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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 16.10.2008
Aktenzeichen: III B 177/07
Rechtsgebiete: EStG, SGB VIII, FGO


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4
EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3
SGB VIII §§ 27 ff.
SGB VIII § 35a
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) begehrt für seinen im Juli 1986 geborenen, zwischenzeitlich verstorbenen Sohn (S) Kindergeld für die Zeit von August 2004 bis einschließlich Februar 2006, da S i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wegen seelischer Behinderung außerstande gewesen sei, sich selbst zu unterhalten. Er stützt sich auf ein kinder- und jugendpsychiatrisches Gutachten des Dr. X vom November 2004, welches das Jugendamt, das für S zeitweise Leistungen im Rahmen der Jugendhilfe nach den §§ 27 ff. des Achten Buches Sozialgesetzbuch --Kinder- und Jugendhilfe-- (SGB VIII) erbracht hat, zur Feststellung von Bedarfsdefiziten des S und zum Aufzeigen geeigneter Jugendhilfemaßnahmen in Auftrag gegeben hatte.

Einspruch und Klage gegen den die Gewährung von Kindergeld ablehnenden Bescheid der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) blieben erfolglos. Der Aufforderung des Finanzgerichts (FG), durch Vorlage eines amtsärztlichen Gutachtens nachzuweisen, dass S aufgrund seiner Behinderung nicht in der Lage sei, sich selbst zu unterhalten, war der Kläger nicht nachgekommen, da ihm eine Kontaktaufnahme mit S, der zu diesem Zeitpunkt eine mehrmonatige Gefängnisstrafe in der Jugendvollzugsanstalt (JVA) verbüßte, nicht zuzumuten sei, weil S ihm und seiner Mutter (der Ehefrau des Klägers) gegenüber in der Vergangenheit mehrfach gewalttätig geworden sei.

Das FG führte in seinem klageabweisenden Urteil aus, dass auch das Gutachten des Dr. X als Nachweis einer Behinderung i.S. des § 32 Abs. 4 EStG nicht geeignet sei. Wegen der mangelnden Kooperation des S sei dessen Begutachtung unvollständig gewesen. Daher stellten die im Gutachten genannten deutlichen Hinweise auf eine Entwicklungs- und Kommunikationsstörung kein gesichertes Ergebnis dar, sondern seien lediglich eine Teileinschätzung anhand unvollständiger Erhebungen. Zudem enthalte das Gutachten keine Aussage darüber, ob die nach den Teilerhebungen diagnostizierte Entwicklungs- und Kommunikationsstörung ursächlich dafür sei, dass S zum Selbstunterhalt außerstande sei. Auch die bloße Angabe der Heroinabhängigkeit des S führe nicht zu einer Behinderung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG, denn es sei nicht ersichtlich, welches Ausmaß und welche Folgen die Drogenabhängigkeit in psychischer, physischer oder beruflicher Sicht für S gehabt habe. Eine weitere Sachaufklärung durch den Senat habe unterbleiben können, da sich der Kläger geweigert habe, das vom Gericht angeforderte Gutachten vorzulegen. Die Aufforderung sei nicht unverhältnismäßig gewesen, denn der Aufenthaltsort des S in der JVA sei dem Kläger bekannt gewesen und der Kläger und die Kindesmutter hätten für eine Begutachtung nicht den von ihnen unerwünschten persönlichen Kontakt mit S aufnehmen müssen.

