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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 02.12.1998
Aktenzeichen: II R 43/97
Rechtsgebiete: ErbStG 1974


Vorschriften:

ErbStG 1974 § 6 Abs. 2 Satz 4
BUNDESFINANZHOF

Geht bei Eintritt der Nacherbfolge nicht nur der Nacherbfolge unterliegendes, sondern auch eigenes Vermögen des Vorerben auf den Nacherben über und werden --auf Antrag-- beide Vermögensanfälle hinsichtlich der Steuerklasse getrennt behandelt, so sind bei beiden Vermögensanfällen die jeweils für sie maßgeblichen persönlichen Freibeträge zu berücksichtigen. Der Abzug des für das eigene Vermögen des Vorerben zu gewährenden Freibetrags ist jedoch nur insoweit zulässig, als der Freibetrag für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen nicht verbraucht ist.

ErbStG 1974 § 6 Abs. 2 Satz 4

Urteil vom 2. Dezember 1998 - II R 43/97 -

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 1997, 1319)


Gründe

I.

1994 verstarb die Schwester (S) der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin). Die Klägerin wurde ihre Alleinerbin.

Der bereits früher verstorbene Vater (V) der S und der Klägerin hatte die S zu seiner (alleinigen) Vorerbin eingesetzt. Mit dem Tod der S trat auch der Nacherbfall ein. Die Klägerin wurde Nacherbin zu einem Anteil von 1/4.

Das zum Nachlaß gewordene eigene Vermögen der S bestand im wesentlichen aus ca. 270 000 DM Kapitalvermögen. Das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen bestand aus einem Miteigentumsanteil (des Erblassers V) von 5/8 an einem Zweifamilienhausgrundstück. Bereits vor dem Tod des V waren sowohl die Klägerin als auch die S zu je 3/40 an dem Grundstück beteiligt gewesen. Der Einheitswert des Grundstücks betrug 13 300 DM.

In der Erbschaftsteuererklärung gab die Klägerin an, daß ein Anteil von 7/10 an dem Grundstück zur Nacherbschaft gehöre. Den übrigen Nachlaß --im wesentlichen das Kapitalvermögen in Höhe von ca. 270 000 DM-- ordnete die Klägerin dem eigenen Vermögen der S zu.

Durch Bescheid vom 25. Oktober 1995 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) gegen die Klägerin Erbschaftsteuer in Höhe von 48 380 DM fest. Dabei legte das FA der Versteuerung hinsichtlich des zur Nacherbschaft gehörenden Vermögens das Verhältnis der Nacherbin (Klägerin) zum Erblasser (V) nach § 6 Abs. 2 Satz 2 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) 1974 zugrunde. Entsprechend der Erklärung ging das FA bei der Berechnung der Steuer davon aus, daß die Nacherbschaft aus einem Viertel des 7/10-Anteils an dem Zweifamilienhausgrundstück bestand. Dies ergab einen Steuerwert von 3 258 DM. Von diesem zog das FA den für das Verhältnis der Klägerin (Nacherbin) zu V (Erblasser) maßgeblichen Freibetrag in Höhe von 90 000 DM ab mit der Folge, daß für den Erwerb der Klägerin als Nacherbin keine Erbschaftsteuer anfiel. Von dem Erwerb nach S setzte das FA lediglich den im Verhältnis zwischen der Klägerin und der S anzuwendenden Freibetrag von 10 000 DM ab.

