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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 18.09.2007
Aktenzeichen: I R 93/06
Rechtsgebiete: BGB, EStG, LStDV, KStG


Vorschriften:

BGB § 26
BGB §§ 80 ff.
BGB § 86
EStG § 1 Abs. 4
EStG § 19 Abs. 1
EStG § 39d
EStG § 39d Abs. 3 Satz 4
EStG § 39b Abs. 6
EStG § 42d
EStG § 42d Abs. 1 Nr. 1
EStG § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a
EStG § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c
LStDV § 1 Abs. 2
LStDV § 1 Abs. 3
KStG § 1 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine inländische gemeinnützige Stiftung i.S. von §§ 80 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) mit Sitz in Berlin. Vorstand der Stiftung ist T. T hatte bis zum 31. Dezember 1997 seinen Wohnsitz in Deutschland. 1998 verzog er nach Spanien. Seit 1. Juli 1999 (Streitjahr) hat er seinen Wohnsitz in X (Türkei). T übte seine Leitungstätigkeit für die Klägerin sowohl im Inland als auch im Ausland aus. Nach dem Anstellungsvertrag, der mit Erreichen des Rentenalters endet, hat T Anspruch auf Erholungsurlaub; seine tägliche Arbeitszeit beträgt acht Stunden. Die Klägerin behielt für das Gehalt von T in den Jahren 1998 bis 2000 keine Lohnsteuer ein.

Nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Auffassung, das Gehalt von T unterliege gemäß Art. 16 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 16. April 1985 --DBA-Türkei-- (BGBl II 1989, 867) ab dem 1. Juli 1999 der deutschen Steuerpflicht. Er erließ gegenüber der Klägerin einen auf § 42d des Einkommensteuergesetzes (EStG) gestützten Haftungsbescheid, mit dem er die Klägerin wegen der nicht einbehaltenen und abgeführten Lohnsteuer zuzüglich des Solidaritätszuschlags für das Streitjahr in Haftung nahm.

Die hiergegen gerichtete Klage, mit der die Klägerin im Wesentlichen geltend machte, Art. 16 Abs. 2 DBA-Türkei greife nicht ein, weil eine Stiftung keinen "nach Handelsrecht" verantwortlichen Leiter habe, wies das Finanzgericht (FG) Berlin mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 244 veröffentlichtem Urteil vom 16. Oktober 2006 9 K 2168/03 ab.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt, das Urteil des FG sowie den Lohnsteuerhaftungsbescheid und Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer in der Fassung der Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Lohnsteuer 1999 auf 608,44 € und den Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer 1999 auf 15,75 € herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet; das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Feststellungen des FG ermöglichen keine abschließende Beurteilung, inwieweit der angefochtene Haftungsbescheid rechtmäßig ist.

1. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat.

a) Das FG ist in Übereinstimmung mit den Beteiligten zutreffend davon ausgegangen, dass T als Arbeitnehmer i.S. von § 19 Abs. 1 EStG i.V.m. § 1 Abs. 2 und 3 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung für die Klägerin tätig war. Er bezog ein festes Gehalt, hatte feste Arbeitszeiten und Anspruch auf Erholungsurlaub. Diese Einkünfte unterlagen 1999 mangels eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts im Inland gemäß § 1 Abs. 4 EStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a und c EStG der beschränkten Einkommensteuerpflicht.

b) Der Arbeitgeber hat für beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer nach Maßgabe des § 39d EStG den Lohnsteuerabzug durchzuführen. Jedoch unterliegen nach einem DBA steuerfreie Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit auch dann nicht dem Lohnsteuerabzug, wenn keine Freistellungsbescheinigung gemäß § 39d Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 39b Abs. 6 EStG erteilt wurde (Senatsurteil vom 10. Mai 1989 I R 50/85, BFHE 157, 142, BStBl II 1989, 755).

