Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 17.06.1998
Aktenzeichen: II R 30/96
Rechtsgebiete: AO 1977, GrEStG


Vorschriften:

AO 1977 § 42
GrEStG § 1 Abs. 1 Satz 1
GrEStG § 1 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Am Gesellschaftsvermögen der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) unter der Bezeichnung "Immobilienfonds XY", waren am 1. Juli 1987 die A-KG zu 5 v.H., die B-KG zu 47,5 v.H. sowie die C-GmbH zu 47,5 v.H. beteiligt. Im gesamthänderischen Miteigentum der Gesellschafter befanden sich mehrere Teileigentumseinheiten in einem Anwesen in X, die als Geschäftslokale bzw. als Kindertagesheim genutzt wurden. Nach dem Gesellschaftsvertrag vom 6. Juli 1987 war Gesellschaftszweck die "langfristige Vermietung und Verwaltung" dieses Grundbesitzes. Die Gesellschafter beabsichtigten, sich aus der Gesellschaft zurückzuziehen und ihre Anteile an neue Gesellschafter abzutreten. Mit der vollständigen Plazierung des gesamten Fondsvolumens in Höhe von ... DM beauftragte die Klägerin eine Vertriebsfirma, die Interessenten neben dem Erwerb von Fondsanteilen auch Beratungs-, Garantie- und Vermittlungsleistungen anbot.

In der Zeit vom 1. Juli 1987 bis zum 31. Dezember 1988 traten der Klägerin insgesamt 123 Personen als neue Gesellschafter bei und übernahmen sämtliche Anteile der A-KG, der B-KG sowie der C-GmbH.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA-- ) sah in dem Austausch aller Gesellschafter der Klägerin einen nach § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes 1983 (GrEStG 1983) steuerpflichtigen Vorgang und setzte durch Bescheid vom 26. Februar 1993 nach einer Gegenleistung von ... DM Grunderwerbsteuer in Höhe von ... DM gegen die Klägerin fest. Im nachfolgenden Einspruchsverfahren ermäßigte das FA die Steuer durch Bescheid vom 9. Dezember 1994 ausgehend von einer Gegenleistung in Höhe von ... DM auf ... DM. Der Einspruch der Klägerin blieb im übrigen erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) hat die Steuerbescheide vom 26. Februar 1993 und 9. Dezember 1994 sowie die Einspruchsentscheidung aufgehoben und unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 31. Juli 1991 II R 79/88 (BFH/NV 1992, 410) entschieden, daß ein Gestaltungsmißbrauch nicht vorliege. Den Neugesellschaftern habe der durch die tatsächlich gewählte Gestaltung "verdeckte", eigentlich angemessene zivilrechtliche (Gestaltungs-)Weg als eigentlich naheliegende Möglichkeit nicht zur Verfügung gestanden. Ein gemeinsamer Erwerb in ggf. neu zu gründender Gesellschaft sei den über einen Zeitraum von 18 Monaten beigetretenen 123 Neugesellschaftern nicht möglich gewesen. Die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 878 veröffentlicht.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Es rügt fehlerhafte Anwendung von § 42 AO 1977 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 sowie Verletzung von Art. 3 des Grundgesetzes (GG). Der BFH habe in einer Entscheidung vom 4. März 1987 II R 150/83 (BFHE 149, 75, BStBl II 1987, 394) ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Anwendung des § 42 AO 1977 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 beim vollständigen Austausch aller Gesellschafter nicht davon abhängig sei, über welchen Zeitraum sich der zu beurteilende Vorgang erstrecke. Ausschlaggebend sei vielmehr nur, ob dieser Vorgang einem Grundstückskauf gleichkomme. Auch habe das FG dem Umstand, daß die Initiatoren (Altgesellschafter) den Gesellschafterwechsel planmäßig gesteuert hätten, zu Unrecht keine Bedeutung zugemessen. Hierin sei unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Gesamtheit der Tatbestände des § 1 Abs. 1 GrEStG 1983 ein Verstoß gegen Art. 3 GG zu sehen. Nach der Intention des Gesetzgebers müsse allein die Tatsache, daß die einzelnen Übertragungsakte Bestandteile eines vorgefaßten einheitlichen Gesamtplans seien, als maßgebend für die Steuerpflicht angesehen werden. Die Steuerpflicht dürfe nicht vom Zufall des Beitritts der Neugesellschafter abhängig gemacht werden.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.

