-- war zunächst vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) wegen Verfolgung gemeinnütziger Zwecke für die Jahre 1987 bis 1990 (Streitjahre) von der Körperschaftsteuer freigestellt worden. Am 16. Dezember 1992 beschloss die Gesellschafterversammlung der Klägerin, den Gesellschaftsvertrag neu zu fassen und dabei u.a. auch die bisherige Regelung im Vertrag zu streichen, nach der bei Auflösung der Gesellschaft oder Wegfall ihres satzungsmäßigen Zwecks das Gesellschaftsvermögen für steuerbegünstigte Zwecke zu verwenden war. Die Neufassung des Gesellschaftsvertrages wurde am 2. Februar 1993 in das Handelsregister eingetragen.

Da der Gesellschaftsvertrag in seiner Fassung vom 16. Dezember 1992 nicht mehr den Anforderungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 der Abgabenordnung (AO 1977) entsprach, veranlagte das FA die Klägerin durch Bescheide vom 3. bzw. 19. Dezember 1997 für die Jahre 1987 und 1988 zur Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer und für die Jahre 1988 bis 1990 zur Vermögensteuer. Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin die Aufhebung der Steuer- und Steuermessbescheide wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung beantragte, waren erfolglos.

Mit der Revision macht die Klägerin geltend, das Urteil des Finanzgerichts (FG) verletze § 169 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 175 Abs. 1 Satz 2 AO 1977. Sie beantragt sinngemäß, das FG-Urteil, die angefochtenen Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide und die Vermögensteuerbescheide sowie die zugehörigen Einspruchsentscheidungen aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision war als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die angefochtenen Bescheide sind nicht wegen Festsetzungsverjährung aufzuheben.

1. Wird --wie im Streitfall-- die Bestimmung des Gesellschaftsvertrages (= Satzung) über die Vermögensbindung nachträglich so geändert, dass sie nicht mehr den Anforderungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO 1977 entspricht, gilt gemäß § 61 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 die Bestimmung von Anfang an als steuerlich nicht ausreichend. Nach § 61 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 hat das FA in einem solchen Fall § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 mit der Maßgabe anzuwenden, dass Steuerbescheide erlassen, aufgehoben oder geändert werden können, soweit sie Steuern betreffen, die innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre vor der Änderung der Bestimmung über die Vermögensbindung entstanden sind. Die Regelung soll die missbräuchliche Inanspruchnahme der wegen Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke gewährten Steuervergünstigungen dadurch verhindern oder zumindest erschweren, dass die Vergünstigungen in Fällen der Änderung der Bestimmung über die Vermögensbindung rückwirkend für die zehn Jahre vor der Änderung wieder entzogen werden können (sog. Nachversteuerung; s. BRDrucks 726/75 --Beschluss-- S. 3; Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl., 1996, § 61 Rz. 11).

2. § 61 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 schließt die Anwendung der Vorschriften über die Festsetzungsverjährung nicht aus (gl.A. Scholtz in Koch/Scholtz, a.a.O., § 61 Rz. 11; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., 1995, § 61 AO Rz. 9; Uterhark in Schwarz, Abgabenordnung, Kommentar, § 61 Rz. 7; a.A. Sauer in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 61 AO Rz. 12; unklar Bundesministerium der Finanzen --BMF--, Anwendungserlass zur Abgabenordnung --AEAO-- vom 15. Juli 1998 --Zu § 61 Tz. 5--, BStBl I 1998, 630, 669). Er begrenzt nur den Zeitraum, für den gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 aus der Rückwirkung nach § 61 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 durch Erlass, Aufhebung oder Änderung von Steuer(mess)bescheiden steuerliche Folgerungen gezogen werden dürfen. Wieviel Zeit dem FA zur Verfügung steht, um die Bescheide über die Nachversteuerung zu erlassen, ergibt sich aus § 175 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 169 AO 1977 (s.a. BTDrucks 7/79, S. 28 --§ 61 Abs. 3 Satz 2 des Gesetzentwurfs einer Abgabenordnung (AO 1974)-- und BTDrucks VI/1982, S. 118 --zu § 61-- im Vergleich zu § 61 Abs. 3 Satz 2, BRDrucks 726/75 --Beschluss--, S. 3).

3. Ist ein Steuer(mess)bescheid wegen Eintritts eines Ereignisses, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (sog. rückwirkendes Ereignis), gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ggf. i.V.m. § 184 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, beginnt nach § 175 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 die Festsetzungsfrist (§ 169 AO 1977) mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Ereignis eingetreten ist. In Fällen des § 61 Abs. 3 AO 1977 ist das rückwirkende Ereignis die nachträgliche Änderung der Satzungsbestimmung über die Vermögensbindung, die dazu führt, dass die Satzung nach der Änderung nicht mehr den Anforderungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO 1977 entspricht.

