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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 19.05.1998
Aktenzeichen: I R 44/97
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977


Vorschriften:

FGO § 100 Abs. 1 Satz 1
FGO § 102
FGO § 101 Satz 2
FGO § 74
AO 1977 § 191
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war bis zum 11. Januar 1994 Gesellschafter-Geschäftsführerin einer GmbH.

Für die Wirtschaftsjahre 1986 bis 1989 kam es zwischen der GmbH und dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) zum Streit darüber, ob Provisionszahlungen, die die GmbH an eine in Panama ansässige Domizilgesellschaft gezahlt hatte, als Betriebsausgaben abzugsfähig seien. Das FA verneinte dies, erließ am 2. Januar 1992 entsprechend geänderte Körperschaftsteuerbescheide, wies die Einsprüche der GmbH als unbegründet zurück und lehnte deren Anträge auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) ab. Gleichermaßen blieb die GmbH vor dem Finanzgericht (FG) mit ihrer Klage und ihrem auch dort gestellten Antrag auf AdV erfolglos. Das FG entschied am 12. Oktober 1993 über den AdV-Antrag und am 6. Juni 1994 über die Klage.

Am 3. Februar 1994 wurde die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der GmbH beantragt. Dieser Antrag wurde am 28. April 1994 abgelehnt. Da Vollstreckungsversuche in das Vermögen der GmbH scheiterten, nahm das FA die Klägerin am 26. September 1994 für die die Jahre 1986 bis 1993 betreffende Körperschaftsteuerrückstände, Solidaritätszuschläge 1991 und 1992 und Säumniszuschläge der GmbH in Höhe von zunächst 540 027 DM durch Haftungsbescheid in Anspruch. Die Klägerin legte Einspruch ein. Das FA entschied durch Einspruchsentscheidung vom 30. März 1995 zunächst nur über die Haftung wegen Körperschaftsteuer 1986 und 1987 und setzte die Haftungsschuld wegen Körperschaftsteuer 1986 auf 4 122,85 DM herab. Hinsichtlich des Haftungsanspruchs wegen Körperschaftsteuer 1987 wies es den Einspruch als unbegründet zurück.

Dagegen wandte sich die Klägerin u.a. mit dem Einwand, der für die Bestimmung der Haftungsquote maßgebliche Haftungszeitraum beginne frühestens mit der Entscheidung des FG über den AdV- Antrag am 12. September 1993; zuvor seien keine Zahlungen zu leisten gewesen.

Das FG hat auf die Klage der Klägerin, mit der sie die Aufhebung des Haftungsbescheides in der Gestalt der Einspruchsentscheidung beantragt hat, nur die Einspruchsentscheidung des FA wegen mangelnder Bestimmtheit und unzulänglicher Ermessenserwägungen aufgehoben und dieses verpflichtet, über den Einspruch der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung erneut zu entscheiden. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 402 auszugsweise veröffentlicht.

Ihre Revision begründet die Klägerin mit Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Klägerin beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und den angefochtenen Haftungsbescheid aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Das FG hat durch sein Urteil allein die Einspruchsentscheidung des FA aufgehoben, weil diese inhaltlich unbestimmt sei und überdies Ermessensfehler aufweise. Diese Vorgehensweise ist zu beanstanden. Das FG hat dadurch gegen seine verfahrensrechtliche Bindung an den im Klageverfahren gestellten Antrag der Klägerin verstoßen.

1. Erhebt der Steuerpflichtige gegen einen gegen ihn ergangenen Bescheid Klage vor dem FG, erweist sich dieser Bescheid im Klageverfahren als rechtswidrig und verletzt er den Kläger in seinen Rechten, so hebt das Gericht gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht nur --ganz oder teilweise-- den angefochtenen Bescheid auf, sondern auch die hierzu ergangene außergerichtliche Rechtsbehelfsentscheidung. Die Aufhebung allein der Rechtsbehelfsentscheidung kommt regelmäßig nicht in Betracht. Der Steuerpflichtige wird in erster Linie durch den zugrundeliegenden Steuer- oder Haftungsbescheid belastet, nicht zusätzlich oder gar allein durch die Einspruchsentscheidung. Beide bilden insoweit eine Verfahrenseinheit. Gegenstand der Anfechtungsklage ist demzufolge der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat (§ 44 Abs. 2 FGO).

