Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 28.04.2004
Aktenzeichen: I R 39/04
Rechtsgebiete: EGV, EG, EStG 1990 i.d.F. des StÄndG 1992


Vorschriften:

EGV Art. 59
EGV Art. 60
EG Art. 49
EG Art. 50
EStG 1990 i.d.F. des StÄndG 1992 § 50a Abs. 4
EStG 1990 i.d.F. des StÄndG 1992 § 50a Abs. 5
EStG 1990 i.d.F. des StÄndG 1992 § 50d Abs. 1
I. Dem EuGH werden zur Vorabentscheidung folgende Rechtsfragen vorgelegt:

1. Sind Art. 59 und 60 EGV dahin gehend auszulegen, dass gegen sie verstoßen wird, wenn ein in Deutschland (Inland) ansässiger Vergütungsschuldner eines im EU-Ausland (konkret: den Niederlanden) ansässigen Vergütungsgläubigers, der die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaats besitzt, gemäß § 50a Abs. 5 Satz 5 EStG 1990 in der im Jahr 1993 geltenden Fassung in Haftung genommen werden kann, weil er den Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 EStG unterlassen hat, während Vergütungen an einen im Inland unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Vergütungsgläubiger (= Inländer) keinem Steuerabzug gemäß § 50a Abs. 4 EStG unterliegen und daher auch keine Haftung des Vergütungsschuldners wegen eines unterlassenen oder zu geringen Steuerabzugs in Betracht kommt.

2. Ist die Frage zu 1. anders zu beantworten, wenn der im EU-Ausland ansässige Vergütungsgläubiger bei Erbringung seiner Dienstleistung nicht Staatsangehöriger eines EU-Mitgliedstaats ist?

3. Falls die Frage zu 1. verneint wird:

a) Sind die Art. 59 und 60 EGV dahin gehend auszulegen, dass Betriebsausgaben, die einem im EU-Ausland ansässigen Vergütungsgläubiger im wirtschaftlichen Zusammenhang mit seiner zu den Vergütungen führenden Tätigkeiten im Inland entstanden sind, vom Vergütungsschuldner bereits im Steuerabzugverfahren gemäß § 50a Abs. 4 EStG steuermindernd berücksichtigt werden müssen, weil auch bei Inländern nur die nach Abzug der Betriebsausgaben verbleibenden Nettoeinkünfte der Einkommensteuer unterliegen?

b) Reicht es zur Vermeidung eines Verstoßes gegen Art. 59 und 60 EGV aus, wenn im Steuerabzugverfahren gemäß § 50a Abs. 4 EStG nur die mit der zum Vergütungsanspruch führenden Tätigkeit im Inland wirtschaftlich zusammenhängenden Betriebsausgaben steuermindernd berücksichtigt werden, die der im EU-Ausland ansässige Vergütungsgläubiger dem Vergütungsschuldner nachgewiesen hat, und etwaige weitere Betriebsausgaben in einem anschließenden Erstattungsverfahren berücksichtigt werden können?

c) Sind die Art. 59 und 60 EGV dahin gehend auszulegen, dass gegen sie verstoßen wird, wenn die einem in den Niederlanden ansässigen Vergütungsgläubiger nach dem DBA-Niederlande in Deutschland zustehende Steuerbefreiung im Steuerabzugverfahren gemäß § 50a Abs. 4 i.V.m. § 50d Abs. 1 EStG zunächst unberücksichtigt bleibt und erst in einem nachfolgenden Freistellungs- oder Erstattungsverfahren berücksichtigt wird, und auch der Vergütungsschuldner sich im Haftungsverfahren nicht auf die Steuerbefreiung berufen darf, während steuerfreie Einkünfte von Inländern keinem Steuerabzug unterliegen und daher auch keine Haftung wegen eines unterlassenen oder zu geringen Steuerabzugs in Betracht kommt?

d) Hängt die Beantwortung der Fragen zu 3.a bis c) davon ab, ob der im EU-Ausland ansässige Vergütungsgläubiger im Zeitpunkt der Erbringung seiner Dienstleistung Staatsangehöriger eines EU-Mitgliedstaats ist?


