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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 29.08.2003
Aktenzeichen: II B 15/01
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, GG


Vorschriften:

AO 1977 § 163 Satz 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
GG Art. 3 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, ist auf den 1. Januar 1985, 1986 und 1989 zur Vermögensteuer veranlagt worden, und zwar in Höhe von 1 800 DM, 1 922 DM bzw. 1 944 DM. Die Klägerin begehrte, die Steuer gemäß § 163 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) aus sachlichen Billigkeitsgründen jeweils auf 0 DM festzusetzen, da die Hälfte ihrer Vermögenserträge bereits durch die Körperschaftsteuer abgeschöpft worden sei. Dies lasse nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 (BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655) eine zusätzliche Belastung mit Vermögensteuer nicht mehr zu.

Mit Verfügung vom 11. Januar 1996 lehnte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die beantragte Billigkeitsmaßnahme ab. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, auf die Ausführungen des BVerfG in der zitierten Entscheidung zum sog. Halbteilungsgrundsatz könne sich die Klägerin nicht berufen, weil das BVerfG die Weitergeltung des bisherigen Vermögensteuerrechts auf alle bis Ende 1996 verwirklichten Tatbestände angeordnet habe.

Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin geltend, der Sache komme grundsätzliche Bedeutung wegen der Rechtsfrage zu, ob dem Halbteilungsgrundsatz nicht schon für vor 1997 verwirklichte Tatbestände im Billigkeitswege Geltung zu verschaffen sei. Das BVerfG habe lediglich die Weitergeltung des Vermögensteuergesetzes (VStG) angeordnet, sich aber nicht zur Möglichkeit einer sachlichen Unbilligkeit bei Anwendung des weitergeltenden Gesetzes im Einzelfall geäußert.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Der von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfrage kommt keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu, da sie sich ohne weiteres aus der zitierten Entscheidung des BVerfG beantworten lässt.

1. Der Klägerin ist zwar darin zuzustimmen, dass ohne ein anwendbares Steuergesetz keine rechtmäßige Festsetzung einer Steuer denkbar ist, deren Erhebung sachlich unbillig sein könnte. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats hat das BVerfG jedoch die Weitergeltung des VStG bis Ende 1996 auch insoweit angeordnet, als der weitere Vollzug des Gesetzes im Einzelfall die vom Gericht dargelegte Obergrenze der Belastung überschreitet. Die Anordnung in BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655 unter C. III. 3., wonach die Regelungen zur Vermögensbesteuerung bis Ende 1996 weiterhin angewendet werden dürfen, ist nicht nur ungeachtet des festgestellten Verstoßes gegen den Gleichheitssatz infolge der unterschiedlichen Bewertungsmaßstäbe erfolgt, sondern auch ungeachtet dessen, dass diese Regelungen den aufgestellten Belastungsobergrenzen (noch) keine Rechnung tragen (so Entscheidungen des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. Oktober 1997 II B 67/97, BFH/NV 1998, 361; vom 19. Mai 1998 II B 14/98, BFH/NV 1998, 1275; vom 6. August 1998 II B 53/98, BFH/NV 1999, 228; vom 30. September 1998 II R 47/97, BFH/NV 1999, 452; vom 30. Juni 1999 II B 110/98, BFH/NV 1999, 1653, sowie vom 23. Oktober 2000 II B 157/99, BFH/NV 2001, 498).

Aus der Tatsache, dass der Abschnitt C. III. 3. des genannten Beschlusses des BVerfG über die Anordnung der befristeten Weitergeltung des VStG mit dem Hinweis auf den Verstoß gegen den Gleichheitssatz eingeleitet wird, kann nicht gefolgert werden, mit der angeordneten Weitergeltung sei lediglich die Berufung auf diesen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ausgeschlossen. Ausgeschlossen ist vielmehr die Berufung auf alle in der Entscheidung beanstandeten Verstöße des bis dahin geltenden Vermögensteuerrechts gegen die Grundrechte. Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz wird eingangs nur deshalb angesprochen, weil derartige Verstöße nach der Rechtsprechung des BVerfG in der Regel nicht zur Nichtigkeit der gerügten Norm(en), sondern nur zum Ausspruch ihrer Unvereinbarkeit mit dem GG i.V.m. der Anordnung ihrer befristeten Weitergeltung führen. Regelmäßig bestehen nämlich mehrere Möglichkeiten, den Verstoß gegen den Gleichheitssatz zu beheben. Die Entscheidung für eine dieser Möglichkeiten soll dem Gesetzgeber überlassen werden (vgl. dazu Urteil des BFH vom 24. Mai 2000 II R 25/99, BFHE 191, 240, BStBl II 2000, 378, unter II. 1., m.w.N.).

Dieses Verständnis der Weitergeltungsanordnung wird durch die nachfolgenden Ausführungen des BVerfG bestätigt, mit denen dem Gesetzgeber bei einer Neuregelung für die Dauer der durchzuführenden Neubewertung des Vermögens --längstens für fünf Jahre-- zugestanden wird, die vermögensrechtliche Belastung mit Hilfe von Übergangsregelungen schrittweise den dargelegten verfassungsrechtlichen Maßstäben anzunähern. Mit diesen Maßstäben sind zumindest auch die Ausführungen des BVerfG zur einzuhaltenden Obergrenze der Belastung gemeint.

2. Ist aber für die Dauer der befristeten Weitergeltung des Vermögensteuerrechts ein im Einzelfall sich ergebendes Überschreiten der vom BVerfG aufgestellten Belastungsobergrenze hinzunehmen, ergibt sich daraus ohne weiteres, dass ein solches Überschreiten im Einzelfall keine Billigkeitsmaßnahme aus sachlichen Gründen rechtfertigt (vgl. BFH-Beschluss vom 10. März 1999 II B 95/98, BFH/NV 1999, 1254). Unbenommen bleibt dem Steuerpflichtigen dagegen, eine sachliche Unbilligkeit aus anderen als den in der Entscheidung des BVerfG abgehandelten Mängeln des VStG geltend zu machen.

Ende der Entscheidung

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