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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 31.08.2006
Aktenzeichen: II B 141/05
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 129
FGO § 46
FGO § 46 Abs. 1 Satz 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist zu 1/3 Miterbe nach seinem am 18. Juli 1984 verstorbenen Vater (V). Das damals zuständige Finanzamt (FA) X setzte die Erbschaftsteuer gegen den Kläger mit Bescheid vom 29. November 1985 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung zunächst erklärungsgemäß fest.

Am 17. November 1988 erhöhte das FA X die Festsetzung. Hiergegen legte der Kläger am 21. November 1988 wegen zahlreicher Einzelpunkte Einspruch ein. Am selben Tag begann beim Kläger eine wegen der Erbschaftsteuerfestsetzung angeordnete Außenprüfung. Nach Abschluss der Außenprüfung setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das FA) die Erbschaftsteuer mit Bescheid vom 30. Dezember 1998 weiter herauf.

Eine Einspruchsentscheidung gegen den Kläger ist bisher nicht ergangen. Allerdings erließ das FA am 1. Juni 2001 gegen Z, der zu 1/6 Miterbe nach V ist, eine Einspruchsentscheidung, gegen die Klage erhoben wurde. Im Verfahren des Z waren zunächst dieselben Rechtsfragen streitig wie im vorliegenden Verfahren; seit dem Erlass eines auf § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Änderungsbescheids gegen Z am 21. März 2002 geht es dort zusätzlich um Fragen der Anwendbarkeit des § 129 AO 1977, die vorliegend nicht von Bedeutung sind. Über die von Z erhobene Klage entschied das Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 7. Juli 2005, das Z mit einer Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen hat.

Auf die Bitte des Klägers um Erlass einer Einspruchsentscheidung auch in seinem Verfahren teilte das FA mit, das Verfahren des Z sei herausgegriffen worden, um es als Musterfall gerichtlich entscheiden zu lassen und unnötigen Verwaltungsaufwand sowie Kostenrisiken zu vermeiden. Bei der Bearbeitung der noch offenen Einsprüche des Klägers und zweier weiterer Miterben werde das rechtskräftige Ergebnis des Musterverfahrens berücksichtigt.

Daraufhin erhob der Kläger am 18. März 2002 Untätigkeitsklage, die das FG mit Urteil vom 7. Juli 2005 als unzulässig verwarf. Zur Begründung führte es aus, dem Kläger sei vor Erhebung der Untätigkeitsklage ein zureichender Grund für das Zurückstellen des Erlasses der Einspruchsentscheidung mitgeteilt worden. Das anhängige Musterverfahren stelle --auch ohne ein förmliches Ruhen oder eine Aussetzung des Verfahrens-- einen solchen zureichenden Grund dar. Die im Musterverfahren zusätzlich zu beurteilenden Rechtsfragen zu § 129 AO 1977 brächten keine gravierenden Unterschiede in der Rechtslage mit sich.

Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen verfahrensfehlerhafter Anwendung des § 46 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und wegen überlanger Verfahrensdauer.

Das FA hält die Beschwerde für unbegründet.

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Es stellt keinen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, dass das FG über die Klage durch Prozessurteil entschieden hat. Denn die Untätigkeitsklage war unzulässig, weil das FA dem Kläger vor Klageerhebung einen zureichenden Grund für die Zurückstellung der Entscheidung über den Einspruch mitgeteilt hatte (§ 46 Abs. 1 Satz 1 FGO; zur Unzulässigkeit der Untätigkeitsklage in diesen Fällen Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14. März 1972 VII R 9/69, BFHE 105, 92, BStBl II 1972, 546).

Als "zureichender Grund" i.S. des § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO kommt auch das Abwarten der noch ausstehenden Entscheidung in einem finanzgerichtlichen "Musterverfahren" in Betracht. Ein solches Musterverfahren ist dadurch gekennzeichnet, dass dort dieselbe Streitfrage entscheidungserheblich ist wie in demjenigen Verfahren, in dem die Entscheidung über den Einspruch zurückgestellt werden soll (Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 46 FGO Rz. 140, Stand März 2005).