a) Die Änderung einer Satzungsbestimmung ist ein rechtlich geregeltes Verfahren, das bei Kapitalgesellschaften wie der Klägerin und z.B. auch bei eingetragenen Vereinen mehrere Rechtsakte erfordert und sich in der Regel über einen längeren Zeitraum erstreckt. Sieht man von Vorbereitungshandlungen wie z.B. der Einberufung der Gesellschafter- oder Mitgliederversammlung ab, ist der erste Rechtsakt der Beschluss der Gesellschafter oder Mitglieder, die Satzung in einer bestimmten Weise zu ändern (§ 53 Abs. 1 und 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung --GmbHG-- bzw. § 33 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--). Dem schließt sich die Anmeldung der Satzungsänderung zur Eintragung im Handels- bzw. Vereinsregister an (§ 54 Abs. 1 Satz 1 GmbHG bzw. § 71 Abs. 1 Satz 2 BGB). Bestehen keine Eintragungshindernisse oder erkennt das Registergericht sie nicht, wird das Satzungsänderungsverfahren durch den Rechtsakt der Eintragung der beschlossenen Satzungsänderung in das Register abgeschlossen. Die Eintragung wirkt konstitutiv. Erst durch sie erlangt die Satzungsänderung --jedenfalls im Außenverhältnis-- rechtliche Wirkung (§ 54 Abs. 3 GmbHG, § 71 Abs. 1 Satz 1 BGB; Bundesgerichtshof --BGH--, Urteil vom 17. Januar 1957 II ZR 239/55, BGHZ 23, 122, 128; Priester in Scholz, GmbH-Gesetz, Kommentar, 8. Aufl., 1993/1995, § 54 Rz. 63 f.; Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, 15. Aufl., 2000, § 54 Rz. 12 f.; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 60. Aufl., 2001, § 71 Rz. 1; Reuter in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Aufl., 1993, § 71 BGB Rz. 1).

b) "Geändert" i.S. des § 61 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 ist die Bestimmung über die Vermögensbindung in der Satzung einer GmbH oder eines eingetragenen Vereins erst dann, wenn das Änderungsverfahren durch die Eintragung der Satzungsänderung im Handels- bzw. Vereinsregister abgeschlossen ist. Der Satzungsänderungsbeschluss allein oder der Beschluss und der Eintragungsantrag genügen nicht. § 61 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 setzt nicht nur voraus, dass die Bestimmung über die Vermögensbindung nachträglich geändert wird. Sie muss vielmehr so geändert werden, dass sie den Anforderungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO 1977 "nicht mehr" entspricht. Die frühere Bestimmung über die Vermögensbindung, die diesen Anforderungen entsprach, darf somit nicht mehr wirksam sein. Dies ist erst dann der Fall, wenn die Satzungsänderung durch ihre Eintragung wirksam geworden ist. Bis zu diesem Zeitpunkt gilt noch die frühere Satzungsbestimmung (s. Priester, a.a.O., § 54 Rz. 68; Reichsgericht --RG--, Urteil vom 17. April 1889 Rep. I. 70/89, RGZ 24, 54, 59). Auf sie und damit auf die Tatsache, dass die Satzung hinsichtlich der Vermögensbindung noch den Anforderungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO 1977 entspricht, kann sich die Körperschaft bis zur Eintragung der Satzungsänderung auch gegenüber den Finanzbehörden berufen. Diese dürfen daher vor der Eintragung der Satzungsänderung noch nicht davon ausgehen, dass die Satzung nicht mehr den Voraussetzungen des § 61 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 genüge.

4. Die Einwände der Klägerin gegen diese Auslegung des § 61 Abs. 3 AO 1977 hält der erkennende Senat nicht für durchgreifend.

Zwar kann der Satzungsänderungsbeschluss die Organe der GmbH dazu verleiten, die geänderte Bestimmung über die Vermögensbindung schon vor der Eintragung der Änderung nicht mehr zu beachten. Dies ist entgegen der Auffassung der Klägerin aber kein Grund, die Rechtsfolge des § 61 Abs. 3 AO 1977 allein aufgrund des Beschlusses eintreten zu lassen. In einem solchen Fall gilt § 61 Abs. 3 AO 1977 gemäß § 63 Abs. 2 AO 1977 sinngemäß. Die Rechtsfolge des § 61 Abs. 3 AO 1977 tritt somit auch in diesem Fall ein, allerdings nicht wegen der beschlossenen Änderung der Satzung, sondern wegen der Verletzung der noch wirksamen und den Anforderungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO 1977 entsprechenden geänderten Bestimmung über die Vermögensbindung.

Die Rechtsauffassung der Klägerin, der Tatbestand des § 61 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 werde bereits mit dem Satzungsänderungsbeschluss verwirklicht, widerspricht auch dem Zweck des § 61 Abs. 3 AO 1977. Sie verringert die Missbrauchsgefahr nicht, wie die Klägerin meint, sondern vergrößert sie. Folgt man der Auffassung der Klägerin, beginnt die Festsetzungsfrist bereits mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Satzungsänderungsbeschluss gefasst wurde. Die Frist kann dann ablaufen, bevor das FA durch die Registereintragung von der Änderung der Bestimmung über die Vermögensbindung Kenntnis erlangen kann. Zwar besteht gemäß § 54 Abs. 1 GmbHG die Pflicht, die Satzungsänderung zur Eintragung im Handelsregister anzumelden. Die Erfüllung dieser Pflicht kann aber nicht durch Zwangsgelder durchgesetzt werden (§ 79 Abs. 2 GmbHG; anders beim eingetragenen Verein, s. § 78 Abs. 1 BGB). Wäre die Rechtsansicht der Klägerin zutreffend, könnte eine GmbH die Rechtsfolge des § 61 Abs. 3 AO 1977 dadurch vermeiden, dass sie --ohne die Festsetzung von Zwangsgeldern fürchten zu müssen-- die Anmeldung der Satzungsänderung so lange verzögert, bis die Festsetzungsfrist abgelaufen ist.

5. Bei Erlass der angefochtenen Bescheide war die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen. Sie betrug vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977) und begann, da die Satzungsänderung erst 1993 in das Handelsregister eingetragen wurde, mit Ablauf dieses Jahres. Das FA erließ die angefochtenen Bescheide 1997 und somit innerhalb der Frist.

Fehler des FA hinsichtlich der Höhe der festgesetzten Steuern und Steuermessbeträge sind nicht ersichtlich und hat die Klägerin auch nicht geltend gemacht.

Ende der Entscheidung

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