Mit seiner hiergegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger als Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht des FG: Dr. X weise in seinem Gutachten zwar darauf hin, dass die Begutachtung wegen eines Verweigerungsverhaltens des S nicht habe zu Ende geführt werden können. Gleichwohl führe er aus, dass die bis dahin gewonnenen medizinischen Erkenntnisse ausreichend für die Feststellung einer seelischen Behinderung des S gemäß § 35a SGB VIII gewesen seien. Die Beweiswürdigung des FG, das Gutachten stelle "kein gesichertes Ergebnis", sondern lediglich eine "Teileinschätzung anhand unvollständiger Erhebungen" dar, sei daher nicht nachvollziehbar. Objektiv willkürlich sei die Beweiswürdigung des FG, das Gutachten treffe keine Aussage darüber, "ob die nach den Teilerhebungen diagnostizierte Entwicklungs- und Kommunikationsstörung ursächlich dafür ist, dass S zum Selbstunterhalt außerstande" sei. Denn Dr. X habe deutlich darauf hingewiesen, dass S an der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft angesichts seiner seelischen Behinderung gemäß § 35a SGB VIII beeinträchtigt gewesen sei. Eine entsprechende Teilhabe sei aber --so der Kläger-- zwingende Voraussetzung für eine Existenz sichernde Ausbildung oder eine berufliche Tätigkeit. Das FG sei mithin verpflichtet gewesen, "dem Beweisantritt des Klägers zu entsprechen und Dr. X als Zeugen zu vernehmen". Das FG wäre dann zu der Feststellung gelangt, dass S angesichts seiner seelischen Behinderung i.S. des § 35a SGB VIII außerstande gewesen sei, sich selbst zu unterhalten. Der Vollständigkeit halber werde darauf hingewiesen, dass der Kläger sich nicht geweigert habe, "dass sein behinderter Sohn einer weiteren Begutachtung zustimmen möchte". Angesichts der Gewalttätigkeit des S habe er bei einer Kontaktaufnahme jedoch um sein Leben fürchten müssen. In Beweisnot geraten, habe er daher das FG gebeten, über die JVA direkt Kontakt mit S aufzunehmen und diesen um entsprechende Mitwirkung zu bitten. Auf die beigefügte eigene Stellungnahme des Klägers werde verwiesen.

II. Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen.

1. Mit seinen Einwendungen gegen die Würdigung des Gutachtens des Dr. X durch das FG legt der Kläger keinen Verfahrensfehler dar. Die Würdigung von Tatsachen und Beweisen ist dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung des Bundesfinanzhofs (BFH) im Rahmen einer Verfahrensrüge entzogen (z.B. Senatsbeschluss vom 12. Juli 2007 III B 138/06, BFH/NV 2007, 2131). Die Rügen des Klägers betreffen auch keine offensichtlichen Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung, die ausnahmsweise zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO führen. Die Würdigung des FG ist vielmehr möglich und lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

2. Ebenfalls unzulässig ist die Rüge, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) verletzt, weil es Dr. X nicht als Zeugen vernommen habe. Denn der Kläger hat den Zulassungsgrund nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechenden Weise gerügt.

a) Zur ordnungsgemäßen Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht bedarf es der Darlegung, welche Fragen tatsächlicher Art aufklärungsbedürftig waren, welche Beweismittel zu welchem Beweisthema das FG ungenutzt ließ, warum der Kläger nicht von sich aus einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat, warum sich die Notwendigkeit der Beweiserhebung gleichwohl dem FG auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung hätte aufdrängen müssen und inwieweit die als unterlassen gerügte Beweiserhebung zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Ferner ist darzulegen, dass der Kläger die nach seiner Ansicht unzulängliche Sachaufklärung vor dem FG gerügt hat oder ihm eine solche Rüge nicht möglich gewesen ist (z.B. Senatsbeschluss vom 14. Februar 2006 III B 143/05, BFH/NV 2006, 1058).

b) Im Streitfall ist schon nicht ersichtlich, dass der Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren überhaupt den Antrag gestellt hat, Dr. X als Zeugen zu vernehmen. Er hat einen entsprechenden Antrag insbesondere nicht in der mündlichen Verhandlung gestellt, zu der ausweislich des Protokolls weder der Kläger selbst noch sein Bevollmächtigter erschienen sind.

Der Kläger hat auch nicht schlüssig dargelegt, weshalb sich dem FG auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung von Amts wegen eine Vernehmung des Dr. X als Zeuge hätte aufdrängen müssen. Vielmehr erschöpft sich sein Vortrag letztlich in der Behauptung, das Vorliegen einer seelischen Behinderung des S und dessen darauf beruhendes Unvermögen, sich selbst zu unterhalten, ergebe sich bereits aus dem Gutachten selbst.

c) Schließlich lässt sich auch dem Vortrag des Klägers zu seiner vermeintlichen Beweisnot eine zulässige Verfahrensrüge nicht entnehmen. Weder hat der Kläger die Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens durch das FG in der mündlichen Verhandlung beantragt, noch hat er dargelegt, weshalb sich dem FG von Amts wegen die Notwendigkeit einer entsprechenden Beweiserhebung auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung, derzufolge dem Kläger die Kontaktaufnahme mit dem seinerzeit inhaftierten S zwecks Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens zuzumuten sei, hätte aufdrängen müssen.

Ende der Entscheidung

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