II. Die Revision des FA ist unbegründet.

Das FG hat ohne Rechtsverstoß den Grunderwerbsteuerbescheid, den Änderungsbescheid sowie die Einspruchsentscheidung aufgehoben.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile vom 6. März 1996 II R 38/93, BFHE 179, 443, BStBl II 1996, 377, und vom 31. Juli 1991 II R 17/88, BFHE 165, 297, BStBl II 1991, 891, m.N.), daß die Übertragung sämtlicher Anteile an einer nur Grundbesitz haltenden Personengesellschaft gemäß § 42 AO 1977 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 der Grunderwerbsteuer unterliegen kann, weil durch den vollständigen Wechsel im Personenstand einer Personengesellschaft, der als solcher nicht der Grunderwerbsteuer unterliegt, sich die Rechtszuständigkeit in Gestalt des Gesamthandseigentums der Gesellschafter an dem Grundstück ändert und damit mittels der Anteilsübertragung das gleiche Ergebnis erreicht wird wie durch den Abschluß eines auf die Übertragung des Grundstücks gerichteten Kaufvertrages zwischen Alt- und Neugesellschaftern in ihrer jeweiligen gesamthänderischen Verbundenheit, der den Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erfüllen würde.

§ 42 AO 1977 versagt die Berufung auf die auf der Grundlage der Privatautonomie gewählte zivilrechtliche Form dann, wenn die Prüfung der rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen, die formal nicht der in dem Steuergesetz bezeichneten typischen wirtschaftlichen Form entsprechen, ergibt, daß der zum Ausdruck kommende rechtsgeschäftliche Wille der im Steuergesetz umschriebenen typischen zivilrechtlichen Gestaltung entspricht. § 42 AO 1977 bewirkt so die Besteuerung entsprechend dem Zweck des Steuergesetzes, wenn dessen tatbestandsmäßig mit einem anderen Rechtstyp beschriebener wirtschaftlicher Zweck erreicht wird (BFH-Urteil vom 6. März 1990 II R 88/87, BFHE 160, 57, BStBl II 1990, 446). Eine mißbräuchliche Rechtsgestaltung zur Steuerumgehung liegt danach vor, wenn die Parteien unter Ausnutzung einer zivilrechtlichen Wahlmöglichkeit den vom Steuergesetz erfaßten --"angemessenen"-- Weg vermeiden und statt dessen einen Weg beschreiten, der zwar nach der Wertung des Steuergesetzes ebenfalls besteuerungswürdig ist, aber als solcher keinen Steuertatbestand erfüllt (Senatsurteile in BFHE 179, 443, BStBl II 1996, 377, und vom 9. März 1994 II R 82/91, BFH/NV 1994, 903).

Für die im Rahmen des § 42 AO 1977 vorzunehmende Prüfung kommt es allein auf den vom Steuergesetz vorgegebenen Maßstab, nicht auf die Beurteilung der Rechtsgestaltung nach außersteuerrechtlichen Gesichtspunkten an. Die Vorschrift versagt es dem Steuerpflichtigen nur, sich bei der Anwendung des Steuergesetzes darauf zu berufen, daß die gewählte Gestaltung den gesetzlichen Tatbestand nicht erfülle, wenn die Besteuerungswürdigkeit entsprechend der im Steuergesetz umschriebenen typischen zivilrechtlichen Gestaltung gleichwohl bestehen bleibt (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 1994, 903; in BFHE 160, 57, BStBl II 1990, 446, und vom 14. Mai 1986 II R 22/84, BFHE 146, 480, BStBl II 1986, 620).

Der Senat hat bereits in seinem Urteil in BFH/NV 1992, 410 für einen dem Streitfall vergleichbaren Sachverhalt entschieden, daß die von der Klägerin gewählte Gestaltung den aus der Gesamtregelung des GrEStG zu ermittelnden Wertungen des Steuergesetzgebers nicht widerspricht und sich im Ergebnis danach als nicht besteuerungswürdig erweist. Der Austausch aller Gesellschafter entspricht im Streitfall insbesondere nicht einem nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 steuerpflichtigen Erwerb der in gesamthänderischer Mitberechtigung stehenden Teileigentumseinheiten in --ggf. neu zu gründender-- Gesellschaft, weil die Neugesellschafter erst nach und nach --über einen Zeitraum von fast 18 Monaten verteilt-- für das Immobilienobjekt interessiert wurden und der Gesellschaft sukzessive, durch eine Vielzahl unterschiedlicher Teilakte, mit je nach dem Zeitpunkt der Übernahme der Fondsanteile unterschiedlichen rechtlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen beigetreten sind.

Ende der Entscheidung

Zurück