Ausnahmsweise kann zwar auch allein die Rechtsbehelfsentscheidung aufgehoben werden. Allerdings kommt dies nur dann in Betracht, wenn der Kläger lediglich durch diese Entscheidung beschwert und damit in seinen Rechten verletzt ist. Voraussetzung für die isolierte Aufhebung der Rechtsbehelfsentscheidung ist in Fällen der Anfechtungsklage überdies, daß der Kläger einen entsprechenden --eingeschränkten-- Antrag gestellt hat. Ansonsten ist das Gericht gehalten, den Klageantrag auszuschöpfen; es ist an das vom Kläger zu bestimmende Klagebegehren gebunden und kann nicht von sich aus seine Entscheidung auf die Aufhebung der Einspruchsentscheidung beschränken (einhellige Auffassung, vgl. Bundesfinanzhof --BFH--, Urteile vom 23. April 1985 VIII R 282/81, BFHE 144, 326, BStBl II 1985, 711; vom 27. Juni 1989 VIII R 357/83, BFH/NV 1990, 175; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 102 Rz. 18 i.V.m. § 44 Rz. 36; Schmidt-Troje in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 100 FGO Rz. 27 ff.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 100 FGO Tz. 10 a.E.; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 100 FGO Rz. 27 unter Hinweis auf Steinhauff, ebd., § 44 FGO Rz. 159 ff.).

2. So verhält es sich auch im Streitfall. Die Klägerin hat ausweislich der Vorentscheidung und der Niederschrift über die mündliche Verhandlung beantragt, den angefochtenen Haftungsbescheid des FA in der Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben. Folglich war der Haftungsbescheid wegen Körperschaftsteuer 1986 und 1987 in Gestalt der Einspruchsentscheidung Gegenstand des Rechtsstreits und nicht allein die Einspruchsentscheidung. Da das FG zu der Erkenntnis gelangt ist, daß die Einspruchsentscheidung inhaltlich unbestimmt ist und außerdem Ermessensfehler aufweist, hätten deshalb auch beide Bescheide aufgehoben werden müssen. Für die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung, die dem Haftungsbescheid lediglich die letztverbindliche "Gestalt" gibt, war kein Raum. Daß der Haftungsinanspruchnahme der Klägerin eine Ermessensentscheidung zugrunde liegt (vgl. § 191 der Abgabenordnung --AO 1977--), deren gerichtliche Nachprüfung nur in den Grenzen des § 102 FGO zulässig ist, ändert daran --anders als bei der Verpflichtungsklage, vgl. § 101 Satz 2 FGO-- grundsätzlich nichts (vgl. auch Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 102 FGO Rz. 57 ff.). Ob unter solchen Umständen gegebenenfalls der Weg gangbar ist, zunächst durch Teilurteil nur die Einspruchsentscheidung aufzuheben und das Verfahren im übrigen wegen vorläufig noch fehlender Spruchreife auszusetzen (§ 74 FGO), bis das FA erneut über den Einspruch entschieden hat (vgl. dazu Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Aufl., § 79 Rz. 5, § 113 Rz. 2, m.w.N. zur verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung), kann unentschieden bleiben; das FG hat diesen Weg nicht beschritten. Es hat vielmehr den weiterreichenden Klageantrag der Klägerin und seine Bindung an den Klageantrag (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) nicht beachtet.

Der darin liegende Verfahrensfehler verstößt gegen die Grundordnung des Verfahrens. Er war vom erkennenden Senat von Amts wegen zu berücksichtigen, unabhängig davon, daß er im Ergebnis auch von der Klägerin gerügt worden ist (Gräber/Ruban, a.a.O., § 118 Rz. 50, m.w.N.).

3. Bei dieser Rechtslage braucht der Senat zu den übrigen im Streit stehenden Fragen keine Stellung zu nehmen.



Ende der Entscheidung

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