Gründe:

I. Sachverhalt und Streitstand

1. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH mit Sitz und Geschäftsleitung in Deutschland (Inland). Sie veranstaltete im Inland Konzerte mit einer Popmusikergruppe. Deren künstlerische Darbietungen wurden ihr von ihrem als E firmierenden Vertragspartner zur Verfügung gestellt. E war eine nicht zur Musikergruppe gehörende natürliche Person, die seinerzeit in den Niederlanden ansässig war, im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte und dort auch keine Betriebsstätte unterhielt. EŽs Staatsangehörigkeit ist dem vorlegenden Senat nicht bekannt. Im ersten und dritten Quartal 1993 zahlte die Klägerin E für die erbrachten Leistungen insgesamt 438 600 DM. Einen Steuerabzug gemäß § 50a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes 1990 i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 1992 vom 25. Februar 1992 --EStG-- (BGBl I 1992, 297, BStBl I 1992, 146) unterließ sie, obwohl E keine Freistellungsbescheinigung gemäß § 50d Abs. 3 EStG vorgelegt hatte.

Nachdem die seinerzeit für die Besteuerung der Klägerin zuständige Finanzbehörde von diesem Sachverhalt erfahren hatte, forderte sie durch Haftungsbescheid vom 21. März 1997 gemäß § 50a Abs. 5 EStG i.V.m. § 73g der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) von der Klägerin die Zahlung von insgesamt 70 395,30 DM. Bei der Berechnung des Haftungsbetrags ging die Finanzbehörde davon aus, dass die Klägerin für die betreffende Leistung eine Bruttovergütung von insgesamt 469 302 DM (= 438 600 DM Nettovergütung zuzüglich 7 v.H. Umsatzsteuer) geschuldet habe und der Steuerabzug gemäß § 50a Abs. 4 Sätze 3, 5 und 6 EStG 15 v.H. der Bruttovergütung (= 16,05 v.H. der Nettovergütung) hätte betragen müssen. Allerdings wurde die abgegoltene Leistung im Haftungsbescheid nicht dem E, sondern einem anderen Vergütungsempfänger (C Inc., USA) zugeordnet.

Auf den Einspruch der Klägerin hin änderte der inzwischen zuständig gewordene Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) den Haftungsbescheid vom 21. März 1997 in der Weise, dass er nunmehr E als Gläubiger der betreffenden Vergütung bezeichnete und statt der ursprünglich geltend gemachten Haftung für Körperschaftsteuer eine Haftung für Einkommensteuer geltend machte. Im Übrigen wies das FA den Einspruch jedoch in diesem Punkt zurück. Auch die daraufhin erhobene Klage war erfolglos, da die Klägerin weiterhin keine Freistellungsbescheinigungen des Bundesamtes für Finanzen (BfF) gemäß § 50d Abs. 3 EStG vorgelegt hatte, nach denen sie den Steuerabzug hätte unterlassen dürfen. Das Urteil des Finanzgerichts (FG), das auch andere Haftungsansprüche wegen eines unterlassenen Steuerabzugs betrifft, ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1553 veröffentlicht.

2. Die Klägerin hat Revision eingelegt. Sie beantragt, das FG-Urteil und den Haftungsbescheid aufzuheben. Zur Begründung hat sie sinngemäß im Wesentlichen vorgetragen:

a) § 50a Abs. 4 Satz 6 EStG, der den Abzug von Betriebsausgaben ausschließe, verstoße gegen Art. 59 und 60 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft --EGV-- (nach dem Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte --EG--, jetzt Art. 49 EG und Art. 50 EG). Das ergebe sich aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 12. Juni 2003 Rs. C-234/01, Gerritse (EuGHE 2003, I-5945, BStBl II 2003, 859). Die Betriebsausgaben seien demnach bereits im Steuerabzugverfahren gemäß § 50a Abs. 4 und 5 Sätze 1 bis 4 EStG und nicht erst in einem nachgelagerten Erstattungsverfahren steuermindernd zu berücksichtigen. Dies müsse sich auch auf den Haftungsanspruch gemäß § 50a Abs. 5 Satz 5 EStG auswirken.

