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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 25.06.2003
Aktenzeichen: II R 39/01
Rechtsgebiete: GrEStG


Vorschriften:

GrEStG § 9 Abs. 2 Nr. 3
Leistungen des Erwerbers eines Grundstücks an einen Dritten sind nur dann Gegenleistung i.S. des § 9 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG, wenn der Dritte tatsächlich in der Lage und willens ist, das Eigentum am Grundstück anstelle des Erwerbers zu erlangen und der Erwerber seine Leistung in Kenntnis dieser Verhältnisse für den Erwerbsverzicht des Dritten erbringt.
Gründe:

I.

Mit notariellem Vertrag vom ... Mai 1992 erwarb die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) von einer aus drei Miterben bestehenden Erbengemeinschaft (Verkäufern) einen Anspruch nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG) auf Rückübertragung eines Grundstücks in Berlin-Mitte zu einem Kaufpreis von ... DM. In derselben Vertragsurkunde verkauften die Verkäufer den Grundbesitz an die Klägerin zum nämlichen Kaufpreis. Der Kaufvertrag über den Rückübertragungsanspruch stand unter der auflösenden Bedingung, dass die Verkäufer als Eigentümer des Grundstücks im Grundbuch eingetragen werden. Der Grundstückskaufvertrag stand unter der aufschiebenden Bedingung, dass die Verkäufer als Eigentümer im Grundbuch eingetragen werden.

Durch Kaufvertrag vom 29. Januar bzw. 5. März 1993 erwarb die Klägerin das Grundstück vom Land Berlin als eingetragenem Eigentümer. Den von den Verkäufern gestellten Antrag auf Rückübertragung des Grundstückseigentums lehnte das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen durch Bescheid vom 11. Januar 1994 ab.

Bezüglich der Kaufpreiszahlung aus dem am 14. Mai 1992 geschlossenen Vertrag kam es zwischen der Klägerin und den Verkäufern zu einem vor dem Landgericht (LG) Berlin geführten Rechtsstreit. In diesem wurde am ... Oktober 1994 ein Vergleich geschlossen, in dem sich die Klägerin "zum Ausgleich aller gegenseitigen Ansprüche aus dem notariellen Vertrag vom 14. Mai 1992" verpflichtete, an die Verkäufer ... DM nebst 9 % Zinsen seit dem 23. November 1993 zu zahlen. Ferner trat die Klägerin die im Vertrag vom 14. Mai 1992 übertragenen vermögensrechtlichen Ansprüche bezüglich des Grundstücks zu näher bezeichneten Bruchteilen an die Verkäufer ab. Die Verkäufer nahmen die Abtretung an und erklärten, sie stimmten "weiterhin" der Übertragung des Eigentums an dem vorbezeichneten Grundstück auf die Klägerin zu.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) unterwarf den von der Klägerin mit dem Land Berlin geschlossenen Grundstückskaufvertrag durch Bescheid vom 27. Juli 1993, geändert durch Bescheide vom 5. Oktober 1998 und 25. März 1999 der Grunderwerbsteuer. Das FA behandelte die in dem Vergleich vor dem LG vereinbarte Zahlung der Klägerin an die Verkäufer als eine von der Klägerin im Hinblick auf den von ihr mit dem Land Berlin geschlossenen Vertrag vom 29. Januar bzw. 5. März 1993 erbrachte Leistung an Dritte i.S. des § 9 Abs. 2 Nr. 3 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) und setzte gegen die Klägerin durch Ergänzungssteuerbescheid vom 1. Oktober 1998 Grunderwerbsteuer in Höhe von ... DM nach einer Bemessungsgrundlage von ... DM (Geldzahlung von ... DM zuzüglich Zinsen von ... DM) fest. Der hiergegen erhobene Einspruch blieb erfolglos.

