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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 22.11.2006
Aktenzeichen: II B 6/06
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, ErbStG


Vorschriften:

AO 1977 § 90
AO 1977 § 173
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1
FGO § 96 Abs. 1 Satz 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2
ErbStG § 10 Abs. 8
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist die Tochter und Alleinerbin ihres im November 1997 verstorbenen Vaters, des Steuerberaters S. Dieser war testamentarischer Alleinerbe einer im März 1994 verstorbenen Mandantin (M). In seiner Erbschaftsteuererklärung als Erbe der M hatte S --aufgeschlüsselt nach den Anlageinstituten-- angegeben, Kapitalvermögen in Höhe von 914 814 DM erworben zu haben. In ihrer 1998 eingereichten Erbschaftsteuererklärung als Erbin nach S gab die Klägerin an, u.a. ein bei drei Instituten im Inland angelegtes Kapitalvermögen in Höhe von 1 118 036 DM erworben zu haben. Mit endgültigem Bescheid vom 9. Juni 1999 setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) bei einem Erwerb von 2 352 512 DM gegen die Klägerin eine Erbschaftsteuer von 367 175 DM fest.

Nachdem steuerstrafrechtliche Ermittlungen nach Ansicht des FA ergeben hatten, dass M im Jahr 1992 Wertpapiere und Geld in Höhe von zusammen 706 559,50 DM anonymisiert auf die X-Bank in Luxemburg transferiert hatte, und sich die Klägerin geweigert hatte, an der Aufklärung mitzuwirken, ob dieses Vermögen beim Tod der M und des S noch in Luxemburg angelegt war, nahm das FA an, dieses Vermögen sei --von einem festgestellten Rückfluss in Höhe von 15 000 DM noch zu Lebzeiten der M abgesehen-- durch die beiden Erbgänge der Klägerin zugefallen. Es setzte daher mit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geändertem Bescheid vom 19. November 2002 die Erbschaftsteuer auf 286 705,39 € herauf. Dabei hatte es den steuerpflichtigen Erwerb unter Berücksichtigung einer angenommenen Kapitalverzinsung von 8 v.H. um 1 018 867 DM erhöht.

Einspruch und Klage, mit denen sich die Klägerin dagegen gewandt hatte, ihr das seinerzeit von M nach Luxemburg transferierte Kapitalvermögen zuzurechnen, blieben im Wesentlichen erfolglos. Auch nach Ansicht des Finanzgerichts (FG) ist mit dem Kapitaltransfer der M nach Luxemburg nachträglich eine Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 bekannt geworden. Es setzte lediglich einen niedrigeren Zinssatz an, ging aber im Übrigen ebenfalls davon aus, dass weder M noch S zu ihren jeweiligen Lebzeiten über dieses Vermögen anderweitig verfügt hätten. Dabei berief es sich auch auf die verweigerte Mitwirkung der Klägerin.

Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin mehrere Zulassungsgründe geltend, und zwar:

1. Das FG sei von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 6. Dezember 1994 IX R 11/91 (BFHE 176, 221, BStBl II 1995, 192) abgewichen. Gemäß diesem Urteil berechtigten Hilfstatsachen nur dann zu einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977, wenn sie den sicheren Schluss auf die Haupttatsache zuließen. Demgegenüber solle nach Auffassung des FG die "gedankliche Möglichkeit genügen, dass aus dem festgestellten neuen Sachverhalt ein Steuertatbestand" folge. Zumindest solle die gedankliche Möglichkeit in Verbindung mit der Verletzung einer Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen zu der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, die für die Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 erforderlich ist, führen.

2. Zu den vom FG aufgestellten Rechtssätzen gebe es noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung. Daher würfen sie auch Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf. Das gelte insbesondere für die Frage, welche Bedeutung einer verweigerten Mitwirkung im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zukomme.

3. Die Vorentscheidung leide unter einem schwerwiegenden Rechtsanwendungsfehler, der eine Revisionsentscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordere. Es seien nämlich die Steuerschulden des S nicht berücksichtigt worden, die sich u.a. aus der Annahme des FA ergäben, dass auch der Erwerb des S um das nach Luxemburg transferierte Kapitalvermögen der M zu erhöhen sei. Dadurch hätten sich nämlich dessen Einkommensteuer-, Vermögensteuer- und Erbschaftsteuerschulden erhöht.

4. Mit der Nichtberücksichtigung dieser Steuerschulden des S habe das FG zudem gegen seine Pflicht verstoßen, sich seine Überzeugung gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu bilden. Dazu gehöre auch die vollständige Berücksichtigung des Akteninhalts. Aus den beigezogenen Einkommensteuerakten des S und den dem FG bekannten Erbschaftsteuerakten des S hätten sich aber die abzuziehenden Schulden ergeben.

5. Sollten diese Steuerschulden absichtlich nicht berücksichtigt worden sein, ergäbe sich daraus, dass eine Revisionsentscheidung auch unter dem Gesichtspunkt der Fortbildung des Rechts erforderlich sei.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten. Bezüglich der nicht berücksichtigten höheren Erbschaftsteuerschuld des S beruft es sich auf § 10 Abs. 8 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG).