Hiergegen richtete sich die Klage. Mit dieser wurde geltend gemacht, daß der bei der Besteuerung des der Nacherbfolge unterliegenden Vermögens nicht verbrauchte Teil des im Verhältnis zu V anzuwendenden Freibetrags von 90 000 DM bei dem Erwerb der Klägerin nach der Vorerbin zu berücksichtigen sei und beantragt, die Erbschaftsteuer auf 30 488 DM festzusetzen. Dieser Berechnung lag nunmehr zugrunde, daß das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen lediglich einen Anteil von 25 v.H. von 5/8 des Einheitswerts des Grundstücks umfasse und der Steuerwert der Nacherbschaft mithin nur 2 910 DM betrage. Der danach nicht ausgenutzte Teil des Freibetrags von 90 000 DM in Höhe von 87 090 DM sei in voller Höhe bei der Berechnung der Erbschaftsteuer für das eigene Vermögen der S zu berücksichtigen.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und unter Änderung des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids vom 25. Oktober 1995 in Gestalt der Einspruchsentscheidung die Erbschaftsteuer auf 30 488 DM herabgesetzt. Bei der Berechnung der Erbschaftsteuer sei der von der Vorerbin S stammende Erwerb um den noch nicht verbrauchten Teil des Freibetrags von 90 000 DM zu kürzen. Nach Wortlaut und Wortsinn könne § 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG 1974 dahingehend verstanden werden, daß der Teil des Freibetrags, der bei dem der Nacherbfolge unterliegenden Vermögen angesetzt und dabei nicht verbraucht worden sei, uneingeschränkt (ungekürzt) bei dem vom Vorerben stammenden Vermögen zum Ansatz komme. Für den einheitlichen Erwerb (von zur Nacherbschaft gehörendem und von eigenem Vermögen des Vorerben) könne ein Freibetrag nur einmal gewährt werden. In diesem Regelungsgehalt erschöpfe sich der Sinn und Zweck der Vorschrift mit der Folge, daß der "eine" Freibetrag in vollem Umfang zu gewähren und deshalb der bei dem der Nacherbfolge unterliegenden Vermögen nicht verbrauchte Teil in vollem Umfang beim eigenen Vermögen des Vorerben zu berücksichtigen sei. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 1319 veröffentlicht.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Gerügt wird die Verletzung von § 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG 1974. Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

1. Das Urteil des FG ist aufzuheben. Das FG hat § 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG 1974 unzutreffend ausgelegt. Zwar ist im Falle des § 6 Abs. 2 Sätze 2 und 3 ErbStG 1974 für das eigene Vermögen des Vorerben der für das persönliche Verhältnis des Erwerbers zum Vorerben maßgebliche Freibetrag zu gewähren, jedoch nur dann und insoweit, als der Freibetrag für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen seinerseits noch nicht verbraucht ist. Die Regelung führt jedoch nicht dazu, daß von dem auf den Erben übergegangenen eigenen Vermögen des Vorerben ein höherer Freibetrag abgezogen werden kann als derjenige, der im Verhältnis des Erwerbers zum Vorerben vorgesehen ist (Troll/Gebel/ Jülicher, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 6 Rdnr. 39; Kapp/ Ebeling, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 6 Rdnr. 31; Petzoldt, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 2. Aufl., § 6 Rdnr. 14; a.A. Moench, Deutsche Verkehrsteuer-Rundschau 1988, 2, und Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 11. Aufl., § 6 Rdnr. 16).

Das ErbStG 1974 behandelt den Vorerben uneingeschränkt als Erben (§ 6 Abs. 1 ErbStG 1974). Dementsprechend ist der bei Eintritt der Nacherbfolge erfolgende Übergang des Vermögens auf den Nacherben als vom Vorerben stammender Erwerb zu versteuern (§ 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG 1974). Geht in einem derartigen Fall zugleich eigenes Vermögen des Vorerben auf den oder die Nacherben über, liegt gleichwohl (jeweils) ein einheitlicher Erwerb i.S. von § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1974 vor. Dieser Grundsatz des Gesetzes wird durch die Regelungen in § 6 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 ErbStG 1974 lediglich modifiziert, aber nicht gänzlich aufgehoben. So ist nach § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG 1974 auf Antrag der Versteuerung das (günstigere) Verhältnis des Nacherben zum Erblasser zugrunde zu legen; geht in diesem Fall auch eigenes Vermögen des Vorerben auf den Nacherben über, so sind beide Vermögensanfälle (nur) hinsichtlich der Steuerklasse getrennt zu behandeln (§ 6 Abs. 2 Satz 3 ErbStG 1974). Im übrigen geht das Gesetz weiterhin davon aus, daß ein einheitlicher Erwerb vorliegt. Dies wird durch die Regelung des § 6 Abs. 2 Satz 5 ErbStG 1974 bestätigt, wonach die Steuer für jeden (Teil-)Erwerb nach dem Steuersatz zu erheben ist, der für den gesamten Erwerb gelten würde.