b) Auch § 50d Abs. 1 Satz 4 EStG, der es der Klägerin als Haftungsschuldnerin gemäß § 50a Abs. 5 Satz 5 EStG verwehre, sich auf die dem Gläubiger der Vergütungen --im Streitfall E-- nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiete vom 16. Juni 1959 --DBA-Niederlande-- (BGBl II 1960, 1782) zustehende Steuerbefreiung zu berufen, verstoße gegen den EGV. Da der Vergütungsgläubiger zur Vermeidung eines Verstoßes gegen den EGV bereits im Steuerabzugverfahren die Berücksichtigung von Betriebsausgaben und Steuerbefreiungen nach dem DBA-Niederlande fordern dürfe, müsse dieses Recht zur Vermeidung einer Verletzung des EGV auch dem Haftungsschuldner zustehen.

3. Zur Höhe der Betriebsausgaben, die E in Zusammenhang mit den Leistungen an die Klägerin entstanden sind, hat die Klägerin keine konkreten Angaben gemacht. Die Klägerin besitzt nach ihren Abgaben auch keine Belege über die E entstandenen Aufwendungen.

4. Das FA hält die Revision für unbegründet.

II. Vorlage an den EuGH

Dem EuGH sind die im Tenor dieses Beschlusses formulierten Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Gemäß Art. 234 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Buchst. a EG ist der Senat zur Vorlage verpflichtet. Die Rechtsfragen sind für das Revisionsverfahren entscheidungserheblich und betreffen die Auslegung des EGV. Diese ist dem EuGH vorbehalten, wenn die zutreffende Auslegung des Vertrages nicht derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel an der richtigen Anwendung des Gemeinschaftsrechts keinerlei Raum bleibt (EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, C.I.L.F.I.T., EuGHE 1982, 3415; Ehricke in Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 234 EGV Rn. 44, m.w.N.).

A. Rechtslage nach deutschem Steuerrecht

1. Der angefochtene Haftungsbescheid entspricht dem deutschen Steuerrecht. Dieses regelt für das Jahr 1993 (Streitjahr) die Haftung der Klägerin auf Grund des geschilderten Sachverhalts im Wesentlichen wie folgt:

a) Natürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind --von im Streitfall nicht in Betracht kommenden Ausnahmen (s. § 1 Abs. 2 und 3 EStG) abgesehen-- gemäß § 1 Abs. 4 EStG beschränkt einkommensteuerpflichtig, wenn sie inländische Einkünfte i.S. des § 49 EStG haben. Zu den inländischen Einkünften i.S. des § 49 EStG gehören Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die durch künstlerische Darbietungen im Inland oder durch hiermit zusammenhängende Leistungen erzielt werden (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG). Solche Leistungen hat E im Streitfall erbracht.

b) Die Einkommensteuer wird bei beschränkt Steuerpflichtigen im Wege des Steuerabzugs erhoben (§ 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG). Der Steuerabzug beträgt 15 v.H. des vollen Betrags der Einnahmen; Abzüge für Betriebsausgaben und Steuern sind nicht zulässig (§ 50a Abs. 4 Sätze 3, 5 und 6 EStG). Zu den Einnahmen gehört auch die Umsatzsteuer für die von dem beschränkt einkommensteuerpflichtigen Unternehmer im Inland erbrachten Leistungen. Das gilt nach der Rechtsprechung des vorlegenden Senats (s. Senatsurteile vom 30. Mai 1990 I R 57/89, BFHE 161, 97; vom 8. Mai 1991 I R 14/90, BFH/NV 1992, 291) unabhängig davon, ob der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer an den Vergütungsgläubiger gezahlt hat oder ob auf Grund der sog. Nullregelung des § 52 Abs. 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1993 (UStDV) von der Entrichtung des Steuerbetrags und seiner Geltendmachung als Vorsteuer abgesehen wurde.

