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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 20.02.2004
Aktenzeichen: II R 44/01
Rechtsgebiete: FGO, BewG, ErbStG, GG


Vorschriften:

FGO § 74
BewG § 146 Abs. 2 ff.
BewG § 146 Abs. 6
BewG § 146 Abs. 7
ErbStG § 12
ErbStG § 13a
ErbStG § 19a
ErbStG § 19 Abs. 1
GG Art. 3
GG Art. 3 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde durch testamentarische Anordnung von der am 22. Februar 1996 verstorbenen Erblasserin ein mit einem Zweifamilienhaus bebautes Grundstück vermacht.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das örtlich zuständige Feststellungsfinanzamt --FA--) stellte den Grundstückswert zunächst auf der Grundlage des vom Gutachterausschuss mitgeteilten Quadratmeterpreises als so genannten Mindestwert i.S. von § 146 Abs. 6 des Bewertungsgesetzes (BewG) in Höhe von 1 734 000 DM fest, nachdem die Ertragswertmethode nach § 146 Abs. 2 ff. BewG zu einem deutlich geringeren Wert geführt hatte.

Mit der Klage wandte sich der Kläger gegen die Höhe der Wertfeststellung sowie gegen die Rückwirkung der vom FA angewendeten Bewertungsvorschriften. Nachdem er das Grundstück 1999 zu einem Kaufpreis von 1,7 Mio. DM veräußert und sich vor dem Finanzgericht (FG) über den gemeinen Wert des Grundstücks zum Stichtag auf eben diesen Betrag mit dem FA verständigt hatte, stellte das FA durch Änderungsbescheid vom 16. Mai 2001 den Grundstückswert auf 1,7 Mio. DM fest. Der Wertansatz erfolgte nach § 146 Abs. 7 BewG als nachgewiesener niedrigerer gemeiner Wert des Grundstücks.

Das FG hat die Klage abgewiesen. Verfassungsrechtlich sei es nicht zu beanstanden, dass auf den Erwerb des Klägers vom 22. Februar 1996 erst danach in Kraft getretene Bewertungsvorschriften rückwirkend anzuwenden seien. Auch der Höhe nach sei die Wertfeststellung nicht zu beanstanden, insbesondere dürfe von dem nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert kein Abschlag von 20 v.H. vorgenommen werden. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1180 veröffentlicht.

Mit der vom FG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die Rückwirkung der Bewertungsvorschriften auf den 1. Januar 1996 verstoße gegen die Verfassung. Auf der Grundlage der alten Einheitswerte hätte die Erbschaftsteuerbelastung nur 25 000 DM betragen, nach neuer Rechtslage betrage die Belastung rund 600 000 DM. Für eine derartige rückwirkende Höherbelastung habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) dem Gesetzgeber keinen "Blankoscheck" ausgestellt. Darüber hinaus sei von dem festgestellten Wert noch ein Abschlag vorzunehmen. Das FA dürfe nicht einfach den Verkehrswert des Grundstücks zugrunde legen. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollten für bebaute Grundstücke nur ca. 50 v.H. des Verkehrswerts angesetzt werden. Er, der Kläger, werde mit 100 v.H. des gemeinen Werts des Grundstücks zur Erbschaftsteuer herangezogen. Insoweit verstoße die gesetzliche Regelung gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG).

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des FG Düsseldorf vom 7. Juni 2001 11 K 854/99 BG, die Feststellungsbescheide vom 30. April 1998 und 16. Mai 2001 sowie die Einspruchsentscheidung vom 22. Januar 1999 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Nach dieser Vorschrift kann das Gericht die Aussetzung des Verfahrens u.a. dann anordnen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kann eine Aussetzung des Klageverfahrens entsprechend der Vorschrift des § 74 FGO auch dann geboten sein, wenn vor dem BVerfG bereits ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, zahlreiche Parallelverfahren vorliegen und keiner der Verfahrensbeteiligten ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim BVerfG anhängigen Verfahrens hat (Beschlüsse des BFH vom 7. Februar 1992 III B 24, 25/91, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408; vom 18. September 1992 III B 43/92, BFHE 169, 110, BStBl II 1993, 123; vom 25. August 1993 X B 32/93, BFHE 171, 412, BStBl II 1993, 797, und vom 30. April 1996 III R 211/90, BFH/NV 1997, 23). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

Dem BVerfG liegt unter dem Aktenzeichen 1 BvL 10/02 ein Normenkontrollverfahren vor, dem der Vorlagebeschluss des erkennenden Senats vom 22. Mai 2002 II R 61/99 (BFHE 198, 342, BStBl II 2002, 598) zugrunde liegt. In diesem Beschluss hält der Senat § 19 Abs. 1 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1997 i.V.m. § 10 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 6 Satz 4 ErbStG, § 12 ErbStG sowie §§ 13a, 19a ErbStG, dabei § 12 ErbStG i.V.m. den in dieser Vorschrift in Bezug genommenen Vorschriften des BewG, wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) für verfassungswidrig, weil u.a. die Vorschriften zur Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage beim Grundbesitz gleichheitswidrig ausgestaltet sind. Hierzu ist in dem Beschluss ausgeführt, dass das Ertragswertverfahren nach § 146 BewG nicht den sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergebenden Anforderungen entspricht, weil im Verhältnis zu den Verkehrswerten kein auch nur annähernd gleichmäßiges Steuerwertniveau erreicht wird, sodass die Erwerber bebauter Grundstücke sehr unterschiedlich be- bzw. entlastet werden. Von derselben Verfassungsfrage hängt auch die Entscheidung im vorliegenden Klageverfahren ab. Denn wenn das BVerfG entscheidet, dass die Regelung in § 146 BewG, die auch der Kläger ausdrücklich angreift, wegen Verstoßes gegen Art. 3 GG nicht anzuwenden ist, hätte die Klage Erfolg und der angefochtene Feststellungsbescheid müsste aufgehoben werden.

Der Streitfall ist kein Einzelfall; vielmehr betrifft die streitige, dem BVerfG vorliegende Rechtsfrage alle Erwerbsvorgänge mit Grundbesitz ab dem 1. Januar 1996.

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