2. In welchem Umfang die Klägerin danach von den Vorstandsbezügen des T Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen hatte, kann nach den Feststellungen des FG nicht abschließend beurteilt werden. Zwar können die Bezüge in Deutschland nicht gemäß Art. 16 Abs. 2 DBA-Türkei besteuert werden. Das Besteuerungsrecht steht Deutschland jedoch insoweit zu, als die Tätigkeit im Inland ausgeübt wurde (Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Türkei).

a) Gemäß Art. 16 Abs. 2 DBA-Türkei, der Art. 15 Abs. 1 Satz 1 DBA-Türkei vorgeht, können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person in ihrer Eigenschaft als nach dem Handelsrecht verantwortlicher Leiter einer im anderen Vertragsstaat ansässigen Gesellschaft bezieht, im anderen Staat besteuert werden.

Die Klägerin ist als Stiftung eine "Gesellschaft" im Sinne dieser Vorschrift, denn nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. d DBA-Türkei umfasst der im Abkommen verwendete Ausdruck "Gesellschaft" juristische Personen oder Rechtsträger, die für die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden, demnach die in § 1 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes genannten Steuersubjekte. T hat seinen Lohn auch in seiner Eigenschaft als verantwortlicher Leiter (§ 86 i.V.m. § 26 BGB) einer im Inland ansässigen Gesellschaft bezogen. Die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 DBA-Türkei sind aber deshalb nicht erfüllt, weil T als Stiftungsvorstand nicht als "nach dem Handelsrecht" verantwortlicher Leiter anzusehen ist. Denn hierunter fallen nach allgemeinem Wortverständnis nur Leiter gewerblicher Unternehmen im Sinne des Handels- und Gesellschaftsrechts, nicht dagegen Stiftungs- oder Vereinsvorstände, deren Funktion sich aus § 26 BGB bzw. aus § 86 i.V.m. § 26 BGB ergibt.

Der Begriff "nach dem Handelsrecht" kann allerdings nicht so verstanden werden, dass hierunter nur Leiter der im deutschen Handelsgesetzbuch (allein) geregelten Personengesellschaften fallen, weil andernfalls Art. 16 Abs. 2 DBA-Türkei aus deutscher Sicht leer liefe. Denn Personengesellschaften sind keine Gesellschaften i.S. des Art. 3 Abs. 1 Buchst. d DBA-Türkei. Vielmehr ist Handelsrecht in einem auch das Gesellschaftsrecht umfassenden Sinn zu verstehen, so dass insbesondere die Vergütungen von Geschäftsführern von GmbH und Vorständen von Aktiengesellschaften von der Vorschrift erfasst werden (Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, DBA-Türkei, Art. 16 Rz 16; Wilke in Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA, DBA-Türkei, Art. 16 Rz 2).

Dies bedeutet jedoch nicht, dass über den Wortlaut des Art. 16 Abs. 2 DBA-Türkei hinaus auch Vergütungen von Vereins- und Stiftungsvorständen in den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen. Dies wäre nur möglich, wenn Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Vertragsstaaten in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung die Gehälter sämtlicher leitender Organe juristischer Personen einbeziehen wollten. Dies ist jedoch nicht der Fall. Weder der Denkschrift zum DBA-Türkei (BTDrucks 10/5974, S. 27 zu Art. 16 und 11/5288, S. 29 zu Art. 16) noch anderen Unterlagen lässt sich ein dahingehender Wille der Vertragsstaaten entnehmen. Vielmehr spricht der Umstand, dass andere DBA, die ebenfalls Erweiterungen gegenüber Art. 16 des OECD-MA enthalten, z.T. einen von Art. 16 Abs. 2 DBA-Türkei abweichenden Wortlaut haben, dafür, dass Vergütungen von Vereins- und Stiftungsvorständen nicht erfasst werden sollten. Das gilt zum Beispiel für Art. 16 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 24. August 2000 (BStBl I 2002, 584) oder Art. 16 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kasachstan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 26. November 1997 (BStBl I 1998, 1030). Diese beziehen einschränkungslos Vergütungen von Geschäftsführern und Vorständen und damit auch Vergütungen von Vereins- und Stiftungsvorständen mit ein (vgl. Wilke in Gosch/Kroppen/ Grotherr, a.a.O., DBA-Österreich, Art. 16 Rz 6). Diese unterschiedliche Wortwahl legt die Vermutung nahe, dass damit eine gegenüber Art. 16 Abs. 2 DBA-Türkei abweichende Regelung bezweckt war.