c) Der Einkommensteueranspruch entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Vergütung dem Gläubiger der Vergütung zufließt; in diesem Zeitpunkt hat der Schuldner der Vergütung den Steuerabzug für Rechnung des beschränkt steuerpflichtigen Vergütungsgläubigers, der Steuerschuldner ist, vorzunehmen (§ 50a Abs. 5 Sätze 1 und 2 EStG). Der Vergütungsschuldner hat die innerhalb eines Kalendervierteljahrs einbehaltene Steuer jeweils bis zum 10. Tag des dem Kalendervierteljahr folgenden Monats an das für ihn zuständige FA abzuführen und haftet für die Einbehaltung und Abführung der Steuer (§ 50a Abs. 5 Sätze 3 und 5 EStG). Durch den Steuerabzug gilt --von im Streitfall nicht gegebenen Ausnahmen abgesehen-- die Einkommensteuer auf die Einkünfte als abgegolten (§ 50 Abs. 5 EStG); eine Veranlagung des Steuerschuldners scheidet daher aus.

d) Sind die Einkünfte in Deutschland nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) nicht oder nur zu einem niedrigeren Steuersatz als dem des § 50a Abs. 4 Satz 3 EStG zu besteuern, darf der Vergütungsschuldner den Steuerabzug unterlassen oder nach dem niedrigeren Steuersatz vornehmen, wenn das BfF auf Antrag bescheinigt hat, dass die Voraussetzungen des DBA dafür vorliegen (§ 50d Abs. 3 Satz 1 EStG). Fehlt eine derartige Bescheinigung (sog. Freistellungsbescheinigung), sind die Vorschriften über den Steuerabzug auch dann anzuwenden, wenn die betreffenden Einkünfte nach einem DBA nicht oder nur zu einem niedrigeren Steuersatz besteuert werden dürfen (§ 50d Abs. 1 Satz 1 EStG). Daher ist es dem Vergütungsschuldner im Haftungsverfahren verwehrt, sich auf die Rechte des Vergütungsgläubigers aus dem DBA zu berufen (§ 50d Abs. 1 Satz 4 EStG).

Die Haftung der Klägerin wird somit nach deutschem Steuerrecht nicht dadurch ausgeschlossen, dass gemäß Art. 5 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a, Art. 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 DBA-Niederlande das Besteuerungsrecht für die von E erzielten inländischen Einkünfte aus Gewerbebetrieb dem Ansässigkeitsstaat (= Niederlande) zusteht und Deutschland daher diese Einkünfte nicht besteuern darf (Art. 20 Abs. 1 DBA-Niederlande).

Auf Grund der Regelung in § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG verliert der Vergütungsgläubiger jedoch nicht seine Rechte auf Steuerfreistellung oder niedrigere Besteuerung nach dem DBA. Ihm ist vielmehr auf Antrag die einbehaltene und abgeführte Steuer in dem sich aus dem DBA ergebenden Umfang zu erstatten (§ 50d Abs. 1 Satz 2 EStG).

2. Ist der Gläubiger der Vergütungen im Inland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (= Inländer), z.B. weil er eine natürliche Person mit Wohnsitz in Deutschland ist (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG), besteht keine Verpflichtung des Vergütungsschuldners zum Steuerabzug. Eine Haftung wegen eines unterlassenen oder zu geringen Steuerabzugs kommt somit in diesem Fall nicht in Betracht. Der Vergütungsschuldner haftet auch nicht für die Einkommensteuer, die der unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Vergütungsgläubiger auf Grund der erlangten Vergütungen schuldet.

B. Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfragen

Die Revision der Klägerin kann auf Grund der oben (II.A.1.) dargestellten Rechtslage nur dann ganz oder teilweise Erfolg haben, wenn die Verpflichtung der Klägerin, von den an E zu zahlenden Vergütungen einen Steuerabzug vorzunehmen, und die sie flankierende Haftungsregelung nach Grund oder Höhe gegen die Dienstleistungsfreiheit des EGV verstoßen.

