Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 06.12.2000
Aktenzeichen: II R 28/98
Rechtsgebiete: AO 1977, BGB, ErbStG


Vorschriften:

AO 1977 § 174 Abs. 5
BGB § 2174
ErbStG § 7 Abs. 1 Nr. 1
ErbStG § 10 Abs. 5 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Der am ... 2000 verstorbene, vom Finanzgericht (FG) beigeladene S war einer der beiden Söhne der 1991 verstorbenen Erblasserin. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist ein Sohn des vorverstorbenen weiteren Sohnes der Erblasserin.

Die Erblasserin hatte in einem Testament vom 20. November 1985 bestimmt, dass S zu 1/2 Anteil und der Kläger sowie zwei Geschwister des Klägers zu je 1/6 Anteil ihren Grundbesitz erben sollten. Dazu gehörte u.a. ein Mietwohngrundstück mit sechs Wohnungen unterschiedlicher Größe. In einer letztwilligen Verfügung vom 19. Juli 1989 ordnete die Erblasserin an, dass S dem Kläger, der sie immer besucht und ihr geholfen habe, 150 000 DM zu zahlen habe. Nach einer weiteren letztwilligen Verfügung vom 15. November 1990 sollte der Kläger von ihr nach ihrem Tod eine (nicht näher bezeichnete) Wohnung im Wert von 300 000 DM erhalten. Schließlich vermachte sie S durch letztwillige Verfügung vom 22. Dezember 1990 das Mietwohngrundstück. Der erhöhte Einheitswert dieses Grundstücks betrug 232 960 DM.

Das Amtsgericht erteilte dem Kläger, seinen beiden Geschwistern und S am 29. April 1992 einen gemeinschaftlichen Erbschein, in dem S zu 1/2 Anteil und der Kläger sowie seine Geschwister zu je 1/6 Anteil als Erben nach der Erblasserin ausgewiesen wurden. In einem notariell beurkundeten "Auseinandersetzungsvertrag" vom 12. Mai 1992 zwischen dem Kläger, seinen Geschwistern und S übernahm dieser die Erfüllung der letztwilligen Verfügung der Erblasserin im Testament vom 15. November 1990 in der Weise, dass er sich gegenüber dem Kläger zur Zahlung von 280 000 DM verpflichtete. Der Kläger erklärte, dass er mit der Zahlung dieses Betrages "hinsichtlich des ihm zugedachten Vermächtnisses" befriedigt sei und insoweit gegenüber den übrigen Beteiligten auf die Geltendmachung weiterer Forderungen verzichte. Er trat von der ihm zustehenden Forderung Teilbeträge von je 15 000 DM an seine Geschwister ab. Die Zahlung dieser Beträge sollte unmittelbar durch S erfolgen. Die Beteiligten einigten sich ferner darüber, dass das Eigentum an dem Mietwohngrundstück auf S übergehen sollte. Durch die Auseinandersetzung sollten sämtliche Streitigkeiten ausgeräumt werden, die hinsichtlich der Verfügungen der Erblasserin entstanden waren.

Das vormals örtlich zuständige Finanzamt (FA E) ermittelte als Gesamtwert des Nachlasses der Erblasserin einen Betrag von 53 509 DM. Es setzte gegen den Kläger Erbschaftsteuer in Höhe von 16 575 DM fest, wobei es neben der Beteiligung am Nachlass der Erblasserin und einer Vorschenkung ein auf die Wohnung gerichtetes Vermächtnis mit einem Wert von 280 000 DM einbezog. Gegen S erging ein Freistellungsbescheid, da sich bei ihm unter Berücksichtigung einer ebenfalls mit dem gemeinen Wert anzusetzenden Verbindlichkeit aus einem Untervermächtnis kein positiver Wert seines Erwerbs ergab. Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos.

