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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 11.08.2000
Aktenzeichen: II B 119/99
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, ErbStG


Vorschriften:

AO 1977 § 174 Abs. 4 und 5
FGO § 121 i.V.m.
FGO § 62 Abs. 3 Satz 1
FGO § 135 Abs. 2
ErbStG § 10 Abs. 5 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer zu 1. (Kläger) ist Miterbe der am ... Januar 1993 verstorbenen Frau K. K hatte in ihrem Testament u.a. angeordnet, dass die Beigeladenen zu 2. bis 5. und Beschwerdeführer zu 3. bis 6. (Beigeladene zu 2. bis 5.) sowie die Beigeladene zu 6. Vermächtnisse in Höhe von jeweils 1/10 des Bar- und Wertpapiervermögens erhalten sollten, das nach Begleichung näher bezeichneter Nachlassverbindlichkeiten verblieb.

Der Kläger und die Beigeladenen zu 2. bis 5. vereinbarten am 4. September 1993 zur "Vermeidung möglicher Anfechtungen und Auseinandersetzungen", dass der Kläger auf die Vermächtnisansprüche einmalig einen Betrag von jeweils ... DM zu zahlen habe.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) ging bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer gegen die Beigeladenen zu 2. bis 5. von Vermächtniserwerben in Höhe von jeweils ... DM aus. Gegen den Kläger setzte es Erbschaftsteuer in Höhe von ... DM fest. Als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigte es u.a. die Verbindlichkeiten aus den Vermächtnissen der Beigeladenen zu 2. bis 5. in Höhe von jeweils ... DM. Gegen die Beigeladene zu 6. erließ das FA keinen Bescheid.

Mit der Klage begehrt der Kläger die Herabsetzung der gegen ihn festgesetzten Erbschaftsteuer auf null DM. Er macht geltend, das FA habe zu Unrecht positives Betriebsvermögen angesetzt und weder seine Testamentsvollstreckervergütung noch latente Steuerbelastungen steuermindernd berücksichtigt.

Das Finanzgericht (FG) hat durch Beschluss vom 27. Mai 1999 auf Antrag des FA die Beigeladenen zu 2. bis 6. zum Verfahren beigeladen. Für den Fall, dass die Steuerfestsetzung gegen den Kläger zu seinen Gunsten zu ändern sei, weil der Wert der zugunsten der Beigeladenen zu 2. bis 6. ausgesetzten Vermächtnisse zu niedrig angesetzt worden sei, könnten gegenüber den Beigeladenen zu 2. bis 6. aus diesem Sachverhalt nur bei einer Beiladung nach § 174 Abs. 4 und 5 der Abgabenordnung (AO 1977) die richtigen steuerlichen Folgen gezogen werden.

Mit ihrer dagegen gerichteten Beschwerde begehren der Kläger und die Beigeladenen zu 1. bis 5. die Aufhebung des Beiladungsbeschlusses. Der Prozessvertreter hat trotz Ankündigung, schriftliche Vollmachten der Beigeladenen zu 1. bis 5. vorzulegen, keine entsprechenden Nachweise über eine Bevollmächtigung nachgereicht.

II. Die Beschwerde der Beigeladenen zu 1. bis 5. ist als unzulässig zu verwerfen; die des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

1. Die Beschwerde der Beigeladenen zu 1. bis 5. ist unzulässig, weil es an einer Sachentscheidungsvoraussetzung fehlt. Nach § 121 i.V.m. § 62 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hat ein Prozessvertreter seine Bevollmächtigung durch eine schriftliche Vollmacht nachzuweisen. Die ordnungsgemäße schriftliche Vollmacht ist Sachentscheidungs- und Prozesshandlungsvoraussetzung (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. November 1993 VIII R 7/93, BFH/NV 1994, 891). Ihr Vorliegen ist daher auch in einem Beschwerdeverfahren vor dem BFH von Amts wegen zu prüfen (§ 62 Abs. 3 Satz 2 FGO; vgl. auch Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 128 Rz. 12, Vor § 115 Rz. 22 a.E.). Wird die schriftliche Vollmacht --wie im Streitfall-- nicht vorgelegt, so ist der Rechtsbehelf wegen Fehlens einer Sachentscheidungsvoraussetzung unabhängig davon unzulässig, ob die Vollmachtsvorlage unterblieben ist, obwohl eine Vollmacht vorhanden war, oder ob die Vollmacht nicht vorgelegt wurde, weil sie gar nicht erteilt worden ist (BFH-Urteil vom 11. Januar 1980 VI R 11/79, BFHE 129, 305, BStBl II 1980, 229).