1. Wird die vorgelegte Rechtsfrage zu 1. bejaht und die Rechtsfrage zu 2. verneint und ist somit die Haftung der Klägerin bereits dem Grunde nach und unabhängig davon, ob E im Zeitpunkt der Erbringung der Dienstleistungen an die Klägerin die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaats besaß, nicht mit dem EGV vereinbar, hat die Revision in vollem Umfang Erfolg. Das FG-Urteil und der angefochtene Haftungsbescheid für das Streitjahr sind dann wie von der Klägerin beantragt aufzuheben.

2. Werden die vorgelegten Rechtsfragen zu 1. und 2. bejaht, ist die Haftung der Klägerin nur dann bereits dem Grunde nach mit dem EGV unvereinbar, wenn E im Zeitpunkt der Erbringung der Dienstleistungen die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaats besaß. Da das FG dazu bisher keine Feststellungen getroffen hat, ist das FG-Urteil in diesem Fall aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen, damit noch geklärt wird, ob E bei Erbringung der Dienstleistungen die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaats besaß.

3. Wird die vorgelegte Rechtsfrage zu 1. verneint, hängt der Erfolg der Revision und Klage davon ab, inwieweit der Umfang des geltend gemachten Haftungsanspruchs mit dem EGV vereinbar ist. Dazu werden die Rechtsfragen zu 3.a bis d) vorgelegt.

C. Vereinbarkeit des Steuerabzugs und der Haftung mit dem EGV

Der vorlegende Senat hält es für zweifelhaft, ob der Steuerabzug und die ihn flankierende Haftungsregelung mit der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 59 und 60 EGV vereinbar sind. Anders als die Klägerin ist er nicht der Auffassung, dass die Rechtslage durch das EuGH-Urteil in EuGHE 2003, I-5945, BStBl II 2003, 859 bereits im Sinne der Klägerin geklärt ist.

1. Nach dem EuGH-Urteil in EuGHE 2003, I-5945, BStBl II 2003, 859 verstößt es gegen Art. 59 und 60 EGV, wenn Einkünfte, die ein in Deutschland beschränkt einkommensteuerpflichtiger EU-Bürger (sog. Gebietsfremder) durch eine selbständige im Inland ausgeübte künstlerische Darbietung erzielt, als Bruttoeinkünfte --also ohne Abzug der Betriebsausgaben-- besteuert werden, während bei Steuerpflichtigen, die in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind (sog. Gebietsansässige), nur die Nettoeinkünfte --also die Betriebseinnahmen nach Abzug der Betriebsausgaben-- besteuert werden. Nach Auffassung des EuGH besteht bei solchen nationalen Regelungen die Gefahr, dass sie sich hauptsächlich zum Nachteil der Angehörigen anderer EU-Mitgliedstaaten auswirken und damit zu einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit führen (s. Rdnr. 28 des EuGH-Urteils in EuGHE 2003, I-5945, BStBl II 2003, 859).

2. Das EuGH-Urteil enthält keine Aussagen zu den sich im Streitfall stellenden Fragen, ob die Steuererhebung im Wege eines sich nach den Bruttoeinkünften bemessenden Steuerabzugs und die sie flankierende Haftungsregelung auch dann gegen Art. 59 und 60 EGV verstoßende mittelbare Diskriminierungen sind, wenn für den Gebietsfremden die Möglichkeit eröffnet wird, in einem sich an das Steuerabzugverfahren auf Antrag anschließenden Verfahren nach seinen inländischen Nettoeinkünften besteuert zu werden und den etwaigen Differenzbetrag zum Steuerabzugbetrag erstattet zu bekommen (s. Bundesministerium der Finanzen --BMF--, Schreiben vom 3. November 2003, IV A 5 -S 2411- 26/03, Internationales Steuerrecht --IStR-- 2004, 135; s.a. Cordewener, IStR 2004, 109), oder wenn der Gebietsfremde nach den gesetzlichen Regelungen (s. § 50d Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 EStG) auf Grund eines DBA eine Freistellung vom Steuerabzug oder die Erstattung der Abzugsteuer erreichen könnte bzw. bei rechtzeitiger Antragstellung hätte erreichen können.