In diesem Zusammenhang ist auch die Regelung des § 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG 1974 über die Freibeträge zu sehen, wonach für das eigene Vermögen des Vorerben ein Freibetrag nur gewährt werden kann, soweit der Freibetrag für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen nicht verbraucht ist. Ihrem Wortlaut nach geht die Vorschrift zunächst davon aus, daß bei der Berechnung der auf das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen entfallenden Steuer entsprechend der grundsätzlichen Regelung des § 6 Abs. 2 Satz 3 ErbStG 1974 der Freibetrag zu berücksichtigen ist, der für das persönliche Verhältnis des Erwerbers zum ursprünglichen Erblasser vorgesehen ist. Darüber hinaus ordnet die Vorschrift an, daß bei der Berechnung der auf das eigene Vermögen des Vorerben entfallenden Steuer der Freibetrag zu berücksichtigen ist, der für das persönliche Verhältnis des Erwerbers zum Vorerben vorgesehen ist. Der Abzug dieses Freibetrags ist jedoch nur insoweit zulässig, als der sich aus dem Verhältnis des Erwerbers zum ursprünglichen Erblasser ergebende Freibetrag durch den Anfall des Nacherbschaftsvermögens noch nicht verbraucht ist. Die Vorschrift des § 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG 1974 gibt mithin keinen Anhalt dafür, daß bei der Berechnung der auf das eigene Vermögen des Vorerben entfallenden Steuer ein höherer Freibetrag gewährt werden kann als im Verhältnis zwischen Erwerber und Vorerben nach § 16 ErbStG 1974 vorgesehen ist. Die Vorschrift unterscheidet zwischen "dem Freibetrag für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen" einerseits und "einem Freibetrag" für das Vermögen des Vorerben andererseits. Die Abzugsfähigkeit des letzteren soll danach auf den nicht verbrauchten Teil des ersteren beschränkt sein. Die Vorschrift ordnet aber nicht an, daß der nicht verbrauchte Teil des Freibetrags für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen als Freibetrag für das eigene Vermögen des Vorerben zu gewähren ist.

§ 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG 1974 ist daher dahingehend zu verstehen, daß mit ihm die Abzugsfähigkeit des im Verhältnis des Erwerbers zum Vorerben maßgeblichen Freibetrags beschränkt wird auf den durch das der Nacherbschaft unterliegende Vermögen nicht verbrauchten Teil des Freibetrags aus dem Verhältnis des Erwerbers zum ursprünglichen Erblasser. Die Vorschrift ist aber nicht dahingehend auszulegen, daß mit ihr der für das Verhältnis Erwerber/Vorerbe maßgebliche Freibetrag um den nicht verbrauchten Teil des auf die Nacherbschaft entfallenden Freibetrags erhöht werden soll. Dieses Verständnis steht im Einklang mit der Gesetzesbegründung (vgl. BTDrucks VI/3418, S. 63). Den Entscheidungen des Reichsfinanzhofs (RFH) zu diesem Problemkreis (vgl. RFH-Urteile vom 10. Dezember 1936 III eA 74/36, RStBl 1937, 109, und vom 9. März 1939 III eA 4/39, RStBl 1939, 726, RFHE 46, 247) lassen sich insoweit keine unmittelbaren Erkenntnisse zu § 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG 1974 entnehmen, da die vom RFH beurteilten Vorschriften einen anderen Wortlaut hatten.

2. Die Sache ist spruchreif; die Klage ist als unbegründet abzuweisen. Die mit dem angefochtenen Bescheid festgesetzte Steuer wurde vom FA entsprechend der vom Senat vertretenen Auslegung des § 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG 1974 berechnet. Zwar hat das FA irrtümlich einen 7/10-Anteil an dem Grundstück als zur Nacherbschaft gehörendes Vermögen angesehen (anstelle richtigerweise einen 5/8-Anteil), dies hat sich jedoch auf die Höhe der von ihm festgesetzten Steuer nicht zu Lasten der Klägerin ausgewirkt. Weitere Gründe gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids sind weder ersichtlich noch geltend gemacht.

Ende der Entscheidung

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