Mit der Klage machte die Klägerin geltend, dass die Verkäufer mangels eines ihnen zustehenden Rückübertragungsanspruchs nicht i.S. des § 9 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG auf den Erwerb des Grundstücks hätten verzichten können. Die von den Verkäufern im Vergleich vor dem LG erklärte Zustimmung zu der Übertragung des Eigentums auf sie --die Klägerin-- sei aufgrund der ohnehin gegebenen Aussichtslosigkeit der Rückübertragungsansprüche der Verkäufer belanglos gewesen. Es habe der begründete Verdacht bestanden, dass die Verkäufer bereits bei Abschluss des Vertrags vom 14. Mai 1992 von der Aussichtslosigkeit ihrer Rückübertragungsansprüche gewusst hätten; aus diesem Grunde habe sie den Vertrag vom 14. Mai 1992 wegen arglistiger Täuschung angefochten. Die im Vergleichswege vereinbarte Zahlung an die Verkäufer sei nur im Hinblick auf die schwierige Beweisführung bezüglich einer von den Verkäufern begangenen arglistigen Täuschung erfolgt. Hätte das LG die Behauptung einer arglistigen Täuschung für nicht erwiesen erachtet, hätte sie mit einer Verurteilung zur Zahlung von ... DM rechnen müssen.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Die Verkäufer hätten in dem vor dem LG geschlossenen Vergleich einen Verzicht auf den Erwerb des Grundstücks i.S. des § 9 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG erklärt. Aus dem Vergleich sei erkennbar, dass sich die Verkäufer weiterhin eines Rückübertragungsanspruchs in Bezug auf das Grundstück berühmt hätten. Die Klägerin sei nicht zuletzt deshalb zur Zahlung von ... DM an die Verkäufer bereit gewesen, damit diese dem Eigentumserwerb der Klägerin aufgrund des von ihr mit dem Land Berlin geschlossenen Kaufvertrags zustimmten. Die Verkäufer hätten der Klägerin damit incidenter zugesichert, keine potentiell erwerbshindernden oder -gefährdenden Gründe aus der für sich reklamierten Position als Restitutionsberechtigte geltend zu machen. Der Vertrag vom 14. Mai 1992 scheide als Rechtsgrund für die vergleichsweise vereinbarte Zahlung an die Verkäufer aus.

Mit der Revision rügt die Klägerin eine fehlerhafte Auslegung des § 9 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG. Ein "Verzicht" im Sinne dieser Vorschrift setze eine Rechtsposition des Dritten voraus, die ihm einen Grundstückserwerb ermögliche. Eine solche Rechtsposition habe den Verkäufern bei Abschluss des Vergleichs nicht zugestanden. Aus der im Vergleichswege vereinbarten Zahlungspflicht sei nicht zu schließen, dass die Zahlung --entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut des Vergleichs-- nicht lediglich zum Ausgleich aller gegenseitigen Ansprüche aus dem notariellen Vertrag vom 14. Mai 1992 geleistet worden sei.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und den Ergänzungssteuerbescheid vom 1. Oktober 1998 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie des Grunderwerbsteuerbescheids vom 1. Oktober 1998 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. April 1999. FA und FG haben zu Unrecht die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG bejaht.

1. Gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG gehören zur Gegenleistung auch Leistungen, die der Erwerber des Grundstücks anderen Personen als dem Veräußerer als Gegenleistung dafür gewährt, dass sie auf den Erwerb des Grundstücks verzichten. Die Vorschrift bezweckt, auch solche Leistungen der Grunderwerbsteuer zu unterwerfen, die der Erwerber anderen Personen als dem Veräußerer gegenüber bewirkt, um das Eigentum am Grundstück zu erlangen (Begründung zu § 11 Abs. 3 GrEStG 1940, RStBl I 1940, 377, 408).

a) Die nach Maßgabe des § 9 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG festzusetzende Steuer entsteht mit der Gewährung der Leistung an den Dritten. Folgt die Gewährung dieser Leistung dem das Grundstück betreffenden Erwerbsvorgang i.S. des § 1 GrEStG nach, liegt eine nachträgliche Leistung vor. Sie ist --ebenso wie im Falle nachträglicher Leistungen gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG (dazu Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. April 1994 II R 93/90, BFHE 174, 380, BStBl II 1994, 817; vom 22. November 1995 II R 26/92, BFHE 179, 177, BStBl II 1996, 162)-- durch einen neuen (zusätzlichen) Bescheid zu erfassen.