2. Die Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Das FG hat zutreffend bejaht, dass die Voraussetzungen für eine Beiladung der Vermächtnisnehmer (Beigeladenen zu 2. bis 6.) gemäß § 174 Abs. 4 und 5 AO 1977 vorliegen.

Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgen gezogen werden (§ 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977). Dies gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid durch das Gericht aufgehoben oder geändert wird (§ 174 Abs. 4 Satz 2 AO 1977). Gegenüber Dritten gelten diese Vorschriften, wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids geführt hat, beteiligt waren (§ 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977). Ihre Hinzuziehung oder Beiladung zu diesem Verfahren ist zulässig (§ 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977). Erforderlich für eine Beiladung ist lediglich, dass ein Steuerbescheid möglicherweise wegen irriger Beurteilung eines Sachverhalts aufzuheben oder zu ändern ist und hieraus rechtliche Folgerungen bei einem Dritten zu ziehen sind (BFH-Beschluss vom 19. Mai 1981 VIII B 90/79, BFHE 133, 348, BStBl II 1981, 633) und dass das FA die Beiladung des Dritten beantragt oder veranlasst hat (BFH-Beschluss vom 27. Januar 1982 VIII B 141/81, BFHE 134, 537, BStBl II 1982, 239).

Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor, weil im vorliegenden Klageverfahren eine Aufhebung oder Änderung des gegen den Kläger ergangenen Erbschaftsteuerbescheids möglich erscheint und dazu führen kann, dass sich die bisherige Besteuerung der Erwerbe der Beigeladenen als unzutreffend erweist. Das FG hat in seinem Beschluss vom 22. Februar 1996 im Verfahren betreffend die Aussetzung der Vollziehung des gegen den Kläger ergangenen Erbschaftsteuerbescheides u.a. angenommen, dass derartige Steuerschulden mangels Aufgabe des zum Nachlass gehörenden Betriebs der K nicht entstanden seien. Erweist sich diese rechtliche Würdigung auch im Hauptsacheverfahren als zutreffend und ist erbschaftsteuerrechtlich --wovon das FG im Beschluss vom 22. Februar 1996 jedenfalls bei summarischer Prüfung rechtsfehlerfrei ausgegangen ist (vgl. BFH-Beschluss vom 30. Oktober 1996 II B 85/96, BFH/NV 1997, 333)-- von der Rechtslage auszugehen, die sich aufgrund des Testaments der K ergibt und nicht von einer sich erst durch die Vereinbarungen des Klägers mit den Beigeladenen ergebenden, davon abweichenden Rechtslage, so wäre der Erwerb des Klägers im Hinblick auf § 10 Abs. 5 Nr. 2 des Erbschaftsteuergesetzes zu hoch angesetzt, die damit korrespondierenden Erwerbe der Beigeladenen hingegen zu niedrig.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO. Steuerberater X sind die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner neben dem Kläger (§ 59 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes; vgl. ferner BFH-Beschluss vom 9. August 1988 VII E 4/88, BFHE 154, 307, BStBl II 1989, 46) aufzuerlegen, weil er --trotz eigener Ankündigung und eines schriftlichen Hinweises-- keine Vollmachten der Beigeladenen zu 1. bis 5. beigebracht hat (BFH-Urteil vom 10. November 1966 V R 46/66, BFHE 87, 1, BStBl III 1967, 5).



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