Eine erweiternde Auslegung von Art. 16 Abs. 2 DBA-Türkei ist schließlich auch nicht --wie das FG meint-- nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geboten. Zum einen stellt die wechselseitige Zuordnung des Besteuerungszugriffs durch die Vertragsstaaten ein hinreichendes Abgrenzungsmerkmal dar, um eine Ungleichbehandlung der Vergütungen von Geschäftsführern und Vorständen gewerblicher Unternehmen und anderer juristischen Personen zu rechtfertigen und einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG auszuschließen. Zum anderen ähneln Vergütungen von Geschäftsführern von GmbH und Vorständen von Aktiengesellschaften Tätigkeitsvergütungen von Gesellschaftern von Personengesellschaften, was eine unterschiedliche Behandlung gegenüber den Tätigkeitsvergütungen anderer leitender Organe juristischer Personen ermöglicht. b) Deutschland steht jedoch gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Türkei insoweit ein Besteuerungsrecht zu, als T seine Tätigkeit in Deutschland ausgeübt hat.

Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 DBA-Türkei können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Tätigkeit bezieht, nur in diesem Staat (Ansässigkeitsstaat) besteuert werden. Als Ausnahme dazu bestimmt jedoch Satz 2 der Vorschrift, dass Einkünfte aus einer im anderen Staat ausgeübten Tätigkeit in diesem Staat (Tätigkeitsstaat) besteuert werden dürfen. Diese Regelung greift im Streitfall ein, da nach den Feststellungen des FG T seine Tätigkeit für die Klägerin zum Teil auch in Deutschland ausgeübt hat. Insoweit steht das Besteuerungsrecht Deutschland zu und hat die Klägerin zu Unrecht die Lohnsteuer nicht einbehalten und abgeführt.

Eine abweichende Beurteilung ergibt sich nicht aus Art. 15 Abs. 2 DBA-Türkei.

Nach dieser Vorschrift können Einkünfte einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person aus einer im anderen Vertragsstaat ausgeübten nichtselbständigen Tätigkeit nur im Ansässigkeitsstaat besteuert werden, wenn (a) der Empfänger sich im Tätigkeitsstaat nicht länger als 183 Tage während des betreffenden Kalenderjahres aufhält, (b) die Vergütungen von einem oder für einen Arbeitgeber bezahlt werden, der nicht im Tätigkeitsstaat ansässig ist und (c) die Vergütungen nicht von einer Betriebsstätte oder festen Einrichtung des Arbeitgebers im Tätigkeitsstaat getragen werden. Die Norm statuiert mithin ein ausschließliches Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaates, das aber nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Regelungen voraussetzt, dass alle dort genannten Bedingungen (kumulativ) erfüllt sind. Fehlt es auch nur an einer von ihnen, so bleibt es bei Einkünften aus einer im anderen Vertragsstaat ausgeübten nichtselbständigen Tätigkeit bei dem Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaates gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Türkei.

Im Streitfall fehlt es an der in Art. 15 Abs. 2 Buchst. b DBA-Türkei genannten Voraussetzung. Denn die Vergütungen sind von einem Arbeitgeber bezahlt worden, der im Inland ansässig war. Die Klägerin ist eine nach §§ 80 ff. BGB gegründete Stiftung mit Sitz im Inland und ist daher gemäß Art. 4 Abs. 1 DBA-Türkei in Deutschland ansässig.

3. Da Deutschland das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Vorstandsvergütung nur insoweit gebührt, als die Arbeit im Inland tatsächlich ausgeübt wurde, die Feststellungen des FG aber keine Aussagen über den zeitlichen Umfang der im In- und Ausland ausgeübten Tätigkeit enthalten, ist die Sache nicht spruchreif. Die Sache ist daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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