Im Verfahren vor dem FG legte der Kläger ein Wertgutachten vor, wonach sich der Verkehrswert des Mietwohngrundstücks auf ca. 1,2 Mio. DM belief. Das FA E erklärte sich daraufhin bereit, ein Vermächtnis zugunsten des Klägers entsprechend dem Verhältnis des in der letztwilligen Verfügung angegebenen Wertes (300 000 DM) zum geschätzten Verkehrswert des Mietwohngrundstücks mit 1/4 des erhöhten Einheitswertes (58 240 DM) zu berücksichtigen. Es beantragte zugleich, S gemäß § 174 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) beizuladen, um die diesem gegenüber ergangene Steuerfestsetzung entsprechend ändern zu können.

Das FG gab --nach antragsgemäßer Beiladung-- der Klage, die sich darauf richtete, das angesetzte Vermächtnis mit 1/4 des erhöhten Einheitswertes des Mietwohngrundstücks zu bewerten, statt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1999, 36 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--), der seit dem 1. Januar 1998 örtlich zuständig ist, Verletzung materiellen Rechts.

Er beantragt, das Urteil des FG Köln vom 18. Dezember 1997 9 K 4526/95 aufzuheben und unter Abänderung des Erbschaftsteuerbescheides des FA E vom 29. Juli 1994 sowie der Einspruchsentscheidung vom 21. Juli 1995 die Erbschaftsteuer auf 13 500 DM herabzusetzen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, die im angefochtenen Bescheid festgesetzte Steuer ist --unter Abweisung der weitergehenden Klage-- auf 13 500 DM herabzusetzen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Gegenstand des Erwerbs des Klägers aufgrund der letztwilligen Verfügung vom 15. November 1990 ist mit Rücksicht auf die im Auseinandersetzungsvertrag getroffenen Regelungen ein auf Geld gerichteter Vermächtnisanspruch, der mit dem Betrag anzusetzen ist, der dem Kläger nach Abzug der für seine Geschwister vorgesehenen Beträge zustand.

1. Was Gegenstand eines Vermächtnisses ist, richtet sich nach dem Inhalt des durch die letztwillige Verfügung gemäß § 2174 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) begründeten Schuldverhältnisses (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25. Oktober 1995 II R 5/92, BFHE 179, 148, BStBl II 1996, 97). Im Streitfall war angesichts der Vielzahl von letztwilligen Verfügungen, die die Erblasserin innerhalb kurzer Zeit getroffen hat, ohne deutlich zu machen, ob und ggf. in welchem Umfang frühere Verfügungen durch spätere Verfügungen aufgehoben oder geändert werden sollten, objektiv unklar, ob die Verfügung vom 15. November 1990 noch gültig war und --bejahendenfalls-- welchen Inhalt sie hatte. Die Erblasserin hatte in dieser Verfügung bestimmt, dass der Kläger nach ihrem Tod von ihr eine Wohnung im Wert von 300 000 DM erhalten sollte, ohne deutlich zu machen, ob es sich um eine nachlassfremde oder um eine zum Nachlass gehörende Wohnung handeln sollte. Sollte sich diese Verfügung --wie der Kläger dies auch in der mündlichen Verhandlung vor dem FG geltend gemacht hat-- auf eine Wohnung in dem zum Nachlass gehörenden Mietwohngrundstück beziehen, so wäre diese Verfügung durch die Verfügung vom 22. Dezember 1990, wonach S besagtes Mietwohngrundstück erhalten sollte, zu dessen Gunsten aufgehoben worden; denn die Verfügung vom 22. Dezember 1990 enthält keine Einschränkung dergestalt, dass dem Kläger eine der Wohnungen in diesem Gebäude zustehen sollte. Sollte sich die Verfügung vom 15. November 1990 nicht auf eine zum Nachlass gehörende Wohnung beziehen, so käme zunächst ein Verschaffungsvermächtnis (§ 2169 Abs. 1 BGB) in Betracht, wobei wiederum unklar wäre, ob ein derartiges Vermächtnis die Erbengemeinschaft oder --in Gestalt eines Untervermächtnisses-- den S belasten sollte. Da die Erblasserin in der Verfügung vom 15. November 1990 keine bestimmte Wohnung bezeichnet hat, könnte schließlich auch ein von vornherein auf den genannten Betrag gerichtetes Geldvermächtnis gegeben sein. Aus all diesen Gründen war objektiv zweifelhaft --was auch zu den in Abschn. V des Auseinandersetzungsvertrages angesprochenen "Streitigkeiten" unter den Erben geführt hat--, ob und ggf. gegenüber wem dem Kläger aufgrund der Verfügung vom 15. November 1990 noch ein Anspruch zustand und ob er sich auf eine Wohnung oder auf einen Geldbetrag richtete.