3. Die Klägerin weist zwar zutreffend darauf hin, dass bereits die Steuererhebung im Wege des Steuerabzugs und die im Fall eines unterlassenen oder zu geringen Steuerabzugs drohende Haftung des Abzugsverpflichteten den Gebietsfremden gegenüber dem Gebietsansässigen benachteiligen und nach Art. 59 und 69 EGV verbotene mittelbare Diskriminierungen sein können. Der Steuerabzug kann z.B. zu Liquiditätsnachteilen des Gebietsfremden führen, die einem gebietsansässigen Vergütungsgläubiger, dessen Betriebseinnahmen in der Regel keinem Steuerabzug unterliegen (zu Ausnahmen bei Vergütungen für Bauleistungen, s. §§ 48 ff. EStG in der jetzigen Fassung), nicht entstehen. Der Steuerabzug ist für den Gebietsfremden auch mit dem Risiko verbunden, trotz Einbehalt der Abzugsteuer durch den Vergütungsschuldner keine Erstattung gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG zu erlangen, wenn der Vergütungsschuldner die einbehaltene Abzugsteuer nicht abgeführt hat. Die Abzugverpflichtung des Vergütungsschuldners und sein Haftungsrisiko im Fall eines zu geringen Steuerabzugs sind auch Wettbewerbsnachteile der Gebietsfremden. Sie können die Vergütungsschuldner veranlassen, zur Vermeidung der mit dem Steuerabzug verbundenen Kosten und Risiken Dienstleistungen Gebietsansässiger statt entsprechender Leistungen Gebietsfremder in Anspruch zu nehmen. Das Abzugverfahren und die Haftungsregelung können somit grenzüberschreitende Dienstleistungen innerhalb der EU gegenüber Dienstleistungen innerhalb eines Mitgliedstaats erschweren und dadurch der Zielsetzung des Art. 59 EGV zuwiderlaufen (s. EuGH-Urteil vom 3. Oktober 2002 Rs. C-136/00, Danner, Rdnr. 29, EuGHE 2002, I-8171; vgl. auch EuGH-Urteil vom 5. Oktober 1994, Rs. C-381/93, Kommission/ Frankreich, Rdnr. 17, EuGHE 1994, I-5161).

4. Die mit dem Steuerabzugverfahren und der Haftungsregelung verbundenen Nachteile für den Gebietsfremden und Belastungen für den Vergütungsschuldner sind jedoch möglicherweise gerechtfertigt.

a) Das Abzugverfahren und die zu seiner Absicherung dienende und es ergänzende Haftungsregelung sind legitime und sachgerechte Mittel, um Gebietsfremde mit ihren inländischen Einkünften steuerlich zu erfassen und eine Nichtbesteuerung der Einkünfte im Inland und im Ansässigkeitsstaat zu verhindern (vgl. den in Rdnr. 33 des EuGH-Urteils in EuGHE 2003, I-5945, BStBl II 2003, 859 wiedergegebenen Vortrag der finnischen Regierung und der deutschen Finanzbehörde). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass vor der Änderung der Richtlinie 76/308/EWG vom 15. März 1976 --sog. Beitreibungsrichtlinie-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 73/18 vom 19. März 1976) durch die Richtlinie 2001/44/EG vom 15. Juni 2001 (ABlEG L 175/17 vom 28. Juni 2001) und dem am 23. Juni 2001 in Kraft getretenen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die gegenseitige Amtshilfe bei der Beitreibung von Steueransprüchen und der Bekanntgabe von Schriftstücken vom 21. Mai 1999 (BGBl II 2001, 2, BStBl I 2001, 66; zum Datum des In-Kraft-Tretens s. BGBl II 2001, 691, BMF-Schreiben vom 6. September 2001, BStBl I 2001, 613) die Niederlande nicht verpflichtet waren, in Fällen wie dem Streitfall deutsche Einkommensteueransprüche beizutreiben (BMF-Schreiben vom 20. Januar 2000, Tz. 4.8., BStBl I 2000, 102, 109).