Vorliegend hat das FG das Verfahren des Z zu Recht als Musterverfahren für das vorliegende Verfahren angesehen. Über sämtliche materiell- und verfahrensrechtlichen Streitpunkte des Einspruchsverfahrens des Klägers war auch im Verfahren des Z zu entscheiden.

Die im letztgenannten Verfahren zusätzlich zu entscheidende Frage im Zusammenhang mit § 129 AO 1977 ändert bei wertender Betrachtung unter den besonderen Umständen des Streitfalls nichts am Charakter als Musterverfahren. Zum einen war diese Rechtsfrage nicht vorgreiflich in dem Sinne, dass --je nach ihrer Beurteilung-- über die anderen, sich auch im vorliegenden Verfahren stellenden Rechtsfragen im Verfahren des Z möglicherweise gar nicht mehr zu entscheiden wäre. Entscheidend ist aber, dass die zusätzliche Rechtsfrage sowohl rechtlich als auch tatsächlich für das Verfahren des Z nur von ganz untergeordneter Bedeutung war. In tatsächlicher Hinsicht ging es insoweit um einen streitigen Steuerbetrag von lediglich 2 163 DM, der im Verhältnis zur insgesamt festgesetzten --und weitgehend streitigen-- Steuer von ca. ... Mio. DM als geringfügig anzusehen ist. In rechtlicher Hinsicht war die Zulässigkeit der Änderung nach § 129 AO 1977 unschwer zu bejahen, so dass wegen dieser Rechtsfrage auch keine zusätzliche Verzögerung der Entscheidung im Verfahren des Z zu erwarten war.

2. Die Rüge einer überlangen Verfahrensdauer ist nicht schlüssig erhoben, da in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend dargelegt wird, worauf die lange Verfahrensdauer beruht (vgl. dazu auch BFH-Beschluss vom 17. Januar 2006 VIII B 172/05, BFH/NV 2006, 799, unter 4.). Weil weder das Grundgesetz noch die Europäische Menschenrechtskonvention eine absolute Höchstgrenze für die Dauer von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren enthalten, kann sich die Beurteilung der Dauer eines Verfahrens als "überlang" nur aus einer zusammenfassenden Würdigung der unterschiedlichen Einflüsse ergeben, denen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren von innen und außen ausgesetzt sein können (zu den insoweit maßgebenden Kriterien --bezogen auf ein Zivilverfahren-- vgl. etwa Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juli 2004 1 BvR 1196/04, Neue Juristische Wochenschrift 2004, 3320, unter B.II.2.a).

Der Kläger hat sich vorliegend auf einen Hinweis auf die absolute Dauer des Verwaltungsverfahrens beschränkt, aber keine Tatsachen dafür vorgetragen, die dem Senat die Vornahme einer zusammenfassenden Würdigung der maßgebenden Einflüsse auf die Verfahrensdauer ermöglichen würden. Aus den vorliegenden Verwaltungsakten ist lediglich der Ablauf des Einspruchsverfahrens seit dem Abschluss der Betriebsprüfung bis zur Erhebung der Untätigkeitsklage ersichtlich. Daraus ergibt sich, dass die Dauer dieses Verfahrensabschnitts von 3 1/2 Jahren darauf beruht, dass die Beteiligten zahlreiche schriftsätzliche Stellungnahmen auf jeweils hohem inhaltlichen Niveau ausgetauscht haben und der Kläger zusätzlich die Oberfinanzdirektion --mit den daraus resultierenden Berichtspflichten für das FA-- eingeschaltet hat. Ein derartiger Verfahrensablauf ist aber --auch im Hinblick auf das Ausmaß der für derart intensive rechtliche Erörterungen naturgemäß benötigten Zeitdauer-- ersichtlich nicht rechtsstaatswidrig, so dass für ein Entfallen des staatlichen Steueranspruchs unter dem Gesichtspunkt einer überlangen Verfahrensdauer kein Raum ist.

Ende der Entscheidung

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