b) Gegenstand des von § 9 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG vorausgesetzten Verzichts des Dritten ist der Erwerb des Grundstücks. Erfasst werden nur solche Leistungen, die dafür gewährt werden, dass der Dritte selbst auf den Erwerb des Grundstücks verzichtet und durch diesen eigenen Verzicht dem Erwerber den Grundstückserwerb (positiv) ermöglicht (BFH-Urteil vom 22. April 1964 II 47/62 U, BFHE 79, 378, BStBl III 1964, 368). § 9 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG setzt deshalb voraus, dass der Dritte tatsächlich in der Lage und willens ist, das Eigentum am Grundstück anstelle des Erwerbers zu erlangen (BFH-Urteil in BFHE 79, 378, BStBl III 1964, 368) und der Erwerber seinerseits an den Dritten in Kenntnis dieser Verhältnisse mit dem Ziel eine Leistung erbringt, diesen zu einem Verzicht auf den Grundstückserwerb zu bewegen. Kann der Dritte das Eigentum am Grundstück nicht selbst erlangen, sondern den Grundstückserwerb durch den Erwerber lediglich rechtlich oder wirtschaftlich verhindern oder erschweren, reicht dies nicht aus (BFH-Urteil in BFHE 79, 378, BStBl III 1964, 368).

Soweit es das FG bei seiner Entscheidung hat ausreichen lassen, dass sich der Dritte (die Verkäufer) "weiterhin eines Rückübertragungsanspruchs in Bezug auf das streitbefangene Grundstück berühmt haben" und dass die Klägerin die Leistung an die Verkäufer "nicht zuletzt deshalb bereit" war zu erbringen, um "potentiell erwerbshindernde oder -gefährdende Gründe aus der reklamierten Position als Restituntionsberechtigte" zu beseitigen, entspricht die Vorentscheidung nicht den dargestellten Grundsätzen und ist deshalb aufzuheben. Entgegen der Auffassung des FG kommt es nicht entscheidend darauf an, welche Ansprüche die Verkäufer in Bezug auf das Grundstück im Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs am 13. Oktober 1994 gegenüber der Klägerin geltend gemacht haben, abzustellen ist vielmehr darauf, ob die Verkäufer zu diesen Zeitpunkt in der Lage waren, das Eigentum am Grundstück anstelle der Klägerin zu erlangen.

2. Die Sache ist spruchreif.

Die angefochtene Steuerfestsetzung ist aufzuheben, weil der an die Verkäufer aufgrund des Vergleichs zu zahlende Betrag nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG erfüllt. Die Verkäufer hatten nach den objektiven Gegebenheiten im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses am 13. Oktober 1994 keine Rechtsposition inne, die zu einem (Rück-) Erwerb des Grundstücks durch sie hätte führen können. Die von den Verkäufern im Vergleich vor dem LG abgegebene Erklärung, dass sie "weiterhin" der Übertragung des Grundstückseigentums auf die Klägerin zustimmten, beruht nicht auf einer den Verkäufern andernfalls gegebenen Möglichkeit zum Grundstückserwerb. Im Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs am 13. Oktober 1994 waren die Verkäufer aufgrund der vorherigen Abtretung ihres Restitutionsanspruchs an die Klägerin durch Vertrag vom 14. Mai 1992 nicht berechtigt, die (Rück-)Übertragung des Grundstücks auf sich zu verlangen. Durch den am 13. Oktober 1994 geschlossenen Vergleich wurden den Verkäufern lediglich die vermögensrechtlichen Ansprüche übertragen; einen Anspruch auf Rückübertragung des Grundstückseigentums sollten die Verkäufer nicht erlangen. Der von der Klägerin vergleichsweise zu zahlende Betrag konnte daher keine Gegenleistung für einen Verzicht der Verkäufer auf den Grundstückserwerb sein. Die von der Klägerin vor Abschluss des Vergleichs erklärte Anfechtung des Vertrags vom 14. Mai 1992 wegen arglistiger Täuschung war auf das Nichtbestehen eines Rückübertragungsanspruchs der Verkäufer gestützt und konnte ebenfalls keine auf den (Rück-)Erwerb der Verkäufer gerichtete Rechtsposition begründen.

Ende der Entscheidung

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