b) Die Bemessung der im Wege des Steuerabzugs erhobenen Einkommensteuer nach den Bruttoeinkünften verstößt --vorbehaltlich eines sich auf Antrag des Gebietsfremden anschließenden Erstattungsverfahrens-- nach Auffassung des erkennenden Senats nicht gegen Art. 59 und 60 EGV, da der Vergütungsgläubiger den zum Steuerabzug verpflichteten Vergütungsschuldner in der Regel nicht über die Höhe seiner Betriebsausgaben informiert, insbesondere deshalb nicht, um seine Kalkulationsgrundlagen und seine Gewinnspanne sowie etwaige Betriebsgeheimnisse nicht offen zu legen. Forderte man, dass der gebietsfremde Dienstleistungserbringer die mit seiner Leistung wirtschaftlich zusammenhängenden Aufwendungen dem Kunden mitteilt, damit die Abzugsteuer nach den Nettoeinkünften bemessen werden kann, könnte der grenzüberschreitende Dienstleistungsverkehr nicht unerheblich erschwert werden. Eine entsprechende Regelung wäre daher ihrerseits eine mittelbare Diskriminierung.

D. Umfang der passiven Dienstleistungsfreiheit

1. Schließlich könnte der Ausgang des Rechtsstreits davon abhängen, ob E --was das FG bislang nicht festgestellt hat-- im Streitjahr Staatsangehöriger eines EG-Mitgliedstaats war oder nicht. Art. 59 Abs. 1 EGV betrifft seinem Wortlaut nach nur Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der EU für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind. Natürliche Personen sind nur dann Angehörige eines Mitgliedstaats, wenn sie die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen (Art. 8 Abs. 1 EGV; nach Änderung jetzt Art. 17 Abs. 1 EG).

2. Der Rat konnte zwar nach Art. 59 Abs. 2 EGV (jetzt Art. 49 Abs. 2 EG) mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission beschließen, dass das die Dienstleistungen betreffende Kapitel des EGV auch auf Erbringer von Dienstleistungen Anwendung findet, welche die Staatsangehörigkeit eines Nicht-Mitgliedstaats besitzen und innerhalb der Gemeinschaft ansässig sind. Ein solcher Beschluss wurde aber bislang nicht gefasst (s. Müller-Graff in Streinz, a.a.O., Art. 49 EGV Rn. 57; Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 5. Aufl., 1997, Art. 59 Rn. 50).

3. Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung verleiht Art. 59 EGV jedoch nicht nur dem Erbringer der Dienstleistungen, sondern auch dem Empfänger der Leistungen Rechte (s. EuGH-Urteil vom 26. Oktober 1999 Rs. C-294/97, Eurowings Luftverkehr AG, Rdnr. 34, EuGHE 1999, I-7463, BStBl II 1999, 851). Im Schrifttum wird dazu die Auffassung vertreten, diese sog. passive Dienstleistungsfreiheit setze nicht voraus, dass der Leistungserbringer Staatsangehöriger eines EU-Mitgliedstaats ist (s. Müller-Graff, a.a.O., Art. 49 EGV Rn. 55; Randelzhofer/ Forsthoff in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 49, 50 EGV, Rn. 17; Völker, Passive Dienstleistungsfreiheit, S. 197).

4. Der vorlegende Senat hat wegen Art. 59 Abs. 2 EGV Zweifel, ob diese Auslegung des EGV zutreffend ist. Er legt deshalb die Rechtsfragen zu 2. und 3.d) dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Sie sind ggf. entscheidungserheblich. Je nachdem, wie der EuGH die entsprechenden Vorfragen beantwortet, kann von der Antwort auf diese weiteren Rechtsfragen abhängen, ob die Sache zur Klärung der Staatsangehörigkeit des E an das FG zurückzuverweisen ist.

III. Aussetzung des Revisionsverfahrens

Das Revisionsverfahren wird in entsprechender Anwendung der §§ 74, 121 der Finanzgerichtsordnung bis zur Bekanntgabe der Entscheidung des EuGH über die vorgelegten Rechtsfragen ausgesetzt.

Ende der Entscheidung

Zurück