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Die gerügte Abweichung der Vorentscheidung von dem Urteil des BFH in BFHE 176, 221, BStBl II 1995, 192 liegt nicht vor. Die Einheitlichkeit der Rechtsprechung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO ist daher nicht betroffen. Ändert die Finanzbehörde einen bestandskräftigen Steuerbescheid gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zu Ungunsten des Steuerpflichtigen, trägt sie grundsätzlich die objektive Beweislast (Feststellungslast) dafür, dass die für die Änderung des Bescheides erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungen vorliegen (so BFH-Urteil vom 19. Mai 1998 I R 140/97, BFHE 186, 124, BStBl II 1998, 599). Kann die Steuerbehörde nur Hilfstatsachen anführen, hat sie ihrer Beweislast nur dann genügt, wenn diese den sicheren Schluss auf die Haupttatsache ermöglichen (so BFH in BFHE 176, 221, BStBl II 1995, 192). Dies ist aber keine Besonderheit des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977, sondern Ausfluss der Beweislastverteilung. Dementsprechend finden sich in der Kommentarliteratur zu § 173 AO 1977 folgende Aussagen:

a) Für die Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gelten die allgemeinen Regeln über die objektive Beweislast --Feststellungslast-- (so von Wedelstädt in Beermann/ Gosch, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 173 AO Rz. 78).

b) Für Sachaufklärung und Mitwirkung im Verfahren gelten die allgemeinen Regeln, desgleichen für den Fall der nicht behebbaren Ungewissheit diejenigen der objektiven Beweislast --Feststellungslast-- (von Groll in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 173 AO Rz. 373).

c) Die objektive Feststellungslast für die Voraussetzungen einer dem Steuerpflichtigen ungünstigen Änderung trägt die Finanzbehörde. Bei atypischen Geschehensabläufen kann bei der Beweislastverteilung von Bedeutung sein, in wessen Sphäre sich dieser Geschehensablauf ereignet (so Klein/ Rüsken, AO, § 173 Rz. 76, unter Berufung auf das BFH-Urteil vom 23. Januar 2002 XI R 55/00, BFH/NV 2002, 1009).

Zu den somit maßgeblichen Regeln über die objektive Beweislast bzw. Feststellungslast gehört auch, dass aus einer Weigerung des Steuerpflichtigen, seiner Mitwirkungspflicht aus § 90 AO 1977 zu genügen, für ihn nachteilige Schlüsse gezogen werden können. Die Verletzung der Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen führt nicht nur dazu, dass die Steuerbehörde trotz eigener Verletzung ihrer Aufklärungspflicht einen Steuerbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zu Ungunsten des Steuerpflichtigen ändern kann, sondern auch zu einer Verringerung des Beweismaßes. Ist der Sachverhalt mittels der reduzierten Ermittlungspflicht der Finanzbehörde wegen der unzureichenden Mitwirkung des Steuerpflichtigen nicht aufzuklären, kann sich die Behörde mit einem geringeren Grad an Überzeugung begnügen (so BFH-Urteil vom 15. Februar 1989 X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462). Sind aber die allgemeinen Regeln über die objektive Beweislast (Feststellungslast) auch maßgebend, wenn es darum geht, ob eine nachträglich bekannt gewordene Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 vorliegt, dann gilt auch in diesem Zusammenhang die Verringerung des Beweismaßes wegen verweigerter Mitwirkung. Eine derartige Pflichtverletzung der Klägerin hat das FG angenommen. Es ist somit nicht von dem o.a. Urteil in BFHE 176, 221, BStBl II 1995, 192 abgewichen.

2. Damit fehlt es auch an der Klärungsbedürftigkeit der von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfrage, welche Bedeutung einer verweigerten Mitwirkung des Steuerpflichtigen im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zukommt.

3. Der unterbliebene Abzug der Steuerschulden des S, die sich bei diesem aus der Annahme eines umfangreicheren Kapitalvermögens im Nachlass der M ergeben haben, bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer gegen die Klägerin stellt zwar hinsichtlich der Erbschaftsteuerschuld des S einen materiellen Rechtsfehler dar; dieser Fehler --§ 10 Abs. 8 ErbStG schließt lediglich den Abzug der Erbschaftsteuerschuld des S bei der Ermittlung seiner eigenen Steuerschuld aus-- wiegt aber nicht so schwer, dass er eine Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung rechtfertigen könnte. Von einer willkürlich falschen Entscheidung des FG kann insoweit nicht gesprochen werden. Hinsichtlich der höheren Einkommensteuer- und Vermögensteuerschulden ist schon zweifelhaft, ob überhaupt ein Fehler vorliegt (dazu BFH-Urteil vom 24. März 1999 II R 34/97, BFH/NV 1999, 1339).

4. Dafür, dass das FG den Abzug der Steuerschuld absichtlich verweigert hätte, hat die Klägerin nichts vorgetragen. Daher ist die Beschwerde insoweit unzulässig, als die Klägerin geltend macht, es sei eine Revisionsentscheidung zur Fortbildung des Rechts erforderlich.

5. Der gerügte Verfahrensmangel eines Verstoßes gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt nicht vor. Das FG ist auf die Frage der Abziehbarkeit der höheren Steuerschulden des S im Rahmen der Veranlagung der Klägerin zur Erbschaftsteuer nicht eingegangen, weil es die Rechtserheblichkeit dieser Frage nicht erkannt hat. Dies aber stellt einen materiellen Rechtsfehler dar und keinen Verfahrensmangel.

Ende der Entscheidung

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