Bei dieser Sach- und Rechtslage war es angezeigt, durch einen Vergleich zu regeln, was nach übereinstimmender Auffassung der an seinem Abschluss beteiligten Personen Inhalt der strittigen Verfügungen der Erblasserin war. Ein solcher ernstgemeinter Vergleich hat seinen Rechtsgrund noch im Erbrecht und ist daher auch bei der Erbschaftsbesteuerung zugrunde zu legen (vgl. BFH-Beschluss vom 25. August 1998 II B 45/98, BFH/NV 1999, 313, m.w.N.). Gegenstand des Vermächtnisses aufgrund der letztwilligen Verfügung vom 15. November 1990 in der durch den Erbvergleich festgelegten Gestalt war demnach eine Geldforderung. Die Vorentscheidung, die mit diesen Grundsätzen nicht in Einklang steht, war aufzuheben.

2. Die Sache ist spruchreif.

Aus dem Auseinandersetzungsvertrag vom 12. Mai 1992, der auch im Übrigen eine ernstgemeinte vergleichsweise Regelung der Erbverhältnisse enthält, folgt, dass auch die für die Geschwister des Klägers vorgesehenen Beträge von jeweils 15 000 DM bei diesem erwerbsmindernd zu berücksichtigen sind. Sie sind in gleicher Weise wie der zur Erfüllung des Vermächtnisses zugunsten des Klägers zu leistende Betrag als Bereicherung aus dem Nachlass gedacht und gewollt, nicht aber als eine freigebige, vom Erbfall unabhängige Zuwendung des Klägers oder des S an die Geschwister des Klägers i.S. von § 7 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuergesetzes --ErbStG-- (vgl. dazu BFH-Urteil vom 1. Februar 1961 II 269/58 U, BFHE 72, 358, BStBl III 1961, 133). Für eine vom Kläger oder von S beabsichtigte Bereicherung der Geschwister des Klägers unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt ist nichts ersichtlich; vielmehr sind auch diese Zahlungen Teil der im Auseinandersetzungsvertrag getroffenen erbrechtlichen Gesamtregelung. Ob diese Beträge nach dem Willen der Vertragsparteien schon den Vermögensanfall des Klägers in dem Sinne beschränken sollten, dass sich seine Forderung von vornherein auf nicht mehr als 250 000 DM belief, oder ob der Kläger zivilrechtlich Anspruch auf Zahlung von 280 000 DM haben, aber --etwa aufgrund von Untervermächtnissen-- gegen ihn gerichtete Forderungen seiner Geschwister erfüllen sollte, bedarf letztlich keiner Entscheidung. Auch wenn Letzteres gewollt gewesen sein sollte, würde sich der steuerpflichtige Erwerb im Hinblick auf die Abzugsfähigkeit entsprechender Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG auf nicht mehr als 250 000 DM belaufen.

Der vom FA zugrunde gelegte (abgerundete) steuerpflichtige Erwerb von 255 000 DM ist somit um 30 000 DM auf 225 000 DM zu mindern. Damit ergibt sich in der Steuerklasse I ein Steuersatz von 6 v.H. Die im angefochtenen Bescheid festgesetzte Steuer ist --wie vom FA zuletzt beantragt-- auf 13 500 DM herabzusetzen.



Ende der Entscheidung

Zurück